Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Rechtfertigung - 2. Predigt
(gehalten am 19. September 1830)
Es würde einen großen Irrtum verraten, wenn jemand meinte, als sei das Alte Testament wesentlich vom neuen verschieden, als sei man dort auf eine andere Weise selig geworden, wie hier. Dann würde ja Jesus Christus nicht gestern und heute und derselbe in Ewigkeit sein. Ja, wenn wir so sagen wollen, müssen wir ja bekennen, daß in den Schriften des Alten Testaments weit mehr Verheißungen der Zahl nach enthalten sind, als in denen des neuen Testaments, wiewohl dieses nichts ist, als eine große, sich stets erfüllende Verheißung. Was kann doch wohl evangelischer sein, als Davids Wort Psalm 119,38: Wenn du mich tröstest, dann laufe ich den Weg deiner Gebote. Man sollte wohl aus dem Munde eines alttestamentlichen Gläubigen nach etlicher Ansicht erwartet haben, er habe es umgekehrt und gesagt: Wenn ich den Weg deiner Gebote laufe, so tröstest du mich. Zwar geben wir zu, daß man nach der evangelischen Fülle und Geheimlehre allerdings im rechten Sinne so reden möge, wie etwa jener Spruch so abgefaßt ist, wo es heißt: O, daß du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie des Meeres Wellen! Oder Psalm 81: Wollte mein Volk mir gehorsam sein, und Israel auf meinen Wegen gehen, so wollte ich ihre Feinde bald dämpfen. Aber zugeben, daß sie auf eine andere Weise wirksam gewesen wären, als durch den Glauben, hieße leugnen, daß derjenige ein Dieb und Mörder sei, welcher nicht durch die einige Tür, welche zugleich Weg und Ziel ist, eingehe.
Der gläubige Verfasser des längsten unter allen Psalmen gibt in den angeführten Worten ein sehr deutliches Zeugnis seines evangelischen Sinnes, nach welchem er die Erlangung des göttlichen Trostes als ein notwendiges Erfordernis und als eine sichere Quelle nicht bloß des Gehens, sondern selbst des Laufens in den Geboten des Herrn hält. Jenes geht vor, dieses folgt. Erst an Beinen gestiefelt, dann fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens.
Eins ist hier jedoch sehr zu beklagen. Dieses nämlich, daß die meisten guten Seelen so kümmerlich einhergehen, und daß das Wenn - „wenn du mich tröstest“, nicht zu den gewöhnlichen, sondern zu den seltenen und ungewöhnlichen Fällen gehört, oder daß sie vergnügt sein können, ohne sagen zu dürfen: Du tröstest mich. Daraus erwächst denn ein sehr hinkendes, schleppendes Christentum, voll Mühe, ohne Kraft. Daher tut es sehr not, daß der wahre Grund zur Gottseligkeit durch eine wohlbegründete Freudigkeit mehr und mehr bei uns gelegt und gefördert werde. Und was ist dazu geeigneter als die Rechtfertigungslehre, wovon wir neulich begonnen haben, und die wir in einigen Predigten, so wie auch heute, in des Herrn Namen fortzusetzen gedenken.
Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist.
Römer 3,24.
Wir reden von der rechten Art, vor Gott gerecht zu werden. Unsere vorige Betrachtung schlossen wir mit der Frage: Welches ist die erwerbende Ursache der Gerechtigkeit verdienstloser Sünder? Diese nennt uns unser Text.
Wir betrachten denn
- die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist,
- deren vornehmste Frucht.
I.
Bei der Erlösung achten wir auf die Person, die sie gestiftet hat, und auf das gestiftete Werk selbst.
Jesus Christus, so heißt der Erlöser. Diese beiden Namen, der eine aus der hebräischen, der andere aus der griechischen Sprache herstammend, sind so bedeutungsvoll, daß sie die Eigenschaften und das große Heilswerk dieses hochgelobten Erlösers zugleich andeuten. Sie sind so inhaltsreich, daß wir uns begnügen müssen, nur etwas von der Oberfläche dieses Ozeans zu schöpfen, diese Sonne nur im gebrochenen Widerschein des Bogens in den Wolken anzuschauen. Wer diese Namen recht versteht, weiß zu seiner Seligkeit genug, wer sie nicht versteht, weiß nichts. Sie sind aber so hoch und hehr, daß nur die göttliche Person des Heiligen Geistes ihren Gehalt erläutern kann, und so beseligend, daß jegliches Elend vor ihnen weicht.
Der hebräische Name Jesus, oder in seinem hebräischen Klange Jehoschua, bedeutet: der Seligmacher. Der erste, welcher denselben Namen führte, war Mosis Nachfolger, derjenige, welcher das Volk Israel in Kanaan einführte und sie zu vorbildlichen Ruhe brachte. Wir sollen die beiden ersten Silben dieses Namens Jehoschua nicht unbeachtet lassen. Der eigentliche Name Gottes fängt auch damit an. Auf Befehl Gottes verband Moses diese beiden Silben mit dem Namen seines Dieners und Nachfolgers, verwebte also die göttliche Herrlichkeit mit diesem Manne. Dies wies auf Jesum. Durch diesen Namen wird er als derjenige bezeichnet, welcher alle die hohen und niedrigen Eigenschaften, wie ehemals durch das Zedernholz und Ysop abgebildet wurde, in sich vereinigt, welche ihn zu demjenigen machen, was er heißt, der Seligmacher, in welchem diejenigen, so ihn mit wahrem Glauben annehmen, alles haben, was zu ihrer Seligkeit vonnöten ist. Beim Josua blieb die Verwebung der göttlichen Herrlichkeit mit seiner Person bloß beim Namen, ja bei zwei Silben. In diesem aber wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Seine Herrlichkeit war die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, den alle wie den Vater ehren, den selbst alle Engel Gottes anbeten sollen. Er ist ein Herr, auch des Sabbats, größer denn der Tempel, höher denn der Himmel. Alle Gewalt, alles Gericht, alles ist ihm von seinem Vater übergeben. Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben. Einen solchen Erlöser mußten wir haben und haben ihn. Seine Macht ist allmächtig, womit er auch kann alle Dinge sich untertänig machen. Seine Würde ist unendlich und etwas von ihm mehr wert als die ganze Welt. Seine Liebe und Liebenswürdigkeit ist die eines Gottes. Wen er selig macht, der ist selig gemacht. Er weiß zu den Gefangenen zu sagen: Kommt hervor! und zu den Gebundenen: Gehet hinaus! und die Kinder des Todes loszumachen und aus der Hölle heraufzuholen. Unser Vertrauen zu ihm braucht gar keine Grenzen, keine Umstände, kein Bedenken zu haben. Das größte Vertrauen zu ihm wird nicht beschämt, sondern übertroffen, aber auch ein glimmender Docht nicht ausgelöscht. In ihm haben wir alles genug.
Mit dieser majestätischen Zeder ist der Ysop der menschlichen Natur zu einer Person vereinigt, darum nennt er sich selbst des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Dies ist das verkündete große Geheimnis der Gottseligkeit: Gott ist geoffenbart im Fleisch. Nun ist ein Reiner unter denen, da sonst keiner rein ist, wodurch die andern gereinigt werden, ein Gerechter unter denen, da sonst keiner gerecht ist, auch nicht einer; einer, der da heilig ist und unschuldig, und von den Sündern abgesondert, ein Gehorsamer unter den Abtrünnigen. Eine glückliche, eine segnende Ausnahme. Er war's allein, der keine Sünde getan, und in des Munde kein Betrug erfunden worden. Die Teufel selbst sahen sich genötigt, zu bekennen, er sei der Heilige Gottes, und sie waren davon überzeugt, denn ihr Fürst hatte ihn auf solche Proben gestellt, daß, wenn etwas Böses in ihm gewesen wäre, es notwendig hätte zum Vorschein kommen müssen. Es kam aber nichts. Wiewohl allenthalben versucht wie wir, war er doch ohne Sünde. Was aber diesen Menschen Jesum hauptsächlich auszeichnet, daß er eines Hauptes länger über alle hinaus ragt, ist der merkwürdige, geheimnisvolle und segensreiche Umstand, daß er ein Mensch für uns, daß er's an unsrer statt, daß er's zur Versöhnung für unsere Sünde ist. Wer könnte an seiner Willigkeit zur mühevollen Ausführung des großen Erlösungswerks zweifeln, da er sie durch die höchsten Proben, durch einen Gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz bewährt hat. Wie bitter der Kelch war, wie sehr seine heilige Natur sich nach Menschenart darob entsetzte, fragte er dennoch: Sollte ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat? und nannte den erschrecklichen Gott, der ihn in des Todes Staub legte, in der Inbrunst seiner feurigen Liebe dennoch in der zärtlichsten Kindessprache: Abba, mein Vater. Mochte ihm auch so bange sein, bevor die Blut- und Todestaufe an ihm vollbracht war, so war seine Resolution doch die: aber darum bin ich in diese Stunde gekommen. Was wäre auch das Ganze gewesen, wenn es aus Zwang hervorgegangen wäre? Aber er folgt wie ein Lamm zur Schlachtbank und verstummte wie ein Schaf vor seinem Scherer. In seinem Willen sind wir geheiligt.
Diese seine Menschheit war das große Opfer für unsere Sünde. Und um diese Eigenschaft willen heißt er Jesus, der Seligmacher, ein Name, den ihm nicht menschliches Gutfinden beilegte, sondern der ihm auf ausdrücklichen Befehl Gottes seines Vaters gegeben wurde. Er allein macht selig, denn außer ihm ist kein Heil zu finden, sowie nirgends zu suchen. Er macht stufenweise und ganz selig, beides nach Leib und Seele, hier dem Anfang nach bis zur Vollendung im Himmel. Er tut es vollkommen, so daß nichts an der Seligkeit mangelt; gern, denn dazu ist er gekommen; ohne Verdienst, denn aus Gnaden seid ihr selig geworden und dasselbige nichts aus euch, Gottes Gabe ist es. Sünder und Verlorene sind's, die er selig macht, jedoch so, daß er dieses Seligmachen in ihnen damit beginnt, daß er sie verlangend macht, gern durch ihn heilig und selig zu werden, und sich in dieser großen Angelegenheit zu ihm zu wenden. Solche stößt er nicht hinaus, so wie er auch den Namen derer nicht in seinen Mund nehmen will, die einem andern nacheilen und in ihren Sünden bleiben wollen. Die werden auch darin sterben. Das wird auch denen widerfahren, die diesen Jesum nicht zu bedürfen glauben und meinen, sie könnten sich selbst rechtfertigen; denen wird der Herr zu seiner Zeit anzeigen, daß ihre Werke und ihre Gerechtigkeit ihnen kein nütze ist. Der Wind wird sie alle wegführen, sie aber in Schmerz und Verzweiflung darniederliegen. Solches wird ihnen dafür von dem Herrn widerfahren, daß sie dem Evangelium seines Sohnes nicht gehorsam waren. Über solche wird er mit Feuerflammen kommen, Rache zu geben.
Aber ist dieser Jesus auch zur Ausführung dieses großen Erlösungswerkes tauglich und genugsam? Hat er die Macht? Ist er dazu autorisiert? Ist er dazu befähigt? Jawohl, dies ist's was sein Amtsname Christus zu erkennen gibt. Diesen Namen, der ein Gesalbter bedeutet, führen im Alten Testament einige Personen, welche die höchsten und wichtigsten Ämter verwalten, nämlich das Amt eines Propheten oder Königs oder Priesters, wozu sie vermittelst einer Salbung eingeweiht wurden, und deswegen Christi, d. h. Gesalbte hießen, wiewohl niemand alle drei Ämter zugleich verwalten konnte, welches Jesu allein vorbehalten war, der deswegen im höchsten Nachdruck Christus heißt. Dieser Name zeigt an, daß Jesus alle die Werke, welche zur Seligkeit seiner auserwählten Gemeinde notwendig sind, teils vollendet hat, teils noch wahrnimmt und dafür anerkannt und angenommen werden muß. In ihm ist das ganze Heil, wie in einer Schatzkammer, wie das Licht in der Sonne beschlossen, weil es der Vater in ihm niedergelegt und ihm alles übergeben hat. Hier kommen besonders jene vier großen Stücke in Betracht, deren der Apostel 1 Kor. 1, 30 als solcher gedenkt, wozu uns Christus von Gott gemacht ist, welche zusammengenommen ein vollkommenes Ganze ausmachen, außer welchem wir nichts weiter bedürfen, und das wir von dem großen Augenblick an erlangen, da wird durch den heiligen Geist vermittelst des Glaubens mit Christo als unserm Haupte vereinigt werden. Das erste ist Weisheit, welche Salomo billig höher stellt als Silber und Gold und alle Güter der Erde, und zu dem größten Fleiß ermuntert, sie zu erlangen. Wir werden genug von ihr zu ihrem Ruhme gesagt haben, wenn wir bloß bemerken, daß sie ein Stück der Gottähnlichkeit in der Seele ist. Das Evangelium ist ein großes Geheimnis; zum Verständnis desselben ist Weisheit erforderlich. Und siehe! so wie die Sonne gemacht ist, uns im Natürlichen zu erleuchten, so Christus, uns weise zu machen zur Seligkeit. Er ist die Weisheit selbst. Wie weise wird also nicht jeder in ihm sein, der ihn in sich wohnend hat. Er ist unsere Gerechtigkeit und ist uns von Gott selbst dazu gemacht. Welche Gerechtigkeit ist doch das! Wer sollte sie da suchen? Wie vortrefflich, wie vollkommen, ja überschwenglich ist sie! Wovor hat der sich noch zu fürchten, der damit bekleidet ist!
Unsere Natur ist ganz vergiftet. Aber dies Sündengift kann weggeschafft werden. wir haben eine kräftige Arznei dagegen, denn dieser ist uns auch zur Heiligung geworden. Mag nun wirklich unser Schade verzweifelt böse sein, so sollt ihr doch heil werden. Denn ich will rein Wasser über euch sprengen, von aller eurer Untugend will ich euch reinigen. Wir schweben hier in mannigfaltigem Elend. Nicht bloß treffen uns allerlei körperliche und irdische Mühseligkeiten oder drohen uns wenigstens, sondern überdies wandeln wir hienieden im Fleisch. Die Sünde klebt uns immerdar an und macht uns träge, überdies haben wir mit bösen Geistern unter dem Himmel zu streiten, müssen unser Kreuz auf uns nehmen täglich und durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen. Aber dieser wird uns erlösen aus allem Übel und aushelfen zu seinem herrlichen Reich.
II.
Dieser Jesus, welcher ist Christus, ist demnach zur Ausführung des großen Erlösungswerks vollkommen tauglich und geschickt. Aber laßt uns jetzt auch auf das gestiftete Erlösungswerk, auf die Erlösung selbst und ihre Frucht achten.
Die Erlösung ist durch Jesum Christum geschehen, und zwar insbesondere durch seinen Gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz; denn da er ist vollendet, ist er geworden eine Ursache zur Seligkeit allen, die ihm gehorsam sind. Dieser Gehorsam Christi ist überhaupt vollkommen, so daß nichts an demselben mangelt. Er war ungemein herrlich. Denn Jesus leistete ihn unter den schwersten Umständen, Leiden, Versuchungen, und trieb ihn bis zum höchsten Gipfel, bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz, bis zum Trinken eines Kelchs, dessen er unter jeder andern Bedingung als der des Gehorsams, durchaus würde haben überhoben bleiben wollen. Es war ein Gehorsam aus der lautersten Liebe zu Gott und zu den Seinen, wobei er nichts gewann als die Freude, das Verlorene selig zu machen, ein Gehorsam von unendlichem Wert. Denn es war ja nicht ein schlichter heiliger Mensch, der ihn leistete, nicht bloß ein unschuldiges Lamm, das da blutete, es war Gott selbst, der seine Gemeine mit seinem Blute erkaufte, und also empfing das Gesetz einen Gehorsam, den es niemals zu fordern berechtigt sein konnte. Es war endlich ein ganz freiwilliger Gehorsam, es war die freie Wahl des Sohnes Gottes, wodurch er unter das Gesetz getan wurde, nicht eine Fügung der göttlichen Vorsehung, welche seine freie Einwilligung nicht zu Rate zog, wie es bei den übrigen Geschöpfen der Fall ist.
Insbesondere aber ist der Gehorsam Christi ein stellvertretender, ein Gehorsam, den er nicht für sich, nicht zu seinem Nutzen, nicht um sich selbst etwas damit zu erwerben, leistete, sondern den er anstatt anderer vollbrachte, damit er ihnen zu gute komme, damit er ihnen geschenkt und zugerechnet würde. Das so häufig in der Schrift vorkommende Wörtlein für uns ist von ausnehmender Wichtigkeit und hoher Bedeutung. Es hat einen schwächeren, es hat auch einen nachdrücklicheren Sinn. In seinem schwächeren allgemeinen Sinn sagt man von Bemühungen, Handlungen, Entbehrungen, Leiden - sie geschehen für andere, wenn sie zu derer Vorteil und Besten geschehen. So arbeitet der Staatsmann für das Beste der Allgemeinheit, der Lehrer, Künstler, Arbeiter in seinem Kreise für das Beste seiner Mitbürger, der Kriegsmann stirbt fürs Vaterland. Aber niemand will doch damit sagen, wenn er nicht gestorben, so hätten die übrigen Staatsbürger in eigener Person sterben müssen. Im strengeren und nachdrücklicheren Sinn aber bezeichnet das Wörtlein für allerdings solche Handlungen und Leiden, die jemand in eigener Person hätte verrichten müssen, wenn's nicht ein anderer an seiner Stelle getan, wie es namentlich bei einem Bürgen der Fall ist, welcher eines Andern Verbindlichkeit an seiner Statt erfüllt. Jesus heißt aber Hebr. 7, 22 ausdrücklich ein Bürge. Von Christo und namentlich von seinem Gehorsam ist das für in seinem vollen Nachdruck zu nehmen und bedeutet so viel als anstatt, an unserer Stelle. Denn es ist ein stellvertretendes Gehorsam.
Dieser Gehorsam hat eine zweifache Richtung und kann in einen leidenden und tuenden unterschieden werden. Er litt alles, was sonst der Sünder an Leib und Seele hätte leiden müssen in Zeit und Ewigkeit. Die Strafe lag auf ihm. Gott erwies an ihm seine Gerechtigkeit. Er ward verwundet, aber um unserer Sünde willen und wegen unserer Missetat ward er zerschlagen. Er ward ein Fluch an unserer Statt, weil wir alle unter dem Fluch sind. Aus Gottes Gnade schmeckte er für alle den Tod, welcher der Sünden Sold ist. Unser alter Mensch ward in seiner Person gekreuzigt, und dieser Eine starb anstatt aller. Die Seelenangst, die von Rechts wegen über alle kommt, die da Böses tun, trocknete ihn aus, wie eine Scherbe, trieb das Blut aus seinen Adern und machte, daß er, wie einer der in den letzten Zügen liegt, mit dem Tode rang. Zuletzt verließ ihn sein Gott sogar, welches ein ebenso unbegreifliches als erschreckliches Leiden war, verließ ihn, wie die Verdammten verlassen werden. Was für schreckliche Angst er empfand, davon zeugen die Psalmen, nach welchen er sich wie einer vorkam, der in eine tiefe Grube geworfen ist und nun alle Augenblick besorgt, das Loch derselben möge über ihm zugehen und er also gar dahin sein. Kurz, er trank den bitteren Feuerkelch der Verdammnis, der für uns Sünder gemischt war. Er wurde behandelt, als ob er der Sünder, ja die Sünde selbst gewesen wäre. Dabei tat er alles, was der Mensch zwar zu tun verpflichtet war, ist und bleibt, aber nicht tun kann, weil er durch die Sünde geschwächt ist. Er kam, den Willen Gottes zu tun und das Gesetz zu erfüllen. Er ward unter das Gesetz getan, um die loszukaufen, welche unter dem Gesetz waren, und ihnen die Kindschaft zuzuwenden. Was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch die Sünde geschwächt war, das tat Gott selbst und sandte seinen Sohn; durch dieses Einen Gehorsam werden nun viele gerecht. Eben darum ward er ein Mensch, um zu leisten, was die Menschen zu leisten verpflichtet waren,
Daß vom Volk aus seinem Bunde
Keiner mehr sein Schuldner blieb.
Er war der Bürge, welcher die fremde, aber ihm zugerechnete Schuld bis auf den letzten Heller abtrug. Denn diese Stellvertretung gründet sich eben auf die gesegnete Zurechnung und Verwechslung, welche uns in der Geschichte der Leiden Christi durch den bekannten Vorfall zwischen Christo und Barrabas versinnlicht und durch das Zeremonial-Gesetz durch die Werfung des Loses über zwei vor den Herrn gestellte Sühneopfer, wovon das eine freigelassen, das andere getötet wurde, abgebildet wird. Paulus erläutert dies in jenem denkwürdigen Wort, wo er sagt: Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm würden Gerechtigkeit Gottes. Welch' ein seliges Wunder! Unsere Schuld wird auf Jesu Rechnung gesetzt, daß er sie bezahle. Sein Guthaben wird auf unsere Rechnung gesetzt, daß wir es genießen. Was der Sünder mißhandelt hat, wird gerechnet, als ob Christus er mißhandelt hätte, und was Christus getan und gelitten hat, wird gerechnet, als ob es der Sünder getan und gelitten hätte. Dies ist das wundervolle Fundament der ganzen Gnadenlehre, der Mittelpunkt, um welchen sie sich dreht, der Grund aller evangelischen Beruhigung, die Ursache der wieder eröffneten Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott, mit welchem die Kirche über diesem Opfer einen Bund gemacht hat, worin alles wohlgeordnet ist.
Offenbar mußte dies für uns, diese Stellvertretung, diese Verwechslung und Bürgschaft die allerherrlichsten Früchte für diejenigen nach sich ziehen, denen sie gilt. Sie gilt aber keineswegs für alle, sondern ausschließlich für diejenigen, welche Christo durch wahren Glauben einverleibt sind. Es gibt eine Welt, welche den Geist nicht kann empfangen, denn sie siehet ihn nicht, eine Welt, für welche Jesus nicht einmal bitten wollte, wie hätte er sein Blut für sie vergießen sollen? Für wen ließ er sein Leben als für seine Schafe und heiligte sich für die, welche ihm sein Vater gegeben hat, auf daß auch sie geheiligt würden in der Wahrheit. Die sind es, welche er in der Zeit beruft, gerecht spricht und herrlich macht.
Nicht ein jeglicher mag des so leichtfertig und obenhin trösten, daß Christus für ihn gestorben sei. Sollte das wohl wahr sein? Ist das an dem, ist Christus für dich gestorben, so bist du geborgen, so bist du in Ewigkeit vollendet, so sind alle deine Sünden, von der kleinsten bis zur größten, gänzlich getilgt, so kommst du nicht ins Gericht, so bist du so rein, als hättest du nie keine Sünde begangen noch gehabt, ja allen den Gehorsam vollbracht, den Christus, dein Heiland, für dich geleistet hat. Aber wie, wenn es nur Einbildung, nur ein Hirngespinst, nur ein Aberglaube ist, wenn Christus deinen Namen nicht hat wollen im Munde führen und also auch nicht hat für dich bitten wollen! Auf was für einen Grund hin darfst du es wagen zu sagen, Christus sei für dich gestorben? Woran merkst du das? Daran, daß du außer diesem keinen Rat noch Trost weißt? Daran, daß dich sonst die Größe und Strafbarkeit der Schuld zur Verzweiflung treiben müßte? Daran, daß du die Sünde hassest, meidest, fliehest, daß du Leide trägst, daß du nach Gerechtigkeit hungerst und dürstest, daß du kein größeres Gut kennst, als mit Wahrheit sagen zu können: Jesus ist für mich gestorben und sein Tod ist mir ein Gewinn? Ohne solche Gesinnung sage das nur nicht, denn du lügest. Wäre Christus für dich gestorben, würdest du auch mit ihm sterben und leben. Sind aber jene Gesinnungen bei euch, so ergötzet euch in dieser herrlichen Stellvertretung! Seid darauf, wie die Bienen auf den Blumen, daß ihr voll ihres süßen Honigs dem lebt, der für euch gestorben und auferweckt ist. Amen.