Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Kades (Schluss)
Zweiundfünfzigste Predigt.
Zwei und dreißigste Lagerstätte: Wüste Bin, das ist Kades. (Schluss.)
Text: 4. Buch Mosis 20, 14-22.
Noch einmal und zum Schluss finden wir uns zu Zin, d. i. Kades, ein. Mirjam ist hier gestorben. Moses und Aaron haben sich samt dem Volke, doch strafbarer wie es, versündigt, und nun trägt sich eine dritte betrübende Begebenheit zu.
Die Kinder Israel reisen jetzt in grader Richtung auf Kanaan los. Sie haben das Land Edom erreicht, in welchem ein, den Juden wegen gleicher Abstammung im Blute verwandtes Volk wohnt, die Edomiter, Nachkommen Esaus, des Bruders Jakobs. Wird's ihnen vergönnt, durch ihr Land zu ziehen, so schneiden sie eine beträchtliche Strecke Wegs von 40 bis 50 Meilen ab. Sie halten deswegen auf die bescheidenste Weise um diesen Durchzug an. Moses sendet eine Gesandtschaft hin, die sie an ihre Drangsale in Ägypten erinnert, welche den Edomitern ohnehin nicht unbekannt waren. Er lässt bloß um den Durchzug bitten, mit dem Versprechen, dass sie eigenmächtig nichts nehmen, sondern gern alles, bis zum Wasser hin, bezahlen wollten. Sie bekommen aber nicht nur mit Worten einen abschlägigen Bescheid, sondern sie ergreifen auch die Waffen, um Israel mit dem Schwert zu empfangen, im Fall es sich unterstehen würde, den Durchzug erzwingen zu wollen. Und so sieht sich Israel genötigt, davon abzustehen. Es kann nicht durch. Es muss zurück, und sich den weiten Umweg gefallen lassen. Armes Israel! Geht denn auch alles über dich? Vereinigt sich denn alles, auch deine Blutsverwandte, dir das Leben sauer zu machen? Ich meine, es hätte zu dir geheißen: der Herr dein Gott hat dein Reisen zu Herzen genommen durch diese große Wüste. Und nun geht dir's so? - Armes Israel! Über Edom und Moab haben wir schon bei Ezeongeber eine Anmerkung gemacht, lasst uns jetzt aber die Bedeutung desselben in einige nähere Erwägung ziehen.
Edom ist ein Bild erstlich aller Irdisch gesinnten, d. i. aller derer, deren höchstes Gut irdisches Gut und sinnlicher Genuss ist. Bekanntlich verkaufte Esau sein Erstgeburtsrecht für ein rotes Gericht seinem Bruder Jakob. Er verachtete diese seine Erstgeburt mit ihren Vorrechten, wie es 1. Buch Mosis 25, 24. heißt, und sagte verächtlich: siehe, ich muss doch sterben, was soll mir denn die Erstgeburt! Aber sie hatte deswegen ein großes Gewicht, weil es wo nicht gewiss, doch wahrscheinlich war, dass derjenige von dem Erstgebornen abstammen würde, durch welchen alle Völker auf Erden sollten gesegnet werden. Dies war doch gewiss eine große Ehre, und ein köstlicher Vorzug. Darauf Verzicht tun, und dass um solcher Kleinigkeit willen, als ein Linsengericht, als die augenblickliche Stillung eines sinnlichen Triebes ist, war doch schändlich, um so schändlicher, weil offenbar eine Verachtung Christi und alles Höheren und Bessern dabei zum Grunde lag. Ich muss doch sterben, sagst du leichtfertiger Esau, aber eben weil du das musst, solltest du ganz anders handeln, und wenn du weißt, dass dir da deine Erstgeburt nicht hilft, so solltest du dich nach demjenigen umsehen, was alsdann hilft. Hättest du deinem Bruder Jakob eine abschlägige Antwort gegeben, so würdest du ihm ohne Zweifel eine große Freude gemacht und er dir das Gericht, das du wünschtest, herzlich gern geschenkt haben. Er setzte deine Gesinnung auf eine kleine Probe und erschrak darüber, dass du sie so schlecht bestandest, dass du eine Kleinigkeit so hoch, eine Sache von solcher Wichtigkeit so gering achtetest. Deine Liebhaberei der Jagd und der Ackerwirtschaft hatte ihm zwar deine Gesinnung gegen Gott und die Gottseligkeit ziemlich verdächtig gemacht, aber dass es so schlecht um dein Herz aussehen sollte, dass erfuhr er jetzt mit Betrübnis. Aber es wird nicht lange dauern, so wird dich dein Leichtsinn gereuen, ohne dass es dir nützt. Dein Bruder wird sein Erstgeburtsrecht, das du ihm so leichtfertig verhandelst, zu seinem Vorteil und deinem Schaden benutzen, und du dann weinen und heulen, aber zu spät und vergeblich. Deswegen stellt ihn auch der Apostel Ebr. 12. als ein warnendes Exempel auf, wenn er sagt: seht darauf, dass nicht Jemand Gottes Gnade versäume, dass nicht Jemand ein Hurer sei, oder ein Gottloser wie Esau, der um einer Speise willen seine Erstgeburt verkaufte. Wisst aber, dass er hernach, da er den Segen beerben wollte, verworfen ist, denn er fand keinen Raum zur Buße, wiewohl er sie mit Tränen suchte. Und das Ende aller derer, die da irdisch gesinnt sind, und den Bauch zu ihrem Gott machen, ist die Verdammnis.
Edom ist auch zweitens ein Bild aller Selbstgerechten und bloßer Moralisten. Als solche treten sie insbesondere beim Hiob auf, denn Name und Wohnort der Freunde dieses geplagten Heiligen zeigen, dass sie Nachkommen Esaus waren. Von Christo wissen sie kein Wort, wonach doch Hiob selbst, und auch Elihu ein so herrliches Zeugnis ablegt. Sie wissen nur von einem selbsterworbenen Recht, wonach die Vorsehung die Menschenkinder behandle, und es ihnen nach Maßgabe desselben wohl oder übel gehen lasse. Ihnen ging es wohl, Hiob übel, daraus leiteten sie einen, für die Gottseligkeit Hiobs sehr nachteiligen, für ihre eigene aber sehr günstigen Schluss, da sie doch nicht wert waren, ihm das Wasser zu reichen. An Ermahnungen und Vorschriften ließen sie's bei dem armen Hiob nicht fehlen; sie erdrückten ihn, so zu reden, damit und reizten ihn zu allerlei ungemessenen Reden, so dass er auch einmal ausbrach und sagte: ihr seid Leute, mit euch wird die Weisheit sterben. Wollte Gott, ihr wärt an meiner Statt, ich wollte auch mit Worten an euch setzen, und mein Haupt also über euch schütteln. Sie hielten sich selbst für klug, wie Hiob ihnen auch Kap. 27. vorhält. Von solchen sagt aber Salomo: da sei zu einem Narren mehr Hoffnung, denn zu ihnen, Spr. 26. Übrigens waren sie sehr respektable Menschen, aber nichts weniger als arme, gnadenbedürftige und gnadenhungrige Seelen. Wenn die jetzigen Moralisten ihnen auch im Letzteren gleich sind, so stehen sie im Ersteren gemeiniglich weit hinter ihnen zurück. Sie sagen es wohl, aber sie tun es nicht. Dieses sind gefährliche Menschen, weil sie unter einem schönen Schein von Christo ableiten, von dem sie nur wenig wissen wollen. Sie reden von Rechtschaffenheit und Tugend; sie empfehlen, sie preisen dieselbe. Sie suchen den Menschen zu bereden, dass er's weit darinnen bringen könne, und weiter nichts dazu bedürfe, als seines Willens, und seiner guten Naturanlagen. Vergebung der Sünden durch das Blut Jesu Christi, Wiedergeburt, Erneuerung des Herzens durch den heiligen Geist, Glaube an den Herrn Jesum, kurz, das Evangelium gilt dieser Art, welche sich rein dünkt, ohne von ihrem Kot gewaschen zu sein, für nichts. Ja, sie suchen es auf alle Weise zu verunglimpfen.
Denn Edom ist drittens ein Bild des Wider-Christentums in seinen geringeren Abstufungen wie in seiner völligen Ausbildung kurz vor seinem Untergang. Dem wahren Christentum sind von seiner Entstehung, sind von Abel an bis auf den heutigen Tag, alle mögliche Hindernisse in den Weg gelegt worden. Zu Zeiten ist die Feindschaft der Schlange und ihres Samens gegen dasselbe mit großer Heftigkeit losgebrochen. Christum selbst kreuzigte man. Alle seine Apostel, Johannes ausgenommen, starben eines gewaltsamen Todes. Juden und Heiden verfolgten die Christen aufs unmenschlichste, und eine unzählige Menge kam ums Leben. Ganzer 300 Jahre wurden diese Verfolgungen fortgesetzt. Jetzt hörten sie auf, oder eigentlicher zu reden, veränderten sie ihre Gestalt nur, und wurden noch gefährlicher, denn Aberglaube und Irrlehren drohten der Christenheit die Seele, d. i. die Wahrheit zu rauben. Hatte früher Israel sich in ein feindseliges Edom umgewandelt: so tat's jetzt die ausgeartete Christenheit. Zeigten sich bei einzelnen Personen, zeigten sich bei ganzen Scharen Spuren einer wahren Erkenntnis und Gottseligkeit, so war dies gleichsam das Signal, um sich mit Feuer und Schwert dagegen aufzulehnen. Israel konnte nicht durch. Es musste zurück. Und was erleben wir in dieser Beziehung gegenwärtig! Welch ein Geschrei von Mystizismus. Und was ists, das man dadurch verdächtig zu machen sucht? Was für Schriftauslegungen, was für Bibelverdeutschungen sogar. Glaubt aber ja nicht, als ob sich das in kurzem bessern werde. O nein. Dafür, dass die Menschen die Liebe der Wahrheit nicht haben angenommen, dass sie selig würden, wird ihnen Gott kräftige Irrtümer senden, dass sie glauben der Lüge. Alsdann wird der Mensch der Sünden und das Kind des Verderbens mit offenbart werden, dann werden die beiden Zeugen getötet, und wie es schrecklicher Weise Offenbar. 13, 8 heißt, alle, die auf Erden wohnen, den Drachen und das Tier anbeten. Es wird alles viel ärger werden, als man es sich jetzt noch vorstellt, und es den Feinden Christi, seines Reichs und seiner Wahrheit nur allzu wohl gelingen, so dass sie nach Vers 7., nicht nur mit den Heiligen streiten, sondern sie sogar überwinden werden.
Der Erfolg war der: Israel musste zurück. Im Großen wie im Kleinen hat sich der nämliche Fall in christlicher Beziehung schon oft wiederholt. Ich weiß nicht, ob ich das hierher rechnen darf, dass aus Siam, Japan und China in neueren Zeiten, nicht nur dasjenige vom Christentum, was ein berüchtigter Mönchsorden daselbst gepflanzt, gänzlich ausgerottet, sondern demselben auch aller Zutritt versperrt ist. Aber auch der gute Same, welcher vom achten Jahrhundert an, durch den Bischof Claudius von Turin und später durch Peter Waldo von Lion und Andere, weithin ausgestreut wurde, so dass man von hier an bis nach Rom jede Nacht bei einem andern wahrhaft erleuchteten Christen einkehren konnte, wurde mit der Zeit wieder durch das Papsttum und insbesondere durch den Dominikaner-Orden und die Jesuiten, menschlichem Ansehen nach gänzlich ausgerottet, und vom Jahr 1481 bis 1498 bloß in Spanien 17.000 Menschen verbrannt, und 98.000 auf die Galeeren geschmiedet. Der Reformation durch Luther wurde auch ein kräftiger Riegel entgegengeschoben, und sie aus manchen Ländern wieder verdrängt, wo sie feste Wurzel gefasst zu haben schien. Und so geht's auch noch häufig im geringeren. Das Evangelium, die Gottseligkeit weicht oft nach kurzer Zeit wieder ganz aus einer Gemeine oder Gegend, wo sie gar lieblich blühte. Die Frommen sterben weg und ihre Stellen werden nicht wieder ersetzt. Wo man ihrer sonst mehrere antraf, findet man keine mehr. Wie zeigt sich auch oft bei einzelnen Personen, Kinder, Jünglingen, Erwachsenen, eine liebliche Blüte und fällt ab. Sie glühen voll Andacht wie ein Backofen, aber es ist nur ein aufflackerndes Strohfeuer, das dann erlischt, wenn man meint, es werde nun erst recht zu brennen beginnen. Wie groß ist doch die Bosheit des Teufels und die Treulosigkeit der Menschen. Wie schrecklich aber auch die Gerichte Gottes.
Aber auch Kinder Gottes können sich in Umstände versetzt sehen, dass sie mit Hiob 19, 8. klagen müssen: Er hat meinen Weg verzäunt, dass ich nicht hinüber kann, und Finsternis auf meinen Steig gestellt. Sie rechneten darauf, es würde nun alle Tage herrlicher werden, wie Magdalena glaubte, nun würde es erst recht anheben, als sie mit den Worten: Rabbuni! zu Jesu Füßen hinsank und wie unerwartet war's ihr doch, als er nun mit einmal sagte: rühre mich nicht an. Wir können auf nichts mit Zuverlässigkeit rechnen, als auf Gott und seine Barmherzigkeit in Christo Jesu. Gutes und Barmherzigkeit werden mich verfolgen mein Leben lang, ist der Schluss des Glaubens, welcher glaubt, obschon er nicht sieht, auch wohl hofft wider Hoffnung, wie Paulus von Abrahams Glauben rühmt.
Jedoch zuletzt gehts wohl. Gott hatte gesagt: der Größere soll dienstbar werden dem Kleinen, Esau nämlich dem Jakob. Die Zeit aber war noch nicht da. Es gingen noch etliche Jahrhunderte darüber hin, bis David Ps. 60. sagte: Moab ist mein Waschtöpfen, meinen Schuh strecke ich über Edom, welches ihm ganz untertan wurde. Jedoch erholte er sich immer wieder, und endlich war das Zepter zu Christi Zeiten so von Juda gewichen, dass der Edomiter Herodes König war. Endlich wird doch die so lang erwünschte und nach Christi Anweisung erflehte Zeit hereinbrechen, wo sein Reich kommt. Dann wird man aus Jes. 63. fragen: wer ist der, so von Edom kommt, der so geschmückt ist in seinen Kleidern und einher tritt in großer Kraft? Ich bin es, der Gerechtigkeit lehrt und ein Meister bin zu helfen. Warum ist denn dein Gewand so rotfarben, und dein Kleid wie eines Keltertreters? Ich trete die Kelter allein. Ich habe sie gekeltert in meinem Zorn und zertreten in meinem Grimm. Denn ich habe einen Tag der Rache mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, ist gekommen. Alsdann wird kein Edom mehr in den Weg treten können, um den Lauf des göttlichen Worts zu hemmen, dann werden alle Hindernisse aus dem Wege geräumt werden, und des Herrn Reich daher gehen, wie ein aufgehaltener Strom, den ein Sturmwind treibt. Bis dahin muss man sich gedulden, und nicht allzu missmutig werden, wenn hier eine gute Anstalt nicht fort will, dort eine untergeht, und da sich ein neues Hindernis in den Weg stellt. Es mag noch wohl weit schlimmer werden, doch triumphiert zuletzt sein hoher Rat. Endlich wird mich doch der Herr erlösen aus allem Übel und mir aushelfen zu seinem herrlichen Reich.
Jetzt brachen die Kinder Israel auf von Kades, und kamen mit der ganzen Gemeine gen Hor am Gebirge.
Das ist die
Dreiunddreißigste Lagerstätte: Hor. Text: 4. Buch Mosis 33, 37 - 39.
Ausführlich wird uns dies 4. Mose 20, 23 - 29. erzählt, wo es also heißt:
Die Bedeutung des Namens dieser Lagerstätte hat weiter nichts merkwürdiges. Sie lag hoch und hatte davon den Namen Hor. Merkwürdig aber ist die Begebenheit, welche sich daselbst zutrug. Ein neuer Todesfall einer sehr vornehmen, ausgezeichneten und berühmten Person, Aarons nämlich, des ersten Hohenpriesters, Mosis älteren Bruders. Der Sterbefälle waren hier außerordentlich viele. Mosis sagt in seinem fünften Buche 2,14: die Zeit aber, die wir von Kades Bornea zogen, bis wir durch den Bach Sared kamen, war 38 Jahr, auf dass alle Kriegsleute stürben im Lager, wie der Herr ihnen geschworen hat. Dazu war auch die Hand des Herrn wider sie, dass sie umkämen aus dem Lager, bis ihrer ein Ende würde. Hierüber äußert sich Luther also: wie viel feine, große, treffliche Männer sind wohl unter den 600.000 gewesen, die aus Ägypten zogen und in der Wüste starben, denen wir nicht genugsam gewesen wären, die Riemen ihrer Schuhe aufzulösen. Es sind darunter gewesen die zwölf Fürsten der zwölf Stämme, namentlich der Fürst Nahasson, der Matthäi 1. in der heiligen Linie Christi steht. Item die siebzig Männer, unter denen der Geist Mosis geteilt ward, namentlich Eldad und Medad und alle andere große Leute. Siehe, die liefen alle, hatten viel getan, und viel gelitten, viele Gottes-Wunder gesehen, ein schön Tabernakel und Gottesdienst helfen anrichten, und sind voll guter Werke gewesen, und haben doch alle gefehlt, und mussten in der Wüste sterben. Welcher Mut ist so groß und stolz, den solch Exempel göttlichen wunderlichen Gerichts nicht brechen sollte und demütigen. Daher heißt es wohl: wer meint zu stehen, der sehe wohl zu, dass er nicht falle. Soweit Luther. Warum mussten sie aber sterben? Um ihres Unglaubens willen, woraus ihr Ungehorsam erwuchs, wie der Apostel Ebr. 3 und 4 lehrt. Seht also zu, dass ihr nicht in dasselbe Exempel des Unglaubens fallt, sondern lasst uns fürchten, dass wir die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, nicht versäumen, und unser keiner dahinter bleibe.
Doch lasst uns zum Aaron zurückkehren. Er war in Ägypten geboren, kurz vor dem königlichen Befehl, alle jüdische Knäblein umzubringen, und also einige Jahre älter wie Mosis. Er hatte vor diesem seinem Bruder einige Vorzüge. Diese bestanden teils in der Gabe der Beredsamkeit, welche Mosis von Natur nicht besaß, wie er selbst zu Gott sagt: ich bin je und je nicht beredt gewesen, auch seit dem nicht, dass der Herr mit mir geredet hat. Denn ich habe eine schwere Zunge und schwere Sprache. Worauf Gott antwortete: wer hat den Mund geschaffen, oder wer hat den Stummen, oder Tauben, den Sehenden oder Blinden gemacht? Habe ich es nicht getan, der Herr? 2. Mosis 4. Und nachher sagte er noch etliche Mal, ich bin von unbeschnittenen Lippen. Von Aaron aber sagt Gott: weiß ich denn nicht, dass derselbe beredt ist? Er soll dein Mund sein. Teils hatte Aaron den Vorzug der hohenpriesterlichen Würde, welche sehr groß war. Jedoch war er Mosi bei seinen Lebzeiten so untergeordnet, wie der Mund dem Haupte, so dass der Herr zu Mosi sagte: du sollst ihm ein Gott sein. Aaron erkannte ihn auch willig einen einzelnen Fall ausgenommen - für einen weit größeren Priester als sich selbst, und für seinen Herrn an. Dies allein schon beweist seinen heiligen Charakter und Sinn. Die eigenliebige Natur räumt Andern ungern den Vorzug ein, welcher Neid und Missgunst erzeugt, wie sich diese Unart auch wirklich einmal bei ihm offenbarte und ihm, zwar nicht in eigener, doch in der Person seiner Schwester eine sehr scharfe aber wohltätige Zucht zuzog, so dass sich der Fehler fortan nie wieder bei ihm zeigte. Einer achte den Andern höher wie sich selbst! ist eine Lebensregel, deren Ausübung oft durch die wirklichen Vorzüge Anderer, welche sie doch erleichtern sollte, erschwert wird. Es ist aber was Schändliches und Gott Missfälliges.
Aaron hatte eine weit sanftere Gemütsart wie sein Bruder, der feurigen Charakters war. Von Mose lesen wir etliche Mal: er ergrimmte mit heftigem Zorn, jedoch nicht auf eine sündliche, sondern sehr heilige Weise, das erste Mal über Pharaos Verstocktheit, von dem er, nach einer höchst majestätischen Rede, wie sie sonst nie erhört ist, wegging mit grimmigem Zorn. Das andere Mal, da er voll Zorn über Israels Abgötterei die beiden Gesetztafeln aus seiner Hand schmiss, dass sie zerbrachen. Vom ersten lesen wir im 2. Buch Mose im 11., vom andern im 32. Kapitel. Aaron aber geriet nie in eine heftig zürnende Gemütsbewegung, aber auch Moses war, was seine eigene Angelegenheiten betraf, der Sanftmütigste unter allen, wogegen sein Bruder auch wohl da nachgiebig war, wo er unbiegsam hätte sein sollen. Jedes Temperament kann dem Herrn geheiligt und dienstbar gemacht werden; jedes bringt aber auch seine eigentümlichen Versuchungen mit sich. Das eine erscheint liebenswürdiger, das andere greift kräftiger ein. Alles kommt darauf an, ob's dem Herrn geheiligt und unterworfen ist. Weil aber Aaron in seinem Priestertum ein Vorbild Christi sein sollte, so ist es angenehm, schon im Vorbilde den Schimmer der Sanftmut, des Mitleids, und der Barmherzigkeit wahrzunehmen, welcher im Urbilde in vollkommenem Glanze strahlt.
Aaron erreichte ein Alter von 123 Jahren. Jesus Christus aber gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit. Aaron musste sterben, dass musste der wahrhaftige Hohepriester Jesus Christus auch, jedoch in ganz anderer Weise, nämlich auf eine gewaltsame Art und für unsere Sünde, denn was er gestorben, ist er der Sünde gestorben, was er aber lebt, das lebt er Gott. Und jener Priester sind viele, darum dass der Tod sie nicht bleiben ließ, dieser aber darum dass er bleibt ewig, hat er ein unvergänglich Priestertum empfangen, daher er auch selig machen kann immerdar, die durch ihn zu Gott kommen, und betet immerdar, und bittet für sie.
Die Todesart Aarons war einzig in ihrer Art. Gott nennt es ein Sammeln zu seinem Volk. Aarons eigentliches Volk und Vaterland war also nicht auf Erden, sondern anderswo, nämlich im Himmel. Dahin gehörte auch er, dahin sehnte er sich, danach trachtete er, dazu begehrte er tüchtig gemacht zu werden, dazu sollte er sich sammeln. So war ihm ein schön Erbteil geworden. Gesund und stark wie er war, und wohl wissend, warum, machte er seinen letzten Gang und stieg den Berg Hor hinan. Sein Bruder Moses und sein Sohn Eleasar begleiteten ihn und gingen so einem Lebendigen zur Leiche. Das Volk sah ihnen nach, und sah Aaron zum letzten Mal. Er trug seine priesterliche Amtskleidung. Ob sie unterwegs geschwiegen, ob sie mit einander geredet haben, wird uns nicht gemeldet. Haben sie mit einander gesprochen, so können wir leicht denken, was es war und worüber. Der Gehorsam und die Willigkeit, den Aaron in seinem Steigen auf den Berg bewies, beweist zugleich seinen Glauben, woraus seine Ergebung entsprang. Er war auch einer von denen, welche durch den Glauben auf eine Stadt warteten, welche Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist, und deren Gott sich nicht schämte, ihr Gott zu heißen. Ebr. 11. Das Gesammeltwerden zu seinem Volk hatte also auch nur Tröstliches für ihn, und der Gott, der ihn auf den Berg steigen hieß, gab ihm auch Mut, Kraft und Freudigkeit. - Begleitete ihn Moses, das Gesetz, welches nur tötet und die Verdammnis predigt, so begleitete ihn auch Eleasar, der Priester, der die Gerechtigkeit und das Leben verkündet. Mit welchen Gedanken und Empfindungen mag das Volk diesen drei vornehmen Männern nachgesehen haben, und werden wir Aaron nachsehen, wenn wir uns dabei an den Schmerzensgang des wahrhaften Hohenpriesters, den Ölberg und den Hügel Golgatha hinan, erinnern, aber auch dabei gedenken, wie auch wir jegliches Ding einmal zum letzten Mal tun. Wohl uns, wenn wir Liebe haben, denn die hört nimmer auf.
Auf dem Berge angekommen, zog Moses seinem Bruder die heiligen Amtskleider aus, wie wir um der wahren Gerechtigkeit teilhaftig zu werden, von aller eignen Gerechtigkeit entkleidet sein müssen. Dem Eleasar wurde die Priestertracht und mit derselben das Priesteramt übertragen, und ging so von Einem auf den Andern über, bis es auf den rechten Mann gekommen ist, von welchem es heißt: du bist Priester in Ewigkeit. Nun letzte sich denn Aaron auf die Erde nieder. Der Herr nahm seinen Geist auf, und Moses und Eleasar begruben ihn daselbst, das Volk aber letzte um seinetwillen auf dreißig Tage Trauer an.
Eine merkwürdige Geschichte. Ich will euern weitern Bemerkungen hierüber nicht vorgreifen, schließe aber mit den Worten Petri, 2. Petri 3, 10.: so nun alles wird vergehen, wie sollt ihr dann geschickt sein mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen, dass ihr wartet, und eilt zur Zukunft des Tages des Herrn. Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde, nach seiner Verheißung, in welchem Gerechtigkeit wohnt. Darum meine Lieben, weil ihr darauf warten sollt, so tut Fleiß, dass ihr vor ihm unbefleckt und unsträflich in Frieden erfunden werdet. Die Geduld aber unseres Herrn achtet für eure Seligkeit, und wachst in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, dem selbigen sei Ehre, nun und zu ewigen Zeiten! Amen.