Lambs, Jean-Philippe - Die Jung St. Peter-Kirche in Straßburg. - §. 3. Einiges aus dem Leben und Wirken Capito's, des ersten evangelischen Predigers zu Jung St. Peter.

Lambs, Jean-Philippe - Die Jung St. Peter-Kirche in Straßburg. - §. 3. Einiges aus dem Leben und Wirken Capito's, des ersten evangelischen Predigers zu Jung St. Peter.

Wolfgang Fabricius Capito1), wurde zu Hagenau im Jahr 1478 geboren. Sein eigentlicher Name war Köpfel, und seine Familie war mit der des berühmten Buchdruckers Wolfgang Köpfel (Cephaleus), ebenfalls aus Hagenau gebürtig, verwandt2). Sein Vater Johann Fabricius Köpfel, war ein angesehener Bürger in Hagenau, trieb das Gewerbe eines Hufschmieds und war Rathsherr daselbst.

Seine Mutter hieß Agnes, eine geborne Kapp. Da der Vater sich bessere und reinere Begriffe von der Religion erworben hatte, und er ein Feind des ärgerlichen Lebens und der verderbten Sitten war, dem sich damals die Geistlichkeit überließ, wollte er nicht daß sein Sohn, bei dem er frühe schon herrliche Anlagen bemerkte, sich dem geistlichen Stand widmen, sondern die Arzneikunde studieren sollte, weswegen er ihn in die damals berühmte Schule von Pforzheim, dann nach Basel und Freiburg sandte. Aber der Tod seines Vaters (1500) wurde vermuthlich für ihn Gelegenheit, eine andere, in jener Zeit in Freiburg, unter Ulrich Zasius, besonders blühende Wissenschaft, die Rechte zu studieren. Früher schon hatte er zu Basel die Würde eines Doktors der Medicin erworben, in welchem Fache er sich auch rühmlich auszeichnete. Bald aber folgte er der allgemeinen Richtung seiner Zeit und dem besondern Drange seines Herzens, indem er das Studium der Theologie ergriff, welches für jeden Gebildeten so wichtig zu werden anfing.

Zu Freiburg, im Jahr 1506, wurde Capito, unter dem berühmten Johann Eck, Magister der freien Künste und Doktor der Theologie, erhielt eine Lehrerstelle an der dortigen Universität und fing an öffentliche Vorlesungen über die scholastische Philosophie zu halten. Aber schon damals begann es, wie er sich in einem Briefe an Ulrich von Hutten ausdrückt3), in ihm zu dämmern und der Ueberdruß an der scholastischen Philosophie, bewog ihn dem Ruf des Bischofs von Speyer, Philipp von Rosenberg zu folgen, der ihn 1512 zum Canonicus und Pfarrer zu Bruchsal ernannte.

Während seines Aufenthalts in dieser Stadt, zeichnete er sich als Mitglied jener Commission aus, die der Bischof zur Entscheidung des Streites zwischen Reuchlin und dessen Verfolgern niedergesetzt hatte. Von Bruchsal aus, schloß er Freundschaft mit Johannes Hausschein (Oecolampadius), der in Heidelberg weilte, und mit Conrad Kürsner (Pellicanus), der damals als Guardian im Franziskaner-Kloster zu Pforzheim lebte. Die drei Freunde besuchten sich oft. Bei einer ihrer Unterredungen am 11. Oktober 1512, eröffnete der fromme und gelehrte Franziskaner, der schon sechs Jahre zuvor seine Zweifel an der römischen Lehre vom Ablaß, vom Fegfeuer und von der Ohrenbeichte nicht geheim gehalten hatte, dem Pfarrer von Bruchsal auf dessen Bitten, seine Ansicht von der Brodverwandlung im Abendmahle, und entwickelte seine Gründe gegen diese sehr lebhaft, unter Berufung auf die Aussprüche der Heiligen Schrift, und mit der Aufforderung, es seye Pflicht eines jeden gebildeten Menschen nicht alle Lehren der bestehenden Kirche ohne Weiters hinzunehmen, sondern sie nach dem klaren Ausdruck der biblischen Offenbarung, als der höchsten Auktorität, einer Prüfung zu unterwerfen.

Als Kürsner noch Manches in ähnlichem Sinne über die sogenannten kirchlichen Auktoritäten geäußert und also das Ansehen der Kirche in seinen innersten Grundfesten angegriffen hatte, da wurde Capito wundersam bewegt und versicherte, der Meister habe ihm aus der Seele gesprochen, und auf die Zeit habe man sich zu freuen, wo die erkannte Wahrheit nimmer in der Brust verschlossen bleiben müsse.

Nach dreijährigem Aufenthalt in Bruchsal folgte Capito dem Rufe des Bischofs, Christoph von Uttenheim, als Stiftsprediger nach Basel. Hier trat er mit dem gelehrten und geistreichen Erasmus, aus Rotterdam, in enge Verbindung, und fing an mit Zwingli, der damals in Einsiedlen lebte, sich über das zu beginnende Reformationswerk zu unterhalten4), wodurch ihm, bei zunehmender Kenntniß der heiligen Schrift und des klassischen Alterthums, die Verdorbenheit des Clerus immer unerträglicher wurde.

Seine reinere Ansicht der christlichen Religion trug Capito in der Kirche dem Volke, und in den Hörsälen den Studierenden vor. Daher wird er auch der Reformator von Basel genannt; neben ihm standen seine Freunde und Schüler, Oecolampadius und Hedio, welchen er die theologische Doktorwürde verlieh. Mit inniger Freude erfüllte ihn das Auftreten Luthers in Wittenberg, und er schenkte dessen Schriften, die anfingen durch den Druck verbreitet zu werden, nicht nur vollen Beifall, sondern er beförderte sogar deren schnelle Verbreitung durch Herausgabe mehrerer derselben in Basel.

Durch die manchfaltigen Kenntnisse, welche er sich in den verschiedensten Fächern erworben hatte, galt Capito für einen der gelehrtesten Männer seiner Zeit; besonders verstand er die hebräische Sprache sehr gut, in welcher er einen ehemaligen spanischen Juden, Matthäus Adrianus, Doktor der Medicin und nachherigen Professor zu Wittenberg zum Lehrer gehabt hatte. Zu Basel gab Capito eine hebräische Grammatik heraus5), hielt als Professor Vorlesungen über das Alte Testament, und da er schon früher in Freiburg unter Ulrich Zasius sich mit dem Studium der Rechtswissenschaften abgegeben hatte, nahm er im Jahr 1520 zu Basel den Grad eines Doktors der Rechte an. Somit hatte Capito die seltene Auszeichnung erlangt, Doktor in drei Fakultäten zu seyn.

Hier und bald darauf in Mainz, und endlich in Straßburg erfüllte Capito als Prediger und Lehrer die großen Hoffnungen, welche Erasmus 1516 in einem Briefe aus Antwerpen aussprach, daß auch Capito werde der geistigen Finsterniß den Untergang bereiten helfen. „Dir fehlt Nichts zu einem so ruhmvollen Kampfe,“ so ruft der berühmte Niederländer aus. „Dein rüstiges Alter, dein kräftiger Körper, deine glücklichen Gaben, deine richtige Urtheilskraft, deine nicht gewöhnliche Kenntniß in drei alten Sprachen, deine ausgezeichnete Beredsamkeit, dein für das Wohl der Menschheit glühendes Herz, und zugleich dein zeitlicher Wohlstand, das Alles beurkundet einen hohen Beruf. Hierzu kommt endlich noch das gewichtvolle Ansehen, das dir deine Tugenden erworben haben, und die reinen Sitten und der fleckenlose Ruf, den auch der frechste Lästerer nicht zu verunglimpfen wagt…“6)

In eben diesem Jahre 1520, am 28. April verließ Capito Basel, um dem Rufe des Erzbischofs und Churfürsten Albrecht von Mainz zu folgen, der ihn auf Ulrich von Huttens Empfehlung hin, zum ersten seiner Räthe, zum Erzkanzler und Stiftsprediger ernannt hatte. Er bewies sich für des Ritters Verwendung in der Folge dankbar, wie aus dem von ihm ausgefertigten Antwortschreiben Albrechts an Papst Leo X erhellt, als dieser Huttens Auslieferung dringend begehrte.

Capito stand in großem Ansehen bei dem Fürsten; er hoffte diesen für die Sache des Evangeliums zu gewinnen, und ihn allmälig so weit führen zu können, daß er, der Primas der deutschen Kirche, sich offen an die Spitze der großen Bewegung stellen würde. Deswegen hatte auch Capito mehrmals Luthern schriftlich gemahnet, sein schönes Werk mit etwas weniger Heftigkeit zu betreiben; allein Hutten und Luther, diese rüstigen Helden, sonst seine Freunde, wurden ihm deshalb gram, und sahen in dieser Zurückhaltung nichts als den schlauen Hofmann, als Gleichgiltigkeit gegen das Heilige, gegen Wahrheit und Recht7). Tief gekränkt durch diese Mißkennung, reisete Capito im Frühling 1522 nach Wittenberg, um sich mit Luther auszusöhnen und kehrte dann wieder nach Mainz zurück.

Schon im vorhergehenden Jahre 1521 hatte der Papst Leo X, Capito zum Canonicus und Probst des Stifts St. Thomä in Straßburg ernannt. Hierauf gab dieser sein Predigtamt in Mainz auf, und empfahl seinen Freund Hedio, der ihn schon zu Basel ersetzt hatte, an seine Stelle. Aus Erkenntlichkeit für seine vielfach geleisteten Dienste, hatte der Churfürst ihn dem Kaiser Karl V empfohlen, der dann auch am 17. Februar 1523 Capito in den Ritterstand erhob. Allein diese obgleich sehr glänzende Lage, hatte für Capito wenig Anziehendes, da er seine religiösen Ueberzeugungen nicht an den Tag legen, und auch den Hofkabalen keinen Geschmack abgewinnen konnte. Gegen Aller Erwartung verließ er Mainz und den fürstlichen Hof, und begab sich in Begleitung seines Freundes Martin Butzer nach Straßburg, um seine Probstei in St. Thomae zu beziehen8).

Hier beginnt in dem Leben Capito's ein neuer wichtiger Zeitabschnitt, in welchem er als einer der muthigsten Kämpfer für die Sache der Reformation auftrat, und wo er seinen bessern Ueberzeugungen frei leben konnte. Kaum hatte Capito von seiner Probstei Besitz genommen, als er auch schon anfing die evangelischen Wahrheiten, die in seinem Gemüthe eine so tiefe Wurzel geschlagen hatten, öffentlich vorzutragen. Mehrere Sonntage hintereinander betrat er die Kanzel seiner Stiftskirche, zum großen Erstaunen des Volks, daß einmal ein vornehmer Probst sich des verachteten Geschäftes des Predigens unterziehe, ermahnte das Volk zur Eintracht, und erklärte, daß er hauptsächlich auch darum predigen wolle, um den Argwohn derer zu widerlegen, welche meinten er schäme sich des Evangeliums. Dieses sein Benehmen verschaffte ihm den Beifall des aufgeklärten Theils der Straßburger Bürgerschaft; aber bei den Mönchen und Priestern wurde er deshalb sehr verhaßt; sie lästerten ihn auf alle mögliche Weise und ließen es an Schmähreden gegen ihn und die andern Kämpfer für die Wahrheit nicht fehlen. Insonderheit wurde ihm das für eine große Sünde angerechnet, daß er die Würde eines Prälaten so sehr vergaß und die Kanzel bestieg, wider die Laster der Geistlichkeit und gegen die Mißbräuche in der Religion eiferte, und hingegen die Predigten Zell's und dessen christlichen Wandel rühmte. Sie sagten: „Capito hätte dem geistlichen Stande die größte Schmach angethan. Das Predigen sey nur für Mönche und geringe Pfarrherrn, die man dafür bezahlte, aber nicht für Pröbste und Prälaten.“

Das Capitel von St. Thomä dachte auch nicht viel besser, und bald ward Capito genöthigt sein Predigen zu unterlassen9). Noch in demselben Jahre 1523 nahm Capito das Bürgerrecht in Straßburg an10). Die Stiftsherrn suchten ihn aus dem Capitel hinauszustoßen. Wiederholt und dringend bat Capito den Rath um Verhör und daß man ihm erlaube öffentlich mit denen, welche ihn so sehr verhöhneten zu disputieren; aber seine Bitte war vergeblich11).

Da veröffentlichte er eine Vertheidigungsschrift12), worin er anzeigte, warum er das Bürgerrecht angenommen, warum er gepredigt, und eine öffentliche Disputation begehrt habe. Ungeachtet des Grimmes seiner Feinde und des Widerstrebens mehrerer seiner Stiftsgenossen, ungeachtet des Bischofs, der ihn nicht mehr als Probst anerkennen wollte, blieb Capito seinen bessern Ueberzeugungen treu, schloß sich immer fester an den wackern Zell und andere Gleichgesinnte an, und wurde so eine der Hauptstützen der Reformation in unserer Vaterstadt.

Denn immer lauter und lauter sprach sich die Stimme des Volks für die Lehre Zell's und seiner Gehilfen aus. Der Magistrat aber, der bis jetzt keinen Schritt für oder wider das Reformationswerk gethan hatte, wollte auch in dieser hochwichtigen Sache nicht zu voreilig handeln. Er mischte sich in die religiöse Aufregung der Stadt nur in so weit, um Ausschweifungen und Gewaltthätigkeiten zu verhindern. Da indessen die Stimme des Volks von Tag zu Tag lauter wurde, und nachdem die Prediger in einer besondern Schrift ihre Grundsätze entwickelt und sie der Obrigkeit vorgelegt hatten, befahl der Magistrat um dem Zwiespalt in der Lehre abzuhelfen, in einem gedruckten und öffentlich angeschlagenen Mandate vom 1. December 1523: „Daß künftig nichts anders als das heilig Evangelium und die Lehr Gottes und was zur Mehrung der lieb Gottes und des Nächsten dient, frey öffentlich dem christlichen Volk soll gepredigt werden13).“

Durch diese obrigkeitliche Verordnung war also die gesetzmäßige Existenz der evangelischen Prediger so wie ihres Reformationswerkes in Straßburg gesichert; aber auch hierin hatte der Magistrat nur der dringenden Nothwendigkeit nachgegeben. Indessen steigerte ein nicht unbedeutender Vorfall den Enthusiasmus der Bürger für ihre Prediger. Anton Firn, von Hagenau gebürtig, Leutpriester zu St. Thomä, Matthis Zell und noch mehrere andere waren in den Stand der Ehe getreten, was zwar zu verwickelten und langwierigen Streitigkeiten mit dem Bischof Wilhelm III.14) Anlaß gab; aber eine desto größere Freude bei den Bürgern erregte, und Niemand kümmerte sich um den Bannspruch der über diese abtrünnigen Priester ausgesprochen wurde.

Kaum hatte E. E. Rath das reine Evangelium frei zu predigen verordnet, als die Pfarrgemeinde von St. Aurelien, deren Leutpriester sich jenem Mandate nicht fügen wollte, den Magistrat, um einen evangelischen Prediger, und zwar um Martin Butzer bat; diese Wahl wurde auch bestätigt. Es folgte bald darauf die Gemeinde zum Alten St. Peter15). Theobald Schwarz, welcher von dem Kirchenvorstande daselbst und mit Bewilligung der ganzen Gemeinde zum Pfarrer war erwählt worden, ward gleichfalls vom Rath anerkannt.

1)
Jung, B. I. S. 86 u. ff.
2)
Aus der Werkstatt dieses Buchdruckers, der am Roßmarkt wohnte, gingen die meisten Druckwerke der ersten straßburgischen Reformatoren hervor.
3)
Vierordt, die Reformation in Baden. S. 79 u. ff.
4)
Ep. Capit. ad Bullingerum. 1536. ap. Hottinger. Hist. eccles. B. VI. S. 207.
5)
Wie viel Capito zur Beförderung des Verständnisses der hebr. Bibeltheile beigetragen habe, rühmt Dr. Luther schon 1522 in der Erklärung der 22 ersten Psalmen.
6)
Jung, B. II. 6. 104 1. f.
7)
Lutheri ep. ad Capit. dat. 17. Jano 1522. von der Wartburg bei de Wette.
8)
Capito erzählt die Gründe warum er Mainz verließ, in dem Brief an Erasmus dat. Argent. 18. Juni 1523 bei Heß Leben des Erasmus B. II. S. 555. Für die Probstei zu St. Thomä sollte Capito dem heil. Stuhl 120 Dukaten bezahlen, die ihm aber aus ganz ungewöhnlicher Gunst des Papstes wieder zurückgeschickt wurden. Capito's Antwurt uff Tregers Vermanung. P. iij.
9)
Specklin, Collekt. B. II. S. 146.
10)
Aus dem Straßburger Burgerbuch de Anno 1440 ad 1530. 1523. Jtem der hochgelart Dr. Wolfgang Fabricius Capito, Probst zu St. Thoman, hat das Burgerrecht kaufft, dabey der Stadt Artikel zu halten gelobet und versprochen und dient zum spiegel. Dornstags nach Ulrici Episcopi.
11)
Doctor Wolfg. Capitons u. Meister Mathisen Zellen Supplication an meine Herrn um Beförderung eines Verhör und Gespräche zwischen ihn und den Meßpfaffen. dat. Mittwochs post exaltat. crucis 1523. Mscpt.
12)
An den hochwürdigen fürsten und herrn Wilhelmen Bischoffen zu Straßburg. Entschuldigung Dr. Wolfg. Capito. 1523. 4°.
13)
Röhrich, Gesch. der Reform. im Elsaß. B. I. S. 176.
14)
B. Hertzog, Els. Chron. B. IV. S. 116 u. 117.
15)
Strobel, Gesch. der Kirche zum Alt. St. Peter. S. 12 u. 13.
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