Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - X. Die Abendmahlslehren.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - X. Die Abendmahlslehren.

So weit unser Blick in die Kirche Christi zurückreicht, begegnet uns das unscheinbare aber bedeutungsvolle Denkmal, das wir „den Tisch des Herrn“ nennen, und erinnert an das Wort Jehovas 2 Mos. 20, 24: „Wo ich das Gedächtniß meines Namens stiften werde, da will ich zu dir kommen, und dich segnen.“ Als keine Gotteshäuser noch sich wölbten, um dieses heilige Monument in ihre feierlichen Räume aufzunehmen, stand's prunklos in den Hütten und Kämmerlein der Gläubigen, und stille Brüderkreise, in Friede und Freude geeint, und den Preis des Lammes im bewegten Herzen, reihten sich um dasselbe her. und als auch dort die Hand des Feindes die geheimnißvolle Tafel umgestürzt, sehen wir sie in einsame Wälder und entlegene Wüsten hinausgeflüchtet; und ein nackter Fels, ein bemooster Baumstamm wird mit dem weißen Tuche überbreitet, und beut, wenn auch auf irdener Schüssel und in hölzernem Kelche, den Feiernden himmlisches Manna und Kraut des ewigen Lebens. Und nur zu wahr ist's, was ein Alter sagte: „So lange die Abendmahlsgefäße Hölzer waren, war die Kirche golden, und als jene golden wurden, ward diese hölzern.“ Doch wie dem auch sei, keine Macht der Verfolgung, keine antichristisch-vandalische Zerstörungswuth, kein Tiroccosturm falscher, Christi Blut verhöhnender Lehre vermochte jenen Tisch aus der Welt zu bannen. Als ein laut redendes Zeugniß von dem Kreuze Jesu Christi und dem auf dasselbe gegründeten göttlichen Gnadenthrone hat der heilige Tisch „Angesichts der Feinde“, wie es geweissagt ward, jederzeit auf Erden dagestanden; und, ob in seiner ursprünglichen, schlichten Gestalt, oder ob in fremdartigen Pomp und Prunk verhüllt, steht er, wo irgend ein Christen-Häuflein sich findet, bis diese Stunde anbricht, und wird bis an das Ende der Tage von der Erde nicht mehr verschwinden. - Greift sich's nicht mit Händen, daß ein allmächtiger Schutz über diesem Tische walten müsse; ja, daß er unter den beschirmenden Flügeln des lebendigen Gottes geborgen ruhe? Mit einem einfachen Worte, mit dem Worte: „So oft ihr solches thut“, verbürgte der Heu aller Herren seinem Liebesmahle die ewige Dauer. Wie deutlich legt sich's hier schon zu Tage, daß man von dem Werth und der Bedeutung dieses Mahles gewiß nicht hoch genug werde halten können! -

Welches ist denn seine Bedeutung? Diese Frage wird in unsern nächsten Betrachtungen uns beschäftigen. Helfe der Herr, daß wir die rechte Antwort finden! Doch, wir werden sie finden; denn Sein Wort ist „unsres Fußes Leuchte“. -

1. Cor. 10, 16-21.
Der Kelch der Segnung, welchen wir segnen, ist er nicht eine Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brod, welches wir brechen, ist es nicht eine Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn Ein Brod ist es, so sind wir Viele Ein Leib; dieweil wir alle des Eines Brodes theilhaftig sind. Sehet an den Israel nach dem Fleisch - welche die Opfer essen, sind die nicht der Gemeinschaft des Mahls? Was will ich denn nun sagen? Will ich sagen, daß der Götze etwas sei? Ober daß das Götzenopfer etwas sei? Aber ich sage, daß die Heiden, wo sie opfern, das opfern sie den Teufeln, und nicht Gott. Nun will ich nicht, daß ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt. Ihr könnt nicht zugleich trinken des Herrn Kelch, und der Teufel Kelch - ihr könnt nicht zugleich theilhaftig sein des Herrn Tisches, und der Teufel Tisches.

So sehn wir uns denn heute bei der großen Frage angelangt, was nach der Lehre der heil. Schrift vom Zweck und von der Bedeutung des heiligen Abendmahls zu halten sei. Fanden wir je Ursache, den Herrn mit der flehentlichen Bitte anzugehn, daß er uns in alle Wahrheit leiten wolle, dann bei der Erwägung, zu der wir gegenwärtig schreiten. In dem verlesenen Texte haben wir, gestattet den Ausdruck, die klassische Stelle für die besagte Lehre vor uns. Er bringt uns Worte jenes Apostels, der, wie er feierlich bezeugt, seine Anschauungen von dem Sakrament des Brods und Weins einer unmittelbaren Offenbarung seines erhöhten Herrn und Meisters zu verdanken hatte. Es ist diesen Worten somit ein entscheidendes Ansehen beizumessen. Auffallend freilich konnte es erscheinen, daß die Bekenner der entgegengesetztesten Lehrbegriffe von jener erhabenen Bundesstiftung sämmtlich, ein jeder zu Gunsten seiner Sonderansicht, auf diese Stelle sich berufen. Ader dies verschuldet die Stelle nicht, welche nicht Ja und Nein, sondern unzweideutig und entschieden Ja ist, und die, wie wir im Fortgange unserer Betrachtung uns überzeugen werden, einer gesunden, lautern und ungekünstelten Auslegung einen einzigen Sinn um darbeut. - Freilich geht des Apostels nächste Absicht an unserm Orte nicht eben dahin, über das h. Abendmahl und dessen Bestimmung uns Unterweisung zu elcheilen. Vielmehr gedenkt er des Abendmahls hier nur beiläufig, und zwar zu dem Behufe, eine andere Wahrheit durch dasselbe uns zu veranschaulichen und zu erläutern. Nichtsdestoweniger ist sein Ausspruch auch für jenes von höchstem Belange, und dies sowohl dadurch, daß er den irrthümlichen Lehrbegriffen, die sich im Lauf der Zeit dem Sakramente angehängt, ihre Blößen aufdeckt; als auch dadurch, daß er zum richtigen Verständniß desselben uns einen höchst wesentlichen Beitrag liefert.

Wir betrachten für heute die Paulinischen Worte mir aus dem ersteren Gesichtspunkt, und beleuchten mit der Fackel, die sie hiezu in die Hand uns legen, zuerst die römische, sodann die zwinglische und endlich die lutherische Abendmahlslehre. Der Herr aber sei uns nahe und schenke uns Kindeseinfalt und unbedingte Unterwürfigkeit unter sein Wort zum Geleite!

1.

Die Lehre Roms trete zuerst vor die Schranken unseres Textes. Sie findet hier ihre vollständigste Widerlegung. Was die Römischen aus dem heiligen Abendmahl zu machen sich vermessen haben, ist euch bekannt. Sie haben weder angesehen den unzweideutigen Ausspruch Hebräer 10, 14: “Mit Einem Opfer hat Christus in Ewigkeit vollendet, die da geheiliget werden“, noch den demselben unmittelbar vorhergehenden, in welchem es heißt: die Priester des Tempels hätten oftmals einerlei Opfer dargebracht, weil ihre Opfer nicht im Stande gewesen seien, die Sünden wegzunehmen; Christus hingegen, da er Ein Opfer (das wirklich versöhnende) dargebracht habe auf immer, (d. i. als für die Ewigkeit geltend,) sitze hinfort zur Rechten Gottes (d. i. ruhe von aller Opferarbeit), weil es einer solchen nun nicht mehr bedürfe. Diesen entscheidenden Zeugnissen zum Trotz lehren die Römischen, daß jenes einmalige Opfer Jesu Christi zur Rettung der Sünder mit Nichten strecke, wofern es nicht in unblutiger Weise immer wieder erneuert werde; und so sehen wir unter ihren Händen das h. Abendmahl zu einer neuen Opferceremonie verzerrt, und den einigen vollkommenen Hohenpriester im himmlischen Heiligthum in eine menschliche Priesterkaste auf Erden so zu sagen aufgelöst. Brod und Wein werden nach römischem Dogma durch priesterliche Conseclation in den wahren Leib und das substantielle Blut des Herrn verwandelt, und dürfen nach Gestalt, Geruch und Geschmack nicht mehr beurtheilt werden, sondern haben, ob ihnen gleich die zufälligen Eigenschaften des Brods und Weins geblieben sind, nichtsdestoweniger aufgehört, Wein und Brod zu sein, indem sie nach Substanz und Wesen wirklich Fleisch und Blut Jesu Christi geworden sind, welches der Priester aufs neue zur Versöhnung Gottes opfert. Es muß zugestanden werden, daß diese Lehrbildung auf Hebung des Ansehens der Kirche und ihres Clerus gar wohl berechnet war. Man denke nur: welch' eine Kirche, in deren Schooße fortwährend ein so unerhörtes Wunder sich ereignet, wie jene Wandlung; und welch' eine Priesterschaft, die über Kelch und Patene nur ihren Segensspruch zu murmeln braucht, um dasselbe Object hervorzubringen, welches einst schöpferisch der „heil. Geist“ und die „Kraft des Höchsten“ im Schooße Maria's in's Dasein rief. - „Aber die Glieder der Kirche glauben das?“ fragt ihr befremdet. O Freunde, es glaubt der Mensch schon leicht, was ihm zum Pflaster auf die Wunden seines Gewissens dienen kann. Und glauben auch Tausende der römischen Christen das Verwandlungswunder im innersten Grunde ihres Herzens nicht, so hindert das nicht, daß sie dennoch durch die das vorgebliche Wunder begleitende, sinnlich berauschende, und dem Herzen eine momentane Beschwichtigung gewährende Feier zauberisch angezogen und gefesselt werden. Ich sage: „zauberisch“. Unsre heutige Textesstelle gedenkt unheimlicher Kräfte und Einflüsse, denen sie anderwärts, als in der Welt der Sterblichen, ihren Quell- und Ausgangspunkt anweist. In der That wird man versucht, diese Potenzen zu Hülfe zu nehmen, um sich das Räthsel zu deuten, wie Angesichts der heiligen Schrift ein vorgebliches Mirakel, wie das der sogenannten Transsubstantiation, bei einem großen Theile der Christenheit sich Jahrhunderte hindurch das Ansehn einer wirklichen Thatsache wahren konnte. Wir widerstreben dieser Versuchung; doch räumen wir ein: wenn man von irgend Etwas sagen möchte, daß es mit natürlichen Dingen nicht zugehe, dann in der That von diesem unerhörten Umstand.

Freilich will Rom davon nicht wissen, daß es in seinem Meßopferdogma einem Wahne huldige. Vielmehr beruft sichs zu Gunsten seiner Lehre ebensowol, wie wir zu Gunsten der unsrigen, auf die heil. Schrift, und sogar namentlich, - man denke nur! - auf unsere Textesstelle, als ob dieselbe nicht die mächtigste Klippe wäre, an der seine ganze Satzung scheitern muß. Denn fürs erste ist in ihr, wie überall, von einer Verwandlung der Nachtmahlselemente mit keiner einzigen Sylbe die Rede. Das Brod heißt auch nach gesprochener Danksagung und Segnung nicht „Fleisch“ oder „Leib“, sondern „Brod“, wie zuvor. Sodann gedenkt der Apostel allerdings einer „Segnung“, namentlich des Kelchs; aber keiner priesterlichen im pontificalen Sinne. Er spricht: „der Segenskelch, den wir segnen“, und hat bei diesem „wir“, wie am Tage liegt, nicht ausschließlich die Apostel, sondern alle gläubigen Communicanten im Auge; und will nicht etwa sagen: „der Kelch, den erst wir consecriren und weihen“, sondern: „den wir als einen geweihten heiligen, vom gewöhnlichen Gebrauche sondern, und mit Lobpreisung zu Gott erheben.“ Und viel weniger noch, als an ein spezifisch priesterliches Segnen des Brods und Weins, wovon uns in der apostolischen Kirche auch nicht die leiseste Spur mehr begegnet, denkt der Apostel bei seinen Worten an ein Segnen mit magischer oder zauberischer Wirkung; ein Begriff, der vollends dem Evangelium gänzlich fremd ist, und vielmehr dem Heidenthume angehört. - Endlich, und dies ist vor Allem zu beachten, wird im 18ten Verse unsres Textes das Abendmahl und dessen Feier nicht mit dem im Tempel dargebrachten Opfer und dessen Schlachtung selbst, sondern vielmehr mit dem dem Opferakte folgenden israelitischen Opfermahle vergleichend zusammengestellt. Wie aber diese Opfermahlzeit nur zu einer Gedächtnißfeier des dargebrachten Opfers, und nicht selbst wieder zu einer neuen Opferung verordnet war, so spricht auch der Herr bei seinem heiligen Tische nicht etwa: „Gebet, opfert, bringet dar“, sondern „nehmet, esset, trinket, was ich für euch geben und vergießen werde.“ Das israelitische Opfermahl sollte nur die nothwendige Aneignung der Frucht und Wirkung des dargebrachten Opfers veranschaulichen und vermitteln, und nicht eine neue Opfergabe sein. Wie kann also Rom es wagen, zu Gunsten seiner Meßopfersatzung auf diese unsre Textesstelle sich zu berufen? Rom vergreift darin sich schwer, und setzt seine Lehre, statt, wie es vermeint, auf einen Felsen, auf eine Mine, die sie in einer Explosion in die Lüfte sprengt.

2.

Den stärksten Gegensatz zum römischen Abendmahlsdogma bildet das reformirte, und zwar der zwinglischen (nicht der calvinischen) Formulirung. In dem zwinglischen Lehrbegriffe ist allerdings die sinnbildlich erinnernde und veranschaulichende Bedeutung des Abendmahls wenigstens die vorherrschende. Es wird hier in den Einsetzungsworten des Herrn vor Allem das “Solches thut zu meinem Gedächtniß“ stark betont; und allerdings müßte derjenige gewaltsam Ohr und Auge schließen, der es verkennen wollte, daß das Abendmahl nach der Bestimmung des Herrn auch als Gedächtnißfeier aufzufassen sei. Eine verkörperte Predigt ist's von dem, was die Hauptsache im Evangelium bleibt; eine Aufforderung an die Versöhnten, „den Tod des Herrn zu verkündigen, bis daß er kommt.“ Unzweifelhaft erscheint schon, auch nur nach dieser Seite hin erst angesehn, das Abendmahl als ein theuerwerthes Vermächtniß des Herrn. Es erfrischt in uns das Bewußtsein, daß wir mit Christi Blut von allen Sünden rein gewaschen sind. Da der Herr Anders nichts im Abendmahl abbildend dargestellt, als dies, so befestigt's uns auf's neue in der Ueberzeugung, daß die vollendete Versöhnung durch sein am Kreuze dargebrachtes Opfer den eigentlichen Kern- und Mittelpunkt des ganzen Christenthumes bilde. Es läutet uns immer wieder ein öffentliches, glaubenstärkendes Dank- und Jubelfest ob solcher großen Gnade ein, und bringt es uns zu erneuerter Anschauung und Empfindung, daß wir Alle, die wir glauben, einem großen Bruder- und Familienbunde in Christo angehören, ja, hinfort Alle nur Einer sind in Christo. Aber wie schon das Wort des Herrn: “Mich hat herzlich verlangt, dies Osterlamm mit euch zu essen“, es außer Zweifel stellt, es müsse das Abendmahl doch mehr noch in sich halten, als ein veranschaulichendes Bild und eine bloße Erinnerungsceremonie; wie sodann in dieser Ansicht die hohe Feierlichkeit des Einsetzungsatzes, und namentlich das öfter wiederkehrende Wörtlein „ist“ uns nur bestärkt; wie ferner der gewaltige Ernst, womit Paulus vom unwürdigen Genuß des Mahles abmahnt, unsre Vorstellung von der Bedeutung des letzteren nothwendig aufs höchste steigern muß: so kann die zwinglische Lehre in ihrer Einseitigkeit vollends vor unserm heutigen Texte nicht einen Augenblick bestehn. An dieser unsrer Stelle heißt es nicht: „Das Brod, oder der Kelch der Danksagung ist ein Gedächtnißzeichen“; sondern: „ist eine Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi.“ Hier wird gesagt: „Wie das Opfermahl den Israel nach dem Fleisch in die Gemeinschaft des Mars, wie das Götzenopfer den Heiden in die Gemeinschaft der Teufel versetze, so bringe das Abendmahl den gläubig Genießenden in die Gemeinschaft Christi. Offenbar erschließt sich hier also ein ungleich tieferer Sinn der hochheiligen Stiftung; ein Sinn, nach welchem bei der Nachtmahlsfeier nicht der Mensch blos sich thätig erweist, indem er sich erinnert, dankt und Gottes Gnade preiset; sondern zugleich eine göttliche Thätigkeit von Oben her ihm entgegenkommt.

3.

„Ja wohl“, ruft der Lutheraner; „ihr Reformirten faßtet die Sache zu seicht, zu verständig, zu rationalistisch. Zwischen eurer glaubensarmen und der abergläubischen Lehre Roms liegt die Wahrheit in der Mitte.“- „Und“, fragen wir, „diese Wahrheit wäre?“ - „Brod und Wein“, lehrt die lutherische Kirche, „bleiben ihrer Natur nach, was sie sind, und werden nicht verwandelt. Nachdem aber diese Elemente im Abendmahl durch den verordneten Diener der Kirche gesegnet worden, empfängt jeder Communicant, der gottlose, wie der fromme, in, mit und unter dem Brode und dem Wein, aus Kraft des mit dem Sakramente gehenden Gottesworts, den wirklichen, jetzt verklärten Leib, und das wirkliche, nunmehr verklärte Blut des zur Rechten des Vaters im Himmel erhöhten, aber auch leiblich noch auf Erden gegenwärtigen Christus; und mit dem leiblichen Munde empfängt er's, nur, daß es der Ungläubige zu seiner Verdammniß, der Gläubige hingegen zu Heil und Segen empfängt.“

Dies die lutherische Lehre. Ob, und in wiefern dieselbe in der Schrift gegründet sei, werden wir später sehn; gestehen ihr jedoch von vom herein schon unweigerlich den Vorzug der größeren Tiefe und des reicheren Inhalts vor der zwinglisch-reformirten zu. Nichtsdestoweniger aber vermögen wir auch das lutherische Dogma von allen Spuren menschlicher Schwachheit und Kurzsichtigkeit nicht freizusprechen. Die Blößen desselben dürften namentlich in Folgendem zu suchen sein. Zuvörderst läßt es dem göttlichen Einsetzungswort: “Solches thut zu meinem Gedächtniß“, zu wenig Ehre widerfahren, während die zwinglische Lehre, die den ganzen Schwerpunkt des Sakraments in dasselbe fallen läßt, dem Worte, wenn ich so sagen mag, der Ehre zu viel erweist. Die Bedeutung der Nachtmahlsfeier lediglich in derjenigen eines feierlichen Gedächtniß-Aktes aufgehn zu lassen, ist ein Mißgriff; aber mit diesem Namen muß nicht minder auch das Verfahren bezeichnet werden, in welchem man sich zu jener Bedeutung ausschließend statt einschließend verhält. - Zweitens übersieht das lutherische Dogma, daß das griechische Wort „Koinonia“ im 16ten Verse unsres Textes nicht blos eine Gemeinschaft mit, sondern auch eine Betheiligung an einem Gegenstande bezeichnet; wie denn z. B. Paulus 2 Corinther 8, 4 die Gemeinden in Makedonien wegen ihrer „koinonia“, d. i. ihrer Theilnahme an der Sammlung der Liebessteuer für die Heiligen lobt und rühmt. Ja, es erhellt aus Röm. 15, 26, daß das Wort „Koinonia“ auch eine Mittheilung bedeutet; denn Paulus schreibt an der besagten Stelle: „Denen in Macedonien und Achaja hat es gefallen, eine „koinonia“, (d. i. eine Spende oder Steuer) zu machen für die Armen;“ und somit darf der Übersetzung des 16ten Verses unsres Textes in ein „der Segenskelch und das gebrochene Brod theilen mit das vergossene Blut und den gebrochenen Leib des Herrn;“ oder: „Sie vermitteln eine Betheiligung, sie gewähren einen Antheil an denselben, d. h. an deren Früchten,“ wenn sie auch nicht die allein zulässige ist, doch keinesweges alle Berechtigung neben derjenigen abgesprochen werden, die hier eine durch das Sakrament vermittelte Einigung des Communicanten mit dem verklärten Leib und Blute Christi verheißen findet. - Drittens läßt das lutherische Dogma unerwogen, daß, wo die Schrift schlechthin vom Leibe und vom Blute Christi redet, sie stets seinen für uns gekreuzigten Leib, und sein für die Sünden der Welt vergossenes Blut darunter versteht, und eines verklärten Blutes Christi sogar nirgends gedenkt; und daß sie, wo sie von seinem himmlischen Leibe redet, dies ausdrücklich, wie Phil. 3, 21, durch ein hinzugefügtes Bei- und Bestimmungswort zu erkennen gibt. Freilich will ich keineswegs hiemit sagen, daß im Sakramente für den Gedanken an eine Vereinigung mit der verklärten Leiblichkeit Christi kein Raum verbleibe; sondern will nur die allzugroße Zuversicht rügen, womit behauptet wird, daß bei dem „Leib“ und „Blut“ im Abendmahle nur an Christi himmlischen Leib und an sein verklärtes Blut zu denken sei.- Viertens versichern die lutherischen Dogmatiker vielfach all zu dreist, Christi Leib und Blut würden im Abendmahle mit dem leiblichen Munde genossen, da doch keine Stelle der Schrift dies ausdrücklich lehrt, ja vielmehr der Herr die Kapernaiten, die seine Rede vom Essen und Trinken seines Fleisches und Blutes buchstäblich und sinnlich verstehn wollten, aufs ernstlichste mit den bedeutsamen Worten zurückweist: „Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist kein nütze. Die Worte, die ich zu euch rede, die sind Geist und sind Leben.“ - Endlich fünftens muß die Anschauung lutherischer Kirchenlehrer, nach welcher auch die ungläubigen Abendmahlsgenossen Christi wahren Leib und wahres Blut, freilich nur zu ihrer Verdammniß, empfangen und genießen, für völlig unbegründet erachtet werden. Sie stützen zwar ihre Behauptung auf 1 Corinth. 11, 29, wo der Apostel warnend spricht: „Welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn.“ Mit dieser Stelle aber hat sich's, wie folgt. In der Corinthischen Gemeine war die Unsitte aufgekommen, die Liebesmahle, mit denen die Feier des Sakraments verbunden zu werden pflegte, zu gewöhnlichen sinnlichen Gelagen herabzuwürdigen. Nicht wenigen der dortigen Christen drohte die Gefahr einer allmähligen Verdunklung, ja gänzlichen Verwischung des Bewußtseins von dem Unterschiede der Mahle der Welt und dem Herrnmahle. Diese Verirrten warnt nun der Apostel mit großem Nachdruck, indem er solch Nichtunterscheiden der sakramentalischen Speise von der alltäglichen als einen Frevel bezeichnet, der der göttlichen Strafe nicht entgehen werde. Allerdings nennt er das, was im Abendmahl gegessen und getrunken wird, den „Leib des Herrn“; jedoch nur, weil dasselbe diesen Leib repräsentiert, und die Gemeinschaft mit ihm vermittelt. Weit entfernt ist er aber, hiemit etwa sagen zu wollen, es seien Brod und Wein im Sakrament schon an und für sich in absoluter Weise für Jeden des Herrn Leib; oder gar: es werde auch der Ungläubige und Gottlose, indem er das Brod und den Wein zu sich nehme, wahrhaft und wesentlich mit Christi Leib und Blut gespeiset und getränkt. Nichts würde der ganzen Anschauungsweise eines Paulus entschiedener widerstreben, als ein solcher Gedanke. Wer mit Christo gespeiset und getränket ist, der kann unserm Apostel nicht mehr verloren gehn, sondern muß in seinen Augen geborgen sein. Paulus hält sich an das Wort seines Meisters: „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben.“ Dieses Wort leidet keinerlei Einschränkung, so wie der Herr es auch in unbedingter Form und ohne angehängte Klausel ausspricht. Paulus rechnet also, wie gesagt, 1 Corinth. 11, 29, den corinthischen Christen nur das nicht unterscheidende Vermischen der Abendmahlselemente mit den gewöhnlichen Nahrungsmitteln als das Verbrechen an, um deß willen sie nicht ungerichtet bleiben würden; keinesweges aber kommt ihm der unerhörte Gedanke in den Sinn, dem wirklich genossenen Christusleibe in irgend einem Falle eine verdammende und die Seele verderbende Wirkung zuzuschreiben.

Nachdem wir so des Unhaltbaren Mancherlei von der Abendmahlslehre abgewiesen, und gewisse einseitige Auffassungen des Sakraments auf ihren wahren Werth zurückgeführt haben, ist uns jetzt zu einer richtigen Darstellung des biblischen Lehrbegriffs der erforderliche Raum geschafft; und ich verhehle nicht, daß ich meines Theils mit großer Zuversicht, und meiner Sache freudig versichert, zu diesem erquicklichen Werke schreite. Für heute jedoch lasse ich den Faden unsrer gemeinsamen Betrachtung fallen, und dies schon darum, weil ich euch Zeit und Ruhe gönnen möchte, das bisher Gesagte nochmals zu prüfen, und es mit der heil. Schrift, dieser unsrer in höchster Instanz entscheidenden Glaubensnorm, zu vergleichen. Wir wollen ja nichts, als was das feste prophetische Wort uns kund thut; aber das wollen wir auch ganz und fest, und sprechen darum zum Schlusse mit dem alten Sänger:

Rede, Herr, dein Diener höre,
Ohr und Herz sei aufgethan!
Was mich deine Stimme lehre,
Nimmt mein Geist mit Freuden an.
Gib mir deinen Willen ein;
Ich will gern dein Schüler sein.
Rühre mich in deiner Lehre,
Daß ich wie ein Jünger höre, -
Amen.

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