Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - VII. Klage und Trost

Lobstein, Johann Friedrich - Die Geheimnisse des Herzens - VII. Klage und Trost

Psalm 39.

Ich habe mir vorgesetzt, ich will mich hüten, dass ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich will meinen Mund zähmen, weil ich muss den Gottlosen so vor mir sehen.

„Ich bin verstummet und still, und schweige der Freuden, und muss mein Leid in mich fressen. Mein Herz ist entbrannt in meinem Leibe, und wenn ich dran gedenke, werde ich entzündet; ich rede mit meiner Zunge.“

„Aber, Herr, lehre doch mich, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss. Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sela. Sie gehen dahin wie ein Schatten, und machen ihnen viel vergebliche Unruhe; sie sammeln, und wissen nicht, wer es kriegen wird.“

„Nun, Herr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich. Errette mich von aller meiner Sünde, und lass mich nicht den Narren ein Spott werden. Ich will schweigen, und meinen Mund nicht auftun; du wirst's wohl machen. Wende deine Plage von mir; denn ich bin verschmachtet von der Strafe deiner Hand. Wenn du Einen züchtigest um der Sünde willen, so wird seine Schöne verzehrt, wie von Motten. Ach! wie gar nichts sind doch alle Menschen! Sela.“

„Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien und schweige nicht über meinen Tränen; denn ich bin beides, dein Pilgrim und dein Bürger, wie alle meine Väter. Lass ab von mir, dass ich mich erquicke, ehe denn ich hinfahre, und nicht mehr da sei.“

Überall in den Psalmen begegnet man Klagen und Ergüssen des Kummers, und wenn wir unsere Gebete durchgehen, so werden wir auch darin mehr Klagen als freudige Lobgesänge finden. Was uns die Psalmen so lieblich und so anziehend macht, das ist die in denselben enthaltene getreue Schilderung unseres Elendes; es ist die geheime Freude, die wir empfinden, wenn wir die heiligen Männer Gottes denselben Schwachheiten unterworfen sehen, die uns drücken. Sehr oft kommt es uns vor, als ob in den Psalmen gewisse schmerzliche Gefühle, die wir empfinden, von denen wir uns aber keine klare Rechenschaft geben können, niedergelegt seien. Der Psalmist, der dasselbe empfand, von demselben Schmerz erfüllt war, leiht diesen Gefühlen seine Sprache, legt sie dar, drückt sie aus auf eine Weise, wie wir's nicht hätten tun können. Während er uns den Zustand seiner Seele beschreibt, zeichnet er uns zugleich unsern eigenen, und dadurch zeigt er uns auch den Weg, wie wir zu Trost und Erquickung gelangen können; denn ein Kranker, der seinen Zustand kennt, wird gerne die Mittel einnehmen, die ihm zur Genesung verhelfen. Der neununddreißigste Psalm nun ist eben einer von denen, die einer kranken Seele willkommen sind, um durch ihn ihren eigenen Schmerz in den Schoß ihres Gottes auszuschütten. Dieser Psalm hat einen ganz besonders wehmütigen Charakter, aber die Wehmut ist nicht die Traurigkeit der Welt. Die Traurigkeit der Welt sucht die Einsamkeit auf, um dort über ihrem bitteren Schmerze zu brüten. Der Psalmist hingegen geht zu seinem Gott, klagt ihm, und sucht bei ihm allein Trost und Erquickung.

Wir wollen diesen Psalm in aller Kürze betrachten. Er enthält unsere eigene Geschichte, und wir können ihn überschreiben: Klage und Trost. Versehen wir uns also zuvörderst in die Lage eines Menschen, der da klagt; denn mit dem Ton der Klage hebt der Psalmist an. Wenn wir von Etwas beunruhigt werden, so sehen wir zuerst nur den Gegenstand, der uns beunruhigt. Er beschäftigt uns und wir sprechen von ihm. Aber diese anfängliche Betrübnis führt uns bald zu einem zweiten, dann zu einem dritten Gegenstande der Klage, und die Betrübnis des Herzens wächst zu einem Strome, der über seine Ufer tritt. Es ist bekannt, dass ein Mensch, welcher einmal angefangen hat zu klagen, damit fast nicht mehr aufhören kann. Sehr oft geschieht es auch, dass wir durch unsere Klagen eigentlich indirekt gegen Gott murren: es ist weit mehr Bitterkeit in unserm Klagen, als wir nur meinen. Im Innern ist der geheime Wunsch, dass Gott uns diese Leiden ersparen möchte. Wir dürfen es ihm zwar nicht gerade heraus sagen, aber der Ton unserer Klage beweist zur Genüge, von welcher Bitterkeit und Unzufriedenheit unser Herz erfüllt ist. In dieser Gemütsstimmung befand sich der Psalmist, als er die Worte unsers Psalms betete, und wenn wir denselben aufmerksam betrachten, so entdecken wir darin hauptsächlich drei Gegenstände, über welche David seine Klage vor den Herrn bringt.

Der erste Punkt ist die schmerzliche Empfindung, dass er über sich selbst keine Gewalt mehr hat. Tausendmal schon hat er sich vorgenommen, nicht zu sündigen mit seiner Zunge, und nicht ein einziges Mal hat er diesem seinem Vorsatz treu bleiben können. Immer hat der natürliche Mensch wieder das Übergewicht bekommen über die neue Kreatur. Zwar ist es ihm öfter gelungen, seine bitteren Gefühle zu unterdrücken, aber der verhaltene Schmerz hat seine Seele nur noch mehr erbittert. Wer seinen Ärger nur in sich zurückdrängt, ist noch kein stiller Dulder; der Ärger muss vielmehr aus der Seele vertilgt und verbannt werden.

Ist diese Lage Davids nicht sehr oft die unsere? Er konnte den Gottlosen nicht vor sich leiden; sein Herz empörte sich, dass er genötigt war, mit Leuten zusammenzuleben, die ihm nicht gefielen, und er konnte sich dann nicht enthalten, irgend eine beißende Bemerkung zu machen, die ihm selber nachher Unruhe bereitete. Besser wäre es gewesen, er hätte geschwiegen; aber das war eben das Schwierige. Wohl beherrscht er sich manchmal für einen Augenblick; aber wenn sein Herz entbrennt in seinem Leibe und er wieder daran denkt, so wird er entzündet, und er redet wieder mit seiner Zunge.

Wenn uns das Nämliche begegnet, wie machen. wir's da? Beklagen wir uns nicht ebenfalls darüber, dass wir so wenig Kraft haben, uns selbst zu beherrschen? Wie, sagen wir, soll ich denn immer und immer wieder von der Sünde überwältigt werden? Diese Klagen entspringen mehr aus einer bösen Laune, als aus einer göttlichen Betrübnis; denn man ärgert sich darüber, dass man immerfort kämpfen muss und doch zu keinem Siege gelangt. Und auf wen ist man da böse? Wenn man aufrichtig ist, so wird man gestehen müssen, dass man eigentlich weit mehr den Herrn anklagt, als sich selbst. Warum lässt er das immer geschehen?

Warum macht er uns das Leben so schwer? Warum fragt er so wenig nach den Kämpfen, die man um seinetwillen unternimmt? Wie viel Zeit verliert man mit Beten; könnte er nicht den Kampf etwas abkürzen und uns etwas leichter zum Siege verhelfen? Sei aufrichtig, mein lieber Christ. Nicht wahr, das ist deine Stimmung, wenn du dich in einer ähnlichen Lage befindest, wie hier der Psalmist?

Die Seelenstimmung des Psalmisten wird jedoch ruhiger. Er erinnert sich seiner sündlichen Natur, er denkt an die Kürze und Flüchtigkeit seines Lebens. Er sieht seine Tage, wie sie bloß einer Hand breit sind, wie sein Leben gar nichts ist vor ihm. Er hält dem Herrn diese Vergänglichkeit seines Lebens vor, hält ihm vor, wie alle Menschen so gar nichts sind. Was ist der Mensch? Ein Schatten, ein Hauch; warum sammelt er, und weiß nicht, wer es kriegen wird?

Wie entsteigen uns dieselben Klagen, wenn wir von unserer Vergänglichkeit überzeugt werden! Es gibt Augenblicke, wo dieses Gefühl uns gewaltiger als je ergreift, wo wir erschrecken über die Schnelligkeit, mit der wir davoneilen. Es kommt uns vor, als ob Alles, was wir besitzen, uns unter den Händen verschwinde. Wenn das Gefühl von Eitelkeit und Vergänglichkeit des irdischen Daseins uns so ergreift, so demütigt es uns und stimmt uns traurig. Man liebt es aber dennoch, sich in solche Betrachtungen zu verlieren und in seiner Hinfälligkeit vor seinen Gott hinzustellen. In dieser Stimmung betet David: Lehre mich, Herr, bedenken, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.

Warum diese Bitte? So das Gefühl unserer Vergänglichkeit uns doch mit Weh' erfüllt, warum bitten wir denn den Herrn, dass er uns daran erinnern wolle? Es geschieht, damit dieses Gefühl uns nicht zu Boden drücke, nicht ein unfruchtbares werde, wie es sonst gewöhnlich der Fall ist mit den Gedanken an die Vergänglichkeit unseres Lebens; damit der Herr durch dieses Gefühl in uns wirke, uns antreibe, unsere Zeit auszukaufen. Weil es dem Psalmisten so schwer wurde, Herr seiner selbst zu werden, so sucht er in dem Hinblick auf sein nahes Ende mehr Kraft über sein Herz zu gewinnen. Es ist, als wenn er sagen wollte: Sollte ein Mensch, der nur eine so kurze Zeit zu leben hat, nicht so leben, wie er in seiner letzten Stunde wünschen wird, gelebt zu haben? Sollte er zu dem Gefühl seiner Vergänglichkeit auch noch das Gefühl eines mit Schuld beladenen Gewissens hinzutun? Davor bewahre ihn der Herr, und lehre ihn, dass es ein Ende mit ihm haben muss, damit er mit Furcht und Zittern seine Seligkeit schaffe.

Diese Gemütsstimmung, sagten wir vorhin, ist hier schon eine ruhigere geworden, als sie es im Anfang war. Es ist indessen auch hier noch etwas Menschliches, etwas Ungöttliches. David erinnert den Herrn daran, wie das Leben nur ein Hauch, nur ein Schatten sei; aber liegt darin nicht der Gedanke: Solltest du nicht Mitleiden haben mit einem solchen elenden Geschöpfe, welches, kaum ins Dasein gerufen, wieder verschwindet? Soll denn diese kurze Spanne Zeit noch mit Streit und Kampf ausgefüllt sein? Willst du mich denn nicht wenigstens in Ruhe diese paar Jahre durchleben lassen, die doch wie gar nichts sind vor dir? Sind das nicht die Klagen und Vorwürfe, wie sie das trotzige Herz seinem Gott macht? Unsere Betrübnis ist sehr oft mit einer Art Ironie gemischt, besonders dann, wenn wir selbst der Gegenstand unserer Traurigkeit sind. Fühlen wir uns selbst elend, so währt es gar nicht lange, dass wir in unsern eigenen Augen als Dulder und Märtyrer erscheinen, und im Innersten unserer Seele steigt alsdann der geheime Vorwurf zu Gott empor: Du hast mich in diesen Zustand versetzt.

Ein dritter Gegenstand der Klagen des Psalmisten besteht zwar nur aus einem Wort, das ihm im Vorbeigehen entschlüpft; aber ein einziges Wort sagt oft sehr viel und öffnet tiefe Blicke in das Innere. David redet von dem Ernste Gottes und von den Züchtigungen um der Sünde willen. Die Hand des Herrn ist in der Tat sehr oft ein Feuer, das da verzehrt. Hat man einmal ein paar heitere, glückliche Tage, so wird der Himmel bald wieder trübe, das Glück wird angefressen, so wie ein Kleid, das von Motten verzehrt wird. Unsere Freude wird in Leid verwandelt und das Glück selber ist, wie der Mensch, ein Hauch, ein Nichts.

In welchem Geiste sprach der Psalmist diese Worte? Es ist ursprünglich das Gefühl, wie sehr Gott in seinem Rechte sei, das ihn dieselben aussprechen lässt. Der Heilige und Gerechte hasst die Gottlosigkeit, seine reinen Augen können das Böse nicht ertragen, ohne dasselbe zu strafen, und seine Züchtigungen gehen nicht auf seine Geschöpfe, sondern auf die Ungerechtigkeit in ihnen. David erkannte dieses Recht der göttlichen Gerechtigkeit; darum bekennt er vor ihm: Vor dir habe ich Übels getan, damit du Recht behaltest in deinem Gericht. Aber man kann die göttliche Gerechtigkeit gar wohl einsehen und dennoch sich gegen dieselbe auflehnen. Man kann davon überzeugt sein, wie man alle Wohltaten Gottes mit seiner eigenen Sünde befleckt, und dennoch ihm vorwerfen, dass er unser Glück zerstöre und zernage, wie ein Kleid von den Motten verzehrt wird; dass er unsere Freuden in Klage verwandle. Ja man kann, müde des immerwährenden Kampfes, niedergebeugt von der Vergänglichkeit und Kürze unserer Tage, dem Herrn vorwerfen, dass er das Böse, das sich mit den ohnehin so seltenen Augenblicken unserer Freude verknüpft und verwischt habe, gleichsam heraussuche, um uns durch seinen Anblick das Vergnügen zu verbittern, wie wenn er eifersüchtig wäre auf die wenigen Augenblicke unseres Glückes. Alle solchen Widersprüche finden sich in den verkehrten Menschenherzen. Man kann Gott anbeten und zu gleicher Zeit ihn anklagen; sich vor ihm demütigen und zugleich sich empören; ihm die Waffen gegen uns in die Hände geben und sich bitterlich beklagen, wenn er sich derselben bedienen will.

Unser Psalm ist indessen nicht nur von Klagen angefüllt, sondern wir begegnen auch dem Troste darin.

Schon das ist ein großer Trost, wenn man dem Herrn Alles das frei heraussagen kann, was man auf dem Herzen hat und wären es selbst beleidigende Dinge. Wenn man auch nicht behaupten kann, dass Gott diese Freiheit erlaube und billige, so ist doch so viel gewiss, dass er dieselbe mit einer unergründlichen Geduld erträgt, wie wir das z. B. bei Jonas sehen. Der Herr weiß, was für ein Gemächte wir sind; er wundert sich, wenn wir so sagen dürfen, nicht darüber, dass wir ihm den Fehdehandschuh hinwerfen; ist ja doch der Hang unsers natürlichen Herzens eine immerwährende Empörung gegen ihn! Wenn unsere Seele mit Murren erfüllt ist, wenn wir Ursache zu haben glauben, uns zu beschweren: so nennen wir die Dinge bei ihrem wahren Namen. Gott wird viel weniger beleidigt durch unsere Unverschämtheit, sobald dieselbe der aufrichtige Ausdruck unserer innern Stimmung ist, als durch eine heuchlerische, duldende Schweigsamkeit, wodurch wir der großen Zahl unserer Sünden noch eine neue, und zwar eine nicht geringe, hinzufügen, die Sünde der Heuchelei.

David schüttet seine Klagen vor keinem Menschen, sondern vor seinem Gott selbst aus. Er weiß, dass bei Ihm die Quelle des Lebens und dass dagegen alle Menschenhilfe eitel ist. Wir laufen große Gefahr, wenn wir unsere Klagen vor Menschen laut werden lassen, während wir nur gewinnen können, wenn wir sie dem Herrn vortragen.

Wer den Trost bei Menschen sucht, der findet selten wahre Teilnahme; die Klagen vor Menschen haben immer das Nachteilige, dass sie unser Herz erschlaffen, uns allen Mut benehmen und uns träge machen zum Gebet. Man meint eine große Erleichterung zu finden, wenn man sein Herz einem christlichen Freunde öffnen kann, und wenn man wieder nach Hause kommt, so fühlt man sich ärmer, trockener, ohne innere Kraft und ohne Trost. Machen wir es wie David, machen wir den Herrn zu unserm Vertrauten. Je mehr und je vertraulicher wir mit ihm reden, desto inniger wird unsere Bekanntschaft und Gemeinschaft mit ihm, desto reicher werden wir erquickt durch seine Tröstungen.

So betrübt und traurig das Herz des Psalmisten auch war, er hatte sein Vertrauen doch nicht weggeworfen. Nachdem er die ganze Betrübnis seiner Seele vor seinem Gott ausgeschüttet hat, so spricht er die herzlichen und einfachen Worte: Nun, Herr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich. Also zu seinem Gott kehrt er zurück. Es gibt ja keinen andern Felsen, als dieser Gott, der sein Gott ist und ewig bleiben wird. So findet man mitten in den Kämpfen eines Kindes Gottes und ungeachtet seines Murrens gegen den Herrn, immer noch in der Tiefe seiner Seele die Gnade, durch die es erhalten wird und das Vertrauen zu seinem Gott. Es ist niedergebeugt vom Schmerz, aber es wartet auf den Herrn; es erblickt in sich nichts als Elend, aber noch glimmt der Docht. Es hat mehr Glauben, als es selber weiß; sein Leben ist ihm nicht sehr teuer, aber die Hoffnung lässt es nicht fahren: O Gott! du bist mein Gott! täglich harre ich dein.

Auf was gründete sich die Hoffnung des Psalmisten? Man lese seine andern Psalmen und man wird sehen, dass alle Hoffnung einzig und allein auf dem Bunde beruhte, den der Herr mit seinem Knecht, seinem Gesalbten geschlossen hatte. Der Herr hatte David und seinen Nachkommen sein Wort zugesagt: Ich habe einen Bund gemacht mit meinem Auserwählten, ich habe geschworen meinem Diener David, dass sein Same ewig bestehen und das Zepter seines Reiches nicht untergehen werde. David erinnert sich an diese Verheißung: Du, Herr, bist meine Hoffnung und meine Freude, du wirst deinem Knechte dein Wort halten! In dem Psalm, der vor uns liegt, scheint zwar die Hoffnung auf die Verheißung hinter der Traurigkeit seiner Seele zu verschwinden; aber an der Treue seines Gottes verzagt er nicht. Ähnliche Erfahrungen machen auch wir noch in unsern Trübsalen, insonderheit seitdem die göttlichen Verheißungen Leben und Wahrheit, Ja und Amen geworden sind in Christo Jesu. Stellen wir uns vor das Kreuz Jesu, wenn die Wasser der Trübsal bis an unsere Seele gehen; und lassen wir sie nur herankommen, die brausenden Wogen: Gott gedenket an seinen heiligen Bund. Wir sind erlöst, nicht aus uns selber und von uns selber, sondern durch die Gnade Gottes in Christo Jesu. Es gibt etwas in uns, das stärker ist als unsere Klagen, dauernder als unser Leben, köstlicher als das, was von Motten verzehrt wird: nämlich die Liebe Gottes, geoffenbart in Christo Jesu, unserm Herrn. An diese Liebe halten wir uns mehr und fester, als wir's nur glauben; diese Liebe erscheint uns, wenn alles Andere verschwindet; und wenn wir auf sein Kreuz blicken, so werden wir nicht anders können, als ausrufen: Nun, Herr, wes soll ich mich trösten? ich hoffe auf dich.

Auch David fühlte sein Herz wie zusammengepresst vor Betrübnis bei dem Gedanken und Hinblick auf die Kürze seiner Tage. Sein Leben kam ihm vor wie ein Schatten; er sah den Augenblick, wo er würde davon müssen, um nicht mehr zu sein. Aber ihn tröstet, dass er ein Pilgrim und ein Bürger seines Gottes ist. Er ist nur auf der Wanderschaft hienieden, wie alle seine Väter; hier ist nicht sein Vaterland, und der Gedanke, dass die Erde des Herrn ist, und Alles, was darinnen ist, der Erdboden und die ihn bewohnen, dieser Gedanke erhebt ihn und ist sein Trost. Ein Wanderer, der, obgleich noch weit entfernt von der Stätte seiner Kindheit, innerhalb der Grenzen seines Vaterlandes wandelt, findet schon in dem Gedanken eine liebliche Erquickung, dass der Boden, auf dem er geht, schon zu dem Königreiche gehört, über das sein Fürst herrscht. Wohlgemut zieht er seine Straße, und es ist ihm, als sei er schon zu Hause; denn die Gegend, welche er durchreiset, ist schon eine Provinz seines heimatlichen Landes.

Wenn wir uns trösten wollen über die Flüchtigkeit unsers Lebens, so müssen wir uns wie David daran erinnern, dass wir hienieden nur Gäste und Pilgrime sind, dass aber gleichwohl unser Wohnen auf Erden kein Wohnen in einem fremden Lande ist. Die Erde ist kein Ort der Verbannung; denn sie ist des Herrn mit Allem, was darinnen ist und mit Allen, die darauf wohnen. Wenn wir es verstehen, unsere Augen aufzuheben zu den Bergen, von denen unsere Hilfe kommt, so wird uns das Los fallen aufs Lieblichste, und unser Durchgang durch diese Zeit wird reichen Segen nach sich ziehen. Ist die Pilgerhütte, in der wir unsere Wohnung aufschlagen, ein Zelt des Allmächtigen, so wird er uns einst in die Stadt aufnehmen, die auf das Blut des Lammes gegründet ist. Wandeln wir hienieden in der Gemeinschaft des Gottes, der einen Bund mit uns geschlossen hat: so muss diese Pilgrimschaft uns zu einer Quelle reichen Segens werden. Der Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi hört unser Gebet, er neiget sein Ohr zu unserm Schreien und zählet unsere Tränen; denn er gedenket daran, dass wir seine Gäste und Pilgrime sind, wie alle unsere Väter. Lasst die Jahre immerhin davoneilen, wenn nur unser Leben dem gehört, der uns geliebt und sich selbst für uns dargegeben hat. Dann sind wir mitten in unserer Pilgrimschaft doch schon Bürger der himmlischen Stadt, in deren Register unsere Namen eingetragen sind. Wir haben keine Ursache zum Klagen, wo solche Tröstungen vorhanden sind und man fröhlich sein kann in der Hoffnung, geduldig in der Trübsal, und anhaltend im Gebet. Der Anklagen, zu denen wir uns in der Trübsal hinreißen lassen, werden wir uns schämen, wenn wir sehen, wie viel uns der Herr gegeben hat und wie groß seine Treue gegen uns ist. Lasst uns ihn lieben, und er wird uns den Glauben schenken, durch welchen wir die Welt und uns selbst überwinden; und wir werden unsere Zeit auskaufen, anstatt uns zu beklagen, und wenn den Abend lang das Weinen bei uns einkehrt, so wird des Morgens Freude und Lobgesang unser Teil sein.

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autoren/l/lobstein-die_geheimnisse_des_herzens/lobstein-geheimnisse_des_herzens-_vii.txt · Zuletzt geändert: von aj
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