Krummacher, Gottfried Daniel - Die hohepriesterliche Segensformel - 2. Predigt.
4. Mose 6, 24
Der Herr segne dich.
Laßt uns jetzt in die Erwägung der einzelnen Güter eingehen, welche Israel zugewünscht werden: Güter, die so vortrefflich sind, daß ihr Besitz unsere höchste Glückseligkeit ausmacht, Güter, welche es nicht nur höchlich verdienen, uns allen und jedem insbesondere angewünscht, sondern auch von jedem dringendst begehrt und eifrigst gesucht zu werden. Sie haben gleichsam zwei Angesichter, wovon das eine auf die Zeit sieht, das andere in die Ewigkeit schaut.
Jehovah segne dich! So lautet der erste köstliche Segenswunsch. Wir sehen bei Betrachtung desselben
- auf den Segen,
- dessen Born und
- den Gegenstand desselben.
I.
Wird von Jehovah gesagt, er segne, so besteht dieses darin, daß er gewissen Personen gewisse Güter zuerkennt und wirklich mitteilt, sei es mittel- oder unmittelbar. Wen er daher segnet, der ist gesegnet, möchten auch alle ihm fluchen; wen er aber nicht segnet, der ist verflucht, und wenn alle ihn segneten.
So vielerlei nun die Güter sind, die ein Mensch nach Leib und Seele in Zeit und Ewigkeit genießen und besitzen mag, so mancherlei ist auch der Segen. Sein Gebiet ist also unermeßlich, seine Teile sind unzählbar und sein Wert ist nicht zu berechnen. Laßt uns aber den Segen hauptsächlich aus einem zwiefachen Gesichtspunkte ansehen, nämlich in leiblicher und geistlicher Beziehung, wiewohl er nicht immer und nicht bei allen unzertrennlich ist.
In beiden Beziehungen ist dieser Segen unentbehrlich und notwendig. Es ist zu einem Sprichworte geworden: „An Gottes Segen ist alles gelegen,“ und dies Sprichwort ist fromm und wahr. Dieses nennt die Schrift wie im Pred. 9,11 Glück, und der weise König sagt, es liege alles daran und an der Zeit. Ohne diesen Segen oder dieses Glück mangelt's entweder an der Sache, oder am Gedeihen. Es hat z.B. jemand keine Arznei, weil er zu arm ist, sie anzuschaffen, oder die Arznei, die er hat, schlägt nicht an; er hat kein Geld, oder er ist bei seinem Gelde geizig, oder er weiß nicht damit umzugehen und verschwendet es, oder kann es sonst nicht benutzen, wie Salomo im 6. Kap. sagt: Gott hat manchem Reichtum, Güter und Ehre gegeben, aber nicht Macht verliehen, es zu genießen, sondern andere verzehren es. Das ist eitel und eine böse Plage. Dem einen fehlt es an Geschick zu einer Sache, einem andern an Gelegenheit, es zu üben, verhält sich in der Wirklichkeit so, wie es der gerühmte König es in seinem philosophischen Predigerbuche als das Ergebnis seiner Betrachtungen und Erfahrungen Kap. 9,11 herausstellt: Zum Laufen hilft nicht schnell sein! Was hätte es z.B. dem Petrus genützt, als er auf dem Meere wandelte, wenn er noch so schnellfüßig gewesen wäre, da sein Glaube und sein Körper zugleich sanken? Oder was half dem Absalom sein schnelles Tier, als die Eiche seine Haare faßte? Zum Streit oder zur Schlacht hilft nicht stark sein, wie nicht nur der Riese Goliath bewies, den ein glatter Bachkiesel tötete, sondern auch die Weltgeschichte, wenn es hier der Ort wäre, ihre Thatsachen anzuführen. Es lautet sonderbar, wenn Daniel Kap. 11,4 sagt: „Wenn sein Reich aufs höchste gekommen ist, wird es zerbrechen;“ aber es ist schon oft also geschehen. Zur Nahrung, sagt er, hilft nicht blos geschickt sein, und zum Reichwerden nicht klug sein, sonst würden die meisten geschickten und klugen Leute reich und alle Reichen geschickt sein. Ich sage: Die meisten, denn die Agurs sind anders gesinnt und wünschen sich weder Armut noch Reichtum, sondern ihr bescheiden Teil. Sogar hilft es nicht, angenehm zu sein, daß man ein Ding wohl könne, sondern dies und sonst alles Gute liegt außerhalb menschlichen Bereichs an der Zeit und am Glück.
So notwendig der Segen oder das Glück ist, so heimlich geht's manchmal damit zu. Es ist ordentlich eine geheimnißvolle Sache um das, was man Glück haben und kein Glück haben nennt. An einigen bewährt sich dieser Spruch: Ihr könnet kein Haar schwarz oder weiß machen, ob ihr auch darum sorget, und was hilft es euch, wenn ihr euer Brot mit Kummer esset und sprechet: Was sollen wir essen? An anderen jener Spruch: Es wird euch zufallen. Sorget nichts. Bei einigen trifft alles oder doch das meiste nach Wunsch und zum Vorteil, bei andern nichts und nie oder selten. Man nennt dies Konjunktur, lös't aber mit diesem Worte das Rätsel nicht. Der Einfältigere trifft's nicht selten besser als der Geschicktere, welcher hernach, wenn's zu spät ist, denkt: Hättest du es so gemacht! Da meistert denn wohl einer den andern, tadelt oder lobt hinterher seine Maßregeln als wohl oder über berechnet, oder nennt's auch Glück oder Unglück. Mancher wird ein großer, kluger Feldherr, Kaufmann u.s.w. genannt, den man eigentlich nur einen glücklichen nennen könnte, dem es nachher wohl unglücklich gegangen ist. Die Geschichte bezeichnet uns einen Prinzen von Oranien, nachherigen König von England, als einen höchst klugen und großen Feldherrn. Er gewann jedoch selten eine Schlacht, begründete aber seinen Ruhm durch geschickte Rückzüge und dadurch, daß der den Sieger der Früchte seines Sieges beraubte. Ein einziger Augenblick, ein Wort, ein kleiner Umstand ist oft von der größten Wichtigkeit. Hätte z.B. einer der Reformatoren, Namens Knox, eines Abends den Platz an seiner Tafel auch eingenommen, wo er das ganze Jahr hindurch jeden Abend zu sitzen pflegte, so würde ihn die Kugel getroffen haben, die ein Feind nach ihm schoß, die ihn nun verfehlte, weil er ohne Absicht an einer andern Stelle saß. Und wie viele unter uns sind auf ähnliche Weise einem Unglücke entgangen, das sie aufs Haar betroffen hätte. Wie kam's, daß der Pfeil, den jemand nach 2. Chronica 18,33 von ungefähr, ohne zu zielen, abschoß, den König Ahab gerade an dem kleinen Fleck, wo er unbepanzert war, dem aber Gott den Tod gedroht hatte, tödlich verwundete? Doch solcher merkwürdigen Begebenheiten hat man ganze Bücher voll, und fast jedes Leben liefert Beiträge dazu. An einem Haar hängen oft Welten von Begebenheiten. Was kann unbedeutender sein als das Wühlen eines Maulwurfs in der Erde? Und doch war dasselbe die Ursache des Todes des erwähnten Prinzen und Königs, weil sein Pferd hineintrat und mit ihm stürzte, wodurch die Weltbegebenheiten eine ganz andere Gestalt gewannen, da er nicht mehr an ihrer Spitze stand. Was kann unbedeutender sein als ein Spinnengewebe? Und doch rettete eben ein solches verschiedene unserer Glaubensgenossen bei der Bluthochzeit in Paris, die sich, um dem Tode zu entgehen, durch ein Fenster flüchteten, in dessen Öffnung gleich darauf ein Spinne ihr Netz wob, woraus die Verfolgenden schlossen, niemand sei durch dies Fenster gestiegen, weil er sonst das Netz hätte zerreißen müssen, ihnen also nicht nachsetzten. Mit kleinen Herren sind oft große überwunden worden, denn Rosse werden zum Streittage bereitet, aber der Sieg kommt vom Herrn. Kurz: An Gottes Segen ist alles gelegen! Wie merkwürdig ist in dieser Beziehung dasjenige, was wir Haggai 1,6 und 2,17.20 lesen. Schauet, wie es euch geht. Ihr säet viel und sammelt wenig, ihr esset und werdet nicht satt. Und erinnern wir uns nicht des Hungerjahres 1816, wo man oft klagen hörte, die Menschen äßen weit mehr als sonst und wären doch stets hungrig? Ihr kleidet euch und könnet euch doch nicht erwärmen, und welcher Geld verdienet, legt es in einen löchrichten Beutel. Kam einer zum Kornhaufen, der dem Augenscheine nach 20 Maß hätte haben müssen, so waren kaum 10 da, kam er zur Kelter und meinte 50 Eimer zu schöpfen, so waren kaum 20 da. Aber, heißt es weiter, merket auf: Vom 24. des 9. Monats an soll's anders werden, denn ich will euch segnen. Ich weiß aus meiner vorigen Gemeinde, daß mehrere Landsleute in Erstaunen gerieten und es nicht zu erklären wußten, wie es zuging, daß sie im Frühjahre noch einen solchen Vorrat von Lebensmitteln hatten, da bei der starken Einquartierung den Winter hindurch so ungewöhnlich viel verbraucht worden war. „Krieg und Brand segnet Gott mit voller Hand,“ ist ein altes, frommes Sprichwort. Es hat mir wohl ungemein gefallen, wenn ich Kinder, die ihre unvermögenden Eltern verpflegten und dabei wohl selbst viele Kinder hatten, sagen hörte: Wer kann sagen, ob wir mit ihnen oder sie mit uns essen? ist es nicht so, daß manche weit mehr nötig haben, während andere mit wenigerem noch vergnüglicher ausreichen, daß diese weit weniger an Kleidern und Schuhen verschleißen, als jene, daß diese mit der Hälfte von Anstrengungen in der Arbeit weiter kommen, als jene mit doppelter Bemühung? Scheint auf etlichen nicht ein irdischer Fluch zu liegen, daß es nirgend mit ihnen fortwill, obschon man von ihnen nicht sagen kann, daß sie gottlos, sondern gestehen muß, daß sie fromm und brav sind? So erweiset sich der Segen oder Unsegen oft auf eine heimliche Weise, die sich nicht als Ursache nachweisen läßt, in ihren Wirkungen aber deutlich sich zeigt. Oftmals ist er auch so offenbar, daß der Segen von jedermann bemerkt wird.
Haben wir denn bis jetzt den Segen im allgemeinen und namentlich in irdischer Beziehung beachtet, so laßt uns ihn jetzt in seiner höchsten Bedeutung, nämlich im Geistlichen, ansehen, insofern er der Seelen Heil und Seligkeit betrifft. Dieser Segen ist hier auch vorzugsweise gemeint, denn es ist hier von dem Segen Abrahams die Rede, welchen Paulus von dem heiligen Geist und der Kindschaft versteht. Überhaupt bestand dieser Segen in der damals noch zukünftigen, jetzt wirklich geschehenen Sendung des Sohnes Gottes ins Fleisch und der damit verknüpften Gabe der Gerechtigkeit und des Lebens oder des Heiligen Geistes; dies ist der Segen alles Segens und aller Wohlthaten einziger und unerschöpflicher Born und Urquell.
Aber aus diesem allgemeinen Segen, der in die Welt hineingerufen und durchs Evangelium öffentlich bekannt gemacht wird, muß ein besonderer, ein persönlicher Segen werden, darum heißt es in der Einzahl: Der Herr, Jehovah, segne dich. Wie dort die Jünger Johannis gefragt wurden: Habt ihr den heiligen Geist empfangen? So gilt es hier zu fragen: Hast du den Segen empfangen? Das Allgemeine hilft nicht, bis es ein besonderes, persönliches Eigentum und Gut wird. Das wird aber dieser heilige Segen alsdann, wenn er den einzelnen Menschen, wenn er dich heiligt, wenn in deiner Seele das gute Werk der Gottseligkeit beginnt, wenn du erweckt wirst. Da leitet die gnädige Hand der Vorsehung die Mittel zu dem Menschen, oder den Menschen zu den Mitteln, führt ihn an den Ort, in die Umstände und Bekanntschaft, welche ihm gesegnet sein wollen, läßt das Wort sagen, was ihm heilsam werden soll. Dies ist oft ungemein merkwürdig, wie die Beispiele in und außer der heiligen Schrift lehren. Jenes samaritische Weib, die Gott auf den rechten Weg leiten will, muß gerade in der Mittagshitze an den Brunnen gehen, zu der Stunde, wo sie den findet, den sie nicht suchte, und ein ganz anderes Wasser, als sie begehrte, nämlich das ewige Leben. Die Lydia muß ihre Vaterstadt Thyatira verlassen, um in Philippi zu wohnen, wozu sie wohl ihr Handelsvorteil bewog. Gottes wohlthuende Absicht aber war, sie sollte Paulum hören. Sie hörte ihn, und Gott that ihr das Herz auf, daß sie darauf acht hatte, was von Paulo geredet, und daß sie gläubig ward. Beim römischen Hauptmann Cornelius kamen ganz außerordentliche Umstände vor. Es erscheint ihm ein Engel, der mit ihm redet u.s.w. Davon handeln die Erweckungsgeschichten, die oft äußerst merkwürdig sind und das Walten des göttlichen Gnadenfingers aufs deutlichste und lieblichste zeigen: Etliche werden plötzlich herumgeholt, andere stufenweis und nach und nach. Bei einigen ist die Gnade wie ein Blitz, bei andern wie das Anbrechen des Tages. Hier triumphiert sie über Lasterknechte, Feinde, Spötter, Ruchlose, dort bemeistert sie sich sittsamer, selbstgerechter, eigenweiser, kirchlicher Leute, welche, was den äußerlichen Lebenswandel betrifft, keiner Bekehrung bedürfen. Etliche widerstreben eine Zeitlang, während andere alsbald entschieden heraustreten, einige müssen lange suchen, und von andern wird er gefunden, ehe sie ihn gesucht haben, wiewohl dies im Grunde bei allen sich so verhält, obschon es nicht bei allen gleich deutlich in die Erscheinung tritt. Wir werden gefunden, damit wir ihn suchen, ob wir ihn finden möchten, und ehe wir rufen, antwortet er, damit wir ihn anrufen, und er uns höre. Gieb uns, so betet Augustin, gieb uns deinen heiligen Geist, damit wir um denselben beten mögen!
Ist eine Seele erst also gesegnet, so segnet Jehovah sie auch weiter und zwar namentlich mit dem Glauben an den Herrn Jesum, mit der zuversichtlichen Hinneigung des Gemüts zu ihm, daß sie Zutrauen wegen der Vergebung der Sünden, wegen der Heiligung und Seligkeit zu ihm faßt und hegt. Er segnet sie mit heilsamer Einsicht ins Evangelium, öffnet ihr die Sinne und giebt ihr erleuchtete Augen des Verstandes, zu erkennen mit allen Heiligen die Höhe, Tiefe, Länge und Breite der Liebe Christi, leitet sie in die Gnadentiefen, die nie Fleischeswitz begriffen. Alsdann entfaltet sich in der Seele eine neue Schöpfung. Neue, sonst nie geahnte Einsichten; neue, nie vorher gekannte Gesinnungen der Liebe zu Gott und zu den Christen, neue, nie gehabte Empfindungen der Freude, des Friedens, der Ruhe; neue Kräfte und Triebe, zu beten, zu loben, zu danken, wie sonst nie, so daß der Mensch wohl sich selbst wie andern ein Wunder wird und dabei eine Gewißheit seines Anteils an Christo und seiner Gnade, die jegliche Zweifel ausstößt. Hier giebt's nun wieder mancherlei Verschiedenheiten, wie es der Herr verschiedentlich in Maß, Zeit und Mitteln auszuteilen für gut findet, seine mannigfache Abwechselungen, von denen wir aber jetzt nicht ausführlich handeln wollen. Es gibt zerstoßenes Rohr und Eichbäume der Gerechtigkeit. Es giebt Fleischliche, junge Kinder in Christo und auch solche, die geübte Sinne haben. Etlichen geht's, wie der 107. Psalm sagt, daß sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund fuhren. Die mannigfache Weisheit Gottes wird kund. Einige überkommen den Glauben, nachdem sie eine Zeit aufs äußerste wie mit der Verzweiflung gerungen; andere sehen bald die rettende Hand des Sünderheilandes gegen sie ausgestreckt u. dergl. Das Mittel des Glaubens sind die Verheißungen des Evangeliums, welche allen Bedürfnissen unsers armen Herzens begegnen, wie der barmherzige Samariter jenem, der unter die Mörder gefallen war. Doch beweisen diese Verheißungen sich nicht eher in ihrer wohlthätigen Kraft, bis der Vater durch dieselbe segnet, und der Heilige Geist sie dem Herzen lebendig macht und versiegelt. Und o, welch ein großer Segen ist dieser Glaube, da er zugleich der Mund ist, durch welchen wir das himmlische Manna um so völliger genießen, je weiter wir ihn aufthun!
Wie sollten wir aber des Kreuzes nicht als eines gesegneten Beförderungsmittels mit dem Wort und Geist gedenken! Gewiß, nicht um sie zu plagen, legt der Hirte seinen Schafen das Joch des Kreuzes auf, sondern ihnen zu Nutz, daß sie, zwar nicht ihre eigene, aber seine Heiligkeit erlangen. Seid ihr ohne Züchtigung, so seid ihr entweder keine Kinder, und Gott läßt euch laufen, oder sie wartet eurer noch. Ihr braucht euch keine zu wünschen, sie wird schon kommen, wenn der Herr euch lieb hat, wie er denn hat. Euer Glaube, der viel köstlicher ist als vergängliches Gold, wird durchs Feuer müssen und dadurch bewährt werden. Es kann dir wohl nützlicher sein, wenn du einmal nicht sonderlich glauben, beten, liebe kannst, als wenn du es nach Herzenslust vermöchtest. Traurigkeit mag dir für diese Zeit besser sein als Freude und Schwachheit, besser als Stärke. Ein Kranker muß den Arzt rufen. Komm her, laß dich verbinden; du hast's mit Jesu nur zu thun, und er mit deinen Sünden! alles, was er macht, gerät wohl.
Zuletzt vollendet sich der Segen in ewige Seligkeit und Herrlichkeit. Mögen sie denn auch aus großer Trübsal kommen, so schaffet sie doch eine ewige, über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit.
II.
Die Mitteilung alles Segens kommt insbesondere von Jehovah, dem Vater, der dessen Born in dem ewigen Friedensrate ist. Er ist ein segnender Gott des armen Sünders, der sich dem Evangelium gemäß ihn nicht anders als so vorstellen soll. Denn die Schalen seines Zorns und den bittern Kelch des Fluches seiner Heiligkeit, goß er in die Sonne unserer Gerechtigkeit, die dadurch eine Weile ihren Schein verlor, damit uns das Heil in ihren Flügeln bereitet würde. Jetzt ist denn die angenehme Zeit, jetzt leuchtet der Tag des Heils, deß freuen wir uns und sind wir fröhlich. Dies und dies allein giebt uns die Anfrage eines durch die Auferstehung Jesu Christi guten Gewissens zu Gott. Denn wenn auch ein Werk insbesondere einer der hochgelobten Personen der Dreiheit Gottes zugeschrieben wird, so sind doch diese drei nur Eins. Wie der Vater den Segen zuerkennt, so hat ihn der Sohn erworben, und der Heilige Geist eignet ihn zu, so daß wir die eine Person zu unserm Heile so wenig entbehren können wie die andere. Glücklicher Weise kommt's hierbei auf eigenes Verdienst oder Unverdienst, Tauglichkeit oder Untauglichkeit nicht an. Es fördert und hindert nicht, sondern es ist allein des erbarmenden und segnenden Gottes. Wer nun will, was auch eine Wirkung des Segens und dessen erster Anfang, gleichsam der Weizen im Grase ist, wer nur will, mag kommen und sprechen: Segne mich auch! Und wer kommt, ist willkommen.
Gott hat nun seine Zeit, wo er die Ströme des Segens besonders reichlich und spürbar durch unsern Hohenpriester herabfließen läßt, so daß derselbe sich bald in diesem, bald in jenem Lande oder jener Gegend in der Ausbreitung des Reiches Gottes besonders herrlich und kräftig erweiset. Ich will der apostolischen Zeit nicht gedenken, nicht der heilbringenden Wirksamkeit eines Augustins im 5. Jahrhundert, nicht der Zeit der Reformation, wo eine allgemeine religiöse Bewegung in ganz Europa entstand, die durch keine Gewalt unterdrückt werden konnte, sondern einem Feuer gleich, das um so heftiger lodert, je mehr man darin rührt. Deutschland erlebte im 17. Jahrhundert eine sehr gesegnete, geistliche Heimsuchung durch das Buch, welches einer, Namens Joh. Arndt, vom wahren Christentume schrieb, ein Buch, das sich weder durch die Ordnung, in welcher die Gegenstände abgehandelt werden, empfiehlt, da mehrenteils zwischen dem einen Kapitel und dem folgenden gar kein oder doch nur ein geringer Zusammenhang stattfindet, noch durch seine einnehmende Sprache gefällt, so daß man die Ehre des Segens, den es zu seiner Zeit stiftete, nicht dem Buche selbst, sondern nur dem Brunnen alles Heils zuzuweisen genötigt ist. Nach ihm traten Männer, wie Spener und Franke auf, als Werkzeuge der segnenden Hand des Vaters für ganze Scharen. Denn wenn er segnen will, so sorgt er auch für die Mittel, welche ohne ihn nichts wirken, wenn sie auch noch so scheinbar wären, so daß zehn Apostel nicht vermögend wären, dem einen Thomas den Glauben einzureden, wie lebendig er auch bei ihnen selbst war.
III.
Je wichtiger und kostbarer, je notwendiger und unentbehrlicher nun der Segen ist, desto bedeutsamer ist das Dich: Jehovah segne dich.
Was nun den leiblichen Segen anbetrifft, so wird derselbe von den meisten nur allzusehr begehrt, und ihr ganzes Herz hängt so daran, daß ihr Verlangen nicht weiter geht, als das es ihnen auf Erden wohl gehe, und sie lange leben mögen. Ja, wie viele stoßen selbst diese Art des Segens von sich durch ihr unordentliches Leben: Faulheit, Verschwendung, Üppigkeit, Fluchen, Betrügereien und Ungerechtigkeit! Doch von welchem geringen, nur kurze Zeit dauernden Werte sind doch alle irdischen Güter, als Gesundheit und Vermögen. Wie thöricht sind diejenigen, welche die zu ihrem höchsten Gut machen, und wie schrecklich ihr Ende, nämlich die Verdammnis!
Nur diejenigen sind weise zu nennen, welche Segen für ihre Seele begehren, die werden ihn auch, wenn ihr Verlangen aufrichtig ist, gewißlich erlangen; ja, dies ist schon ein Beginn des Segens. Wer da hat, dem soll gegeben werden, daß er die Fülle habe. Wer dieses Segenswasser trinkt, in dem soll es ein Quell des ewigen Lebens werden. Je bedürftiger ihr euch für den Segen fühlet, desto empfänglicher seid ihr dafür, erwartet ihn auch desto zuversichtlicher. Für je unwürdiger ihr euch desselben achtet, desto richtiger urteilt ihr von euch selbst und eurer Natur. Lernet aber dabei verstehen, daß der Segen aus keinem andern Grunde, als um des einigen Opfer Christi willen kommt, und wir ihn durch den Glauben empfangen.
Sehet denn, von welchem Umfange dies Wörtlein ist: Jehovah segne dich! Schreiet denn: O, segne mich, damit ihr dereinst nicht unter der Zahl derer erfunden werdet, zu welchen es heißt: Gehet weg, ihr Verfluchten! sondern unter der Schaar derer, zu welchen gesagt wird: Kommet her, ihr Gesegneten! Amen.