Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (38 - Thahat)

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (38 - Thahat)

Zwei und zwanzigste Lagerstätte:
Thahat.

4. Buch Mosis 33,26.

Dies ist also diejenige Lagerstätte, wo wir, wie wir neulich bemerkten, ein Kreuz über den Weg machen, indem wir, um dahin zu kommen, quer über die Straße ziehen, die wir schon einmal gemacht haben. Sie nähert sich Kanaan und läuft derselben beinah parallel. Die 22ste Lagerstätte liegt dem verheißenen Lande ganz nahe und wir werden von da aus wieder in dasselbe hinüberschauen können, wie wir es bei der 14ten konnten.

Diese zwei und zwanzigste Lagerstätte heißt Thahat, auf deutsch: für, anstatt, eins der bezeichnendsten, wichtigsten Wörter in der christlichen Lehre, woran ganz ungemein viel, ja alles hängt. Wer dies Wörtlein und seine große Bedeutung wohl fasst und inne hat, wer dasselbe recht in seinem Herzen bewegt, verdaut und gleichsam in sein Fleisch und Blut, in sein Innerstes aufgenommen hat, der hat eine Lagerstätte gefunden, wo er völlige Sicherheit und Ruhe für seine Seele antrifft.

In diesem Sinne wollte ich denn wohl mit Euch, Geliebte, diese Lagerstätte und ihren bedeutsamen Namen, wollte ich wohl das Wörtlein für ein wenig bewegen, beschauen und an diesem Apfelbaum klopfen, ob uns einige Früchte von demselben zufielen. Wichtig und trostreich ist die Bedeutung, Ruhe gebend und Friede. Zuerst lasst uns einige Schriftstellen hören, wo dies wichtige Wort vorkommt. Eva brauchte dieses Wort, als sie ihren nach Abels Tod gebornen Sohn Seth nannte, und dabei sagte: Gott hat mir einen andern Samen gesetzt für Abel, den Kain erwürgt hat. Es kommt bei der so merkwürdigen Aufopferung Isaaks vor, wo es heißt: und Abraham opferte einen Widder, an seines Sohnes statt. David braucht's in seinem Jammergeschrei über den Tod seines Sohnes Absalom, wenn er ausruft: ach! mein Sohn, mein Sohn, wollte Gott, ich wäre für dich gestorben; und Jes. 61,3 wird den Elenden verheißen, es solle ihnen Schmuck für Asche werden. In der Schrift des neuen Testaments kommt dieses merkwürdige, wichtige Wörtlein für so oft vor, dass wir uns begnügen müssen, nur wenige Stellen anzuführen. Des Menschen Sohn ist gekommen, dass er sein Leben gehe zum Lösegeld für viele. Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blute, welches vergossen wird zur Vergebung der Sünde für viele. Ich lasse mein Leben für die Schafe. Christus ist für uns - er ist für uns Gottlose, Sünder, Feinde gestorben. Für unsere Sünden ist er dahingegeben. Christus hat für unsere Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten. Gott hat ihn für uns zur Sünde gemacht.

Dies Wörtlein deutet auf Stellvertretung, gerichtliche Verwechslung, wodurch einer an des andern Stelle tritt und gesetzt wird, wo jemand in Gerichts- und andern Handlungen, an eines andern statt, in seinem Namen und zu seinen Gunsten entweder handelt oder leidet; handelt indem er dasjenige verrichtet, was sonst der hätte tun müssen, an dessen Stelle er getreten ist; leidet indem er dasjenige büßt, was sonst jener hätte büßen müssen. So tritt ein Advokat für einen Beklagten vor Gericht auf und redet an seiner statt und in seinem Namen; ein Vormund führt einen Rechtshandel an seines Mündels statt; es stellt sich jemand für einen andern als Bürgen dar; indem er für seine Schuldigkeit oder für sein Verhalten gutspricht, seine Person und seine Güter zum Pfand stellt und das durch jenem Freiheit und Ruhe verschafft. - Sobald jemand als Stellvertreter im eigentlichen Sinne auftritt, werden seine Handlungen und Leistungen nicht mehr als seine persönlichen angesehen und ihm selbst nicht weiter zugerechnet, als in so fern daraus erhellt, dass er den Verpflichtungen seines Stellvertreter-Amtes entspricht. Seine Leistungen werden vielmehr demjenigen zugeschrieben, in dessen Namen er sie vollbringt. Dieser hat den ganzen Vorteil, und jener allein die Ehre davon und den Ruhm. So unterhandelt ein Gesandter im Namen seines Königes mit einem andern. Seine Geschicklichkeit gereicht ihm zur Ehre, aber die Schlüsse selbst betreffen ihn nicht. - Dies Geschäft heißt auch Vermittlung, und derjenige, der's versieht, ein Mittler.

Es ist leicht einzusehen, dass nicht ein jeder zu einem Stellvertreter und Mittler tauglich ist. Gezwungen kann natürlich niemand werden, es wäre denn, dass es in der Natur der Sache läge. Er muss die dazu erforderlichen Eigenschaften besitzen. Wer für eines andern Schulden Bürge wird, muss Vermögen besitzen, wer für sein Verhalten gutspricht, muss selber unsträflich sein. Will jemand einen Mittler abgeben, so muss er von höherem Stande sein, je erhabener die Parteien sind, die er mit einander ausgleichen will. Ist es ein verwickeltes Geschäft, so muss er alle mögliche Klugheit besitzen; ein schwieriges, alle Beharrlichkeit; ein beschwerliches, alle Standhaftigkeit und Geduld; ein großes, alle Kraft haben, die dazu nötig. Auch muss er dazu ermächtigt sein; denn wer sich unberufen in ein Mittlergeschäft wagt, würde leicht übel dabei wegkommen. In natürlichen Dingen, wovon wir hier reden, hat eine Stellvertretung ihre Grenzen. Den Tod kann einer für den Anderen nicht geradezu leiden. Das erlauben weder die göttlichen noch die menschlichen Gesetze.

Es leuchtet von selbst ein, wie ungemein vorteilhaft eine solche Stellvertretung für jemand sein kann, dem sie zu statten kommt. Er wird dadurch allen Verdrusses, Sorgen und Verantwortlichkeit enthoben, welche auf dem Stellvertreter lastet.

Bis jetzt haben wir nur im Allgemeinen von dieser ist Sache geredet. Aber auch im Reiche Gottes gibt es eine Stellvertretung, welche von der allergrößten Wichtigkeit und dem unaussprechlichsten Segen ist; es gibt ein Thahat, ein anstatt und für, wovon unser her ganzes Heil abhängt. Wer dies für gründlich versteht, wer darin recht gewurzelt, gegründet und befestigt ist, der hat eine Lagerstätte gefunden, wo sich's wirklich sehr sanfte ruht. Auf diese Stellvertretung wird schon alsbald im Paradiese hingedeutet. Dem Stammvater der Menschen ist angekündigt, wes Tages er von dem Baum esse, solle er des Todes sterben. Er stirbt aber selber nicht, sondern an seiner statt wird ein reines Tier getötet, und er mit dessen Fell bekleidet, sodann aus dem Paradiese mit den Worten entlassen: siehe, Adam ist worden als unser Einer, und weiß, was gut und böse ist. Der alttestamentliche Opferdienst ist nichts anders als eine Stellvertretung. Die Priester tragen die Sünde des Volks. Sie legen sie auf das Haupt des Opferlammes. Sie töten dies Schuldlose anstatt der Schuldigen und diese werden dadurch versöhnt. Endlich erscheint ein Mensch, heilig, unschuldig, von den Sunden abgesondert, höher denn der Himmel, mit dem heiligen Geist gesalbt, ohne Maß. Von demselben ruft ein Prophet, indem er mit dem Finger auf ihn weist: siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.

Einer der besondersten Umstände in dem Leben dieses Unvergleichlichen ist dieser: die Obrigkeit erteilt ihm öffentlich das Zeugnis, sie finde keine Schuld an ihm und müsse ihn losgeben. Zugleich stellt sie ihn mit einem, schwerer Verbrechen überwiesenen, und in Folge dessen zum Tode verurteilten Verbrecher zusammen, und wirft die seltsame Frage auf: wer von Beiden losgelassen, wer getötet werden solle? Und die Entscheidung fällt zu Gunsten des Verbrechers aus, derselbe wird in Freiheit gesetzt, der Schuldlose aber mit den Strafen belegt, die an jenem hätten vollzogen werden sollen und würden vollzogen sein, hätte ihn nicht diese Verwechselung gerettet.

Lasst uns aber jetzt der Sache selbst näher treten! Die Veranlassung zu der Stellvertretung und Vermittlung liegt in einem, an sich betrachtet höchst kläglichen und verabscheuungswürdigen Umstande, nämlich in der Sünde, diesem ärgsten und bösesten unter allen Übeln, dieser Mutter aller Unseligkeit und Gräuel, die nicht genugsam verabscheut, gehasst und geflohen werden kann. Sie ist Gottes Feindin, und wenn sie so stark wäre, wie sie boshaft ist, würde sie Gott selbst vom Thron stoßen, vernichten, verdammen und alle seine Werke zertrümmern. Zum Glück aber ist sie wohl mächtig, aber doch nicht allmächtig, nicht unüberwindlich. Sie ist eine Feindschaft gegen Gott und geht in allen Stücken und in allen seinen Geboten, Absichten und Zwecken gegen ihn an, so weit nur ihre Kraft reicht. Sie ist Finsternis and würde, könnte sie nur, alles Licht der Wahrheit und Heiligkeit auslöschen. Sie ist lauter Unordnung, Zwiespalt und Widerspruch und kann nur zerstören und verderben und nichts als Elend erzeugen. Dies Ungeheuer ist in die Welt gekommen und hat grässliche Verwüstungen in der sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung angerichtet und sonderlich in der letzteren einen sehr erhabenen, mächtigen, hochbegabten Geist angesteckt und sich eben dadurch eine kräftige Stütze gewonnen. Die Sünde ist auch das Unrecht. Und da sie einmal in der Welt war, so konnte Gott sie nicht so hingehen lassen, sondern musste seine Gerechtigkeit erweisen, seinen Sinn, seinen unendlichen Abscheu daran offenbaren, er musste sie strafen und ihr ihren Sold geben, welches der Tod ist. Hierüber musste entweder alles, was Sünder heißt, zu Grunde gehen, oder es musste ein anstatt und für, eine Stellvertretung, Bürgschaft Vermittlung oder Verwechslung ausgemittelt werden, kraft welcher eine Welt voll Sünder erhalten, begnadigt, beseligt würde, ohne dass dadurch die göttliche Gerechtigkeit und Heiligkeit verdunkelt ward. Hierin liegt die Veranlassung zu der Stellvertretung, wodurch, wie es Hebr. 2 u. 5 heißt, die Dinge verrichtet wurden, die bei Gott zu tun waren, unsere Sünde zu versöhnen. Der Grund und Quell der Vermittlung liegt nicht in der Reue des Menschen, dass er Gott alsbald nach geschehenem Sündenfall reu- und wehmütig wäre zu Fuße gefallen, hätte mit Hiob gejammert: ich habe gesündigt! Was soll ich dir tun, du Menschenhüter! Nein, nichts dergleichen. Er liegt bloß in der Erbarmung, an der freien Gnade, in der zuvorkommenden Liebe Gottes. Das ist die Liebe nicht, dass wir ihn geliebt hätten; sondern Er hat uns zuerst geliebt, und zwar in solchem Maße, dass er seines einigen und eingeborenen Sohnes nicht verschonte, dass er denselben dahin gab zur Versöhnung für unsere Sünde; denselben unter das Gesetz gab, damit er diejenigen erlöste, so unter dem Gesetz waren; ihn zur Sünde machte, damit wir würden in ihm Gerechtigkeit Gottes; zum Fluch machte, damit wir den Segen in den Tod gab, damit wir das Leben zum Knecht, damit wir die Kindschaft empfingen. So war's in den unergründlichen Tiefen der Ewigkeit ausgemacht und beschlossen in dem anbetungswürdigen Rat der hochgelobten Dreieinigkeit, sonderlich zwischen dem Vater als Richter, und dem Sohn als dem Bürgen. Da sprach der Sohn zum Vater: heiliger Vater, die Welt kennt dich nicht, ich aber kenne dich. Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. Die ganze Welt ist dir, o Gott, schuldig. Alle sind sie abgewichen, allesamt sind sie untüchtig geworden, da ist nicht der Gutes tue, da ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer. Sie sind allzumal Sünder und mangeln der Herrlichkeit. Aber lass sie ohne Verdienst gerecht werden aus deiner Gnade, durch die Erlösung, die durch mich wird. Lass mich, sprichst du, o großer und heiliger Gott, lass mich, dass mein Zorn entbrenne, so will ich sie alle auffressen; lass mich den Blitz meines Schwertes wetzen, und meine Hand zur Strafe greifen, dass ich mich räche an meinen Feinden, und denen, die mich hassen, vergelte; dann soll mein Tag brennen wie ein Ofen, da werden alle Gottlosen wie Stroh sein und alle Verächter wie Stoppeln. Aber der vermittelnde Sohn antwortet: erweise an mir deine Gerechtigkeit. Sei ihnen gnädig, dass sie nicht hinunterfahren ins Verderben, denn ich habe Versöhnung gefunden. Du, Vater, bist in mir. So versöhne denn die Welt mit dir selber. Rechne ihnen ihre Sünde nicht zu. Mache mich, der ich von keiner Sünde weiß, für sie zur Sünde, damit sie in mir Gerechtigkeit Gottes werden, Siehe, hier bin ich. Als ihr Fürst komme ich von ihnen her, und als ihr Herrscher gehe ich von ihnen aus, um mich als Bürge zu dir zu nahen. Um ihrer Missetat willen will ich mich verwunden, um ihrer Sünde willen mich zerschlagen lassen; die Zucht des Friedens liege auf mir, damit sie durch meine Wunden heil werden. Wirf alle ihre Schuld auf mich. Ich will bezahlen, was ich nicht geraubt habe. Lege mich in des Todes Staub, damit sie leben, die du mir gegeben hast. Mache mich arm, damit sie reich werden. Lass mich trauern, damit sie sich freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. Ja, mache mich zum Fluch, damit sie deine Gesegneten werden. Siehe, ich will ihr alter Mensch sein, dass derselbe in meiner Person gekreuzigt und getötet werde. damit die Sünde nicht über sie herrsche, und sie vom Gesetz weg, unter die Gnade kommen. Du willst weder Brand- noch Sühnopfer: Aber siehe, ich komme. Deinen Willen, mein Gott, tue ich gerne, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen. Siehe! ich werde für sie gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Allenthalben will ich versucht werden, wie sie, doch ohne Sünde, damit sie einen treuen Hohenpriester an mir haben, der Mitleiden mit ihnen haben kann. Nur, dass ihnen dies alles von dir, o Gott, zugerechnet und so angesehen werde, als ob sie es in eigener Person alles gelitten und getan hätten; nur dass du Gottlose gerecht sprechest; nur dass ich ihnen vorgestellt werde zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in meinem Blut, und du ihnen die Sünde vergebest; nur dass ich sei, Jehovah, ihre Gerechtigkeit, und sie durch mich einen freien Zugang haben zu deiner Gnade und ihnen dieselbe überschwänglich wiederfahre, und sie durch Eines Gehorsam gerecht werden, wie sie durch Eines Ungehorsam Sünder worden sind.

Dies war es, was uns Sündern zu gut, in dem ewigen Friedensrat verhandelt und beschlossen wurde. Wir kennen den Stellvertreter. Es ist Christus, für uns geschlachtet. Er vereinigt in seiner Person alle die Eigenschaften und Vollkommenheiten, welche zu dem hohen Mittleramte erforderlich sind, denn es ist Ein Gott und Ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus. Auf der Einen Seite Gott so nahe verwandt, wie ein Sohn dem Vater, ja also dass Beide Eins sind, er im Vater und der Vater in ihm ist, besitzt er alle die Weisheit und Herrlichkeit, alle die Kraft, Liebe und Heiligkeit, all' den Reichtum und Mut, welche zu diesem hohen Geschäft erforderlich sind; auf der andern Seite uns so nahe verwandt, dass er der Sohn des Menschen heißt, dass er unseres Fleisches und Blutes teilhaftig worden, und so Beide von Einem herkommen, der da heiligt und die geheiligt werden, kann das, was er tut und leidet, dem Geschlecht zu gute kommen, in dessen Natur er's vollbringt, denn hie ist Immanuel, d. i. verdolmetscht: Gott mit uns. - Er hat sich auch nicht selbst in die Ehre gesetzt, dass er Mittler würde, sondern der zu ihm gesagt hat: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt; darum geht auch des Herrn Vornehmen glücklich durch ihn fort, und dieser Knecht, der Gerechte, macht durch seine Erkenntnis viele gerecht. Einen solchen Hohenpriester mussten wir haben und haben einen solchen Hohenpriester, der da ist heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert und höher, denn der Himmel ist.

Er hat sein, schon vor der Zeit der Welt übernommenes Mittleramt auch in der Fülle der Zeit in seinem ganzen Umfang ausgeführt, und die Schrift redet von dem Erfolge, von der Frucht und Wirkung, auf eine erstaunenswürdige Weise. Überhaupt müssen wir wissen, lernen und glauben, dass alles, was Jesus tat, nur seine Wunder ausgenommen, welche hauptsächlich zu seiner Legitimation und zum Beweise seiner göttlichen Sendung dienten, und alles, was er entbehrte, verleugnete und litt, nicht seine Person an sich betraf, sondern für andere und an ihrer statt geschah, weil sie das zu tun, weil sie das zu leiden hatten, was er nun „thatat“, anstatt und für die tat und litt, die ihm sein Vater gegeben hatte. An sich und für seine Person war er über beides unendlich erhaben. Wie hätte es sonst andern zu gute kommen können? Aus freien Stücken und bloß durch Liebe getrieben, versetzte er sich in solche Verhältnisse, wo er des Leidens und des Gehorsams fähig war, und da er ihrer Früchte für sich nicht bedurfte, verschenkt er sie an andere. - Staffelweis führte er seine Stellvertretung von ihrem Anfange auf Erden bis zu ihrer Vollendung im Himmel aus. Das Wort ward zunächst Fleisch und - o! kindliches großes Geheimnis - Gott offenbarte sich in demselben! Derjenige, durch den alle Dinge gemacht sind, wollte nun auch alles versöhnen durch und zu ihm selbst. Eine heilige Jungfrau aus dem Hause David ward zu seiner Mutter auserkoren, und seine Geburt und Menschwerdung also getan, dass das heilige Knäblein vor der Ansteckung mit dem Gift der Erbsünde bewahrt und gesichert blieb, weil er nicht die Zahl der Sünder vermehren, sondern sie selig machen sollte, und also schon gleich durch seine vollkommene Unschuld und Heiligkeit die Sünde vor dem Angesicht Gottes bedeckte, worin wir empfangen und geboren sind. Hatte es einst durch Adam eine ganz andere und klägliche Richtung mit dem menschlichen Geschlecht genommen: so gab es durch diesen zweiten Adam eine herrliche Wendung. Das „Thahat“, das für und anstatt, trat hervor. Der Mittler war da, die Dinge zu tun, die für uns bei Gott zu tun waren. Er bekam jetzt dasjenige, was er opfern konnte, seinen Leib, und so rief der Engel schon an der Krippe, siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist ein Heiland geboren. Dreißig Jahr brachte er in dem stillen Nazareth zu; lange genug, um die göttlichen Gebote unter manchen Entbehrungen in Ausübung zu bringen, und so seinem Volke eine reine und vollgültige Gerechtigkeit zuwege zu bringen, da alles nicht ihm selbst, sondern den Seinen auf Rechnung geschrieben wird. Sonderlich fällt's in seinem ganzen Lauf in die Augen, dass er sich eben so tief erniedrigte, als Adam sich zur Ungebühr selbst erhöht und sich unabhängig gemacht hatte, um durch Demut den Hochmut zu versöhnen. Aber dabei blieb's nicht. Seine Untertänigkeit wurde auf höhere, wurde auf die höchste Probe gesetzt und er allenthalben versucht, so dass es ihm selber ging, wie er von seinen Auserwählten sagt, dass er - wo es möglich gewesen würde - verführt worden sein zu Irrtum, Unglauben und Sünde, nun aber in allen Stücken aufs herrlichste bestanden. Der Satan bot alle seine Kunst und Macht wider ihn auf. Menschen wüteten wider ihn. Gott selbst verließ ihn und steigerte dadurch sein Leiden zu dem höchsten Gipfel. An seinem Leibe litt er die unnennbarsten Schmerzen, verursacht durch die erschreckliche Geißelung, das Krönen mit Dornen, das Schlagen auf sein also gekröntes Haupt, das Durchnageln seiner Hände und Füße, das langwierige Hangen an diesen durchnagelten Händen und Füßen am Kreuz. Zu diesen schauderhaften Leiden gesellte sich die äußerste Schmach und der peinlichste Durst. Aber alle diese Leiden waren noch wenig, gegen das, was seine Seele empfand. Nahm er jene schweigend hin, so pressten ihm diese bittere Tränen und ängstliches Fleher aus. Er zitterte. Er schwitzte. Sein Schweiß ward wie Blutstropfen und fielen auf die Erde. Er brach in ein lautes Geschrei aus. Denn seine Seele war bis zum Sterben betrübt. Endlich starb er als ein Vermaledeiter, als ein Fluch Gottes, als die Sünde selbst. Aber wozu? warum? Für uns! Für uns gehorsam zu werden bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Unser alter Mensch wurde in seiner Person gekreuzigt, und daher sagt der Glaube ich bin samt Christo gekreuzigt. - Unser alter Mensch wurde in seiner Person getötet, und der Glaube triumphiert: so Einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Wer aber gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. Und es wird den Gläubigen zugerufen: ihr seid gestorben. Dieser Gerechte hat für uns Ungerechte gelitten und unsere Sünden geopfert auf dem Holz. Unsere Missetat war's, um deren willen Er verwundet, unsere Sünde war's, um deren willen Er zerschlagen ward. Hier geschah die große, merkwürdige, heilbringende Verwechslung, wo Christus für sein Volk den Barabas verurteilt, es selbst aber frei gelassen wurde; wo das Lamm für den schon auf dem Altar ausgestreckten, schon das gezückte Opfermesser erblickenden, schon den tödlichen Streich erwartenden Isaak getötet wurde. Doch auch hier hatte die Stellvertretung ihr Genüge noch nicht. Ihr seid auch samt Christo auferweckt, durch den Glauben, welchen Gott wirkt. Als Christus durch die Auferweckung aus aller Macht des Todes und des Fluches befreit wurde, ward es zugleich seine ganze Gemeinde in ihm, und sie in ihm dargestellt, ohne Flecken und Tadel. Ja auch dabei blieb es nicht, sondern er ist auch für uns gen Himmel gefahren, wo wir ihn nicht bloß zum Fürsprecher haben, sondern sogar mit ihm in das himmlische Wesen versetzt sind. Wer kann den Umfang dieses Thahat, dieser Stellvertretung ermessen, und wer es im Glauben fasst, ist der nicht schon gleich, indem er den Weg betritt, am Ziel, freilich nicht dem Genuss, wohl aber dem Rechte nach? Merkwürdiges, vielsagendes, bedeutsames Wörtlein, das Wörtlein Thahat, für! Eine ganze Welt, ja zwo Welten drehen sich um diese kleine und doch so große, so feste, so weise und gnadenvolle Angel, außer welcher alles in einen Abgrund des Jammers versinkt. Wohl hatte der Apostel hohe Ursache, in dem kurzen Briefe an die Philipper wohl 18 Mal das Wörtlein in, in Christo, in dem Herrn zu gebrauchen, und in dem Briefe an die Epheser, das nicht weniger merkwürdige Wörtlein durch, durch welchen er uns erwählt hat; durch welchen er uns verordnet hat zur Kindschaft gegen ihn selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens; durch welchen wir auch zum Erbteil kommen sind; durch welchen ihr versiegelt worden seid mit dem heiligen Geist der Verheißung; durch welchen wir Zugang haben in einem Geist zum Vater; dass er erzeigte den überschwänglichen Reichtum seiner Güte über uns durch Jesum Christum.

Wer vermöchte aber den Segen dieses Thahat, dieser Stellvertretung, mit vielen oder wenigen Worten auszusprechen? Er ist von gleicher Größe und Vortrefflichkeit, wir mögen auf das Übel sehen, was vermittelst derselben abgewehrt ist, oder auf das Gut, das uns dadurch zugewendet worden, so wir anders glauben.

Welch ein Übel wäre es, wenn sich die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes - wenn sich mit Einem Worte sein Zorn an uns Sündern selbst in eigener Person erweisen sollte; wenn das ganze Gericht des gesetzlichen Fluches sich auf uns herabsenkte; wenn Er uns unsere Missetat zurechnete; wenn wir selbst um derselben willen verwundet und zerschlagen werden sollten, und in den Kerker geworfen würden, von dannen man nicht herauskommt, bis man den letzten Scherf bezahlet hat. Dann wären wir ja auf ewig verloren. Aber seht, von diesem entsetzlichen Übel hat Christus sein Volk, kraft seiner Stellvertretung, gänzlich befreit, an welchem sie die Erlösung haben durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden.

Wie herrlich ist das demselben gegenüberstehende Gut, das Christus seiner auserwählten Gemeinde durch seine Stellvertretung erworben hat! Befreiung von aller Schuld und Strafe, gänzliche Freisprechung in dem göttlichen Gericht, Wiedereinsetzung in alle Gerechtsame der Kinder Gottes mit Einem Wort: Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, hat uns, wie Paulus Eph. 2 redet, nach seiner großen Liebe, womit er uns geliebt hat, da wir tot waren in Sünden, samt Christo lebendig gemacht, (denn aus Gnaden seid ihr selig geworden,) und hat uns samt ihm auferweckt, und samt ihm in das himmlische Wesen versetzt in Christo Jesu.

Wohl denn allen, die da berechtigt sind, zu sagen: Er trat an unsere Stelle! Wohl allen, welche diesen Bürgen haben, ja sogar wohl allen, die gewahr werden, wie durchaus unentbehrlich ihnen dieses Thahat, dieser Bürge, diese Stellvertretung ist, die danach dürsten und schreien, wie ein Hirsch nach frischem Wasser, und denen verheißen ist, dass ihnen des Wassers aus dem lebendigen Brunnen umsonst gegeben werden soll. Ach! dass ihre Zahl so gering ist!

Wer sich aber in dieses Element recht hineingeglaubt und gelebt hat, wer durch die Wolken- und Feuersäule recht zu Thahat gelagert und gewurzelt ist, der hat eine herrliche Ruhestätte gefunden, ein Lager, das ihn nicht faul und unfruchtbar sein lässt. Ein Baum an diesen Wasserbächen gepflanzt, bringt in Geduld auf eine friedsame Weise seine Frucht zu seiner Zeit, und selbst seine Blätter verwelken nicht. Mag's denn immerhin durch Harada gehen, geht's nur nach Thahat; daran grenzt Tharah d. i. Ruhe, und Mithka d. i. Süßigkeit.

Der Herr, der heilige Geist, verkläre uns Christum für uns, so wird auch Christus in uns die Hoffnung unserer Herrlichkeit sein. Er lagere uns zu Thahat. Amen.

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