Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - VI. Die Fußwaschung.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - VI. Die Fußwaschung.

Geliebte in dem Herrn! Wenn der Apostel Phil. 3, 12 ausruft: „Nicht, daß ich es schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei,“ so scheint er sich mit seinem eigenen Worte V. 15: „Wie Viele nun unser vollkommen sind,“ so wie mit dem Ausspruche Hebr. 10, 14: „Mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet (oder: „an's Ziel gebracht, die da geheiliget werden,“) in Widerspruch zu setzen. Aber dem ist nicht also. Der Apostel redet dort nur aus dem Bewußtsein des Unterschiedes heraus, der zwischen objectiver (gegenständlicher), und subjektiver (persönlicher) Vollendung besteht. - Der durch den lebendigen Glauben Christo Eingepflanzte ist in Gottes Augen allerdings vollendet, sowol im Sinne der Rechtfertigung, indem der ganze Gehorsam Christi ihm von Gott zugerechnet wird; als auch im Sinne der Heiligung, sofern nämlich Gott das Wollen für die That, den Keim der Heiligung schon für die vollständig entwickelte und entfaltete Pflanze nimmt. - Keinesweges ist aber der Gläubige darum auch schon am Ziele der Aufgaben angelangt, die in seinem Innern ihre Lösung suchen. Vielmehr hat er unablässig darnach zu ringen, zuerst, daß er unverrückt in der rechten Aneignung der ihm zugerechneten Gerechtigkeit sich erhalte; und sodann, daß er in Kraft derselben seinen alten Menschen kreuzige, und mehr und mehr ein „vollkommener Mann werde, der da sei in dem Maße des vollen Alters Christi.“

Wir nähern uns heute einem Evangelium, das uns in der letztern Sphäre christlichen Lebens zu einem vortrefflichen Wegweiser dienen kann. Wie wir dahin gelangen mögen, in stets sich verjüngender Jugendfrische „aufzufahren mit Flügeln, wie die Adler, und zu laufen, ohne matt, zu wandeln, ohne müde zu werden,“ das lehrt uns dieses Evangelium.

Joh. 13, 1 - 17.
Vor dem Fest aber der Ostern, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, daß er aus dieser Welt ginge zum Vater, wie er hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebete er sie bis ans Ende. Und als das Abendessen vorhanden war, da schon der Teufel hatte den Juda Simonis Ischarioth in's Herz gegeben, daß er ihn verriethe und Jesus wußte, daß ihm der Vater hatte Alles in seine Hände gegeben, und daß er von Gott ausgegangen war und zu Gott hinging: stand er vom Abendmahl auf, legte seine Kleider ab, und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Darnach goß er Wasser in ein Becken, hob an, den Jüngern die Füße zu waschen und trocknete sie, mit dem Schurz, damit er umgürtet war. Da kam er zu Simon Petrus; und derselbige sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich thue, das weißt du jetzt nicht du wirst es aber hernach erfahren. Spricht Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen. Jesus antwortete ihm: Werbe ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit mir. Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt. Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, der bedarf nicht, denn die Füße zu waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein. Aber nicht alle. Denn er wußte seinen Verräther wol; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. Da er nun ihre Füße gewaschen und seine Kleider genommen hatte, setzte er sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch gethan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr, und sagt recht daran, denn ich bin es auch. So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe - so sollt ihr auch einander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, auf daß ihr thut, wie ich euch gethan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr, noch der Apostel größer, denn der ihn gesandt hat. So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr's thut.

Sagt an, geliebte Brüder, um was geht es euch? Wollt ihr wissen, was einem jeglichen unter euch vor Allem noth thut? In diesem Evangelium wird's euch kund gethan. Gelüstet euch, zu erfahren, wozu Christus erschienen sei? Hier vernehmt ihr's so klar, wie immer möglich. Sähet ihr gerne den innersten Kern des Evangeliums vor euch enthüllt? Hier taucht er aus der Tiefe vor euch auf. Begehrt ihr Anleitung zum Wandel auf dem Wege des Herrn? Hier empfangt ihr sie, und empfangt noch mehr, als dieses Alles. O, der unergründlich tiefen und unvergleichlichen Geschichte, vor der wir heute stehen! Treten wir derselben betrachtend näher, und richten wir unsere Blicke zuerst auf die Liebesthat des Herrn; sodann auf den bedeutungsvollen Auftritt zwischen dem Meister und seinem Jünger Petrus; und endlich auf das deutende Wort, das der Meister selbst als Schlüssel seiner geheimnißvollen Handlung beifügt.

Möge der Geist der Wahrheit auf unserm Betrachtungswege uns begleiten, und selber uns die Hieroglyphenschrift entziffern, mit der dieses Evangelium Zug für Zug durchwirkt ist! -

1.

In eine feierliche Stunde versetzt uns unsre Erzählung. Der Herr Jesus hat seinen Pilgerlauf durch diese Welt vollendet, und der Vorabend seines großen blutigen Opfertages ist herbeigekommen. Noth einmal versammelte er die Seinen in dem trauten Gemache eines befreundeten Hauses zu Jerusalem um sich her. Noch einmal sollen sie in's treue Mittlerherz ihm schauen, und inne werden, was ihnen in Ihm von Gott geschenkt sei. Und nie haben sie dieses Abends mehr vergessen. Nie mehr erlosch in ihrer Erinnerung das wunderhehre Bild, in welchem sie den Mann ihrer Liebe da gesehen. O, diese stille Majestät, die ihn umfloß! Diese wunderbare Innigkeit, die sich in jedem seiner Blicke, seiner Worte, kund gab! Dieser überirdische Friede, der über seiner ganzen Erscheinung ausgegossen lag! Diese kindlich heitere Ergebenheit in Gottes Räch und Willen, und diese leutseligste Herablassung bei aller seiner Hoheit! Und ach, dies göttlich Tiefe, Trostvolle, Geheimnißreiche in jedem Ausspruch seines Mundes, und in dem Ganzen seines Thuns und Verhaltens! Ueberwältigend war es, und herzerhebend, wie sie nie etwas erlebten! - Wie in einen Vorhof des Himmels fühlte man sich versetzt, und wäre unendlich seliger noch gewesen, als selbst in Tabors Klarheit einst, hätte nicht, ach! die Vorahnung des nahen Abschieds den Flor der Wehmuth um die Freude hergewoben.

„Vor dem Fest aber der Ostern,“ beginnt Johannes seine Erzählung, „da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, daß er aus dieser Welt ginge zum Vater: Wie er hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebete er sie bis an das Ende.“ - Welch wunderbarer Styl dies! Hört man nicht das Herz Johannis deutlich durchpulsiren? Gemahnt nicht seine Redeweise an einen Bergstrom, der in regelloser Gewaltsamkeit über Felsen daherstürzt? ist's nicht, als gönnte der Gefühlsdrang, der den Evangelisten überwältigt, seinem Griffel keine Ruhe, auf die Stellung seiner Worte sich zu besinnen; ja, als schriebe der ergriffene Jünger unter Thronen anbetenden Entzückens, und mit dem Bewußtsein gänzlichen Unvermögens, das, was wie ein Gesicht aus einer andern Welt ihm vorschwebt, in einem auch nur einigermaßen würdig entsprechendem Bilde wiederzugeben? Was aber vor allem Andern ihm so mächtig das Herz bewegt, ist der Umstand, daß der Herr Jesus, ob ihm gleich damals schon klar bewußt war, daß die Stunde seiner Rückkehr zum Vater nahe bevorstand, und ob er bereits im Geiste mehr schon dort oben, als noch auf Erden weilte, und bereits die Lobgesänge von ferne rauschen hörte, unter deren Wiederhat! er bald den Thron der Majestät besteigen sollte, dennoch der Seinen nicht vergaß, sondern für sie, die Pilger im Todesthal, in seinem liebenden Erinnern und Bekümmern so viel Raum noch übrig hielt. Und welch' ein Herzeleid hatten ihm diese so zärtlich Umfangenen erst vor Kurzem noch bereitet durch den kläglichen Rangstreit, in den sie sich miteinander verwickelt hatten, und sonderlich durch ihr Verhalten bei der Salbung Maria, da sie, gleichsam als hätten sie dem Meister solche Ehre nicht gegönnt, von der finstern Gesinnung des Verräthers angesteckt, das zarte Liebesopfer der begeisterten Jüngerin wegwerfend einen „Unrath“ zu nennen sich nicht entblödeten, und zu der herzlosen und kaltgründigen Bemerkung sich verleiten ließen, es habe diese Salbe besser verkauft, und der Erlös dafür den Armen gegeben, als so nutzlos vergeudet werden mögen. Ihr erinnert euch, was der Herr ihnen damals so ruhig und so milde entgegenhielt; aber es hatte sie des Herrn Wort so wenig gebeugt und zu Abbitte veranlaßt, daß es sie vielmehr nur aufs tiefste gegen ihn verstimmt, ja, ihre Herzen für eine Weile ihm verschlossen und entfremdet hatte. Und dennoch o, ermeßt diese Treue und Erbarmung! - und dennoch; - noch jetzt möchte Johannes darob in Thronen zerfließen; und dennoch: „Wie er hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebete er sie bis an das Ende!“ - „Aber um deßwillen,“ will Johannes sagen, „gesellte Er sich ja auch eben den Sündern zu, daß er sie fest und ewig auf dem Herzen trüge. Diese vom Vater Ihm Gegebenen lagen ihm ja näher am Herzen, als selbst die heiligen Engel um Gottes Thron. Und am Ende liebte er sie erst recht. O, wie liebte er sie, da er mit ihren Sünden in's Gericht ging, und sich für sie hinunterstürzte in das Feuer, das sie durch ihre Missethaten sich angezündet! Wie liebte er sie, da ihm das Lösegeld seines eignen Blutes nicht zu theuer deuchte, um es für sie, die Uebertreter, dahinzugehen. Durch liebte er sich mit ihnen! Und bis heute liebt er, was sein ist, „bis an das Ende.“ Durchbebte den Johannes ein himmlisches Wonnegefühl bei diesem Gedanken; Brüder, so durchgehe unser Herz ein gleiches! Was da kommen, was sich ereignen mag: Sein Lieben hält durch. „Es sollen wol Berge weichen, und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr dein Erbarmer.“ Jesaj. 54, 10.

Wir treten in das Gemach zu Jerusalem zurück, und treffen die Versammlung bereits um das Mahl gelagert. Wie es scheint, geht's da anfangs stille und einsilbig her. Aber wo der Herr schweigt, redet Johannes. Aufs neue das Herz des Unvergleichlichen wie ein Allerheiligstes uns entschleiernd, spricht er: „Jesus wußte, daß ihm der Vater hatte Alles in seine Hände gegeben, und daß er von Gott ausgegangen war und zu Gott ging.“ Welch ein Wissen dies! Hätte sich das in Jemandes Herz verloren, der nur ein Mensch war, und ob auch der vortrefflichste seines Geschlechts, er müßte ein Wahnsinniger, oder der ärgste Lästerer gewesen sein, der je den Fluch des Allmächtigen auf sein Haupt herabgefordert. Mit dem Bewußtsein seiner ewigen Majestät und Gottheit sehen wir den Herrn Jesum dort am Tische sitzen. Mit dem Selbstbewußtsein des Königes aller Könige, des Herrn aller Herrn, sitzt er da; nicht minder mit dem des Mittlers, welchem um seines Wertes willen wie Alles, so auch die göttliche Vollmacht, Sünden zu vergeben, vom Vater in die Hand gelegt sei, und dem (er sieht sein Blutvergießen schon als geschehen an) nichts mehr im Wege stehe, um die Seinen vor den Schranken des dreimal Heiligen in der Höhe priesterlich zu vertreten. Mit diesem erhabenen Doppelbewußtsein sehen wir ihn mm unversehens vom Mahle sich erheben; und zu welchem Zwecke? In seiner Hoheit zu erscheinen? Den Glanz seiner Gottheitsglorie zu entfalten? Die Kniee der Jünger vor sich in den Staub zu zwingen? Man möchte es schon denken; aber nein! Gar Anderes hat er im Sinne. O, seht doch, was bedeutet das? - Er legt sein Obergewand ab, langt nach einem Schurz, umgürtet sich damit, ergreift ein Becken, füllt es mit Wasser, neigt sich zu den Füßen seiner Jünger nieder, und hebt an, ihnen dieselben nach der Reihe zu waschen, und sie dann mit dem Schurze wieder zu trocknen. - Welch' Schauspiel das! Hält man nicht stutzend, ja bestürzt den Athem an? Möchte man nicht laut aufschreien: „Herr, Herr, was beginnest du?“ - Denkt, der Heilige aus der Höhe in solcher Stellung zu den Sündern! Der Majestätische, den die Engel anbeten, zum Geschäfte eines Knechtes sich erniedrigend! Nein, nimmer fänden wir uns in diesem seinem Thun zurecht, wären wir mit seiner wunderbaren und eigenthümlichen Anschauung nicht vertraut. Wir wissen aber, daß er die Seinen „nach dem Fleische“ nicht mehr kennt. Er sieht in ihnen die vom Vater ihm Geschenkten; Leute, welche Gott also liebte, daß er seinen eingebornen Sohn für sie dahin gab; Gegenstände eines ewigen väterlichen Gnadenrathes; Geschöpfe, die bei aller Sünde, welche ihnen noch anklebt, das Werk des Heiligen Geistes, und in ihm den Samen Gottes in ihrem Busen tragen. Und mehr noch, als dieses Alles, erschaut er bereits in ihnen. Sie sind ihm ja die geistliche Braut mit der Sonne bekleidet: denn mit dem königlichen Gewände Seiner eignen Gerechtigkeit geschmücket stehen sie vor Ihm da; - und - im Grunde also entzückt über den Wunderglanz Seiner eignen Herrlichkeit, die er, wie die Sonne ihr lichtes Bild im Spiegel eines klaren Sees, so in jenen reflektiren und wiederscheinen sieht, neigt Er sich liebend zu ihnen nieder und - wäscht ihnen die Füße. - O großes, bedeutungsvolles Sinnbild! Mächtige Predigt: „Ich bin nicht gekommen, daß ich mir dienen lasse, sondern daß ich diene!“ Beherzigenswerthes Zeugniß von dem, was in seinem Reiche gelte und was nicht! Nachdrucksvolles Urtheil wider jede Eigenheit und Selbsterhebung unter den Menschenkindern! Eindringliche Empfehlung der Demuth und der Selbstverleugnung als der Grundgesinnung seiner Kinder, und holdes, erhebendes Exempel der Liebe, die auch uns beseelen soll! Und was Alles ist jene That des Herrn noch mehr, als dies? Sie zeuget vom Süßesten, Herrlichsten und Höchsten, das es für uns gibt, wie wir sogleich vernehmen werden.

2.

Die Jünger sitzen da, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Sind sie betroffen, gerührt, beschämt? Sie sind dieses Alles in einer Empfindung. Hatte sich in ihrem Herzen wider Jesum etwas gesetzt; wo blieb's? Keine Spur ist mehr davon vorhanden. - Schöpften sie Mißtrauen gegen Ihn, oder der Art etwas; im Nu ist's getilgt, und wie aus ihrer Seele weggewaschen. Jeder Mißton in ihrem Innern hat sich harmonisch aufgelöst. - Und ach! daß sie einst miteinander streiten konnten, wer unter ihnen der Größeste sei! - Wie sie sich deß jetzt schämen! In die Erde möchten sie sich verkriechen vor Scham und Reue. O, welche Beugung kommt über sie, und welche Zärtlichkeit und Liebe durchwallt ihr Herz! In einer Art von seliger Bestürzung lassen sie den Herrn ruhig gewähren. Schweigend geht die unerhörte Handlung vor sich; schweigend, bis die Reihe an Simon Petrus kommt. Da, wie vorauszusehen war, gibt es Widerstand und Stockung. Der Jünger wird, wie der Meister auf ihn zutritt, feuerroth. Nicht anders, als ob ihm zugemuthet würde, ein Majestätsverbrechen begehen zu sollen, ist ihm zu Muthe. Eilends zieht er seine Füße zurück; und wie einst sein „Rabbi, gehe hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch“, ruft er jetzt in heftigster Aufwallung, und fast mit Vorwurf und Anklage gegen den Herrn: „Herr, solltest du mir die Füße waschen?!“- „Nein“, will er sagen, „daraus kann und darf nun einmal nichts werden!“ Wie dies so ganz wieder in Simons Charakter ist! An und für sich hört sich sein Widerspruch nicht übel an. „Du - mir?“ - Nein, er faßt es nicht, wie etwas so Ungeziemendes geschehen solle. Zwischen dem „Du“ und „mir“ bewegt sich die ganze Herrlichkeit des Herrn und das ganze Nichts des Menschen. Wie weit schleudert Simon mit dem „mir“ sich selbst hinweg, und wie hoch erhebt er mit dem „Du“ seinen Herrn und Meister! „Du Heiliger,“ will er sagen, „mir armen Sünder? Du Sohn des Allerhöchsten, mir Wurm am Staube? - Nein, rede mir davon nicht mehr!“ - Gewiß, eine schöne Empfindung dies in Simons Seele; aber nichtsdestoweniger eine arge und sträfliche Verirrung! - O Simon, der Herr kam ja eben, daß er diene! Thörichter Jünger, eben darin stehet ja sein eigentliches Amt, daß er die Unreinen säubere, die Befleckten wasche! Verblendeter, wo bliebst du, ließe er sich nicht bis zu solcher Tiefe zu dir herab? - Nicht wahr, du Ihm die Füße waschen? - Ja, wasche sie Ihm immerhin mit Armensünderthränen; aber im Uebrigen gib Ihm Raum, daß er dich wasche; wie willst du sonst dem Fluch entrinnen?

Doch Simon versteht den Herrn nicht, und hat noch keine Ahnung davon, auf welchem Irrwege er sich befinde. - Der Herr nimmt das Wort und spricht - ihr kennt ihn ja, den für uns Alle so gehaltvollen und trostreichen Ausspruch-: „Was ich thue, weißt du jetzt nicht; wirst es aber hernach erfahren.“ Ja, er wußte es jetzt nicht. Wird aber nach dieser Bemerkung des Herrn Simon ihm nicht blindlings stille halten? - Man sollte es denken; aber nein! Simon glaubt für die Aufrechthaltung der Würde seines Meisters sorgen zu müssen. „Nimmermehr!“ ruft er mit größter Bestimmtheit, „sollst du mir die Füße waschen!“ O Simon, erinnertest du dich doch daran, daß „Gehorsam besser sei, denn Opfer!“ Auch heute noch hört man nicht selten äußern: „Nein, zur Ehre Christi kann ich es nicht glauben, daß er die nackten Sünder ohne Weiteres auf- und annimmt!“ - O Freunde, wollt ihr Jesum ehren, so thuts durch Unterwerfung unter sein Wort: „Ich suche Verlorene.“ - „Nein,“ sagt man, „ich bilde mir's nicht ein, daß der Majestätische sich um mein Gebet, das Gebet des Wurms, bekümmere. O, unverständiger Eifer um die Hoheit Gottes! Gerade dadurch will sich Gott von uns gepriesen sehn, daß wir an Ihn als an einen Gebet-Erhörenden glauben. „Nimmermehr,“ spricht Simon. O Simon, daß dir nur nicht nach deinem Worte widerfahre! Denn vernimm, wie sagt der Herr? „Werde ich dich nicht waschen,“ spricht er, „so hast du keinen Theil mit mir.“ Welch eine über Alles beherzigenswerthe Eröffnung dies! Könnte ich doch einem Jeden dies Wort unauslöschlich in die Seele schreiben! Ihr merkt, wie schon hier der tiefere, mystische Sinn der Handlung Jesu vor uns aufblitzt; der Eine, der aufs Blut, auf die Vergebung, auf die Rechtfertigung und Reinigung von Sünden zielt. Es ist euch ja schon bekannt, was Alles in dem Ausspruche verborgen liegt, und wie eine jede Sylbe hier ihre tiefere Bedeutung hat. „ Werde Ich dich nicht waschen.“ Ja, Du mußt es thun, Herr Jesu; denn wer wüsche sich selbst? - .Werde ich dich nicht waschen.“ - Ja, waschen mußt du uns; denn belehren, unterweisen, Vorbild geben hilft uns nicht. - „Werde ich dich nicht waschen.“ - Freilich, was frommt mir's, daß Petrus gewaschen sei, oder Paulus? Ich muß Vergebung haben, und darum wissen, daß sie mir geworden. Und ewig bleibt es wahr: Wer nicht gewaschen wird mit Christi Blut, der hat nicht Theil an Ihm, noch an den Gütern seines Reiches.

Was aber fängt nun Simon mit jenem Worte an? Es läßt sich schon im Voraus denken. „Wie,“ heißt es in seinem Innern, in welchem jenes Wort einen Sturm der Bestürzung heraufbeschworen hat, wie er ihn nie empfunden, „keinen Theil an Jesu; an meinem höchsten Gute keinen Theil?“ Und wie er's denkt, steht er auch schon mit unaussprechlicher Beugung und unbedingter Hingebung da, und spricht, den tieferen Sinn des Ausspruchs seines Meisters ahnend: „O Herr, dann nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“, d. i. den ganzen Mann! - Ja, wenn Er Miene macht, den Abschied uns zu geben, dann tritt's, ob seiner auch im Taumel des Alltagslebens, für eine Weile einmal wieder vergessen ward, aufs neue an den Tag, wie tief und innig man mit Ihm verkettet ist. Wenn es den Anschein gewinnt, als wolle er uns die eigenen Wege wieder wandeln lassen, dann beurkundet sich‘s, wie doch Nichts in aller Welt über Ihn uns gehe. Der bange Zweifel, ob man auch wirklich etwas für Ihn fühle, schwindet hin, und das „Band der Vollkommenheit“ legt sich wieder bloß, das unauflöslich im innersten Grunde unsere Wesens uns mit Ihm verknüpft; und man empfindet mit erneuter Lebendigkeit und Stärke, wie urplötzlich Fluch, Tod, Teufel und Hölle wieder über uns hereinbrechen würden, falls wir auf Ihn nicht ferner trauen und hoffen dürften. Und süß ist's, so seines Verknüpftseins mit Jesu sich wieder im Wege der Erfahrung bewußt zu werden. Wie trefflich kann uns dies, wenn einmal die Empfindung wieder versiegt, und die Gefahr, an uns irre zu werden, aufs neue nahe tritt, zu Statten kommen! Da wird uns denn solch eine frühere Erfahrung zum „Saitenspiel in der Nacht“, und ermuthigt uns, wie den König David einst in dunkler Zeit seine „vorigen Lieder ermuthiget haben. -

„Herr, nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!“ - Schön dies; aber wieder das rechte Gleis verfehlt! Simon überschreitet jetzt die Linie des Richtigen zur Rechten, wie er sie zuvor zur Linken überschritten hatte. Vorhin wies er Unentbehrliches von sich, und jetzt verlangt er Ueberflüssiges. Er sieht der ganzen Sache immer noch nicht auf den Grund; und wahrscheinlich gehörte auch das nächste Deutungswort des Herrn zu denen, deren Vollsinn dem verblendeten Jünger erst später aufgegangen ist. Es lautet dieses Wort: „Wer gewaschen ist, der bedarf nicht, denn allein die Füße zu waschen; sondern er ist ganz rein; und ihr seid rein, aber nicht alle.“ Daß er mit den letzten Worten auf den Verräther zielt, liegt auf der Hand. Welches ist nun dieser geheimnißvollen Rede Sinn? - Ich glaube, daß wir ihn in Folgendem für ausgedeutet erachten dürfen. Gewaschen ist, wer als armer Sünder durch den Glauben in die Gemeinschaft Jesu einging. Ein Solcher ist zunächst der Rechtfertigung nach von aller Sünde rein. Das Blut des Lammes floß für ihn. Die Bezahlung aller seiner Schulden ist geschehen. Ganz rein ist er vor Gott: denn das Verdienst des Bürgen ward ihm zugerechnet; und rein bleibt er: denn „Gott mögen seine Gaben und Berufungen nicht gereuen.“ Täglich, stündlich soll er sich seines abgewaschenen Standes freuen. Petrus ermahnt in seinem zweiten Briefe: „Vergesset nicht der Reinigung von euern vorigen Sünden.“ Er ist aber auch rein der Heiligung nach, und zwar insofern, als er in Folge der Wiedergeburt aus Wasser und Geist, die er erfuhr, für immer mit aller und jeder Sünde brach, und vermöge seines neuen, aber freilich von seinem Fleische noch immer vielfach angefochtenen und bedrängten Ichs, nichts Anderes will, als was Gott will, und Ihm wohlgefällt. Wie pflegt es aber nun im Fortgänge des Glaubenslebens herzugehn? Es treten unbewachte Augenblicke ein, in denen man in der einen oder andern Weise sich neu versündigt. Unversehens denkt, spricht und thut man wieder, was nicht taugt, und macht sich - natürlich wider Willen (denn mit Willen sündigt nur der Teufel und sein Same; wer aber aus Gott geboren ist, kann, wie der Apostel sagt, nicht sündigen), - neuer Untreuen gegen den Herrn schuldig. Der Wandel ist befleckt; die Füße sind besudelt. Wie verhält man sich nun? Drei Irrwege thun sich auf, und nur zu häufig geschieht es, daß man nun einen derselben einschlägt. Entweder gibt man einem übergreifenden Schuldgefühle bei sich Raum, ruft, wie weiland, wieder das „Unrein, Unrein!“ eines aus der Genossenschaft der Reinen Ausgeschlossenen vor sich her, erachtet die Gnade für eingebüßt und verscherzt, das Band der Gemeinschaft mit dem Herrn für zerrissen; und schreit mit Petrus: „Herr, nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!“ - Oder man nimmt's mit der neuen Versündigung zu leicht, redet sich ein, der begangene Fehler habe keine Bedeutung, beschwichtigt sein Gewissen mit dem rasch und eigenwählerisch herbeigerafften Gedanken, es gehöre ja auch dies Vergehen mit zu der Sündenmenge, die in dem Blute Christi gesühnt und vernichtet sei, und wandelt so seine Straße gemach und ohne Anstoß vorwärts. In beiden Fällen ist man, zur Rechten dort, und hier zur Linken, von der Fährte der Wahrheit abgekommen. Im ersteren Falle öffnete man ohne Roth sein Herz einer das richtige Maß überschreitenden Vorstellung von den Folgen des begangenen Fehltritts, und mißt diesem einen Einfluß auf das Ganze unsers Gnadenstandes bei, den n nach Gottes Wort durchaus nicht ausübt. Die vereinzelte Versündigung, zu der man hingerissen wurde, steht mitnichten einem Abfall von dem Herrn gleich. In dem vereinzelten Siege des Fleisches über den Geist geht so wenig die erfahrene Wiedergeburt wiederum verloren, als um dieser Uebertretung willen die göttliche Gnade sich uns entzieht, und aus ihrer Hut und Pflege uns entläßt. In dem andern Falle schlägt man die begangene Sünde viel zu geringe an, und vergibt vermittelst einer willkürlichen dogmatischen Verstandesoperation dieselbige sich selbst, anstatt sie sich vom Herrn verzeihn zu lassen. Es wird aber der vorgeblich „kleine Fehler“ dadurch, daß wir mit jenem Namen ihn bezeichnen, nicht kleiner, als er ist, und weicht in Folge der Selbstüberredung, daß er ja zu dem Haufen mit gehöre, für welchen das sühnende Blut geflossen sei, so wenig aus unserm Gewissen, daß er vielmehr als ein geheimer Bann in demselben haften bleibt, krebsartig unsern Herzensfrieden zernagt, und uns mehr und mehr den kindlichen Freimuth zum Hinzutritt zum Thron der Gnade raubt. - Welches wäre denn in Lagen, wie die bezeichnete, das dem Evangelium entsprechende Verhalten? Man hüte sich zuerst vor der Verzweiflung, durch die man nur dem Satan ein Fest bereitet. Man trete nicht von dem Angesicht des Herrn fern, als wäre einem jetzt Sein Herz verschlossen. Man denke nicht, daß nun ein neuer Anfang mit dem Christenleben zu machen sei. Der Same der Wiedergeburt: „bleibet bei uns“, sagt die Schrift, und das Kind vom Hause Gottes steht nicht plötzlich wieder als ein Knecht und Fremdling draußen vor der Pforte. „Wer gewaschen ist, spricht der Herr, „ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.“ Wer versteht jetzt diese Rede nicht? Ihr Sinn ist dieser: Wer der Blut- und Geistestaufe, d. h. der Doppelgnade der Lossprechung von der Sünde Schuld, und der Wiedergeburt zum neuen Leben theilhaft worden ist, der ist dem innersten Kerne seines Wesens nach ein durchaus neuer Mensch, der für immer mit der Sünde brach, und dessen innerstes Lieben, Begehren, Dichten und Trachten nur auf Gott und auf das Göttliche gerichtet ist. Ein Solcher bedarf darum, wenn er aus Schwachheit aufs neue von einem Fehl übereilt ward, nicht wieder einer radikalen Wesensumgestaltung, sondern einer Säuberung nur. Er muß sich „die Füße waschen“ lassen. Man erwäge dies wohl, wo man im Stande der Gnade steht. Man setze sich zur Wehr wider den höllischen Verkläger, daß er uns nicht mit maßlosen Beschuldigungen übervortheile. Man halte ihm als Schild das Blut des Lammes vor, und lasse sich den Muth und das Vertrauen nicht erschüttern! -

Nicht minder sorgsam aber umschiffe man auch die andere Klippe, die hier droht, und hüte sich, die erneuerte Untreue, mit der man sich besteckte, zu bemänteln oder zu unterschätzen. Kein Fehltritt ist geringfügig und unbedeutend. Man lasse den Richter in unserer Brust ungehindert sein Amt verwalten, und sträube sich nicht, in seinen Anklagen ihm Recht zu geben. Man nahe als ein tiefbetrübtes, aber darum doch nicht verzagendes Kind dem Herrn, und bekenne demselben aufrichtig seine Schuld. Man spreche: „Herr, mein Gott, aufs neue habe ich mich an dir versündigt. Es ist mir leid. Siehe, ich richte und verdamme mich selbst; aber Deine Gnade ist groß, und auf sie vertraue ich. Besprenge mein Gewissen neu mit deinem Blute, und gib mir's, auch für diesen Fehl die Bezahlung, die du für mich geleistet, mir gläubig anzueignen!“ So seufze das gebeugte, zerknirschte Herz, und, was gilt's, der Herr neigt sich gnädig zu uns nieder, spricht der Seele durch den heiligen Geist das Wort der Vergebung zu, und der Herzenssabbath bleibt mit dem Kindschaftsbewußtsein ungebrochen in Jesu Blut. Und o, wie fühlt man sich dem Herrn neu verbunden und neu gestärkt zum Kampfe wider Teufel, Welt, und eignes Fleisch und Blut, und wie grünt neu gefrischt im Gemüthe die freudenreiche Zuversicht auf, daß man in Wahrheit einen Heiland habe, nach solcher erneuerten Erfahrung Seiner Treue! Man erreichte wieder ein Pniel, bei welchem man mit Jakob jubelt: „Ich habe den Herrn von Angesicht gesehn, und meine Seele ist genesen;“ und stimmt aufs neue tief bewegt in David's Worte ein: „So sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der Herr thut dir Gutes!“ -

Seht, Freunde, dies ist das „sich die Füße waschen lassen“ im Sinne des Herrn; und ihr merkt, es ist ein selig, erquicklich und belebend Ding darum. Und wer in der rechten Einfalt steht, dem ist diese täglich erneuerte Buße und darauf folgende neue Heilserfahrung nichts Gesetzliches, sondern gerade rechtes Evangelium, und unaussprechlich süße Uebung. So wird der innerliche Mensch tagtäglich erneut, und erfährt eine unaufhörliche Verjüngung. Die Blumen der Freude, wie der Hingebung an den Herrn, gehen im Herzen immer wieder auf, und jeden Augenblick ist es drinnen wieder Frühling. Manche Christen kennen eine andere Nahrung für ihr inneres Leben nicht, als die sie an dem verschimmelten Brode verjährter Erfahrungen besitzen. Dabei kommt aber ein rechter Friede nicht heraus. Es verhalt sich nicht so mit dem innern Christenthume, daß, nachdem man einmal Vergebung der Sünden empfing, man nun in gedächtnißmäßiger Rückerinnerung daran in todter Sicherheit dahinlebt. Nein, wo ein wirkliches geistliches Leben besteht, findet sich auch fortwährende Bewegung, unablässiger Kampf gegen die Sünde, und nach stets sich erneuernder Beugung vor Gott stete Wiedererhebung im Genüsse Seiner neu versiegelten Gnade. Wäre es anders, wie hätte der Herr seinen Kindern als tägliche Bitte die Worte auf die Lippe legen können: „Vergib uns unsere Schulden?“ Wer gewaschen ist, bedarf nicht wieder, daß er ganz, wohl aber, daß ihm stets auf's neue „die Füße gewaschen“ werden. -

3.

So hat sich uns denn der innerste Sinn der Fußwaschungsscene aufgeschlossen, Es gehört derselbe der Heilsordnung an, und ist seinem ganzen Umfange nach dem Verständniß der Jünger gewiß erst später aufgegangen. Was dieselben aber unfehlbar besser und alsobald schon fassen mußten, war die mehr äußerliche und Exempel gebende Seite jenes Aktes; und auf diese beschränkt sich denn auch die Schlußdeutung unsers Herrn, auf die wir nun noch unser letztes Augenmerk zu richten haben. Nachdem der Herr sein Oberkleid wieder angelegt, und mit den Seinen aufs neue bei der Tafel sich niedergelassen hat, öffnet er abermals den holdseligen Mund, und spricht zu ihnen: „Wisset ihr, was ich euch gethan habe?“ Mit dieser Frage deutet er zuvörderst noch einmal auf den tieferen Geheimsinn seiner Handlung hin, der freilich durch seine Bemerkung: „Ihr seid rein; aber nicht alle,“ der Ahnung der Jünger nahe genug gelegt war. Ja, es mußte vor diesem Worte des Herrn jeder Zweifel verschwinden, daß es sich hier von einer geistlichen Reinigung handle. Zugleich aber bahnte sich der Meister durch das „Wisset ihr, was ich euch gethan habe“ den Weg zum Folgenden. „Ihr heißet mich Meister und Herr,“ fährt er fort, und fügt, in majestätischem Selbstbewußtsein ihre kühnsten Ahnungen von Seiner übermenschlichen Hoheit besiegelnd, hinzu: „Und ihr sagt recht daran; denn ich bin es auch.“ Dann spricht er weiter: „So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch einander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, auf daß ihr thuet, wie ich euch gethan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr, noch der Apostel größer, denn der ihn gesandt hat. So ihr Solches wisset, selig seid ihr, so ihr's thut.“ Hier sehen wir also das Muster gebende Moment der Handlung Jesu hervorgehoben. Das grundtextliche Wort, das unsere Uebersetzung „Beispiel“ wiedergibt, schließt übrigens den doppelten Begriff des Sinn- und Vorbildes in sich, und deutet also wieder an, daß wir dessen Gedanken nicht eben auf der Oberfläche zu suchen haben. Es wird euch bekannt sein, daß Manche gemeint haben, es habe der Herr hier für seine Kirche einen äußerlichen kirchlich solennen Akt anordnen wollen. Aber zu dieser Annahme ist nicht der allergeringste Grund vorhanden. Hat sich die vom Herrn empfohlene Fußwaschung auch hin und wieder wirklich zu einer bloßen Formalität entgeistigt, so hat der Herr dies nicht verschuldet. Er empfahl in ihr nicht ein leeres Ceremoniel, geschweige einen Deckmantel für hierarchischen Hochmuth, wozu sie derjenige sich dienen lasset, von welchem Jemand richtig bemerkt hat, daß er mehr zu bewundern sein würde, wenn er in ungefärbter Demuth einem einzigen Könige, als wenn er, wie jetzt geschehe, tausend Armen die Füße wüsche; - sondern es empfahl der Herr durch sie den Seinen die in wahrhaftiger Selbstverleugnung auch zu den geringsten Diensten sich gern herablassende, aus Seinem, des Erlösers, Herzen in das unsere überfließende Bruderliebe. Auch wir sollen einander die Füße waschen, und, wo Noth und Umstände es fordern, dies auch im buchstäblichen Sinne. Zu keiner Hülfleistung, und wäre sie die scheinbar erniedrigendste, sollen wir, nachdem Christus uns darin mit leuchtendstem Vorbild vorangegangen, uns zu hoch und zu vornehm dünken. Liebesthätigkeit, auf wie unscheinbarem Wege sie immer wandle, erniedrigt nimmer. Sie erniedrigte selbst den Herrn der Herrlichkeit nicht; wie denn uns, seine armen Knechte? Vornehmlich aber sollen wir geistlicherweise dem Vorbilde des Herrn entsprechen. Von Natur sind wir sehr geneigt, einander, wie man zu sagen pflegt, wohl „den Kopf zu waschen“, d. h. uns wechselseitig unsere Fehler vorzurücken, und ihrethalben uns einander mit Herbigkeit zu richten und zu beschämen. Der Herr aber empfiehlt eine Waschung der Füße, und zwar eine solche, der die Liebesabsicht zum Grunde liege, den Bruder von der ihm noch anklebenden Sünde zu reinigen und frei zu machen. Es kann freilich auch dies ohne Namhaftmachung der Sünde nicht geschehen; aber es ist etwas gar Anderes, wenn die Demuth, die niemals richtet, ohne zuvor sich selbst gelichtet zu haben, Sünden vorhält, und die Barmherzigkeit, die nimmer tränken, sondern nur heilen will, Gebrechen aufdeckt, als wenn die selbstgerechte Vornehmheit, oder der splitterlichtende Pharisäismus dem armen Sünder sein Schuldregister vorrückt. Wer in der Weise, wie der Herr es meint, dem Bruder die Füße wäscht, stellt sich diesen vorab als Sünder gleich, gehet mitleidig ein in dessen Schuld, deckt ihm dieselbe mit ebenso zarter Schonung, als unverholener Offenheit auf, schmelzt ihm durch liebevolle Erinnerung an den Reichthum göttlicher Güte, den er mit Undank vergolten habe, das Herz; und nachdem er so, zur Buße ihn stimmend, die Füße ihm gewaschen, vergisset er auch nicht, sie dadurch auch wieder ihm zu trocknen, daß er ihm den Schleier vom Thron der Gnade hebt, das Kreuz von Golgatha ihm vor Augen malt, die Gnade Dessen ihm verkündet, der auch Gaben empfangen habe für die Abtrünnigen, und ihm den Balsam des Evangeliums in die Wunden träufelt.

Freilich waschen wir einander so die Füße nicht, so lange wir nicht „wissen, was der Herr uns gethan hat.“ Das Geheimniß seines Kreuzes muß erst uns selber im Lichte des Heiligen Geistes aufgegangen sein, ehe wir zu solcher Fußwaschung tüchtig werden. Ja, wir müssen selbst erst im wesenhaften Gegenbilde das erfahren haben, was damals im Vorbilde Simon Petrus erlebte. Christus muß uns selbst erst waschen, oder wir waschen Niemandem je die Füße in Seinem Sinne. Gehe denn fortan auf Schritt und Tritt Sein Wort uns nach: „Wo ich dich nicht wasche, so hast du keinen Theil an mir.“ Vertreibe dasselbe aus unserer Seele alle falsche Sicherheit; gönne es uns nicht Ruhe Tag und Nacht, bis es zum Schemel seiner Füße uns niederwarf, und, falls Er überhaupt uns noch nicht wusch, auch unserer Brust den Simonsruf entpreßte: „Herr, nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt!“ Sind wir aber Seiner Waschung theilhaftig worden, so sei die Sprache unseres Herzens eine andere; und immer wieder ertöne in unserm Innern das Wort des Sängers:

Weil ich denn nun an Deinem Leibe
Ein arm, doch lebend Gliedmaß bin,
So gib, daß stets an Dir ich bleibe,
Und zeuch mich stündlich zu Dir hin.
Laß mich nicht andre Helfer suchen,
Wenn Dein Gesetz mich neu verklagt
Der Sünde laß mich ewig fluchen
Doch halt Dein Blut mich unverzagt! Amen.

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