Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Suchot).

Zweite Predigt.

Eingang.

Merkwürdig ist die Beschreibung, welche der Herr Jesus Joh. 10,27.28. von den Eigenschaften und Vorteilen derer gibt, welche er seine Schafe nennt, und als deren Hirte er sich darstellt. Schafe nennt er sie vornämlich wegen ihrer Hilf- und Wehrlosigkeit, deren ganzes Glück davon abhängt, einen guten Hirten zu haben. Sein nennt er sie, im Gegensatz gegen diejenigen, von denen er im vorhergehenden Verse sagt: ihr seid meine Schafe nicht. Es gibt also nur zweierlei Menschen auf Erden, solche, die Schafe Christi sind, und solche, die es nicht sind. Er nennt sie so, weil er sie sich selbst zum Eigentum erlöst und erkauft hat. Sodann, weil er sie gemacht hat, und nicht sie selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide, Ps. 100,3. Denn von Natur ist nicht nur Niemand ein Schaf Jesu Christi, sondern kann es auch durch natürliche Kräfte nicht werden. Sie sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu.

Jesus schreibt ihnen zwei Eigenschaften zu. Die erste ist: sie hören meine Stimme; diese gewalthabende Stimme, welche, wenn sie von denen gehört wird, die in den Gräbern sind, bewirkt, dass sie hervorgehen. Sie hören sie nicht durch einen Schall in den Ohren, sondern durch eine Kraft im Herzen, die daselbst wunderbarlich schafft. Von der Lockstimme der Welt wenden sie ihr Ohr weg, sowohl wenn sie sie zu ihren Grundsätzen, als wenn sie dieselbe zu ihrem Verhalten leiten will. Darum ist auch ihre zweite Eigenschaft: sie folgen mir. Auch im Natürlichen ist ein Schaf ein, gegen seinen Hirten, sehr folgsames Geschöpf. Es liegt in seiner Natur, und obschon es sich nicht gut an einem Stricke leiten lässt, sondern dem Zwange widerstrebt, so bedarf’s dieses Zwanges auch bei ihm nicht, da ihre Art sie dazu treibt, zumal, wenn ihrer Mehrere bei einander sind, denn es ist ein geselliges Geschöpf. Sie folgen aber dem Hirten nach, wohin er geht, und würden ihm durch Wasser und Feuer folgen und eher ertrinken und verbrennen, als zurückbleiben. Sehet die Sulamith, wie sie ihm nacheilt und nachschreiet, mögen die Töchter Jerusalems sie deswegen auch für närrisch achten und die Wächter sie schlagen. Höret den Assaph sagen: dennoch bleib ich stets an Dir, wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet. Sehet das kananäische Weib ihm unabweislich nachsetzen, und Petrus kann das Folgen auch nicht lassen, obschon Er sagt: diesmal geht’s nicht.

Der Vorteile sind vier. 1 ) Ich kenne sie. Das ist die Sache, darauf kommt’s an. Kennt er uns nur, so geht Alles gut, möchte es auch noch so wunderlich gehen. 2) Ich gebe ihnen ewiges Leben. Welch ein Geschenk! Ich gebe es. Welch eine Person! Nicht sie, Er hat’s verdient und gibt’s, wem er will, und Niemand erlangt’s, als dem er’s gibt, und dem gibt er’s umsonst. 3) Und sie werden nimmermehr umkommen. Das scheint doch wohl so, geschieht aber nimmermehr und auf keinen Fall, wie gefährlich es auch wohl aussieht und wie ängstlich sie schreien: wir verderben! 4) Und Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Es reißet genug daran, nicht allein Fleisch und Blut, und Unglaube und böse Begierden, sondern noch was Ärgeres: Fürsten und Gewaltige nämlich. Aber Niemand, sagt Jesus, wer es auch sei; - Seine Hand ist stärker, als Alles. So weist’s sich auch in der Geschichte des Volkes Gottes aus, in deren Betrachtung wir heute fortfahren.

Text: 4. Buch Mose 33,6.

Dies ist also der zweite seltsame Text und die dritte Lagerstätte. Suchot heißt Hütten, Zelte, und wenn deren eine Menge bei einander ist, so nennt mans ein Lager. Das alte Volk Gottes bildete hier also ein Lager, und das tut die Kirche Gottes noch. Sie liegt zu Felde, zum Streit gerüstet. Schon zu Suchot hob die wunderbare Führung des Herrn an, sich zu offenbaren; denn indem sie dahin zogen, wichen sie schon rechts ab von der geraden und gebahnten Straße, welche sie durch der Philister Land innerhalb 12 bis 14 Tagen bis nach Kanaan geführt haben würde. Auf diesem nächsten Wege würden sie keine Berge zu erklimmen, keine heulende Wüste zu durchwandeln gehabt haben und kein Meer wäre ihnen im Wege gewesen, - aber auch kein Meer, was auf einmal alle ihre Feinde verschlungen hätte, keine Gelegenheit, sich selbst in ihrer Unart, Gott in seiner Treue und Güte so kennen zu lernen, und so viele merkwürdige Erfahrungen von beiden zu machen. Freilich, hätten sie selbst die Wahl gehabt, sie würden die gebahnte Straße eingeschlagen haben, aber der Herr führte sie, und so ging’s über und oft wider die Vernunft.

Ihr werdet hierbei manche lehrreiche Anmerkung machen. Ihr wisst, dass es zwei Wege zur Ewigkeit gibt, wovon der Eine breit und von Vielen betreten wird, aber zur Verdammnis führt; der andere, der schmal ist, auf welchen man durch eine enge Pforte gelangt, führt zum Leben und wird von Wenigen gefunden.

Der Weg, den Christen geführt werden, ist mehrenteils ein ganz anderer, als sie sich teils vorstellen, teils wünschen. Hätten sie ihn zu bestimmen, so würde er für ihre Natur nicht so demütigend, aber auch nicht so verherrlichend für die Gnade sein. Sie würden in Kurzem so stark, gerecht und weise in sich selbst werden, dass sie keinen Christum, weder als Tür noch als Weg, bedürften. Sie täten dem Himmelreich Gewalt und rissen es an sich. Des Herrn Weg aber geht gar anders. Er macht zunichte, was etwas ist, damit er Alles und in Allem sei. Man verliert nach und nach sogar sein eigen Leben, mit demselben also auch alle eigene Kraft, und es heißt sodann: an deiner Gnad’ allein ich kleb. Wie groß wollten nicht die Jünger werden, wie klein wurden sie aber.

Überhaupt ist der Weg nach Kanaan ein ganz anderer, als die Vernunft weiß und vermutet. Es geht aber nach Ps. 32.: Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst. Wenn ein Verständiger die Kinder Israel von Raemses nach Suchot, von da nach Etham und von da sogar nach Hahirot ziehen sah, um so nach Kanaan zu kommen, der musste sie für unsinnig halten; - denn es ging immer weiter von der Heerstraße ab. Und gelten nicht wahre Christen, gilt nicht die evangelische Lehre für Narrheit bei den Weisen dieser Erde? Aber o! dass alle Christen sich auch in ihrem ganzen Tun und Treiben als solche erwiesen, die nicht von dieser Welt sind und nicht nach den Satzungen derselben wandeln. Eine Lehre, die den Beifall, die Genehmigung der Welt und ihrer Weisen hat, ist gewiss die rechte nicht, sondern je christlicher sie ist, desto weniger Beifall erlangt sie, möchte auch die Art, wie sie vorgetragen wird, gefallen.

Zu Suchot buken sie den Teig, den sie aus Ägypten mitgenommen hatten, so wie sie auch sonstige Nahrungsmittel bei sich hatten. Sie brauchten noch nicht so lediglich im Glauben zu leben. Aber dieser Vorrat war bald aufgezehrt und wo denn nun hin? Im Anfange des Christentums kann man gewöhnlich noch viel, wie man wenigstens glaubt. Petrus gürtete sich, so lange er jung war, selbst, und ging, wohin er wollte; später aber musste er seine Hände ausstrecken, und ein Anderer gürtete ihn und führte ihn, wohin er nicht wollte. Er wollte mit Jesu sterben und hielt sich für stark genug, sein Versprechen zu halten. Wir hören aber in der Folge nicht mehr, dass er viel anzugeloben sich erkühnt hätte, wohl aber sagt er: Haltet fest an der Demut! Und: Der Gott aller Gnaden, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, derselbige wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen. Das eigene Können verliert und verzehrt sich, wie Israels ägyptischer Vorrat, je länger, je mehr. Und wo alsdann hin, wenn Christi Wort hervortritt: Gleichwie der Rebe kann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock; also auch ihr nicht, ihr bleibt denn in mir. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, und ich in ihm, der bringet viele Frucht; denn ohne mich könnet ihr nichts tun. Ach Israel, wie wirst du im Glauben leben müssen, wenn du erst in die Wüste kommst, wo nicht einmal Wasser ist. Doch der Herr ist mit dir, und das ist genug. So wirst du endlich auf die Frage: Habt ihr je Mangel gehabt? – antworten: Herr! nie keinen.

Als sie von Suchot auszogen, wollte der Herr selbst von nun an ihr augenscheinlicher Führer sein. Sie traten schon jetzt in eine erschreckliche Sandwüste, die an beiden Seiten mit hohen Bergen umgeben war. Da zog der Herr in der Wolken- und Feuersäule vor ihnen her und weiß ihnen den Weg, weiß sie auch an, ob sie sich lagern oder aufbrechen sollten. Es war wie eine hohe Säule. Des Tages breitete sie sich wie ein starkes Gewölk über sie aus, und schützte sie so gegen die unleidliche Hitze. Sollten sie bei Nacht weiter ziehen, so warf sie ein helles Licht von sich. Dieses Geleite war den Kindern Israel höchst nötig in der so erschrecklichen Wüste, worin man gar keinen Weg fand, und wenn dieselbe auch sehr oft wäre betreten worden, so warf doch der Wind den Sand so durcheinander, dass die Nachfolgenden die Fußtritte der Vorgehenden gar nicht bemerken konnten, weil sie gleich wieder verweht wurden. Sollten sie an einem Orte still liegen, so stand auch des Tages die Wolken- und des Nachts die Feuersäule still; sollten sie aufbrechen, so hob sie sich und zog dann vor ihnen her. So wurden sie die ganze Zeit hindurch vom Herrn geleitet und geführt.

Diese Säule ist ein Vorbild Christi. Er schützt durch seine stellvertretende Gerechtigkeit den bußfertigen Sündern gegen das verzehrende Feuer der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, indem er uns versöhnt hat durch sein Blut. Unter seinem Schatten saß die Braut im Hohenlied, - unter dem Schatten seiner Flügel traute David. Was ist bei großer Sonnenhitze lieblicher und erquicklicher als ein kühler Schatten! Den gewähren Jesu Wunden, zu welcher Laube das geängstete Gewissen flieht. Deshalb sagt auch Jesajas 25,4: Du, Herr, bist der Geringen Stärke, der Armen Stärke in Trübsal, eine Zuflucht vor dem Ungewitter, ein Schatten vor der Hitze, wenn die Tyrannen wüten, wie ein Ungewitter wider eine Wand. Sie bildet ihn auch ab in seinem Lehr- und königlichen Amte, denn so wie er sie lehrt, so leitet er sie auch, und schützet sie gegen die sie umgebende Gefahren, denn der Herr behütet dich, der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand, dass dich des Tages die Sonne nicht steche, noch der Mond des Nachts; - dass dir weder die wirkliche noch die eingebildete Gefahren schaden. Du leitest mich, sagt Assaph, nach deinem Rat, und obschon derselbe wunderbar ist, so führt er’s doch herrlich hinaus. Gleichwie wir nun ohne ihn nicht tun können, was wir sollen, so sollen wir auch ohne ihn nicht tun wollen, was wir können. Unser Wille soll sterben, damit der Seinige in uns lebe. Bald zogen, bald ruhten die Kinder Israel, bald reisten sie mehrere Tagereisen hinter einander, bald nur wenige Stunden, jetzt zogen sie bei Tage, dann bei der Nacht, nun blieben sie sehr lange an einem Ort, dann eine kurze Zeit, aber alles nach Anordnung der Wolkensäule. Wenn sie zogen, so sagte Moses: Herr, stehe auf! Lass deine Feinde vor dir zerstreuet und flüchtig werden, die dich hassen. Und wenn sie ruhte, sprach er: Komm wieder, Herr, zur Menge der Tausende in Israel. Unter des Herrn Leitung geht es gut, aber auch unter keiner anderen. Unter derselben geht es bald leichter, bald schwerer her, bald so, bald anders, bis man dem Herrn sein Herz gibt und sich seine Wege wohlgefallen lässt. – Übrigens hatte die nämliche Wolkensäule sowohl die Eigenschaft einer Wolke als des Feuers. Dies bezeichnet die zwo Naturen in Christo, seine göttliche und menschliche Natur, so wie den Stand seiner Erniedrigung und Herrlichkeit. Sie hatten sie stets vor Augen, und lasst uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens. Sie wussten außer ihr nicht Weg noch Steg. Und wie wüssten wir, außer Christo, einen Weg oder Mittel, um mit Gott versöhnt zu werden, um die Gerechtigkeit zu erlangen, die vor ihm gilt, um von aller Ungerechtigkeit erlöst und tüchtig zu werden, ihm zu dienen ohne Furcht unser Leben lang; ja, um nur einen Augenblick getrost zu sein, da unsere abgesagten Feinde, der Teufel, die Welt und unser eigen Fleisch und Blut, nicht aufhören uns anzufechten. Wie wollten wir zurechtkommen, erschiene er nicht denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, dass er Erkenntnis des Heils gebe seinem Volk, die da ist in Vergebung ihrer Sünden; und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Wir bedürfen des Gegenbildes der Wolkensäule ebenso sehr als jene des Vorbildes. Ohne ihn können, sind, und wissen, und haben wir ja nichts. Herr, bleibe deshalb bei uns und leite uns mit deinem Rat, weil wir den Weg nicht wissen.

Diese Wolkensäule weiß sie denn von Suchot nach Etham. Hier begann die gräuliche Wüste, an deren Eingang es lag. Hätten sie von da, nach menschlichen Einsichten, weiter ziehen dürfen, so wäre es am Klügsten gewesen, sich links zu wenden, weil sie da nichts mit dem roten Meer zu tun gehabt hätten, Moses auch diese Gegend, während er Schäfer bei Jethro war, genau mochte kennen gelernt haben. Aber sie mussten rechts aufs rote Meer zu. Wie wunderbar! Sollte denn menschliches Wissen und Können so gar nichts gelten und ihnen nichts als der Herr und der Glaube an ihn übrig gelassen werden? Ach, es sollte noch ärger, ihre Armut wenigstens noch größer werden, denn noch hatten sie Mundvorrat. Wie aber, wenn nun auch der aufgezehrt war? Dann wusste ja niemand Rat, als Gott allein. Und wer kommt wohl gern in solche Umstände?

Die Bedeutung des Namens Etham ist bemerkenswert, denn er heißt vollkommen und aufrichtig. Wir mögen dieses teils als eine Forderung, teils als eine Gabe und Eigenschaft anmerken. Etham die Vollkommenheit und Aufrichtigkeit, als eine Forderung betrachtet, ist etwas schweres; wollten wir auch der Vollkommenheit gar nicht erwähnen, so ist’s doch um die Aufrichtigkeit eine große und schwere Sache. Sie ist aber durchaus notwendig, denn Gott sieht das Herz an und Aufrichtigkeit ist ihm angenehm. Zwar meint der natürliche Mensch, es habe mit der Aufrichtigkeit nicht viel zu sagen und rühmt sich derselben leicht in allen seinen Werken, da er doch ganz davon entblößt ist. Desto mehr macht aber die Aufrichtigkeit heilsbegierigen Seelen zu schaffen, und es ist ihnen oft sehr bedenklich, sich diese kostbare und wichtige Eigenschaft zuzutrauen; und mit Recht, - denn arglistig und betrüglich ist des Menschen Herz, wer kann’s ergründen? – So beschreibt die Heilige Schrift das menschliche Herz, woraus, wie Jesus sagt, List, Schalkheit und Schalksauge hervorgeht. Er braucht drei Wörter, um die nämliche Sache zu bezeichnen, und deutet damit an, wie groß und tief diese Untugend sei, weswegen er auch von einem krummen und verdrehten Geschlecht redet. Den Aufrichtigen aber lässt er’s gelingen. Und so kommt es z.B. nicht auf das Maß der Traurigkeit, nicht so sehr auf die Stärke und Zuversicht des Glaubens, auf die Größe der Verleugnung oder die Inbrunst der Liebe, sondern ihre Echtheit an. Wenn es nur echtes Gold ist, das mit Feuer durchläutert ist und das Feuer vertragen kann, darauf kommt’s an, nicht auf die Größe des Haufens. Zween Pfennige gelten da mehr als hundert Groschen. Dies kann Seelen, denen das Gewicht ihrer Seelenangelegenheit einleuchtet, oft in nicht geringe Bedrängnis setzen, wenn ihnen gerade das Zeugnis des Geistes mangelt, welcher bezeugt, dass Geist Wahrheit ist. Sie denken alsdann, ja wohl, ich betraure meine Sünden, ich habe auch mehrmals mit Freuden glauben können, dass sie mir vergeben seien; ich habe es mehrmals glauben können, dass Christus auch mir zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gemacht sei; es sind mir oft Verheißungen ins Gemüt eingedrückt worden mit besonderer Lieblichkeit und Kraft, worüber ich große Freude empfunden und mich in Lob und Danksagung ergossen habe; ich streite und bete wider die Sünde, die in mir ist; ich bestrebe mich, mich von der Welt unbefleckt zu bewahren, und begehre, im Guten zuzunehmen. Ja, ich muss es bekennen, ich bin arm am Geiste, ich trage Leid, ich hungere und durste nach der Gerechtigkeit. Aber ob dies Alles nun rechter Art sei, ob’s so sei, wie es in Gottes Augen sein soll, das ist’s, was mir anliegt und Sorge macht. Ist mein Verlangen, selig zu werden, rechter Art? Ist es da, so wird mir’s freilich nicht fehlen, aber mir ist vor Selbstbetrug bange, ob nicht noch ein verborgener Tück in mir stecken möchte. – David rühmt sich manchmal seiner Aufrichtigkeit und wohl in starken Ausdrücken, weil er das Zeugnis des Geistes in sich spürte. Er hatte aber auch Zeiten, wo er beten musste: wende von mir den falschen Weg. Vergib mir die verborgenen Fehler. Es kann wohl so wunderlich in der Seele durcheinander gehen, Fleisch und Geist so seltsam mit einander streiten, dass man aus sich selbst nicht klug werden kann, und es gibt auch in Geistlichen Zeiten, wie im Frühling, wo es schneiet und tobt, als ob’s im Wintermonat wäre, bis die Sonne wieder durchbricht. – Die grobe Heuchelei, wo Jemand absichtlich einen frommen Schein annimmt, ist wohl selten, desto häufiger aber ist die subtile Heuchelei, bei welcher der Mensch mehr sich selbst als Andere betrügt. Sie meinen, sie wären gute Christen und sind’s nicht, haben den Namen und den Schein, dass sie leben, und sind doch tot; sie sprechen: wir sind reich, und wissen nicht, dass sie sind arm, elend, jämmerlich, blind und bloß. Es ist also allerdings nötig, dass man sich vor Selbstbetrug fürchte und hüte, und wisse, dass, wie Gott den Menschen, welcher jetzt viel Künste sucht, aufrichtig gemacht hat, er’s auch noch immer allein ist, der die wahre Aufrichtigkeit in uns wirken kann und muss, ohne welches nie Jemand zu derselben gelangt. Israel wurde unter anderen auch eben deshalb so lange herumgeführt, dass es sollte erkennen lernen, es komme nicht um seines natürlich aufrichtigen Herzens willen, in Kanaan. In diesen Teil der Selbsterkenntnis werden sich alle Christen einführen lassen müssen, - und seine Unaufrichtigkeit erkennen, ist ein Stück der Aufrichtigkeit, so wie es ein verdächtig Ding ist, sich so schnell und unbedachtsam seiner Aufrichtigkeit zu rühmen: denn haben wir sie wirklich, so haben wir sie nicht aus uns selbst. Das Wort Etham bedeutet auch eine Pflugschaar. Mit derselben wird der Acker umgestürzt. Die geistliche Pflugschaar ist das lebendige Wort Gottes, welches durchschneidet Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinnen des Herzens, - dadurch wird auch unser Herz herumgeworfen, und das Verborgene desselben hervorgetrieben. Und wo das geschieht, da wird man auch mancherlei Tücke, Ausflüchte, Entschuldigungen entdecken, und einsehen, dass man sich seiner selbsterworbenen Aufrichtigkeit nicht zu rühmen habe, sondern bitten müsse: dein Geist führe mich auf ebener Bahn. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen gewissen Geist, - denn die wahre Aufrichtigkeit macht, dass wir uns vor Gott darstellen, wie wir sind, mit aller unserer Nacktheit, Unart und Blöße, ohne uns selbst zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Ich habe gesündigt, rief Hiob, was soll ich dir tun, du Menschenhüter? – David sprach nur: ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen, - und augenblicklich vergab sie ihm der Herr. Jakob hatte es vor dem Herrn keine Hehl, dass er sich fürchtete, und sprach betend: ich fürchte mich vor meinem Bruder Esau. Jonas war zornig. Als aber der Herr sagte: Zürnest du, Jona? hatte er’s auch keine Hehl und sagte: ich zürne bis in den Tod. Und schreibt nicht Johannes: So wir ihm unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünde vergibt und reinigt uns von aller Untugend. – Aber war’s von den Jüngern aufrichtig gehandelt, als sie auf dem Wege, hinter dem Herrn Jesu her, sich darüber zankten, wer von ihnen der Größte sein würde im Himmelreich, und als sich nun Jesus umwandte und fragte: Was hat ihr da unter euch? – stillschwiegen? War’s aufrichtig, wenn Petrus in Antiochia erst mit den Gläubigen aus den Heiden aus, hernach aber, als einige Juden ankamen, es unterließ? O! nicht um deines aufrichtigen Herzens willen kommst du in Kanaan, denn du hast weiter keine Aufrichtigkeit, als insofern du wiedergeboren bist. Selig aber ist, in des Geist kein Falsch ist.

Israel lagert in Etham, hat seine Wurzel in der Aufrichtigkeit, und so geht alles gut.

Tham, Etham heißt auch vollkommen. Das Gesetz erfordert einen vollkommenen Gehorsam, und soll unser Gewissen durch Werke seine Beruhigung finden, so müssen sie durchaus vollkommen und dem göttlichen Gesetz gleichförmig sein. Dies lässt der natürliche Mensch nicht gelten, sondern wenn er einigermaßen seine Pflicht erfüllt hat, so genügt ihm das. Aber der erweckte Mensch sieht, je weiter er unter der Leitung der Wolken- und Feuersäule auf dem Wege fortschreitet, auch desto deutlicher ein, dass durch des Gesetzes Werk kein Fleisch vor Gott gerecht wird. Wohl erweiset sich da Etham als eine Pflugschaar. Das gibt Mühe und Anstrengung, und je mehr Mühe er sich gibt, desto tiefer leuchtet ihm sein Verderben und die Unmöglichkeit ein, auf dem Wege, den die Gebote vorschreiben, zum Ziel zu gelangen oder die Vollkommenheit aufzubringen, die sie fordern, weil nicht das Geringste daran fehlen darf.

Das Evangelium bietet die Vollkommenheit an und zwar in Christo Jesu. Denn ihr seid vollkommen in ihm, also dass ihr keinen Mangel habt. Dieser Blick setzt die Seele, die ihn erlangt, in Erstaunen und Bestürzung, dass sie ausrufen muss: Solches ist nie in eines Menschen Herz gekommen, was Gott bereitet hat, denen, die ihn lieben. Uns hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist und nicht allein in seinem Wort. Es ist nicht bloß Vergebung aller Sünden, sondern noch vielmehr. Es ist eine übermäßige Vollkommenheit, so dass Luther nicht mit Unrecht sagt: ich weiß nicht, wo ich mit aller der Gerechtigkeit hin soll, die ich habe in Christo Jesu. Die Seele kann sich so in ihrer Vollkommenheit in Christo Jesu erblicken, dass sie nicht nur rühmen kann: mir sind meine Sünden vergeben; sondern sagen kann: was fehlet mir noch? ich habe nie irgendeine Sünde begangen noch gehabt. Ich habe einen Gehorsam geleistet, wogegen die Unschuld Adams im Paradies nichts, und die Heiligkeit der Engel ein Schatten ist. Nichts habe ich mehr zu tun. Ich bin schon längst gestorben und wieder auferstanden, ja, ich bin schon längst im Himmel, wenn gleich jetzt nur noch im Glauben auf Hoffnung, wo, wenn ich mich ansehe, nichts zu hoffen ist. Ich habe nichts mehr weder zu streiten noch zu überwinden, sondern schon längst überwunden durch des Lammes Blut, obschon ich lieg’ im Streit und widerstreb’, drum hilf, o Herr! dem Schwachen. So kann eine Seele reden, die in Etham, in der Vollkommenheit, wohnt.

Der wahre Christ besitzt aber auch eine Vollkommenheit in Hinsicht seiner Erneuerung. Hierüber drückte man sich von Alters her sehr wohl und deutlich aus, wenn man sagte: es ist eine Vollkommenheit der Teile, jedoch nicht der Staffeln oder des Maßes. Es heißt ein neuer Mensch. Diesem neuen Menschen werden auch in einem bildlichen Sinne Glieder zugeschrieben, z.B. Augen, um zu sehen, Ohren zum Hören, Füße zum Gehen usw. Gleichwie nun bei einem neugebornen, wohlgestalteten Kinde alle menschlichen Gliedmaßen angetroffen werden, obschon dieselben noch nicht ausgebildet sind, so leidet das auch Anwendung auf das Werk der Erneuerung, wodurch eine neue Kreatur hervorgebracht wird, der kein Teil mangelt, welcher dazu gehört, wenn gleich diese Teile noch nicht ihre vollständige Größe haben. Daher ist es ganz recht, wenn der Apostel sagt: wie viel unser vollkommen sind, die lasst uns also gesinnt sein, dass wir nämlich nicht glauben, wir seien vollkommen und hätten es schon ergriffen, sondern ihm nachjagen, ob wir’s ergreifen möchten. Bei allen erneuerten Menschen ist Licht im Verstande, ist Liebe im Willen, sind die Gemütsbewegungen geordnet, werden die Glieder des Leibes zu Waffen der Gerechtigkeit gebraucht. Aber dies Alles kann noch gar schwach sein wie ein Kindlein. Was kann es mit seinen Händchen greifen oder mit seinen Füßchen ausrichten? Seine Äuglein wendet es im Allgemeinen nach dem Lichte zu, ohne noch einen Gegenstand von dem anderen unterscheiden zu können, dennoch ist es den Teilen nach ein vollkommener Mensch, und entwickelt sich auch, was die Staffeln anbetrifft, mehr und mehr. Der erneuerte Mensch hat wahres Licht im Verstande, aber es mag noch gar gering sein, so dass Jesus auch einmal zu seinen Jüngern sagte: vernehmt ihr denn noch nichts? Es können noch mancherlei schiefe Vorstellungen, unrichtige Begriffe, Irrtümer, bei ihm stattfinden. Er ist noch, wie Paulus sagt, klug wie ein Kind, redet wie ein Kind, und hat kindische Anschläge, dass es sich z.B. größer dünkt, wie es vermag. So hören wir die Jünger sich zanken, wer von ihnen der Größte sei, hören sie herzhaft antworten: ja, wir können es wohl, wenn Jesus fragt: könnet ihr den Kelch trinken, den ich trinke? Er muss aber zu ihnen sagen: ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt’s noch nicht tragen. Es ist Liebe in ihrem Willen und Ordnung in ihrer Gemütsbewegung. Sie fragen, sie weinen und schreien nach dem Herrn, wie ein Kind nach der Mutterbrust, sie wollen Alles für ihn hingeben, sie lieben die Brüder. Aber sagt nicht der Apostel zu den nämlichen Korinthern: ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gesprochen durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes, - ihr seid noch junge Kinder in Christo und fleischlich, denn es ist noch Zorn, Zank, Zwietracht, Afterreden und Aufblähen unter euch; und wenn er in der ersten Epistel an dieselben schreibt: ihr seid reich und habet keinen Mangel, - so sagt er ihnen in der Zweiten: seid vollkommen. Es gibt Kinder in Christo, welche Milch bedürfen und starke Speisen von sich weisen, auch nicht vertragen können, so dass nicht alle Wahrheiten gerade auch für Alle sind. Es gibt Jünglinge, die stark sind und den Bösewicht überwunden haben, so wie Väter, die den kennen, der von Anfang ist. Dies muss uns bescheiden machen nicht nur im Urteil über Andere, so dass wir tragsam sind, sondern auch im Urteil über uns selbst; vornämlich zwar, dass wir uns ja nicht zu hoch setzen, welches beweisen würde, dass wir gar schlecht ständen, denn wer da meint, er sei etwas, da er doch nichts ist, der betrügt sich selbst; - sodann auch, dass wir der Vollkommenheit nachjagen, damit Christus eine rechte Gestalt in uns gewinne. Aber die ängstlichen Seelen sollten doch auch nicht deshalb das Dasein der neuen Kreatur in ihrem Herzen bezweifeln, weil sie noch schwach ist, und zwischen der Vollkommenheit der Teile und des Maßes einen gehörigen Unterschied machen lernen und bedenken, dass man Frucht bringe in Geduld.

Sie zogen nach Etham, der Aufrichtigkeit und Vollkommenheit. Der Herr sieht das Herz an, und Aufrichtigkeit ist ihm angenehm. Den Aufrichtigen lässt er’s gelingen. O! selig der Mann, in des Geist kein Falsch ist. Den wird Er unterweisen und ihn führen den besten Weg. Amen.

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