Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Moab)
Sechzigste Predigt.
Text: 4. Buch Mosis 22, 35. - 23, 11.
Mit dem heutigen Tage tritt die sogenannte Adventszeit ein, eine Zeit, wovon schon im 5. Jahrhundert nach Christi Geburt die Rede ist, und während welcher besonders von der Zukunft Christi im Fleisch, als der höchsten Gabe Gottes, die Rede ist, und welche die Absicht hat, uns zu bewegen, von dieser höchsten Gabe den rechten Gebrauch zu machen. Die Kirche wurde eine sehr lange Zeit eine Zeit von 4000 Jahren in Erwartung dieser Gabe geübt. So wurde die Ohnmacht des Fleisches und die Notwendigkeit eines Erlösers kräftig gezeigt. Das Verlangen der Gläubigen nach seiner wirklichen Erscheinung wurde immer heißer, und ihr Vertrauen sehr geübt, dass die Verheißung dennoch werde frei ans Licht treten, und derjenige gewisslich kommen, der da kommen soll und nicht verziehen. In dieser langen Wartezeit wurden auch die Kennzeichen des Erlösers, und die Beschaffenheit der Erlösung in verschiedener Weise voraus bekannt gemacht, damit der Erlöser bei seiner Zukunft desto klarer möchte erkannt, und also eine mehrere Gewissheit des Glaubens erweckt werden. Wahrlich, eine lange Wartezeit von 4000 Jahren! Das will doch was sagen. Dass der Kirche dabei zuweilen schwach zu Mute wurde, dass sie wohl eins klagte: Das Gesicht vergeht mir, dass ich so lange muss harren auf meinen Gott; fragte: Hüter, ist die Nacht schier hin? betete: Ach! dass du den Himmel zerrissest und führest herab - wer kann sich darüber verwundern? Und wird denn die Kirche im Ganzen wie im Einzelnen nicht noch immerdar im Warten geübt und sehnt sich nach der Offenbarung der Kinder Gottes? Mehrmals schien es auch, es sei aus mit der Verheißung. Kain, von dem unser aller Mutter so große Hoffnungen hatte, erwies sich als ein Bösewicht, von dem wohl der Untergang, nicht der Bau der Kirche zu erwarten war. Als Abraham die Verheißung empfing, hatte er weder einen Sohn, noch auch eine vernünftige Hoffnung, einen Sohn zu bekommen, und als er einen bekam, war's der rechte nicht, und als er den rechten hatte, sollte er ihn opfern. In Ägypten geriet die Verheißung wieder in die größte Gefahr, durch Pharao mit dem ganzen Volke ausgerottet zu werden, und am roten Meere wiederholte sich die nämliche Gefahr. Als das jüdische Volk in die babylonische Gefangenschaft weggeführt wurde, schien es wieder mit der Verheißung aus zu sein, und als der Weibessame wirklich geboren war, hätte Herodes ihn beinahe bald nachher ums Leben gebracht, wie 30 Jahre später wirklich geschah. Aber die Wahrheit Gottes triumphiert.
Möchte es denn nun auch nicht zeitgemäß erscheinen, wenn ich eure Andacht an diesem ersten Advents-Abend für die Geschichte Bileams in Anspruch nehme, so werdet ihr's vielleicht doch nicht für so ganz ungeeignet achten, wenn ihr ihn namentlich die Wahrheit Gottes und die Herrlichkeit seines Volkes preisen hört. Nehmt denn heute so vorlieb, mit dem, was euch dargeboten wird.
Bileam war denn mit Balaks Gesandten gezogen, scheinbar mit göttlicher Genehmigung. Aber es war nicht der gute, der wohlgefällige, der vollkommene Wille Gottes, sondern sein zorniger, zulassender Wille. Die abgesandten Fürsten kamen vor ihm bei dem Könige an und benachrichtigten ihn, dass der Prophet komme. Der König erwies ihm außerordentliche Ehre, denn er zog ihm eine weite Strecke entgegen und empfing ihn in der Stadt Arnon an der äußersten Grenze seines Landes. Das musste dem ehrgeizigen Propheten, der in seinem ganzen Leben so nicht war geehrt worden, am Herzen wohltun. Aber wie leicht wird den irdischen Süßigkeiten eine sie störende Bitterkeit, oder wie Salomo redet, den Leckerbissen Sandkörnlein beigemischt, die unangenehm zwischen den Zähnen knirschen. Balak lässt unter die Bewillkommung eine höhnische Bemerkung mit einfließen, indem er sagt: Warum kamst du denn nicht gleich, als ich dich rufen ließ? Meintest du etwa, ich wäre außer Stand, dich gebührend zu ehren? Und siehst du das jetzt anders ein? O stolzer König, du bist dennoch viel zu arm, den Bileam für seinen Ungehorsam und für die verscherzte Gnade Gottes auch nur einigermaßen schadlos zu stellen. Er gewann bei dir doch noch bei weitem nicht die ganze Welt. Und wenn er sie wirklich gewonnen, was hätte es ihm geholfen, da er an seiner Seele Schaden litt? Wenn aber Gott so zu uns redet: meinst du, ich könnte dich nicht belohnen - das hat eine andere Art. Verlöre man um seinetwillen auch Ehre, Hab und Gut, das Liebste, was man in der Welt hat, und das Leben selbst, so bekommt man es doch hundert und tausendfältig wieder. Aber ach! wie selten sind die Augen, die das sehen, und die Herzen, die es fassen. Den Meisten ist's mit Bileam genug, wenn sich ihnen glänzende Aussichten für diese Welt öffnen, und werden mit ihm getäuscht und betrogen. Und was haben sie alsdann?
Bileam ist doch heimlich bange, er möchte am Ende doch nicht so viel von Balak erhaschen, als er wohl wollte, da er wohl wusste, dass er nichts werde sagen können, als was Gott ihm gebieten werde. Er wendet deswegen eine heuchlerische Verwahrung und Entschuldigung an.
Er versichert dem Könige, an seiner Bereitwilligkeit ihm zu dienen und ganz nach seinem Willen zu sein, solle kein Haar fehlen; was aber den Erfolg betreffe, könne er für nichts stehen, denn er müsse auch wider allen seinen Willen reden, was Gott ihm in den Mund gebe, woran er denn so wenig Teil habe, als seine Eselin an demjenigen, was sie sprach, als der Herr ihr den Mund auftat. So wollte sich diese hinterlistige Seele ihre Belohnung sichern und den König im Voraus veranlassen, nicht ihm, sondern Gott die Schuld zu geben. O! du kluger Bileam, dein falsches Herz begreift mur nicht, dass die wahre Klugheit in der Einfalt und Aufrichtigkeit besteht. Winde dich, wie eine Schlange, so wird dich Balak dennoch über ein paar Tage mit Unwillen von sich jagen wollen und dir sagen: ich wollte dich ehren, aber der Herr hat's dir verwehrt. Ich gebe dir nichts. Packe dich nur, wo du her gekommen bist.
Außer Gott ist nichts als jämmerliche Täuschung. O! die bösen Menschen! von allem Bösen, von allem Unglück, von ihren Sünden sogar, schieben sie gern die Schuld auf Gott. Als den gütigen Urheber alles Guten aber mögen sie ihn nicht anrufen, noch ihm danken. Es gibt Ruchlose, die sogar Gott die Schuld beimessen, dass sie nicht bekehrt sind, nicht als ob sie begehrten, bekehrt zu werden, sondern weil sie gesonnen sind, seine höchste Majestät der Ungerechtigkeit zu beschuldigen, wenn er sie strafen wollte. O! ihr Schlangen und Otterngezüchte!
Beide, Balak und Bileam, voll guter Hoffnung wider Israel, ziehen weiter in Gassenstadt, die deswegen so heißt, weil da mehrere Völker, jede in besonderen Gassen wohnten, wie wir 1. Könige 20, 34 davon ein Exempel lesen. Im israelitischen Lager wussten sie wohl nichts davon, was für ein Zeug wider sie zubereitet wurde, und lagen und schliefen ganz mit Frieden, denn der Herr hielt sie. Wussten sie es aber. O! wie werden sie gebetet und gefleht haben und geglaubt haben, dass ihr Gott ein Fels ist ewig, an dem nicht zu Schanden werden, die auf ihn trauen. Wie manches unsichtbare Wetter mag wider uns heranziehen, das sich durch die Macht Gottes zerteilt, ehe wir's noch gewahr werden, da wir wissen, dass der Verkläger der Brüder sie verklagt Tag und Nacht. Wie nötig und inhaltsreich ist im Ganzen die Bitte: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen, - mehr als wir verstehen.
Jetzt begaben sie sich ans Werk, das nichts anders beabsichtigte, als Israels Untergang von einer Seite, wo sie sich's gar nicht versahen. Balak opfert und lässt sodann den Propheten holen, den er auf eine Anhöhe führt, von wo aus er das ganze israelitische Lager überschauen konnte. Das musste ein prächtiger Anblick sein. Dies Lager bildete ein gewaltiges Viereck, jede Seite desselben aus drei Stämmen bestehend, das Zelt des Heerführers mit seinem Panier, worin Juda einen Löwen führte, vorne an. Die lieblichen Namen der Heerführer haben wir zu einer andern Zeit erwogen. Lasst mich hier nur vierer gedenken: Abidan, mein Vater ist mein Richter, Ahieser, mein Bruder ist mein Helfer, Selumiel, Gott ist mein Friede, Zuri Sadai, der Allgenugsame ist meine Burg. Unter solchen Führern kann es schon gelingen. Die Stiftshütte, mit dem goldenen Gnadenstuhl, stand als ein Zeugnis des alten, schon im Paradiese gestifteten Gnadenbundes, der durchs Gesetz nicht aufgehoben war, in der Mitte, und die zwölf Stämme, wie Küchlein um die Henne, rings umher. Oben über derselben erhob sich wie ein gewaltiger Turm, als Symbol der wirklichen Gegenwart des Sohnes Gottes, den Gott gegeben hatte zum Bund unter das Volk, die Wolkensäule des Tages und die Feuersäule des Nachts. Daselbst geschahen die beständigen Opfer, diese steten Hinweisungen auf Christum. Dies Lager ist ein Vorbild Christi und seiner Gemeine, welche auch in der Offenbarung Johannis als ein großes, vollkommenes Viereck geschildert wird, sonderlich wie sie sich in ihrer Herrlichkeit offenbart. Und wirklich bildet ein Quadrat die Gemeine sehr wohl ab. Sie dehnt sich aus in alle vier Gegenden der Erde, und erweitert sich noch immer mehr. Von welcher Seite man sie auch betrachtet, sie fällt wie ein Quadrat immer auf die nämliche Weise in die Augen, in sich selbst als ein vollkommenes Viereck des Elends, wenn man anders ein Elend vollkommen nennen mag, elend nach Leib und Seele, in Zeit und Ewigkeit; in Christo als ein vollkommenes Viereck der Herrlichkeit, weil er ihre Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung ist. Dies Viereck hat scharfe Ecken und ist schrecklich wie Heeresspitzen. Wer wider die Gemeine feindselig anrennt, verletzt sich selbst, nicht sie, und sie gleicht wie Beza einst dem Könige von Navarra sagte, einem Amboss, auf welchem sich schon mancher Hammer entzwei geschlagen hat. Von diesen Ecken aus gesehen, nimmt dies Quadrat die Gestalt eines Dreiecks an, und der dreieinige Gott ist es, der sich an der Gemeine verherrlicht.
Dies herrliche Lager war es, das Balak - auf Deutsch: der Verderber, durch Bileam verfluchen wollte. Dazu wurden nun magische, aber sehr ernste, wohl gar religiöse Vorkehrungen und Einleitungen getroffen. Erst opferte Balak allein, ohne Zweifel seinem Götzen, den Verschlinger, und denselben günstig für sich zu disponieren. Bileam aber ließ sieben Altäre bauen und opferte auf jedem Altar einen jungen Ochsen und einen Schafbock dem Jehovah. Er beobachtet dabei sogar die merkwürdige Siebenzahl und beweist dadurch eine gute Bekanntschaft mit der patriarchalischen Religion. Aber sein siebenfaches Opfer war doch nichts besser, ja noch schlimmer, als Kains Opfer. Es taugte nichts, ja war ein feindseliges Opfer. Es geschah nichts aus Glauben durch Christum an Gott; denn dann wäre die Frucht Liebe gewesen gegen Gottes Kinder, und hier zeigte sich Hass gegen dieselben; es geschah aus Eigengerechtigkeit, die sich durch diese vierzehn Tieropfer bei Gott beliebt machen und sich eine Verdienstlichkeit erwerben wollte. Er hoffte elenderweise, Gott gleichsam dadurch zu bestechen, und ihn zu bewegen, seinem Volke Übels zu tun.
Der Prophet benimmt sich sodann sehr geheimnisvoll. Er geht bei Seite, ob ihm der Herr vielleicht begegnen möchte. Er steigt auf eine Anhöhe und siehe, Gott begegnet ihm daselbst. Was dies Begegnen sei, lässt sich nicht sagen, denn es ist eine Erfahrungssache ganz eigener prophetischer Art. Dies war ein ganz anderes Begegnen, als dasjenige, wovon es Jes. 64, 5 heißt: Du begegnest den Fröhlichen und denen, so Gerechtigkeit üben und auf deinen Wegen dein gedachten. Das erfährt von Zeit zu Zeit jeder Gläubige, wenn der Herr ihn sonderlich erleuchtet und stärkt. Genug, dem Bileam begegnete Gott so, dass er ihm das Wort, das er reden sollte, fast ebenso in den Mund gab, wie er's vorhin seiner Eselin getan hatte. Gott bedient sich des Einen wie der Andern zu seinem Zwecke, und Bileam erfuhr erst während er sprach, was er sprechen sollte.
Jetzt beginnt er denn seinen Spruch. Voran stellt er eine Einleitung, worin er seine Einladung und deren Zweck namhaft macht. Vers 7. Darauf folgt denn der Spruch selbst.
Zuerst redet er im Allgemeinen, wenn er sagt: Wie soll ich fluchen, dem Gott nicht flucht? Wie soll ich schelten, den der Herr nicht schilt? Herrliche Wahrheit! Sie setzt eine andere herrliche Wahrheit voraus, deren Furcht diese ist; die evangelische Wahrheit - nämlich, dass der Herr seinem Volke weder flucht noch fluchen lässt, dass er's nicht schilt, noch zugibt, dass es gescholten werde. Christus ist für sie ein Fluch geworden, um sie vom Fluche zu erlösen und ihnen den Segen zuzuwenden. Wer will denn verfluchen? Christus ist hier, der gekreuzigt ist. Wer will schelten? Christus ist hier, welcher, da er für uns gescholten ward, nicht wieder schalt. Und hätte Gott den Bileam nach Herzenslust fluchen lassen, was wäre es weiter gewesen, als eine widerrechtliche Handlung, die weiter keinen Erfolg gehabt hätte, als dass der Fluch auf den verderbend zurückgefallen wäre, der ihn auszusprechen gewagt. Denn verflucht sei, wer dir, o Jakob, flucht, gesegnet, wer dich segnet! Er ist gesegnet und wird gesegnet bleiben, sagt Isaak nach 1. Mos. 27, denn durch den Herrn wird gerecht aller Same Jakobs, und wenn auch Berge wichen und Hügel hinfielen, wird doch seine Gnade nicht von ihm weichen, noch der Bund seines Friedens hinfallen. Was werden also alle feindseligen Kräfte gegen die Gemeine ausrichten? Nichts. So muss der Mund Bileams den herrlichen und unwandelbaren seligen Zustand Israels verkündigen, Israel zum Trost.
Jetzt wendet sich dieser feindselige Mann zu den Besonderheiten Israels und sagt: Das Volk wird besonders wohnen. Die hebräische Sprache hat für den Begriff Volk zwei Wörter. Das eine bezeichnet eine Menge von Menschen, besonders solche, die Gott nicht kennen, das andere aber eine Menge, die Gott kennt und unter einerlei Gesetz, zum gemeinschaftlichen Genuss von einerlei Gütern berufen ist. Dies heißt am, jenes Goim. Mit dem ersten Wort Am wird stets das Volk Gottes bezeichnet. Und siehe, Gott regiert die Zunge des feindseligen Propheten so genau, dass er Israel mit diesem Namen beehrt, die andern aber Goim nennt. Denn siehe! die Haare auf eurem Haupte sind alle gezählt, und es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles weißt. Auf jeden Fall offenbart es sich endlich, was für ein Unterschied sei zwischen denen, die Gott fürchten, und denen, die ihn nicht fürchten. Am Ende wird sich die Herrlichkeit des Volkes Gottes Allen offen zeigen, so wie alle lösen in der Schande ihrer Blöße dargestellt werden.
Von diesem heiligen und auserwählten Volke nun sagt der begeisterte Mund des Propheten: Es wird nicht unter die Goim der Heiden gerechnet. Wir wissen, dass das ganze Heil dieses Volks auf dem Rechnen beruht, sowohl von seiner, als von Gottes Seite. Dies erhellt aus jenen Sprüchen, wo es heißt: Rechnet, haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und Gott lebt in Christo Jesu; - wir rechnen also, dass, wenn Einer für Alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Ferner: Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Gott rechnet dem Glauben die Gerechtigkeit Christi zu, und anderes mehr. Wie werden sie denn gerechnet und wohin rechnen sie sich selbst, wenn sie völlig im Glauben sind? Als in Christo ihrem heiligen Haupte. Dies Rechnen, samt seiner Frucht ist die vornehmste Herrlichkeit Israels. Sie werden besonders wohnen, setzt er hinzu. Im buchstäblichen Sinne ist das an dem Judenvolke erfüllt worden, das von allen Völkern des Erdbodens durch Sitten und Gebräuche genau und streng geschieden. Dieser Zaun ist durch das Neue Testament in dem Blute Christi abgebrochen und das Gesetz der Zeremonien aufgehoben. Aber innerlich ist das geistliche Israel Gottes von dem übrigen Menschenhausen durch Wort und Geist berufen, ausgesondert und vereinigt worden. Mit dem Weltmenschen können diese umso weniger zurechtkommen, je genauer sie mit Christo vereinigt sind und werden. Und dass die Welt sie nicht leiden mag, liegt deutlich vor Augen und bricht oft in Lästerungen und heftige Verfolgungen aus. Freilich ist sowohl die Absonderung in Sinn und Wandel, als die Einigkeit des Geistes durch das Band des Friedens bei den Gläubigen noch eines großen Zuwachses bedürftig und fähig, und gerät umso besser, je mehr der alte Mensch verweset, der neue aber von Tag zu Tage lebendig gemacht wird.
Der Prophet preist das Volk drittens wegen seiner Menge. Wer kann zählen den Staub Jakobs und die Zahl des vierten Teils Israels? sagt er. Für die Gegenwart war dies übertrieben. Denn nach dem 26. Kap. wurden sie gezählt und ihre Summe angegeben. Aber Gott redet durch Bileams Mund auch von fernem Zukünftigen und nicht bloß von den leiblichen, sondern vielmehr von den geistlichen Kindern des Vaters aller Gläubigen. Diese nennt Johannes eine Schar, die Niemand zählen konnte, aus allen Heiden, Völkern und Sprachen. Diese Schar vergrößert sich noch immerdar, indem noch stets aus Getauften und Ungetauften hinzugetan wird zu der Gemeine, die da gläubig werden, wieviel ihrer zum ewigen Leben verordnet sind. Ja, die rechte Einsammlung steht uns noch bevor. Wenn die glückselige Stunde gekommen, werden ihm Kinder geboren werden, wie der Tau aus der Morgenröte, und dieses Bild deutet nicht bloß auf die Art ihrer Entstehung, sondern auch auf die Menge. Jesaias vergleicht sie den herbeiziehenden Wolken, nennt Ägypter und Mohren als solche, die herbei eilen werden, und fordert die Kirche auf, den Raum ihrer Hütte weit zu machen, und auszubreiten die Teppiche ihrer Wohnung. Mag's denn bis dahin auch eine kleine Herde gewesen und derer wenig sein, welche den schmalen Weg finden, so kommt doch am Ende eine Menge heraus, wie die Sterne. Kannst du sie zählen? Also soll dein Same sein. O! glückselig Derjenige, welcher mit dazu gehört! Das sah sogar Bileam ein, und schließt deswegen mit dem Wunsche: Meine Seele müsse sterben des Todes der Gerechten und mein Ende sei wie dieser Ende. Er gibt der Gemeine Gottes ihren gebührenden Namen, wenn er sie die gerechte nennt, welches Wort auch angenehm und aufrichtig bedeutet. Das ist sie auch wirklich, freilich nicht in und aus sich selbst. Sie ist ja nicht einmal tüchtig, etwas aus sich selbst zu denken. Aber wie Bileam in seinem folgenden Spruch sagt: der Herr sein Gott ist bei ihm und das Trompeten seines Königs ist unter ihm. Das Volk Gottes hat durch die Glauben eine Gerechtigkeit, deren Echtheit auch die Feinde anerkennen müssen, denn alle Zunge, so sich wider dich setzt, sollst du im Gericht verdammen, das ist das Recht der Knechte des Herrn und ihre Gerechtigkeit vor mir, spricht der Herr. Dies Volk ist angenehm gemacht in dem Geliebten, zu Lobe seiner herrlichen Gnade. Es ist aufrichtig, kraft seiner Wiedergeburt.
Mit Recht betrachtet Bileam auch ihr Ende und Ziel, oder ihr Letztes als höchst vortrefflich. Und es ist wirklich vortrefflicher, als wir's uns hienieden vorstellen können. Müssen sie denn auch sehr viel entbehren, so lang sie wandern in der Zeit, so wird Er's ihnen doch gewähren im Reiche seiner Herrlichkeit. Hier Kreuz, dort Krone. Hier Trübsal mancherlei Art, dort eine ewige, über alle Maße wichtige Herrlichkeit. Es ist der Mühe wert! es ist der Mühe wert, ein Christ zu sein! Davon ahnte Bileam so viel, dass ihn der Wunsch anwandelte, dies herrliche Ziel auch zu erlangen. Aber es war nichts weiter, als ein totes, träges Wünschen, wovon Salomo sagt: Der Faule stirbt über seinen Wünschen. Selig sterben - wer will das nicht gerne? Aber gottselig leben, dazu haben sie keine Lust. Und doch wird kein Anderer dem Herrn sterben, als der dem Herrn lebt. Aus trägen, fruchtlosen, scheinheiligen Wünschen muss ein ernstliches Schaffen seiner Seligkeit mit Furcht und Zittern werden, indem Gott es ist, der da wirkt beide das Wollen und Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. Geht ein durch die enge Pforte. Denn Viele werden das sage ich euch danach trachten, wie sie hinein kommen, und werden es nicht tun können. Machet aus Wünschen eifrige Gebete; denn der Herr ist nahe Allen, die ihn anrufen, die ihn mit Ernst anrufen. Ergreifet das ewige Leben. Eilt und rettet eure Seelen. Besprecht euch nicht länger mit Fleisch und Blut, sondern fahrt bald zu, damit ihr einst sterben mögt des Todes der Gerechten und euer Ende sei, wie derer Ende.
Wohl dir aber, Israel, wer ist dir gleich, du Volk, das du durch den Herrn, deinen Gott, selig wirst! Deinen Feinden wird's fehlen an dir, du aber wirst auf ihren Höhen einher treten! Amen.