Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Tabeera).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Tabeera).

Zwei und zwanzigste Predigt.

Zwölfte Lagerstätte: die Lustgräber. Fortsetzung.

4 Buch Mosis 11,1-4. 10-15.

Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner – so betete und dankte der Pharisäer Luk. 18,11. Mich dünkt, wäre der Sinn dieses Mannes den Worten ganz angemessen gewesen, die er sagte, so würde der Herr ihn nicht getadelt haben. Kein Räuber und dergleichen zu sein, ist ja gewiss etwas wünschenswertes und gutes. Wie? möchtet ihr wohl Räuber, Diebe, Trunkenbolde sein? Gewiss nicht. Wie geht’s diesen Leuten, wo nicht immer, doch meistens in dieser Welt. Hätte der nicht gestohlen, wäre jener nicht dem Trunk ergeben, der nicht so liederlich gewesen, würde es ihm wohl so schlecht gegangen sein, wie es nun tut? Dass ihr nun solche Leute nicht seid, ist euch das nicht mit recht lieb? Seid ihr denn auch etwa arm, so seid ihr doch ehrlich und dürft euch vor jedem ordentlichen Manne sehen lassen. Und wenn ihr euch des freut, sollte es sträflich sein? Gewiss nicht.

Hören wir den Mann weiter, so müssen wir ihn ja noch mehr achten, denn was sagt er? Sagt er: einen solchen tadellosen Mann habe ich selbst aus mir gemacht, ich habe mich von Jugend auf vor solchen Ab- und Umwegen gehütet und gewahrt? ich habe mich in Acht genommen? das sollten Andere auch tun, dann ging’s ihnen auch besser? Nein, kein Wort von der Art. Sondern, was sagt er? Ich danke dir, Gott. Wem schreibt er’s also zu? Seinen Worten nach, nicht sich selbst; vielmehr sollte man denken, seine Gedankenreihe sei etwa diese gewesen: wäre ich in solchen Verhältnissen geboren und erzogen, wie diejenigen, die jene Untaten begangen haben, wäre ich in gleiche Versuchung gekommen, hätte ich ein ebenso unglückliches Temperament, wie jene – o! so möchte ich noch wohl weit ärger geworden sein, wie jene, o! so säße ich jetzt vielleicht im Kerker, statt dass ich hier im Tempel stehe, oder hinge gar schon am Kreuz. Wem soll ich, wem muss ich also den Ruhm davon geben, dass ich nicht bin wie viele andere Leute? Mir selbst? das sei ferne! Dir, dir o Gott, danke ich dafür. Du hast über mich gewacht, du hast mich bewahrt, du mich bis jetzt geführt. Dafür danke ich dir, bitte aber zugleich: tue doch ja nicht deine Hand von mir ab, Gott, mein Heil. – Findet ihr darin wohl etwas, das dem Worte Gottes zuwider wäre? Gewiss nicht. Aber so meinte es dieser Mann nicht. Höchstens ging’s ihm, wie denen, die man etwa fragt, wie sie sich befänden, und die darauf antworten: Gottlob noch wohl! Er tat’s nur so.

Dasjenige aber, was ich doch eigentlich hiermit nur sagen wollte, ist dies: dass die Sünden anderer Leute uns nicht dazu dienen sollen, uns unserer eigenen Vortrefflichkeit mit Freuden bewusst zu werden, und uns zu erheben und sie zu verachten; sondern dass sie uns statt eines Spiegels dienen sollen, worin wir unsere eigene Gestalt erblicken und uns sagen: siehe, das bist du. So meint’s auch Salomo Spr. 27,19.: wie das Bild im Wasser gegen das Angesicht, also ist eines Menschen Herz gegen den anderen. Wir rechtfertigen damit anderer Leute Gottlosigkeit nicht, verkleinern, entschuldigen sie nicht, sondern verurteilen sie, aber auch uns selbst mit ihnen, etwa wie wir in Anderer Krankheiten ein Exempel sehen, wie es auch uns gehen könnte.

Dieser Gedanke muss uns auch leiten bei der Betrachtung des Verhaltens der Kinder Israel in Taberra.

Neulich betrachteten wir die üble Stimmung des Volkes. Wir fahren nun fort, ihre Veranlassung und Wirkung zu betrachten.

Wie ging es denn zu, dass Israel so unzufrieden wurde, und sich so freventlich äußerte? Ach! es war im roten Meer nicht alles ersoffen, was wohl darin hätte ersaufen mögen. Es war bei den Kindern Israel ein Volk, das den kuriosen Namen Haasaphsüph führte, welches Luther durch Pöbelvolk gibt; die holländische Übersetzung hat: das gemeine Völklein, die französische: das zusammengeraffte Volk, so auch die griechische. Was das für ein Völkchen war, weiß ich nicht zu sagen. Sie werden von den eigentlichen Kindern Israel unterschieden, waren also keine Nachkommen Abrahams, auch das nicht, was man gewöhnlich unter dem Worte Pöbel versteht. Was waren es denn wohl für Leute? Zuerst wird ihrer 2 Buch Mos. 12,38. gedacht, wo Luthers Übersetzung sie viel Pöbelvolk nennt. Also, heißt es daselbst, zogen aus die Kinder Israel von Naemses nach Suchot, 600,000 Mann ohne die Kinder, und zog auch mit ihnen E ref raf, viel Pöbelvolk. Dies Wort kommt auch beim Nehemia Cap. 13,3. vor, und beim Jeremias Cap. 50. Es heißt eigentlich: ein gemischter Haufe, auch Geschmeiß und Ungeziefer; und bei der Weberei: Einschlag. Beim Nehemia werden unter diesem Namen die Ammoniter und Moabiter verstanden, welche nach einer göttlichen Anordnung nimmermehr in die Gemeine Gottes kommen sollten, darum dass sie den Bileam wider Israel dingten, es zu verfluchen, welches Gott aber in Segen umwandelte. – Was mochten das denn für Leute sein, die sich dem Volke Israel beigefügt hatten? Wir wissen es nicht. Es war aber schlimm, brachte Israel in Versuchung, in Sünde, und dadurch ins Unglück, und wenn es beim Jeremias heißt: Schwert soll über dasselbe kommen, so ist das für Israel sehr wünschenswert, damit es allein wohne.

Und so wären wir diesem Rätsel von dem Haasaphsüph wohl auf die Spur gekommen, und finden dasselbe noch heutzutage unter Israel, und zwar auf zweierlei Weise.

Erstlich. Anfänglich bestand die Christenheit aus lauter wahren Christen, Wiedergeborenen und Gläubigen. Die erschrecklichen Verfolgungen, die über sie ergingen, bewirkten, dass sich keine andere als Aufrichtige, wirklich vom Vater Gezogene und Gelehrte, zu ihnen gesellten, oder doch eben durch diese schrecklichen Verfolgungen, die niemand ohne wirkliche Gnade und Leben ertragen konnte, wieder von ihnen geschieden wurden. Die waren nicht von uns, sonst wären sie bei uns geblieben. Sie gehörten, auch bei dem etwa eine Zeitlang angemaßten Namen der Christen, doch fortwährend dem Heidentum, oder Judentum, der Welt und der Obrigkeit der Finsternis an. Ihr Abfall war demnach sehr natürlich und kein Schaden, sondern Vorteil für das Wahre. Doch mengte sich schon frühzeitig allerhand Unkraut unter den Weizen, was sich nicht hindern ließ, aber doch zu beklagen war. Als aber vollends mit dem Christentum äußerliche und weltliche Vorteile verbunden waren, als später Carl der Große, unsere heidnische Vorfahren, mit Feuer und Schwert zum Christentum zwang, was doch auf die Weise unmöglich ist: da nahm zwar die Zahl der Heiden ab, und die der Namenchristen erstaunlich zu, aber die Wahrheit, die Gottseligkeit, das Reich Gottes gewann wenig dabei. Eine ungeheure Menge Pöbelvolk zog mit Israel, und des Einschlags, des Ungeziefers, des Haasaphsüphs wurde gar zu viel. Die christliche Kirche wurde einem Netze ähnlich, voll guter und böser Fische, einem Acker, wo Unkraut und Weizen durcheinander wächst, ja wo man vor lauter Unkraut kaum einigen Weizen gewahr wird, vor lauter Gottlosigkeit keine Gottseligkeit, vor lauter Aber oder auch Unglauben, keine Wahrheit mehr erblickt. Ja, das Pöbelvolk nahm dermaßen Oberhand, dass der Haasaphsüph die Israeliten, in den Personen der Albigenser, Waldenser und anderer Zeugen der Wahrheit, aufs erschrecklichste, bis zur gänzlichen Ausrottung verfolgte. – Heutzutage zählt man die Christen nach Millionen, und unsere Gemeine allein zählt mehrere tausend Glieder. Jede Partei findet sich durch die Menge der Köpfe, die sie zählt, geschmeichelt. Es tut ihr wohl, wenn unter denselben Königen, Fürsten, Gewaltige und Reiche sind, worauf sie vertraut. Aber wiegen tut man nicht. Man zählt bloß. Hier aber treten die ernsten Worte Christi ein, wo er sagt: die Tür ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und sind ihrer viele, die darauf wandeln; sagt: es werden nicht alle, die zu mir Herr, Herr, sagen, ins Himmelreich kommen; ankündigt, Er werde Vielen sagen: ich kenne euch nicht, und weiß nicht, wo ihr her seid, mögen sie auch einwenden, was sie wollen. Und im Ganzen heißt es. Der Bund Gottes bestehet und hat dieses Siegel: der Herr kennet die Seinen, und es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt. Mit dem großen Haufen ist Gott nicht gedient, und endlich geht es an ein Scheiden, wo die Körner aus der Spreu, diese fürs Feuer, jene für die Scheuer gesammelt werden. Die wahre Christenheit wird nicht vermehrt durch den Ehestand, nicht durch die Konfirmation, sondern durch eine Geburt aus Gott. Die Menge von rohen Leuten, die man in der Christenheit hat, gehören eigentlich gar nicht zu derselben, sondern sind Haasaphsüph. – Es hat von Zeit zu Zeit Menschen gegeben, welche durch eine genaue Kirchenzucht diesem Jammer abhelfen, oder gar eine reine, aus lauter wahren Christen bestehende Gemeine sammeln wollten; aber beides misslang. Die Strafen, welche die Kirche verhängt, sind von der Art, dass sie den Meisten keine Strafe, sondern eigene Wahl sind. Denn diese Strafen bestehen darin, dass die Kirche gottlose und ungläubige Menschen, von ihrer Gemeinschaft und vom Abendmahl ausschließt. Aber das tun diese von selbst, und würden es vielmehr für eine Strafe achten, wenn sie zum Gehör des göttlichen Wortes und zum Tisch des Herrn kommen sollten. Einige andere ehemalige kleine Zuchtmittel sind von selbst unbrauchbar geworden. Man muss also über die Brücke Zions und den Schaden Josephs sich heimlich betrüben, beten und wirken, was man kann. Der Herr wird endlich solche senden, welche die Lücken verzäunen und die Wege bessern, wird wohl mit schweren Gerichten, und zuletzt mit dem jüngsten Tage hereinbrechen, und die Schafe von den Böcken scheiden. Indessen wende jeder allen Fleiß daran, dass er nicht bloß den Namen, sondern auch der Tat und Wahrheit nach, ein Christ, ein Gesalbter sein möge. – Der einmal von einem gewissen Prediger L’Abbadie im 17. Jahrhundert gemachte Versuch, eine ganz reine Gemeine zu sammeln, musste natürlich misslingen, und brachte hin und wieder nichts als Verwirrung zuwege, da die Prediger, welche jene Idee aufnahmen, nur die Kinder wiedergeborner Eltern taufen, und keinen anderen als Wiedergebornen das Abendmahl reichen wollten, da doch Christus befohlen hat, das Unkraut neben dem Weizen stehen zu lassen, bis zur Ernte, weil sonst unkundige Gärtner den Weizen samt dem Unkraut ausreißen möchten, auch auf diesem Acker nicht alles Unkraut, Unkraut bleibt, sondern sich in Weizen umwandelt. Gehe nur ein jeglicher aus von ihnen, sondere sich ab und rühre nichts Unreines an; bedenke ein jeder, dass seine Gefahr wegen des Pöbelvolks desto größer ist, und sei deshalb desto mehr auf seiner Hut. –

Dies wäre denn die eine Art, wie das Pöbelvolk noch immer unter Israel ist. Es ist’s aber auch noch auf eine andere, noch bösere Art. Wir sagen bildlich, es ist leider nicht alles im roten Meer ersäuft, was billig darin hätte umkommen sollen. Sind gleich die Ägypter alle umgekommen: so hat sich doch der Haasaphsüph mit durchgemacht. Daher diese Tränen! Ohne Bild: in der Rechtfertigung zum Leben hat die Sünde bei den wahrhaft Gläubigen allerdings auf einmal und für immer, sowohl ihre verdammende als ihre herrschende Kraft, durch das Blut und den Geist Jesu Christi verloren. Es ist eine sehr große, eine wesentliche Veränderung auf einmal in ihnen hervorgebracht, vom Bösen zum Guten. Ihr Verstand ist erleuchtet, ihr Wille geheiligt, ihre Gemütsbewegungen in Ordnung gebracht, die Glieder des Leibes zu Waffen der Gerechtigkeit dargestellt. Die Schrift aber belehrt uns in Übereinstimmung mit der Erfahrung, dass in den nämlichen gläubigen Personen, neben dem Geist auch noch Fleisch vorhanden sei, die sich einander feindselig und streitend entgegenstehn; dass neben dem neuen auch noch ein alter Mensch da sei, welcher von dem ersteren gekreuzigt und getötet wird, wogegen er sich aber tapfer wehrt, und das wohl einmal mit dem Erfolg, dass jemand von einem Fehl übereilt wird und sündigt, wie Paulus und Johannes reden. In der Ordnung aber trägt der neue Mensch jedes Mal den Sieg davon. Der ebengenannte heilige Apostel sagt: wer Sünde tut, ist vom Teufel. Wer aber aus Gott geboren ist, der sündiget nicht und kann nicht sündigen, denn sein Same bleibt bei ihm. So gewiss nun dies ist, ebenso gewiss ist es auch, was der Nämliche schreibt: so wir sagen: Sünde haben wir nicht, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Das Herz des Gläubigen ist eben so beschaffen, wie das Herz anderer Menschen, nur mit dem wichtigen Unterschied, dass bei jenen ein göttlicher Same ist, der sich allem Sündlichen kräftig und nachdrücklich widersetzt, es mehr und mehr, und zuletzt ganz vollkommen verdrängt und überwindet. Dazu sind sie berufen. Ihr tägliches Geschäft ist es, nicht dem alten Menschen seinen Willen zu lassen, sondern ihn aus- und den neuen Menschen anzuziehen, und sich stets zu erneuen in dem Geist ihres Gemütes. Nicht sollen sie, mit sich selbst vergnügt, untätig und unwirksam sein, und sich einbilden, als wären sie schon am Ziel; sondern weil sie so teure Verheißungen haben, sollen sie fortfahren mit der Heiligung; nicht meinen, sie hätten’s schon ergriffen und seien vollkommen, sondern ihm nachjagen, ob sie’s ergreifen möchten, nachdem sie von Christo Jesu ergriffen worden sind. – Auf diesem Wege wird ihnen erst recht kund werden die tiefe Verderbnis ihres Herzens, die schreckliche Ohnmacht ihres Fleisches, die gräuliche Kraft der Sünde, die Unzulänglichkeit des Gesetzes und aller eigenen Bemühungen, die List des Teufels und die unaussprechliche Notwendigkeit der Gnade unseres Herrn Jesu Christi, so wie namentlich seiner Bürggerechtigkeit und seines Geistes, und die siegende Macht seines Geistes.

Gewiss, Israel, wirst du diesen Haasaphsüph in deinem Lager mit Kummer gewahr! Du weißt selbst manchmal nicht was es ist, fühlst aber seine Regung wohl, und hast oft Ringens genug nötig, dass er dir nicht über den Kopf wachse, dich aus dem Lager verdränge und es selbst einnehme. Wohl ist’s ein vermengter Haufe, ein gemeines, ungesittetes, halsstarriges, zusammengerafftes Völkchen, dessen Ursprung man nicht recht weiß, nicht recht weiß, wo es herkommt und wo es hinaus will. O! dass ein Nehemias käme, und schiede es von Israel! und wie gönnen wir es ihm, wenn Jeremias verkündigt: das Schwert soll kommen über dies Geschmeiß und Ungeziefer. Denn indem der alte Mensch verweset, wird der neue lebendig gemacht. –

Das Verhalten des lüsternen Volkes machte Mose, der keinen Teil daran nahm, bange, weil er böse Folgen davon besorgte. Er hatte auch Ursache, bange zu werden, denn des Herrn Zorn ergrimmte sehr. Er griff alsbald zur Strafe, und zündete ein Feuer unter ihnen an, welches die äußersten Läger verzehrte und sehr viele Menschen tötete, die man daselbst begrub, und deshalb dieses Lager Lustgräber nannte. Gott zürnt hier nach dem Gesetz – und o! wie weit reichen dessen heilige Forderungen, wie weit reicht die Heiligkeit Gottes! Es werden hier doch noch keine bösen Werke verübt. Es bleibt beim Verlangen, und das nach etwas, das an sich gar nicht böse war. Denn was ist es doch, wenn jemand in einer dürren, heißen Wüste, Lust nach kühlenden Früchten bekäme! Freilich fielen einige böse, Gott beleidigende Worte vor, den sie herausforderten und neckten, wo es allerdings heißt: irret euch nicht: Gott lässt sich nicht spotten. Aber ach! Wie häufig geschieht das, und was wollte aus den Menschen werden, wenn das stets also gestraft werden sollte, wie Gott an diesem seinem auserwählten Volk tat! Wie viele Entschuldigungen hätten hier nicht vorgebracht werden mögen. Aber nichts von dem, nichts mit den glattesten Entschuldigungen. Das Gebot sagt: lass dich nicht gelüsten, oder du bist der Strafe des Feuers schuldig, womit du für deine Lust büßen magst, denn auch die Lust ist Sünde, und sie soll nimmermehr in unser Herz kommen. Und verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, was geschrieben steht im Buche des Gesetzes, dass er’s tue.

Hieraus sehen wir, wie sehr es den Menschen an dem wahren und richtigen Begriff vor der Sünde und ihrer Gesetzlosigkeit und Strafbarkeit mangelt! Wenn sie viel tun, so räumen sie allenfalls ein, dass diese, jene Tat, Übertretung des Gesetzes, Sünde sei, und behaupten doch dabei, man könne sie tun, ohne doch überhaupt ein schlechter Mensch zu sein und ein verkehrtes, böses Herz zu haben. Mit Worten nimmt man's vollends nicht genau und ist weit entfernt, Christo zu glauben, dass die Menschen müssen Rechenschaft geben von einem jeglichen unnützen Wort, das sie werden geredet haben; dass sie bei Gott straffällig sein sollten, will ihnen gar nicht in den Sinn, denn die Welt hat im ganzen einen erbärmlichen Gott, den sie auch weder fürchtet noch liebt, von dem sie – im Ernst genommen – weder Gutes noch Böses erwartet. Dass nun aber gar schon die Lust Sünde sein soll, dass schon die den Menschen verdammlich machen soll, das räumt sie gar nicht ein. Indessen, mag sie's nicht einräumen, so hört's darum nicht auf, Wahrheit zu bleiben, dass schon das Lüstern, das geneigt werden, verdammliche Sünde ist. Denn wir können nichts Wahres unwahr machen, und das Gesetz lässt sich von uns nicht drehen, schwächen oder modifizieren, sondern fordert Unterwerfung und Gehorsam, bei Strafe des ewigen Todes.

Jedoch ist es nicht zu verwundern, dass es nicht erkannt wird, dass schon die Lust Sünde sei. Ein Saulus, der nachmalige Apostel Paulus, sogar bekennt, es sei eine Zeit seines Lebens gewesen, wo er dies auch, wegen der Blindheit seines Herzens, nicht eingesehen habe. Und eben weil er dies nicht einsah, gelang es ihm, sich für unsträflich nach dem Gesetz zu halten, weil er freilich gegen die übrigen neun Gebote nicht gröblich anging. Mit Christo mochte er nichts zu tun haben, weil er seiner für seine Person zu nichts brauchen konnte, und weil er ihm überdas als ein solcher erschien, der das ihm so teure Gesetz aufhob. Aber wie gingen ihm im Ganzen die Augen auf, als sie ihm erst darüber aufgingen, dass die Lust Sünde sei! Dies gab ihm, so zu reden, den Schlüssel zu dem Evangelio, und kein Mensch war froher über den Inhalt desselben, als er, da es die Gerechtigkeit offenbart, die vor Gott gilt, welche kommt durch den Glauben an Jesum Christ, als eben er, der sonst so heftig dagegen anging. Werdet ihr das erst mit ihm erkennen und verstehen, dass die Lust Sünde sei, so werdet ihr auch mit ihm trauern, an euch selbst verzagen, und sehr gerne euere Zuflucht zu Christo nehmen, mit ihm einen unendlichen Wert auf Ihn setzen. Dass aber die Lust Sünde und des Feuers und Todes schuldig sei, das lehrt die Geschichte bei den Lustgräbern auf eine sehr nachdrückliche Weise, wo ihr anders der Belehrung fähig und dazu willig seid.

Gottes Forderungen gehen weit. Wir sollen überall unserem eigenen Willen absagen, und Gottes allein gutem Willen ohne alles Widersprechen gehorchen; wir sollen, wenn’s von uns gefordert wird, alle, auch unsere unschuldigsten Wünsche fahren, uns williglich die empfindlichsten Leiden und Entbehrungen aufbürden lassen. O! Gott, wie weit gehen deine Forderungen! Wer vermag’s, ihnen zu entsprechen, als der, den du mächtig machst. Aber es soll uns ernstlich angelegen sein, ein vollkommener Mensch zu werden, zu allen guten Werken geschickt, durch den Glauben an Jesum Christum. Der Christ soll lernen sich unter alles zu beugen, sich in alles zu schicken, zu allem – die Sünde ausgenommen – ja zu sagen.

Der Auftritt im Lager machte Mosen bange. Denn die Gerichte Gottes sind ängstlich, auch wenn sie in Gnaden geschehen, und man hat alle Ursache, sie zu fürchten. Sein Gemüt ist auch angegriffen, betrübt, verstimmt. Er erhebt eine Klage, und schüttet sie mit vielen Worten, die wir Vers 11-15 lesen, aus welchen wenig Glauben durchblickt, vor dem Herrn aus. Er kommt sich selbst als viel zu ungeschickt vor, zu demjenigen, was er doch ausrichten soll, und dünkt sich so allein. Erstlich beschwert er sich darüber, dass der Herr ihm nicht gnädig genug sei. Warum – fragt er – finde ich nicht Gnade vor deinen Augen; habe ich anders Gnade gefunden vor deinen Augen? Das letzte lautet ordentlich zweifelhaft. Habe ich sie funden oder nicht? Ich weiß es nicht, ich sehe es nicht, ich merke es nicht. O! Mose, Mose! Kannst, darfst du noch so fragen? Du? Hat dir’s denn der Herr nicht noch vor kurzem mit den deutlichsten Worten gesagt: du hast Gnade gefunden vor meinen Augen. Hast du davon nicht die erstaunlichsten Beweise bekommen? Hat Gott nicht sogar deine Bitte, dich sein Angesicht sehen zu lassen, so weit erhört, als sie erhörbar war, und alle seine Güte vor dir her gehen lassen? Und du redest so zweifelhaft, fragst, warum finde ich nicht Gnade vor deinen Augen, sagst: habe ich anders Gnade gefunden vor deinen Augen? – Wir sehen es kommen, du wirst uns noch kläglichere Beweise der Art geben, und uns den Haasaphsüph auch bei dir bemerklich werden lassen. Doch lassen wir dies auch auf sich beruhen: so ist es doch gar keine ungewöhnliche und seltene Erscheinung, dass auch solche Personen, welche die kräftigsten und durchdringendsten Versicherungen von ihrer, bei dem Herrn erlangten Gnade, empfangen haben, doch hernach von heftigen Zweifeln angefochten werden, welche jedoch nichts gegen die Richtigkeit ihrer Begnadigung beweisen. Denn Zweifel sind keine Beweise. Gnade haben und wissen, dass man Gnade hat, ist zweierlei, und ersteres kann gar wohl ohne letzteres sein, und ist es nicht selten. Zwar sollte man es kaum für möglich halten, dass jemand, der ein- oder gar mehrmals von der erlangten Gnade Versicherung empfing, die jeden Zweifel daran, so zu reden unmöglich machte, doch wieder tüchtig daran zweifeln können. Es geschieht aber doch wohl, bald wegen eines begangenen Fehlers, bald auch ohne dies. Und das ist auch heilsam aus vielen Ursachen. Der Christ soll nicht auf seine erlangte Versicherung, sondern auf Christum sein Vertrauen allein setzen, und sobald jene darin hindert, ist es nützlich und nötig, dass sie angefochten wird. Es dient auch zu seiner Demütigung. Er lernet seine Schwachheit kennen, um auch das nur fest zu halten, was er doch so fest zu haben meinte – seine Abhängigkeit von dem Herrn, da er nichts nehmen kann, was ihm nicht von Oben herab gegeben wird u.a.m. Es ist aber etwas ungemein köstliches und nötiges, mit David sagen zu können: da, zu der Stunde, unter den Umständen, nachdem das und das vorhergegangen war, da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde, und das hatte bei mir die und die fröhlich-, heilig- und seligmachende Wirkung, und brachte eine ganze Umänderung bei mir zuwege. Mag das denn auch nachher bestritten werden, so bleibt es doch fest, sollte die Seele sich auch grade nicht daran halten können.

Es will dem Mose wenigstens vorkommen, Gott sei ihm nicht gnädig genug, sonst, meint er, würde Gott wohl die Last des ganzen Volkes nicht auf seine Schultern allein niederlegen, und fragt: warum bekümmerst du deinen Knecht? Es ist kein seltener oder gar unerhörter Fall, dass Begnadigte auch wohl auf die Gedanken kommen, wenn Gott ihnen gnädig wäre, wie sie doch hoffen und wovon sie deutliche Beweise und Proben zu haben vertrauen: so würde er solche Leiden, Proben und Versuchungen von ihnen wehren, als diejenigen sind, womit sie sich umringt sehen. Sie sehen sich außer Stand, beides mit einander zu reimen. Sie möchten auch sagen: wenn ich Gnade gefunden habe vor deinen Augen, warum bekümmerst du dann deinen Knecht also? Wie ist’s möglich, dass ich alsdann Leiden, Versuchungen, Anfälle von der Art empfinden und erdulden muss, wie ist’s möglich, dass ich solche Aufregungen des Unglaubens und der Verdorbenheit erfahren muss, dass all‘ mein Beten so wenig Erhörung findet? Dass es von der Art, von der Dauer, von der Heftigkeit sein kann? Ähnliche Fragen könnens ich der Seele mit Ungestüm aufdringen, und ihre Leiden bedeutend schärfen. Gideon sagte auch einmal: ist der Herr mit uns, warum ist uns denn solches alles wiederfahren? Er konnte auch ihre Begegnisse und des Herrn Gnade nicht mit einander in Übereinstimmung bringen, und glaubte, wenn der Herr mit ihnen wäre, könnte es ihnen so nicht gehen, wie es tat. Der Pfahl, der Paulo ins Fleisch gegeben war, muss ihm nicht nur sehr beschwerlich, sondern auch als ein Grund vorgekommen sein, dass er auch wohl fragen dürfte: bist du mir gnädig, warum bekümmerst du denn deinen Knecht? und betete nun heftiglich um Erlösung davon, die ihm jedoch nicht zu Teil wurde. Wie so manches in der Handlungsweise des Herrn, während er auf Erden wandelte, ließ sich schwerlich mit seiner Güte reimen. Hatte er die Jünger lieb, wie er doch hatte, wie konnte er sie denn eine ganze Nacht hindurch, gegen widrigen Wind und Wellen ankämpfen lassen, nachdem sie auf seinen Befehl, ohne Ihn hatten vom Lande stoßen müssen, und warum musste der entstandene Wind den Petrus und das ganze Schiff in Lebensgefahr bringen, dass sie alle schrien vor Angst? Wenn er dem kananäischen Weiblein helfen wollte, wie er doch wollte, warum machte er denn doch alle diese Umstände? ging in ein Haus und wollte es niemand wissen lassen usw. Seine Jünger selbst konnten sich nicht in ihn finden. Er hatte Martham lieb und ihre Schwester Mariam, und doch hielt ihn diese Liebe nicht zurück, die niederbeugendste Trauer über sie kommen, und sie vier Tage darin schmachten zu lassen. Ich meine, es hieße ja: kein Übel soll sich deiner Hütte nahen. Sind das denn keine Übel? Wer kann ohne Wehmut seine Mutter unter dem Kreuze stehen sehen? Warum war denn diese gebenedeite unter den Weibern nicht so glücklich, wie ihr Mann Joseph, der schon entschlafen war; oder warum hieß es nicht, statt: Weib, siehe, das ist dein Sohn, vielmehr zu ihr: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Musste dies Schwert auch noch durch ihre Seele dringen, aller göttlichen Liebe ungeachtet, deren Gegenstand sie war? Liebt Gott so? Soll uns denn nichts, gar nichts bewegen können, an seiner Liebe auch nur im geringsten zu zweifeln? - -

Betrachten wir das Schicksal der ersten Christen, und wollen wir an ihren Verfolgungen die Gunst messen, worin sie bei Gott stehen – müssen wir sie denn nicht vielmehr für Gegenstände seines Zornes, als seiner Liebe achten, da sie als Schlachtschafe behandelt werden, die täglich in den Tod gegeben werden?

Und wie sieht’s oft in ihrem Innern aus? Ist da immer Sonntag, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und Christtag? oder gibt’s da auch wohl Karwochen? Ist da immer Sommer, oder wird’s auch wohl ein beraubender Herbst? immer gut Wetter, oder auch wohl trübe Tage, Sturm und Ungewitter? Erfahren alle wahre Christen zu aller Zeit, dass das Reich Gottes Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist sei, oder werden sie auch gewahr, dass man durch viel Trübsal in dasselbe eingeht? Steht ihnen das Evangelium immer in voller lieblicher Klarheit vor den Augen, oder werden sie auch gewahr, was jenes Lied singt: Nichts als Dunkelheit und Schmerzen bleibt im Herzen, wenn dein Gnaden-Glanz gebricht. Leset einen Hiob, hört einen David, vernehmt einen Jeremias. Seht wie finster, beengt und bedrängt es oft in ihrem Herzen aussieht, und erkennet daraus, wie die, über jemand waltende Gnade, es dennoch wohl im Innern so kann werden lassen, dass man eher daraus auf Zorn, als irgend auf Liebe schließen könnte. Wie lautet es, wenn Hiob sagt: die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, deren Grimm meinen Geist aussäuft. Deine Augen sehen mich an, darüber vergehe ich. Wenn ich sagte, mein Lager soll mir’s leichtern, so schreckest du mich mit Träumen und machst mich grauen durch Gesichte. Wie lautet’s, wenn ein David sagt: mein Herz bebet, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir. Ich bin wie ein Mann, der keine Hilfe hat, dein Grimm geht über mich, dein Schrecken drückt mich. - - -

Und dies alles sind keine Widerlegungen der göttlichen Liebe? Soll man also glauben auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist? Soll man den bösen Tag auch für gut nehmen? - -

O Herr! Stärke uns, stärke uns! Ohne dich können wir nichts tun! Alles aber vermögen wir, wenn du uns mächtig machst. Der Nichtchrist ist elend mitten im Glück. Der Christ ist selig mitten im Elend. Denn Er wird ihn herausreißen und zu Ehren machen. Dennoch bleibe ich stets an Dir. Amen.

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