Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Ritma).
Sechs und zwanzigste Predigt.
Vierzehnte Lagerstätte: Ritma.
4. Buch Mosis 12 und 33,18.
Hosianna! so rief jene Kinderschaar dem Herrn Jesu bei seinem Einzug in Jerusalem entgegen: Hosianna in der Höhe! Hosianna dem, der da kommt in dem Namen des Herrn! Es war ein Ruf der Bewillkommnung, der Freude, der Bitte und der Hoffnung. Die Erwachsenen samt den Kindern erhoben dies Geschrei in der Meinung, das Reich Gottes sei jetzt in seinem vollen Durchbruch auf Erden begriffen. Und sie hatten Recht, mochten sie auch von diesem Reich unrichtige Begriffe haben, und die erstaunliche Begebenheit nicht mit in Anschlag bringen, welche ihm den Weg bahnte. Es dauerte aber nicht lange, so hatte Petrus gegen das Vorurteil zu kämpfen: nachdem die Väter entschlafen, bliebe alles, wie es gewesen. Oft schon hat man sich die Sachen allzu günstig und dann wieder allzu ungünstig gedacht, und das eine Mal allzu viel gehofft, das andere Mal allzu viel gefürchtet. Als Jesus auf Erden wandelte, glaubten seine Jünger schon, sich in die ersten Staatsämter teilen zu können, als er darnach starb, sank ihre Hoffnung so ganz ins Grab, dass sie an keine Erlösung Israels mehr dachten. Als sie sich darauf von seiner Auferstehung überzeugten, die sie lange für ein Märlein hielten, waren sie gleich mit der Frage bei der Hand: Wirst du jetzt wieder aufrichten das Reich Israel? worauf Jesus weder Ja noch Nein antwortete, sondern sagte: euch gebühret nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat. Was für Hoffnungen und Erwartungen werden in ihnen lebendig geworden sein, als in Jerusalem erst 3000 und bald darauf 5000 auf einmal gläubig wurden, bis eine schwere Verfolgung in den Weg trat, welche die ganze Gemeine zerstreute, und die Juden noch jüdischer machte wie zuvor. – Auf eine ähnliche Weise ist es mehrmals gegangen. Zur Zeit der Reformation glaubte man, und wie es schien mit Recht, das eine Mal das ganze Papsttum müsse fallen, und die ihm bis dahin ergebensten Reiche würden ihm abtrünnig werden, aber immer wurde seine Wunder wieder heil – das andere Mal urteilte man mit eben so viel Recht, es sei um die Reformation geschehen, selbst da, wo sie am festesten gewurzelt war. – Es war wohl einmal aller Anschein dazu da, die Wahrheit und Gottseligkeit werde zur Herrschaft gelangen, und auch wieder, sie werde ganz von der Erde verschwinden, und ihre wenigen Anhänger in kurzem ausgestorben sein. – Wie nahe hat man nicht schon oft das tausendjährige Reich geglaubt, und gemeint, aufs deutlichste nachweisen zu können, es sei in vollem Anzuge, und man möge nun getrost rufen: Hosianna dem Sohn David! – Eben so geht’s im Innern. Wie viele Seelen haben zur Zeit, da es ihnen mit David wohlging, auch mit ihm gerufen: nimmermehr werde ich daniederliegen, sind aber auch mit ihm erschrocken, wenn der Herr sein Angesicht verbarg; und wie sie das eine Mal dachten, sie würden nie wieder zweifeln, so das andere Mal, sie würden nie wieder glauben, nie wieder sich freuen können.
Wir sind jetzt in unserer Betrachtung bis ganz nahe an Kanaan gekommen, es mag eine halbe Stunde weit sein. Lasst uns sehen, was sich da begibt.
Dies ist die vierzehnte Lagerstätte. Die Ereignisse derselben sind betrübender Art, aber auch zugleich warnend und lehrreich. Die Heilige Schrift bezieht sich mehrmals darauf. Lasst uns denn kurze diese Ereignisse selbst betrachten, und sodann auch die Lehre erwägen, die für alle folgende Zeitalter darin liegt.
Die erste bedauernswürdige Begebenheit, welche uns im 12. Kapitel ausführlich gemeldet wird, führen leider ein paar Personen herbei, von denen man es am wenigsten hätte erwarten sollen, die Geschwister Mosis: Mirjam und Aaron. Mirjam, Mosis Schwester, wird zuerst genannt, weil sie vermutlich die Anstifterin des ganzen war, und ihren Bruder Aaron mit ihrer verkehrten Ansicht angesteckt hatte. Es sollte über Mose her, wider welchen sich diese Beiden vereinigt hatten, als hätte er nicht ohnehin Verdruss genug. Er nennt sich daher auch den geplagtesten oder sanftmütigsten unter allen Menschen. Es ist allerliebst, dass mans auf beiderlei Art geben kann. Im Text steht freilich der sanftmütigste, am Rande aber ist dabei geschrieben, der geplagteste: anaf und aniaf, so dass man eins wählen mag. Es lautet allerdings etwas sonderbar, dass Mose selbst seine Sanftmut so hoch gepriesen haben sollte, da mans weit eher wird gelten lassen, wenn jemand seine Plage als übermäßig groß schildert. Wem dann nun jenes anstößig vorkommt, der mag dieses nehmen, wie Luther auch in seiner Übersetzung tut. Aus dem nämlichen Grunde ist man z.B. berechtigt, die Worte Jes. 9, V. 2. statt: du machst der Heiden viel, damit machst du der Freuden nicht viel, zu übersetzen: damit machst du ihm viel Freude, weil zwar im Text das Wort: nicht, am Rande aber ihm steht. Beides lautet auf Hebräisch lo, die Übersetzung durch ihm oder nicht macht aber einen großen Unterschied. – Indessen können wir’s dem Mose doch eben sowohl zugeben, dass er seiner Sanftmut, als dem Paulo, dass er 2. Tim. 3. seines Glaubens, seiner Langmut, seiner Liebe, seiner Geduld gedenkt. Heilige, die auf der einen Seite ein offenes Geständnis ihrer Gebrechen ablegen, mögen auf der anderen auch ihr Gutes bekennen, denn ihre Demut bleibt doch in beiden Fällen dieselbe, indem sie jenes sich selbst, dieses der Gnade beimessen. Übrigens lernt sich Sanftmut nicht ohne Plage, wenigstens gibt diese jener Gelegenheit hervorzutreten.
War dem Mose seine Sanftmut bisher bei so vielen Gelegenheiten gut zu statten gekommen, so ward ihm auch jetzt dazu eine nicht angenehme Veranlassung gegeben. Mirjam und Aaron ärgerten sich an ihm und gaben ihm dies mit verdrießlichen Worten zu erkennen. Womit gab er ihnen denn ein Ärgernis? Er gab es ihnen nicht, sondern sie nahmen einen Anstoß daran, dass er eine Mohrin geheiratet hatte; und dies war’s auch noch so eigentlich nicht, was sie verdross, sondern es war beleidigte Eigenliebe, gekränkter Ehrgeiz. Redet denn der Herr allein durch Mose? fragten sie, redet er nicht auch durch uns? Wir sind älter als er, wir haben den Geist Gottes so gut, wie er auch; und doch soll alles so gehen, wie er es verordnet, das sind wir müde; wir wollen mitsprechen, mitanordnen, mitbefehlen, und nicht alles uns gefallen lassen, was er anordnet. Seht da den Ehrgeiz, die Eigenliebe. Die Vorzüge anderer werden von diesen bösen Eigenschaften als Beleidigungen angesehen. Sie gönnen sie anderen nicht, sondern wollen sie selbst besitzen, und suchen emsig das herbei, was sie in dem Urteil andrer verkleinern kann. Und diese Unart sehen wir hier sogar an ehrwürdigen, ja heiligen Personen hervorbrechen. Wie kläglich. Sollte nicht die Beziehung, worin wir gegeneinander stehen, derjenigen unserer Glieder gleichkommen, wie der Apostel will? Leidet ein Glied, so leiden sie alle sympathetisch mit, wird eins herrlich gehalten, so freuen sich alle mit. Jedes Glied ist mit der ihm angewiesenen Stelle zufrieden, die Hand begehrt nicht Auge, der Fuß nicht Ohr zu sein. Jedes nützt an seiner Stelle, auch der kleine Finge rund die kleine Zähe, mag es auch nicht von jedem Gliede gleich merkbar sein. Kein Glied darf zum anderen sagen: ich bedarf dein nicht. Eins tut dem anderen Handreichung. Wie könnte denn alles Auge, und alles Moses sein. Sollten wir an anderer Sünden unser eigenes Elend – so sollen wir auch an anderer Herrlichkeit unsere eigene sehen. Denn was Christus Andern Vortreffliches schenkt, das könnte er ja auch dir und mir geben. Bist du denn niedrig, so rühme dich deiner Hoheit, bist du hoch, so rühme dich deiner Niedrigkeit, bist du schwach, so rühme dich deiner Stärke, bist du stark, so rühme dich deiner Schwachheit.
Die Mohren waren bei den Juden ein sehr verachtetes Volk, was sie auch noch sind, dem über sie, in ihrem Stammvater Ham oder Kanaan von Noah ausgesprochenen Fluche gemäß: er sein ein Knecht der Knechte. Wie hat sich denn doch der blinde Stolz der Päpste so verirren können, dass sie diese Fluchbezeichnung in ihren Titel aufgenommen haben? – Diese Verachtung fiel allerdings zum Teil auf Mose zurück, da er eine Person aus so verachtetem Volke zum Weibe hatte. Auch redete Moses nicht gut. Große Gnadengaben haben gemeiniglich auch ein großes Gegengewicht, damit teils der Mensch sich selbst nicht zu hoch stelle, sondern in der Demut bleibe, teils andere ihn nicht vergöttern, welches so leicht geschieht. Paulus wurde in den dritten Himmel entzückt, damit er sich aber der hohen Offenbarung nicht überhöhe, ward ihm gegeben ein Satans-Engel, der ihn mit Fäusten schlage. Überdas litt er Anfechtungen nach dem Fleisch, die, mögen sie bestanden haben, worin sie wollen, im Stande waren, ihn bei anderen verächtlich zu machen. Seine Gegenwärtigkeit hatte nichts imposantes. Seine Rede war verächtlich, seine Predigten waren ohne Glanz und Beredsamkeit, noch mehr wie seine Briefe; seine Persönlichkeit hatte wenig empfehlendes. Die großen Genies sinken nicht selten ins gewöhnliche herab, und große Gaben verlieren sich zuweilen auf die Dauer, wie der gewaltige Rhein im Sande. – Mirjam, eine Prophetin, eine Dichterin, eine Sängerin, dünkte sich über ihre Schwägerin weit erhaben, und verachtete nicht nur sie, sondern auch um ihretwillen ihren Bruder, und wollte nicht geringer sein, wie er. Sie wollte Auge sein, da sie nur Ohr war. Sie war für den Augenblick nicht von Davids Gesinnung, welcher sagte: ich will noch geringer werden denn also. – Aber was hatte sie für Grund sich zu erheben? Sie war keine Mohrin, aber hatte sie das sich selbst und ihren eigenen Maßregeln zu verdanken? und mochte jene eine Mohrin sein, so war und blieb sie doch Mosis Weib, wie Salomo später auch eine solche heiratete, und mit übertriebener Liebe an ihr hing. Ja, was bildete sich Mirjam doch wohl ein? Vor Gott ist hier ja kein Unterschied, sondern alle Menschen sind sich darin gleich, dass sie Sünder sind, und der Herrlichkeit Gottes ermangeln. Nicht die Farbe der Haut, sondern des Herzens; nicht die Abstammung, sondern die Sünde macht verächtlich, und wer einen anderen seiner Sünden wegen verachtet, der mag doch noch zusehn, wie er das tut, damit kein Pharisäer mit unterlaufe. Gott vergibt auch großen Sündern, wenn sie Buße tun, und verdammt Gerechte, welche Buße nicht zu bedürfen meinen. Ja, wirft nicht Gott Amos 9,7 alles in einen Haufen, wenn er daselbst sagt: seid ihr Kinder Israel mir nicht gleich wie die Mohren? Halte deswegen nicht so hoch von dir, o Mirjam! sondern besieh deine eigene Gestalt, ob du nicht auch schwarz seist. Wohl dir, wenn du wie jene salomonische Mohrin sagen kannst: ich bin schwarz aber lieblich.
Moses ist auch als ein Vorbild Christi zu betrachten, selbst in dieser seiner von Mirjam und Aaron missbilligten Ehe. Die Gemeine der Auserwählten heißt Christi Weib. Er ihr Mann. Aber was ist diese Gemeine von Natur denn anders, als eine Mohrin? hässlich und ungestaltet. Und trat nicht Jesus wirklich als ein Brautwerber um solch eine Mohrin auf, da er nicht nur erklärte, er sei gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist; Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten; sondern sich auch so benahm, dass man von ihm sagen konnte: dieser nimmt die Sünder an, und isst mit ihnen, wie ja sogar einer von seinen Aposteln aus der verabscheutesten Klasse, d.h. aus der Zöllnerzunft war. Und als nun vollends die Heiden herzugerufen wurden, so stieg der Unwille bei den Juden auf den höchsten Gipfel, und sonderlich bei der Priesterschaft. Und im Ganzen macht eben das die christliche Religion so verhasst, was sie so erwünscht und liebenswert macht, der Umstand nämlich, dass sie die Religion für arme Sünder ist. So lieb sie aber deswegen den armen Sündern ist, die durchaus keine andere Religion brauchen können, so ekelhaft ist sie den Satten, Reichen, Starken. – Mirjam und Aaron wollen keine Schüler sein, welche in allen Stücken an den Lippen Mose hängen sollen, sie haben selbst Verstand, sie können selbst raten; sie sind keine Leute, die man gängeln und leiten muss, sondern die sich selbst schon zu regieren wissen. Und überall, wo dieser Sinn herrscht, da nimmt man auch Anstoß am Christentum. Je ärmer und elender aber jemand geworden ist und wird, desto mehr söhnt er sich mit der christlichen Religion, selbst bis zu dem Lehrsatz von der ewigen Erwählung aus. – Sie muss grade so und nicht anders sein, wenn sie für ihn passen soll. Dann darf kein Steinlein an diesem Gebäude anders verrückt oder gelegt werden, sondern alles muss genau so bleiben. O! wie lieb ist’s da der Seele, dass Jesus eine Mohrin, dass er Sünder nimmt. Eben dies tröstet sie, und macht ihr Jesum so lieb.
Der Herr weiß aber die Seele, die er lieb hat, schon klein zu machen, wie er auch dort zu dem Manne sagte, welcher sprach: ich bin reich, welche ich lieb habe, die strafe und züchtige ich. So ging es auch der Mirjam und dem Aaron. Der Herr hörte es, was sie sagten. Er nahm eine ungnädige und doch noch gnädige Kenntnis davon. Der Herr hörte es. Bedenkliches Wort! Wohl hat Hiob Recht und Ursache, wenn er sich auch gegen Menschen seiner Gerechtigkeit rühmet, doch sobald er zu Gott redet, sagt er: du wollest ja nicht Acht haben auf meine Sünde. Ach! – Gott sieht nicht wie ein Mensch. Der Mensch in seinem Leichtsinn hüpft leicht über seine sündlichen Gedanken, Worte und Werke hinweg, und aus den täglich vorkommenden Fehlern macht er sich durchgängig gar nichts. Aber bei einem solchen Sinne wird er nicht gut fahren. Achtet er’s gering, so schlägt’s Gott so viel höher an, und nimmts so viel genauer. David erschrickt mit Recht über der Vorstellung, wenn Gott Sünde zurechnen wollte, und sagt: wer kann in solchem Fall bestehen? Mirjam und Aaron schlugen es auch nicht an, was sie sagten, und meinten noch wohl großes Recht dazu zu haben, aber wie bald bekamen sie ein anderes Gesicht davon, und wie tief wurden sie alle Beide beschämt und gedemütigt.
Sie waren all drei in der Stiftshütte. Plötzlich weiß der Herr sie alle drei hinaus. Warum Mose mit? Ohne Zweifel, auch ihn zu demütigen, damit ihn das große Lob, das der Herr selbst ihm erteilte, nicht aufblähte; denn der Herr nannte ihn seinen Knecht, der in seinem ganzen Hause treu sei, mit dem er mündlich rede, und der den Herrn nicht in dunklen Worten und Gleichnissen, sondern in seiner Gestalt sehe, und sprach: warum habt ihr euch denn nicht gefürchtet, wider meinen Knecht Mose zu reden? Und der Zorn des Herrn ergrimmte sehr und wandte sich weg, dazu die Wolke von der Hütte des Stifts. Da war lauter Unwille, und der Herr wandte ihnen verdrießlich den Rücken zu, und stieß sie verächtlich von sich. Jetzt gingen ihnen die Augen auf. Ihr vermeintliches Recht verwandelte sich ihnen nun in lauter Unrecht. Sie wurden nun in ihren eigenen Augen schwarz wie die Mohrin, und ließen jetzt ihre Schwägerin gern in Ruhe. So sieht Gott nicht wie ein Mensch, und ein jeglicher mag sich wohl hüten, dass er keinerlei Sünde gering halte, sondern sie für das ansehe, was sie ist, nämlich für das höchste Übel. Demütig, demütig müssen wir werden, und ein zerbrochen Herz haben, und uns fürchten vor seinem Wort, denn solche sieht der Herr an. Mirjam und Aaron waren begnadigte Personen, desto höher aber rechnete Gott ihnen ihre Unart an. Und ihr, die ihr Gott als Vater anruft, führt euren Wandel, so lange ihr hie wallet, mit Furcht, denn es gilt vor ihm kein Ansehen der Person. Was ist das, wenn der Herr sich von einer Seele wegwendet und über sie ergrimmt, mag es auch in Gnaden geschehen! Das erfuhr Hiskia und sprach: vor solcher Betrübnis meiner Seele werde ich mich scheuen mein Leben lang. Jos. 38.
Ja, dabei bliebs nicht, sondern Mirjam wurde aussätzig wie Schnee, und so wurde bei Beiden eine große Zerknirschung bewirkt. Da war kein Trotzen mehr; kein Verachten: was will die Mohrin; kein Prahlen: wir sind so gut wie ihr Mann. Ach nein! das war rein vergangen. Mirjam, die Anstifterin des Ganzen, ist so bestürzt, dass sie kein Wort vorzubringen weiß, Aaron aber tut ein ganz demütiges Sündenbekenntnis. Ach, mein Herr – so ehrerbietig redet er den Mann der Mohrin an – lass diese Sünde nicht auf uns bleiben, damit wir närrisch getan und gesündigt haben. Sie ist ja wie ein totes Aas. Aaron dünkt sich kein Haar besser als seine Schwester. Jetzt nennt er ihr beiderseitiges Verhalten: Sünde und Narrheit. Jetzt hat er kein größeres Anliegen, als dass dieselbe nur nicht auf ihnen liegen bleibe, und bittet Moses, den noch so eben verachteten Moses, diesen Mittler des alten Bundes, um seine Fürsprache bei Gott. – Ist dies nicht der Gang der Gnade bei allen Seelen, die sie demütigt? Geht’s ihnen nicht auf eine ähnliche Weise? O, wie wird da der Mittler des neuen Bundes so köstlich, und derjenige so unentbehrlich, der sonst so überflüssig schien, so lange man sich selbst wohl gefiel, und nur an anderen was auszusetzen fand, während man an seinem eigenen Elende blind war. Sind andre Mohren, man dünkt sich selbst aussätzig wie ein totes Aas; erhub man sich sonst über Viele, so demütigt man sich nun wohl unter alle, und begehrt nur Gnade und Erbarmen. –
Es war kaum nötig, dass Aaron seinen Bruder zur Fürbitte für ihre Schwester aufforderte. Es schmerzte Mose selbst tief, der Ärger seiner Geschwister hatte ihn so groß nicht verdrossen, das vom Herrn empfangene Lob hatte ihn nicht stolz gemacht. Er erinnerte sich noch sehr gut, wie er noch vor kurzem selbst so ungläubig gewesen war, und fühlte mehr Mitleiden, als Verdruss. Mit großer Inbrunst betete er deswegen: ach Gott, heile sie! Wohl uns, dass wir nicht einen Hohenpriester haben, der nicht könnte Mittleiden haben mit unserer Schwachheit, sondern der selbst mit Schwachheit umfangen, allenthalben versucht ward, damit er barmherzig würde und Mitleiden haben könnte mit denen, die schwach sind, versucht werden und irren, weshalb wir nun mit Freimütigkeit mögen zu dem Gnadenstuhl nahen, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, auf die Zeit, wenn uns Hilfe Not sein wird. So sollen aber auch die Christen unter einander Mitleiden haben, und einer des anderen Last tragen, nicht aber meisternd und richtend über einander herfahren, als die auch selbst noch im Fleische sind. Sehen wir doch später auch den Moses noch fehlen, so dass der Herr ihm und Aaron vorwirft: darum, dass ihr an mich nicht geglaubt habt, dass ihr mich heiligtet vor den Kindern Israel, sollt ihr diese Gemeine nicht ins verheißene Land bringen. Je demütiger, je bescheidener, je geringer in seinen eigenen Augen, desto besser und desto sicherer.
Mirjam sollte aber gründlich gedemütigt werden. Mose Fürbitte ward also wohl erhört, jedoch nicht auf der Stelle. Sie sollte sich als Eine betrachten lernen, der ihr Vater aus gerechtem Widerwillen ins Angesicht gespien hätte, und sich darüber schämen. Mose musste sie sieben Tage lang außer dem Lager verschließen, da erst wurde sie wieder heil. O! was werden das für sieben Buß- und Bettage, für sieben Schmerz- und Wehtage gewesen sein! Wird sie nicht mehrenteils auf der Erde gelegen haben, und sich wegen ihrer Torheit und Sünde fast unausstehlich geworden sein? Diese Kur tat ihr auch so wohl, dass wir in der weiteren Geschichte von keinem Fehler mehr lesen, den sie begangen hätte. Gründlich müssen wir gedemütigt werden, dann werden wir auch gründlich geheilt. Diese Demütigungszeit dauerte bei den Kindern Israel ganze 40 Jahre, damit alles kund würde, was in ihrem Herzen war. Paulus wollte auch gern viel früher von seinen Demütigungsleiden befreit sein, als es die göttliche Weisheit für zweckmäßig fand. Er wird sitzen und schmelzen die Kinder Levi. Er nimmt sich also Zeit dazu. –
Das Volk nahm einen herzlichen und aufrichtigen Anteil an der Demütigung und Züchtigung dieser angesehenen Person, und zog nicht eher weiter, als nachdem sie wieder aufgenommen war. Nach ihrer Wiederaufnahme aber brachen sie auf, und zogen in die Wüste Paran. Es war eine sehr große, bergige und erschreckliche Wüste. Ihr wisst, dass das hebräische Wort Wüste auch eine Schule heißen kann. Sie kommen also aus einer Schule in die andre. Und geht’s nicht wirklich also? Werden nicht immer neue Lektionen aufgegeben? Ich will dich unterweisen, heißt es Ps. 32. Wir kommen nicht aus der Schule, und was kann nützlicher sein? Meine nur niemand, er habe ausgelernt, und wäre jemand wirklich am letzten Kapitel, so könnte es wohl geschehen, dass sein Meister ihn wieder zu den ersten zurückführte, weil das erstmalige Aufsagen etwas obenhin geschah, und es nun genauer genommen werden soll, oder wenn er das Hebräische mit den Selbstlautern lesen kann, wird es ihm darauf ohne dieselben vorgelegt. – Als Meister kennen wir nur Einen, und das ist Christus. Jener große Heilige war auch was in die große Meisterschaft hineingeraten, so dass er auch sagte: nach mir redete keiner. Er wurde aber so in die Schülerschaft zurückgedrängt, dass er sprach: ich will dich fragen, lehre mich; Hiob 42,4., und ein Anderer war so gelehrt geworden, dass er sagte: ich halte mich nicht dafür, etwas zu wissen, ohne allein Jesum Christum den Gekreuzigten. Wohl dem aber, der das vierfache Wissen hat, von welchem Johannes am Schlusse seiner ersten Epistel schreibt.
Die Wüste, diese Schule hat ihre Namen von Schönheit, Schmuck, Zierde, denn das bedeutet das Wort Paran. Seltsam, eine Wüste so zu nennen. Aber heißt nicht vieles gut, ohne es zu sein, und ist nicht vieles gut, ohne es zu scheinen? Heißen wir nicht als natürliche Menschen die Welt mit ihrem Wesen gut? Aber wenn sie diesen Namen verdiente, würde uns dann wohl empfohlen werden, weder sie noch was in derselben ist, lieb zu haben? Würde von ihr gesagt: sie liegt im Teufel, und würde er ihr Gott genannt, denen aber, die sie lieben, alle Liebe Gottes abgesprochen, und es als etwas Unseliges bezeichnet werden, wer sie wieder lieb gewinnt? Heißt es nicht Unflat der Welt? Sagt nicht Habakuk, wer sein Gut mehret, ladet nur viel Schlamm auf sich, und wie lange wird’s währen? Dagegen sagt Christus von den Seinigen: sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin, und mein ganzes Reich nicht von dannen ist. Und ach! wie vieles wird Paran, wird gut, schön, herrlich genannt, was doch nur eine Wüste ist; wird gesucht, begehrt, errungen, was doch geringgeschätzt oder gar verabscheut werden sollte. Adam nannte die ihm vorkommenden Dinge mit ihren eigentlichen Namen, wie Gott sie auch nannte. Aber dies Vermögen hat er, und wir mit ihm, längst verloren, und unsere Sprache ist verwirrt. Fürsten gehen zu Fuße, und Knechte reiten auf Rossen. Wie mancher König ist ein jämmerliche Sklave, und wie mancher verachteter Sklave ist ein König ewiglich. Wie mancher Reiche ist blutarm, und wie mancher besitzt keinen Taler und ist reicher als Krösus; wie viele Narren heißen Weise, und wie viele hochgelehrte Meister in Israel wissen nichts. – Aber wie manches heißt eine Wüste, was doch eine Schule und Unterweisung – heißt eine Wüste, was doch Paran, geschmückt genannt werden sollte. – Die Züchtigung z.B., wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern eine Wüste, wirkt sie aber nicht eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind? Die Erkenntnis und das Gefühl seiner Sünden: welche Wüste, aber welche heilsame Schule! Wer sollte nicht Anfechtungen scheuen? und doch sagt Jakobus: selig ist der Mann, der sie erduldet, ja er sagt: achtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet. – Wer fliehet nicht die Trübsale, aber welche Schönheit mussten diejenigen darin entdecken, die sich nach Röm. 5 derselben sogar rühmten, wissend: dass sie Geduld wirke, Geduld Erfahrung, Erfahrung Hoffnung, und Hoffnung nicht zu Schanden werden lässt. – Ja, gilt dies nicht sogar vom Evangelium überhaupt? Es dünket natürlichen Menschen eine Torheit, eine dürre, ungenießbare Wüste, die des zurückschreckenden viel enthält. Der Eine glaubt unauflösliche Widersprüche darin zu entdecken, der Andere Ungereimtheit und Unverstand, aber in welches geschmückte Paran wandelt es sich für ihn um, wenn er auf dem Wege der Selbst- und Sünden-Erkenntnis zu der wahren Einsicht in dasselbe gelangt. Auf diesem Wege ist schon aus manchem Saulus ein Paulus, aus manchem Verfolger ein Beförderer der Gemeine geworden. Und so geht’s auch in anderen Dingen. David fand in den nämlichen Drangsalen, über welche er sich bitterlich beklagt, von welchen er geglaubt hatte: Gott würde ihn damit verschonen, wenn er ihn lieb hätte, nachmals einen Anlass seine Treue zu preisen, womit er ihn gedemütigt hatte, welche ihm so nützlich wurde, dass er sagen konnte: ehe ich gedemütigt ward, irrte ich, nun aber halte ich dein Wort. Hält er’s deshalb nicht seiner Seele vor: du wirst ihm noch danken, und sucht dadurch sich selbst zum Harren auf den Herrn zu erwecken, und der allzu großen Bekümmernis zu steuern? War nicht das Gefängnis für Joseph der Weg zu den höchsten Ehren, und was konnte dem einen Schächer nützlicheres widerfahren, als dass er an ein Kreuz kam? und auf der anderen Seite, wer war in der Wüste: der reiche Mann oder Lazarus, der voller Schwären vor seiner Tür lag? Johannes oder Herodes, der ihn enthauptete? – Sehe nur ein jeglicher zu, dass er nicht die Wüste statt Kanaan erwähle, den Schein statt des Wesens. Ergreifet vielmehr das ewige Leben, wozu ihr berufen seid. Verleugnet, um Christi willen alles, und wisst, dass ihr’s in seiner Nachfolge hundertfältig erst mit, dann ohne Verfolgung wieder erlangen werdet.
Lasst mich jetzt zum Schluss nur noch bemerken, dass der Ort, wo sie sich in dieser ungeheuren Wüste lagerten, Ritma genannt wurde, auf Deutsch heißt das Wachholder, deren daselbst viele wachsen mochten, und wenn sie auch die Schlangen verscheuchten, welche sich nicht in ihrer Nähe aufhalten, doch durch ihr stacheliges Wesen wieder beschwerlich wurden. Kanaan ist nun ganz nahe. Wir sind unmittelbar an den Grenzen, höchstens eine halbe Stunde von dannen. Hindernisse zum Übergang in das Land sind keine da, weder Fluss noch hohe Berge. Wir erheben billig ein Freudengeschrei. Jerusalem, Hebron und wie die Städte alle heißen, sind nicht fern. Mich deucht, wir hören von dorther läuten, und sehen die Herden und Winzer an den Bergen, hören diese singen und jene brüllen, und unsere Herzen hüpfen vor Freude.
Brechen wir aber hier ab, um nächstens zu vernehmen, was sich nun weiters begibt! Herr, hilf deinem Volke, und segne dein Erbe, das dein harret. Amen.