Krummacher, Friedrich Wilhelm - XXIX. Neue Nothstände.
Ein gewaltiger Psalm ist der zweite unsers Psalters: ein Trutz- und Triumphgesang voller Glauben, Hoffnung und Siegesgewißheit. Der königliche Sänger sang ihn inmitten wild tosender Aufruhrswogen, die seinen Thron umbrandeten, die aber im Grunde dem Herrn im Himmel galten, für dessen Rechte der König Israels auf Erden einzutreten, und dessen Ordnungen er zu wahren und zu hüten hatte. Sich seiner selbst als eines persönlichen Schattens und Vorbildes des zukünftigen großen Ehrenköniges bewußt, der seinem Hause verheißen war, sah er mit erleuchtetem Geistesauge in der wider ihn entbrannten Empörung zugleich ein dämmerndes Spiegelbild derjenigen, die einst jenen unendlich Erhabenen umtoben werde. Die Schilderhebung gegen den Sohn Gottes schwebte als der Hauptfrevel der sündigen Welt vor seiner Seele: schwarz wie die Nacht, aber zugleich vom Feuerschein göttlicher Zorngerichte umleuchtet. So gestaltete sich, ehe er sich's versah, nach der Absicht und unter der Einwirkung des Heiligen Geistes der Psalm zu einem messianischen, als welchen ihn auch die apostolischen Autoritäten zu wiederholten Malen anerkennen. „Warum toben die Völker,“ beginnt der heilige Dichter, „und warum sinnen die Leute so Eitles? Könige der Erde und Fürsten rathschlagen miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten, und sprechen: Lasset uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile. Aber der im Himmel wohnt“ (gleichwie in einer unerreichbaren sichern Burg,) „lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer. Dann aber redet er zu ihnen in seinem Zorn, und schreckt sie in seinem Grimm.“ - Und was ist's, das der Herr redet? - Dieses: „Ich habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berge Zion,“ (d. i. dem wesentlichen Gegenbilde der Offenbarungsstätte Gottes in Israel, von wo das Gesetz ausgeht, und die Seile des Himmelreichs sich durch alle Lande spannen werden.) Es tritt hierauf in unserm Psalme der von Gott eingesetzte himmlische König redend ein, und spricht: „Verkündigen will ich Gesetz“ (d. i. eine unwandelbare Satzung): „Der Herr sprach zu mir: Du bist mein Sohn; heute“ (d. i. in dem ewigen Heute) „habe ich dich gezeuget; heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben, und der Welt Ende zum Eigenthum.“ David erkennt, daß der Herr Solches einem blos menschlichen Fürsten nimmer habe verheißen können. „Du sollst sie,“ (sofern sie halsstarrig dir nicht gehorchen wollen) „mit eisernem Scepter zerschmettern, und sie wie Töpfergeräthe zerschmeißen.“ Diese Worte erinnern an das, was der Herr einst als Richter der Lebendigen und der Todten zu denen zu seiner Linken sagen wird: „Gehet hinweg von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Der Sänger schließt sein Lied mit der eindringlichen Mahnung: „So lasset euch nun weisen, ihr Könige, und lasset euch wahrschauen, ihr Richter auf Erden. Dienet dem Herrn mit Furcht, huldiget ihm mit Zittern. Küsset den Sohn, daß er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege: denn sein Zorn wird bald entbrennen. Wohl aber Allen, die auf ihn trauen!“ Diese Schlußworte stellen es außer Frage, wer unter dem „Sohne“ zu verstehn sei. Er ist mehr, als ein Menschenkind; 'denn „Fleisch für seinen Arm halten,“ d. i. auf Menschen sein Vertrauen setzen ist in Gottes Wort mit dem Fluch belegt. Das Vertrauen auf den Herrn und dessen durch den verheißenen großen Gesalbten einst zu vermittelnde Gnade war Davids Kraft und Stärke. Neue Nothstände harren des Königes; aber sein Glaube wird ihn über dem Wasser halten.
2, Sam. 19, 41. Und siehe, da kamen alle Männer Israels zum Könige und sprachen zu ihm: Warum haben dich unsere Brüder, die Männer Juda, gestohlen, und haben den König und sein Haus und alle seine Männer mit ihm (ohne uns) über den Jordan geführt. - Cap. 20, 1.: Und ein heilloser Mann, Seba, blies die Posaune und sprach: Wir haben keinen Theil an David. Ein jeder hebe sich zu seiner Hütte! Cap, 21, 1.: Zu Davids Zeiten war auch eine Theurung, drei Jahre hintereinander, und David suchte das Angesicht des Herrn. - V. 18.: Darnach erhob sich noch ein Krieg mit den Philistern.
„Ich will dich auserwählt machen im Ofen des Elends!“ An wem hat dieses durch des Propheten Jesaias Mund gesprochene Gotteswort auch als Verheißungswort sich reichlicher bewahrheitet, als an dem Sohne Isais? Auch heute werden wir neue Läuterungsflammen um ihn auflodern sehn, und zwar in einem Aufstande, in einer Theurung, und endlich in einem abermaligen Kriege mit dem Erb- und Erzfeinde Israels, den Philistern. Beachten wir, wie David auch aus diesen Prüfungen als Ueberwinder hervorgeht.
1.
Nachdem der unglückselige Bürgerkrieg beendet, und David wieder zu seiner vollen Macht gelangt ist, bietet sich uns zunächst ein neues höchst beklagenswerthes Schauspiel dar. In zahlreichen Abgeordneten stellen sich zu Jerusalem nun auch die Einwohner Israels, d. h. der zehn Stämme außer Juda und Benjamin ein, welche größtentheils der Aufruhrsfahne Absalons gefolgt waren. Was trieb sie her? Kamen sie die Begnadigung des Königes nachzusuchen? O nein! Sie gaben sich vielmehr die Miene der Unschuld, und beklagen sich, daß man sie nicht rechtzeitig genug von der beabsichtigten Einholung ihres sieggekrönten Herrn in die heilige Stadt benachrichtigt habe, indem sie sonst sicher nicht im Zuge gefehlt, ja als die Würdigeren den Vortritt beansprucht haben würden. „Warum doch,“ sprachen sie zum Könige, „haben die Männer Judas, unsre Brüder, dich gestohlen, und dich sammt deinem Hause und allen deinen Männern mit dir heimlich über den Jordan geführt?“ Die aus Juda ergriffen statt des Königes das Wort und erwiederten den Heuchlern: „Der König geht uns, als unser Stammgenosse, näher an als euch; was zürnet ihr uns denn? Und,“ fuhren sie fort, „wähnt ihr etwa, wir hätten Nahrung und Geschenke vom Könige genommen, und darum ihm Treue bewiesen?“ - Die aus Israel entgegneten: „Um's Zehnfache mehr gehört der König uns.“ Sie meinten, schon darum, weil sie der Stämme zehn seien, und den größeren Theil des Königreiches ausmachten, und weil nicht in ihrer Mitte, sondern in Juda der Aufstand ausgebrochen sei. „Warum,“ sprachen sie weiter, „habt ihr uns denn so gering geachtet? War nicht unser Wort das erste, d. h. kamen wir euch nicht mit dem Vorschlage, den König einzuholen, zuvor?“
Und allerdings hatten sie damals, da sie als Flüchtlinge zu ihren Gauen zurückeilten, eine solche Aufforderung ergehen lassen; aber nur in Unlauterkeit und Heuchelei aus Furcht vor Davids Rache, und keinesweges in aufrichtiger Reue. Dies rückten ihnen jetzt die Männer aus Juda vor, von denen die Geschichte sagt, sie hätten „härter zu denselben geredet,“ als jene zu ihnen. Ueberdies gaben sie ihnen zu verstehen, daß sie auch diesmal in die Wahrhaftigkeit ihrer Huldigung starke Zweifel setzten, und sie nur für Solche halten könnten, die lediglich zu ihrer Sicherstellung sich in die Larve der Untertänigkeit und Treue vermummt hätten. Und Solche waren sie großen Theils in der That. Zum zweiten Male begegnen wir also hier im Leben Davids solchem kläglichen Schauspiel, wie sich's uns freilich in unserm eigenen Leben schon in größerer Nähe dargeboten hat. Oder waren wir niemals Zeugen eines schleunigen Umschlags des „Kreuzige!“ in ein „Hosianna!“ und wieder umgekehrt, jenachdem die Leute von dem einen oder andern ihren Vortheil hofften? Blieben uns feile Federn und käufliche Lippen unerhörte Dinge, und sahen wir nie großsprecherische Meuterer und Rebellen plötzlich speichelleckend der „Reaction“ zu Füßen liegen, sobald dieser der Sieg sich zuzuneigen schien? Und eben so schnell würden sie ihr altes Lied auf's neue angestimmt haben, hätte sich das Blatt wieder einmal gewendet. Legt sich der Gedanke nicht nahe, der Fürst der Finsterniß selbst müsse es unter seiner Würde halten, einer so verächtlichen Menschengattung als einer Beute sich zu rühmen? -
Das stolze abweisende Verhalten der Männer aus Juda, das, wie es scheint, von David stillschweigend gebilligt ward, konnte auf die aus Israel kaum anders als erbitternd wirken. Unter ihnen befand sich ein „heilloser Mann,“ Namens Seba, ein Sohn Bichris, aus dem Geschlechte Sauls. Er war einer der Rädelsführer der früheren Aufrührerbanden gewesen. In diesem loderte plötzlich die alte Meutererflamme aus der Asche wieder auf. Ergrimmt zog er mit seinen Begleitern von Jerusalem wieder ab, und hatte kaum die Grenzen Judas hinter sich, als er die Posaune blasen hieß, und ausrief: „Wir haben nicht Theil noch Erbe an David, dem Sohne Isais. Ein jeglicher in Israel zu seiner Hütte,“ (d. i. zu den Waffen!) Und sein Wort zündete hier und dort. Mit dem Haß gegen den König verpaarten sich in den Parteigängern Sebas Eifersucht und Rachedurst wider das hochfahrende Juda. Binnen Kurzem hatte sich auf's neue eine ansehnliche Schaar von Mißvergnügten und von Feinden aller göttlichen Satzungen unter die wieder erhobene Sturmesfahne gesammelt, und ehe noch die Kunde davon zum Könige gelangte, der nur Geschäften des Friedens oblag, und unter Anderm für die Frauen, denen er bei seinem Abzuge von Jerusalem die Bewahrung seines Hauses anvertraut hatte, einen entfernten Wohnsitz erbauen ließ, wo sie fortan bis an ihr Ende still und zurückgezogen gleich Wittwen leben sollten, gingen die Wogen des Aufruhrs bereits hoch im Lande. Davon benachrichtigt, beschied David sofort mit Uebergehung Joabs, zu dem er nach dem Tode Absalons kein Vertrauen mehr zu fassen vermochte, den Amasa zu sich, und befahl ihm: „Berufe mir alle Männer in Juda auf den dritten Tag hierher, und finde dich mit ihnen selbst wieder bei mir ein!“ Er gedachte alsdann den Amasa förmlich mit der Oberbefehlshaberstelle über sein ganzes Heer zu betrauen. Amasa gehorchte, aber lässiger als ihm befohlen war. Es scheint, daß er nichts Gutes ahnete. Da sprach David zu Abisai, dem muthigen Helden, Joabs Bruder: „Seba, der Sohn Bichris, dürfte jetzt des Leides uns noch mehr anthun, als Absalon. So stelle du dich an die Spitze der Knechte deines Herrn, und jage dem Empörer nach, bevor er sich in feste Städte werfe und uns entrinne!“ Abisai that also und zog mit seiner Mannschaft ab. Bald darauf stieß aber auch sein Bruder Joab mit seiner Heeresabtheilung und den „Giborim,“ d. i. „den Starken,“ einer auserlesenen der königlichen Leibgarde beigehörigen Heldenschaar, zu ihm. Als sie nun bei dem großen „Stein“, d. i. dem Felsen bei Gibeon, angelangt waren, traf daselbst als Nachzügler auch Amasa mit dem Volke ein, das er um sich versammelt hatte. Da Joab des Mannes ansichtig ward, den er im Walde Ephraim als einen der Mitverschworenen in Absalons Rotte vor sich her gejagt hatte, und der jetzt, wie er bald herausgewittert, ihn, den um Davids Reich und Haus so hoch verdienten, aus dem Sattel heben sollte, steigerten sich sein Ehrgeiz und seine Eifersucht zu einem Rachedurst, der seine Sättigung nur in dem Blute des verhaßten Nebenbuhlers finden konnte. Mit erkünstelter Freundlichkeit und dem Gruße: „Friede mit dir, mein Bruder!“ (sie waren Geschwisterkinder,) schritt er ihm entgegen. In diesem Augenblicke glitt ihm unversehens das Schwert, das er am Gürtel über seinem Gewande trug, aus der Scheide. Wie es scheint, deutete er sich dies als ein Zeichen, daß nunmehr der Moment zur Ausführung seines schwarzen Mordplans 'gekommen sei. Nachdem er mit seiner Linken den entfallenen Stahl schnell wieder aufgegriffen, faßte er mit der Rechten den Amasa, als wollte er ihn liebkosen, bei seinem Bart, und stieß ihm in demselben Augenblicke die mörderische Klinge in den Leib, so daß des Unglücklichen Eingeweide auf die Erde rollten, und er sofort den Geist aufgab. Bestürzung ergriff die Umstehenden. Aber Joab und sein Bruder Abisai riefen dem Heere ihr „Vorwärts wider Seba und dessen Meutererhorde!“ und einer der Schildträger des ersteren trat an die Leiche des Erwürgten heran, und schrie den Waffengenossen zu: „Wer Gefallen hat an Joab, und wer David angehört, der folge Joabs Befehl;“ das hieß: „Der Mann, der hier in seinem Blute schwimmt, war ein Verräther, des Todes schuldig. Die Königstreuen alle jetzt dem Joab nach!“ Als aber dieses Zurufs ohnerachtet Viele sichtlich ergriffen und bestürzt bei der Leiche stehn blieben, beschlich den Rufer die Sorge, es möchte der Unmuth über Joabs That sich zur Empörung wider ihn, den Mörder selber, steigern. Er nahm darum den Todten, und schleppte ihn von der Straße weiter hinweg auf den Acker, wo er denselben, um ihn den Blicken seiner Waffengefährten zu entziehn, mit Kleidungsstücken bedeckte. Jetzt ging der Abmarsch der ganzen Mannschaft ohne weitere Störung vor sich, und zwar unter dem erneuerten, ob auch wider des Königes Willen angemaßten Oberbefehl Joabs, dem auch das Bewußtsein, drei Morde auf dem Gewissen lasten zu haben, den eisernen Kriegermuth nicht zu brechen noch zu beugen vermochte.
Wie mag aber dem Könige zu Muthe geworden sein, als er von dem schauerlichen Vorgange beim Felsen zu Gibeon hörte! Schwerer noch, als der Verlust des tapferen Feldhauptmannes Amasa, fiel ihm der Gedanke auf's Herz, daß wiederum er selbst, wenn auch absichtslos, diese Blutthat verschuldet habe. Er hatte in der Wiederaufnahme und vollends in der Bevorzugung des Rebellenführers Amasa seine Milde zu schrankenlos walten lassen. Aber einmal hatte Amasa's Reue, deren Lauterkeit er nicht bezweifelte, ihn gerührt, und zur Versöhnung geneigt gemacht, und dann hatte er gehofft, mit der Erhebung des Mannes an des rauhen, gebieterischen und durch viele Unthaten befleckten Joab's Stelle nicht allein einem Wunsche seines Heeres zu begegnen, sondern auch die Aussöhnung der mit seinem Regimente Unzufriedenen in Israel wesentlich zu fördern. In Taubeneinfalt hatte er dem Wohlwollen seines Herzens Raum gegeben; aber die nöthige Schlangenklugheit dabei verleugnet, und sonderlich verabsäumt, von seinem Entschlusse eine Weisung des Allmächtigen abzuwarten. So blieb ihm nur übrig, sich auch um dieses Mißgriffs willen tief vor dem Herrn zu beugen, der ihn auf Schritt und Tritt in scharfer und genauer Zucht hielt, und ihm keine Abweichung von dem geraden Wege des Gesetzes ungerügt hingehen ließ, zu unserm Troste aber sich auch bereit erwies, den Reuigen, der niemals den Muth zu seiner Barmherzigkeit verlor, wieder anzunehmen und ihm die Versicherung seiner Huld und Gnade zu erneuern.
Der Aufruhr Seba's ward unter Gottes Beistand bald gedämpft. Die Rebellen, von den Tapferen Joab's gedrängt, zogen sich, ohne die ihnen angebotene Schlacht anzunehmen, bis in den äußersten Norden des Landes zurück. Hier warfen sie sich in die nicht fern von den Jordansquellen auf der Grenze der syrischen Landschaft Maecha gelegene, stark befestigte und durch die Klugheit ihrer Einwohner im ganzen Lande berühmte Stadt Abel, deren Stelle noch heute der Drusenort Abil oder Ibel bezeichnet. Das nachrückende Königsheer vermuthete, die Stadt halte es mit Seba, und traf Anstalt zu ihrer Erstürmung. Schon wurden Laufgräben gegraben, Wälle aufgeworfen, und Sturmleitern angesetzt. Da erscholl plötzlich über die Mauer herüber eine Weiberstimme, welche rief: „Höret, höret, und saget zu Joab, daß er herkomme; denn ich habe mit ihm zu reden.“ Es war die Stimme einer der klugen Frauen der Stadt. Als nun der Oberfeldherr näher an die Mauer herantrat, sprach das Weib zu ihm: „Vernimm die Rede deiner Magd! Vor Zeiten pflegte man zu sagen: Wer fragen will, der frage Abel; und alsdann mußte Alles wohl gerathen. Ich, Abel, bin eine von den friedsamen und treuen Städten in Israel; und du willst eine Stadt schleifen und verwüsten, die eine Mutter, (der Hauptstädte eine) in Israel ist? Warum willst du das Erbtheil in Israel verschlingen?“ - Joab antwortete, er beabsichtige keinesweges, die Stadt zu verderben, wenn sie nur den Seba, den Mann vom Gebirge Ephraim, herausgebe, der wider seinen König David sich aufgelehnt habe. Das Weib entgegnete: „Es geschehe so; sein Haupt soll dir über die Mauer zugeworfen werden!“ Hierauf beeilte sie sich, ihren Mitbürgern die Bedingung kund zu thun, an welche die Rettung der Stadt geknüpft worden sei, und nach kurzer Frist kam in der That das Haupt Seba's über die Stadtmauer weg in das israelitische Lager hereingeflogen; die Aufrührer aber, ihres Führers beraubt, streckten bald darauf die Waffen, und ergaben sich auf Gnade- und Ungnade. Joab ertheilte seinem Heer den Befehl zum Rückmarsch, und überbrachte dem Könige in eigener Person die Siegeskunde. Der Ruhm des Feldzugs gebührte freilich einzig Dem, von welchem Moses sang: „Der Herr ist der rechte Kriegsmann.“ Aber Joab war bei dem Siege Jehova's Werkzeug. Auch dies, daß grade er, dem er seine Gnade entzogen hatte, die Palme davon trug, hatte für David etwas tief Beschämendes, welches er den Züchtigungen beizuzählen hatte, die er mit Beugung als wohlverdiente anerkennen mußte.
2.
Die heilige Geschichte gedenkt jetzt einer dreijährigen Theurung, von der Israel betroffen worden sei. Manche Schriftausleger halten dafür, sie trage damit nur etwas nach, was schon in den ersten Regierungsjahren Davids sich begeben habe. Möglich wäre dies; aber zwingend sind die Gründe, die hiefür sprechen sollen, keinesweges.
David erkannte in der lange anhaltenden Theurung ein göttliches Strafgericht, und suchte darum wiederholt das Angesicht des Herrn. Endlich ward ihm eine Offenbarung, und zwar des Inhalts, es laste noch ein Bann, d. i. eine ungesühnte Schuld auf Israel. „Um Sauls willen,“ hieß es, „traf euch das, darunter ihr jetzt leidet, um des Bluthauses willen, daß es die Gibeoniter getödtet hat!“ Es verhielt sich mit der Sache also: Da Josua noch mit der Eroberung Kanaans beschäftigt war, traf eines Tages ein seltsames Völklein in seinem Lager bei Gilgal ein. Es waren Leute in abgetragenen, stark bestäubten Kleidern und geflickten Schuhen. Das Brod in ihren Reisesäcken war hart und verschimmelt, die Weinschläuche zerrissen und nur nothdürftig zusammengestückt. Auf Josuas Frage nach dem Wer und Woher gaben sie vor, sie kämen aus sehr fernen Landen, und fügten hinzu: „Wir sind hergezogen um des Namens des Herrn eueres Gottes willen; denn wir haben sein Gerücht gehört, und Alles, was er in Egypten, und was er den zween Königen der Ammoniter jenseits des Jordans gethan hat. Darum sprachen unsre Aeltesten und alle Einwohner unsres Landes zu uns: „Nehmet Speise mit euch auf die Reise, und gehet den Kindern Israel entgegen, und sprechet zu ihnen: Wir sind eure Knechte. So machet denn jetzt einen Bund mit uns.“ Dem Heerführer Josua und Allen, die um ihn waren, gingen diese Worte zu Herzen. Wirklich machten sie mit den Fremdlingen einen Bund, und schwuren ihnen, daß sie, weil sie sich zu ihrem Gott bekannten, in Israels Gefolge bleiben sollten. Aber nach dreien Tagen schon, als man zu ihren Städten Gibeon, Caphira, Beeroth und Kirjath-Jearim kam, wurde es offenbar, daß ihr Vorgeben, wenigstens so weit es den Ausgangspunkt ihrer Reise betraf, ein bezügliches gewesen sei. Sie waren Bewohner der eben genannten heidnischen Kanaaniterstädte, und durch den Schrecken, den das Schicksal der Nachbarorte Jericho und Ai ihnen eingeflößt, zu ihrem kecken Unternehmen bewogen worden. Die Gemeine Israel war damals über den Streich, der ihnen durch sie gespielt worden war, empört. Ihre Obersten jedoch beschwichtigten die Aufgebrachten, und sprachen zu ihnen: „Wir schwuren den Leuten bei dem Herrn, dem Gotte Israels; darum darf Niemand sich vermessen, sie anzutasten. Doch sollen sie nur als Holzhauer und Wasserträger der Gemeine unsre Schützlinge bleiben.“ Das Volk stimmte dem zu, und Josua eröffnete den Gibeoniten den Beschluß mit den Worten: „Ihr habt uns betrogen, indem ihr sagtet, ihr kämet ferne her, da ihr doch hier mitten unter uns wohntet. Darum sollt ihr immerdar nur Knechte bleiben, welche Holz hauen und Wasser tragen zum Hause meines Gottes.“ Sie antworteten: „Deinen Knechten ist angesagt, daß der Herr dein Gott seinem Knechte Mose geboten habe, daß er das ganze Land euch geben, und vor euch her alle Einwohner des Landes vertilgen solle. Da fürchteten wir unsres Lebens vor euch, und haben Solches unternommen. Nun aber siehe, wir sind in deiner Hand; was dich gut und recht dünkt, uns zu thun, das thue.“ Und es geschah ihnen, wie Josua gesagt hatte, und sie waren wohl damit zufrieden. In der That hatte der lebendige Glaube an den Gott Israels in ihnen Raum gefunden, wie sich dies auch nachmals in erfreulichster Weise herausstellte.
Vierhundert Jahre später, da Saul den Königsthron in Israel einnahm, waren die Gibeoniter schon völlig zu „Kindern Abrahams nach dem Geiste“ herangereiht. Fromm und friedlich lebten sie unter Israel als unter ihrem Volk, und verrichteten anspruchslos und stille ihre allerdings niedrigen Dienste beim Heiligthum. Aber wie Saul nach seinem eignen Abfall von Gott die Gottesfürchtigen im Lande haßte, so war er vornehmlich, wir hören nicht aus welchen besondern Gründen, den armen Gibeoniten abhold. Lange Zeit hindurch neckte und behelligte er sie in allerlei Weise. Endlich aber faßte er sogar unter der Maske eines heiligen Eifers für Israels Ehre, dem es nicht zieme, mit Fremden in Gemeinschaft zu leben, den nichtswürdigen Entschluß, die unschuldigen Leute gänzlich auszurotten. Unter Billigung und Mitbetheiligung fast seines ganzen königlichen Hauses richtete er unter ihnen, wie später ein Nero unter den römischen Christen, ein furchtbares Blutbad an. Ein ungeheurer Frevel, der längst einer offenkundigen Sühnung harrte, da er weder in Israel noch bei den heidnischen Nachbarvölkern vergessen war, und der Gerechtigkeit Jehovas wie der Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit seines Gesetzes nur zu einer schweren Verdunklung gereichen konnte! Als nun bei der über das Land hereingebrochenen Hungersnoth, welche auf David, der ja als König für Alles stehn und haften sollte, eine neue Sorgenlast wälzte, demselben auf sein anhaltendes Gebet der erwähnte Aufschluß über die letzte Ursache des schweren Gerichtes zu Theil geworden war, beschied er, was von den Gibeoniten nach deren Niedermetzelung, die Saul, wie es scheint, einem Schauspiele gleich behandelt hatte, noch übrig war, zu sich nach Jerusalem, und richtete die Frage an die Leute, was ihrer Ansicht nach zur Sühne des an ihnen verübten Treubruchs zu geschehen habe, damit sie, statt wider Israel zu seufzen, „das Erbtheil des Herrn wieder segnen“ könnten. Daß David sich erst bei ihnen darum befragt, verräth allerdings eine Unsicherheit in seinen Entschließungen, und deutet auf einen inneren Kampf, den sein Rechtsgefühl mit der natürlichen Milde und Versöhnlichkeit seines Herzens zu bestehn hatte. Die Gibeoniten, schon des Gesetzes nach allen Seiten hin kundig, antworteten dem Könige mit unverkennbarer Beziehung auf die göttliche Verordnung 4. Mos. 35, 31: „Für einen Mord eine Gold- und Silberbuße zu nehmen, ist ebenso nachdrücklich untersagt,' wie Jemanden eigenmächtig in Israel zu tödten.“ David fragte: „Was dünkt euch denn, daß ich, als der Hüter der Rechte Israels, euch thun solle?“ Sie entgegneten: „Der Mann (nemlich Saul,) der uns verderbete, und es auf unsre Vertilgung aus Israel abgesehn hatte, werde zur Vergeltung selbst ausgerottet. Sieben Männer seines Hauses“ (also nicht Alles, was noch von seinem Geschlechte übrig,) „gebt uns, daß wir sie aufhängen (als Fluchopfer) dem Herrn zu Gibea Sauls, des einstmaligen Erwählten des Herrn.“ Gibea war nicht allein der Geburtsort Sauls, sondern auch die Stätte, wo der Blutrath wider die Gibeoniter gefaßt worden war. David gab nach, und überwies ihnen die geforderten Sieben, denen, wie sich von selbst versteht, Mephiboseth nicht beigehören sollte. Zwei Söhne und unbezweifelt auch Sinnesverwandte Sauls von der Rizpa, dem nachmaligen Weibe Abners, waren es, und fünf wohl ebenso ungerathene Söhne einer Tochter Sauls, der Michal-Merab, sogenannt zur Unterscheidung von der Michal, die uns als die Gemahlin Davids bekannt ist. Mit diesen verfuhren die Gibeoniten, wie sie gesagt hatten. Damit aller Welt gleich einleuchte, um welcher Schuld willen sie hingerichtet worden, vollstreckten sie an ihnen persönlich den Blutbann, und hingen sie als ein abschreckendes Denkmal der Unverletzlichkeit der Satzungen Jehova's zu Aller Warnung offen an die Sonne.
Unser durch das Evangelium bestimmtes Gefühl streubt sich gegen diesen Vorgang. Die Unversöhnlichkeit der Gibeoniten stößt uns ab, und auch die Nachgiebigkeit des Königes erscheint uns sowohl mit seiner ganzen Sinnesart überhaupt als mit seiner damaligen Gemüthslage in grellem Widerstreit. Aber immer wieder sei daran erinnert, daß die Haushaltung des Gesetzes es war, in der diese Dinge vor sich gingen, und deren Character es entsprach, daß die Fürsorge Gottes in der Erziehung des Menschengeschlechtes vor allem Andern darauf hinzielte, daß' er als der Heilige und Gerechte erkannt und gefürchtet werde. Dieser göttlichen Absicht hatte sich David, was auch für innere Kämpfe es ihn kosten mochte, überall zu beugen und volle Rechnung zu tragen. Die schwere Schuld des Hauses Sauls, Eidbruch und Meuchelmord zugleich, forderte nach der unverbrüchlichen göttlichen Reichsordnung Blut. Wohl war das mit Sünden beladene Haus schon von manchem zerschmetternden Schlage getroffen worden; aber noch von keinem, der sich auf den ersten Blick einem Jeden im Volke als Vergeltung für die ärgste, nemlich die an den unschuldigen Gibeoniten begangene, Unthat zu erkennen gab. Dieses specielle Strafgericht durfte nicht ausbleiben. Zur Verhütung bedenklicher Mißdeutungen in Israel und zur Schärfung der Achtung vor jedem Jota der göttlichen Gebote mußte dasselbe nachträglich noch erfolgen; und es erfolgte denn auch wirklich. Allerdings, trat die Majestät und unerbittliche Strenge des Rechts, wie es als ein göttlich geoffenbartes in Israel bestand, kaum jemals greller und erschütternder in die Erscheinung, als hier. Aber der im Himmel wohnt und „sich nicht spotten läßt“ hielt es so genehm, und drückte dem durch die Gibeoniten vollstreckten Todesurtheil dadurch sein Siegel auf, daß er über dem ausgehungerten Lande bald darauf die Wolkenschleusen wieder öffnete, und dem allgemeinen Jammer in Israel ein Ende machte. Was übrigens bei jenem richterlichen Akte David in seinem Innern gelitten haben mag, läßt sich ermessen. Jene Schrecken erregende Exemtion lief ja allerdings seiner Gemüthsart schnurstracks zuwider. Aber auch ihm, der mehr als einmal unzeitig Gnade vor Recht ergehen ließ, konnte es nur zum Heil gereichen, sich einmal einer so imponirenden Kundgebung der Gerechtigkeit Jehovas gegenübergestellt zu sehn. Doch hieß er die Gelegenheit herzlich willkommen, auch seinem zarteren menschlichen Gefühl mindestens insofern Genüge thun zu können, als er bei der Kunde von der Fürsorge, mit der Rizpa die Leichname ihrer fünf Söhne, und nicht minder der beiden andern, um sie vor Anfällen der Vögel unter dem Himmel und der Thiere des Feldes zu sichern, mit Trauerleinwand zugedeckt habe, diese rührende mütterliche Treue öffentlich belobigend anerkannte, und dann die Gebeine seines früheren Erzfeindes Saul und diejenigen seines geliebten Jonathan, welche einst von den Bürgern zu Jabes vorläufig bestattet worden waren, von dort herbeiholen ließ, und ihnen zugleich mit den Leichnamen der sieben Gehängten zu Zela im Stamme Benjamin in der Gruft des Aeltervaters Kis eine Ruhestätte bereitete. Bemerkenswerth übrigens ist es, daß der Gibeoniten seit jenem gerichtlichen Akte zu Gibea in dem Buche Gottes, der heiligen Schrift, keinerlei ausdrückliche Erwähnung mehr geschieht, woraus man folgern könnte, daß sie mit ihrer an David gestellten Forderung zwar wohl dem Buchstaben und der Form, nicht aber auch den Beweggründen und dem Geiste nach recht und Gott wohlgefällig gehandelt hatten.
3.
Eine neue Glaubensübung erwuchs dem Könige aus einem abermaligen unvermutheten Ueberfall der Philister. Diese hatten sich von den anscheinend tödtlichen Schlägen, die sie zuletzt empfangen hatten, wieder in etwa erholt, und glaubten jetzt um so dreister dem Könige Israels die Spitze bieten zu können, da sie gegenwärtig den vor Zeiten erschlagenen Goliath auf's neue in den Personen mehrere dem Goliath ebenbürtiger Riesenkämpen ins Feld zu stellen hatten. David, auf seinen Gott vertrauend, zog wieder persönlich mit seinem Heere gegen sie aus. Bald kam es zum Kampf. Der König selbst befand sich inmitten des Getümmels. Da richtete einer der Riesen, Jesbi von Nob, prangend in einem neuen blanken Waffenschmucke, geradesweges auf ihn seinen Lauf, und schwang schon die fast centnerschwere Lanze, um ihn damit zu durchbohren, als Abisai, der Sohn der Zeruja, herzu sprang, seinen königlichen Herrn deckte, und dem Philister, das Haupt spaltete. Jetzt aber drangen die Getreuen Davids mit Bitten und Flehen in ihn, daß er nicht ferner also den Gefahren der Schlachten sich aussetzen möge, „auf daß nicht,“ sagten sie, „die Leuchte in Israel erlösche.“ Begann doch auch schon die Last der Jahre den König zu drücken. Sich selbst verleugnend gab er dem Rathe seiner Helden nach, kehrte, nachdem der Sieg errungen war, gen Jerusalem zurück, und lag fortan mit unermüdlichem Eifer nur noch dem friedlicheren Theile seiner Regierungspflichten ob. Der Krieg mit den Philistern entbrannte übrigens bald nachher auf's neue, und selbst, nachdem auch der Vorkämpfer, auf den die Feinde jetzt ihre Hoffnung gebaut, der Riese Saph, durch einen der davidischen Tapfern erlegt worden war, was eine Zerstreuung der Philister zur Folge hatte, ließen letztere dennoch die Waffen noch nicht ruhen, sondern standen bald nachher wieder in hellen Haufen an Israels Grenzen. Diesmal war es Lachmi mit dem Zunamen Goliath, aus Gath, ein naher Anverwandter des Goliath, den David niederschleuderte, und gleich diesem ein Recke, der eines Hauptes langer war als Alle, und mit einem Speere gleich einem Weberbaum bewaffnet. Dieser forderte prahlend den Stärksten aus dem Königsheer zum Zweikampf wider sich heraus; aber auch er sank unter den wohl angebrachten Schwerdtesstreichen Elhanan's, eines gewandten Fechters, aus vielen Wunden blutend zur Erde. Ein gleiches Schicksal traf auch den Vierten aus dem Riesengeschlechte Rapha, den die Philister bis dahin als ihren letzten Trost gespart hatten. Dieser Mensch war mißgebürtlich durch je sechs Finger und sechs Zehen an Hand und Fuß gezeichnet. Großsprecherisch, und Israel mit Verhöhnungen überschüttend, zog er den Schaaren seiner Waffengefährten voran; wurde aber gleichfalls und zwar von Jonathan, dem Sohne Simea's, eines Bruders Davids, erschlagen. Die Entmuthigung des feindlichen Heeres war jetzt vollkommen, und die Flucht desselben allgemein. Eine geraume Zeit lang wagten's die Philister nun nicht mehr, mit der unüberwindlichen Kriegsmacht Israels wieder anzubinden.
So saß nun David wieder in Ruhe auf seinem Thron, und konnte, da er von Außen her unbehelligt blieb, seine Arbeiten dem Ausbau des Staats und der Kirche ohne Unterbrechung der Vollendung entgegenführen. Alle seine Widersacher waren gründlich gedemüthigt und tributpflichtig zum Schemel seiner Füße gelegt, und so stimmte er auch wieder die Saiten seiner Harfe, nachdem sie lange geschwiegen hatten, zu begeisterten Dank- und Lobgesängen, deren u. A. der achtzehnte Psalm beigehört, welchen er von vorneherein „dem Sangmeister“ überwies, und also zum Gebrauch beim öffentlichen Gottesdienst bestimmte. In einer etwas veränderten Gestalt begegnet uns, in den Gang der Geschichte verwoben, 2. Sam. 22. dieser Psalm noch einmal, nur ohne die kirchliche Zweckbestimmung. Jedenfalls aber rühren auch die Veränderungen, mit denen er hier erscheint, von Davids eigner Hand her, und sollten nur manchem dort nur kurz Angedeutetem zur Ergänzung und Erläuterung dienen.
Das Herz des Sängers macht sich zuerst in dem feurigen Ergusse Luft: „Herzlich lieb habe ich dich, o Herr, meine Stärke, mein Fels, meine Burg, mein Erretter; mein Gott, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild, das Horn meines Heils und mein Schutz!“ - Was vor allem Andern ihm vor der Seele schwebt, ist die unbegrenzte und unverdiente Gnade, mit der der Herr allewege zu seiner Hülfe bereit stand. Im Hinblick auf seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft spricht er: „Als den Herrlichen rufe ich den Herrn an, und so werde ich von meinen Feinden errettet.“ Nach diesen Eingangsworten lenkt er seinen Blick zunächst auf diejenigen Drangsale, unter denen er, bevor er den Thron bestieg, namentlich während der saulischen Verfolgung, die Wunderhülfe Gottes so reichlich erfahren hatte. Nachdrücklich bezeichnet er seine damaligen Nöthe als „Bande, des Todes und der Hölle, die ihn umfingen,“ und als „Bäche Belials (d.i. des Boshaftigen) die ihn umbrausten und erschreckten.“ Er aber hatte den Herrn angerufen in seiner Angst, und dieser in unverkennbarster Weise seine Stimme erhört von seinem heiligsten Tempel. „An grober Schrift,“ bemerkt hier ein Ausleger des Psalms treffend und wahr, „mußte David zuerst lesen lernen, was man in Trübsalszeiten an Gott dem Herrn habe, damit auch die feinere Schrift für ihn leserlich wurde, wie sie ihm in verborgeneren Rettungen, Hülfleistungen und Erleichterungen vorgelegt ward.“ Der Sänger schildert hierauf mit glühenden Farben den Zorn des Allmächtigen und die Wucht seiner Strafgerichte über die Frevler auf Erden, welche nicht wollen, daß er über sie herrsche, und lobpreisete Gottes starke Kraft, mit der er ihn, wie weiland den Moses, aus großen Wassern herausgezogen, und vor seinen starken Feinden und Hassern immer wieder ins Weite gestellt habe. Warum aber that der Herr an ihm so Großes? „Er hatte Lust zu mir,“ antwortet der Sänger, und redet nun ohne eitlen Selbstruhm von seiner Gerechtigkeit. Seiner Sünde und Schwachheit ist er sich bewußt wie Wenige. Dennoch darf und muß er in voller Wahrheit und Aufrichtigkeit zum Preise der göttlichen Gnade, die mit ihm war, von sich bekennen: „Ich halte die Wege des Herrn und bin nicht gottlos wider meinen Gott.“
Sein innerstes und tiefstes Sehnen, Streben und Ringen war stets dahin gerichtet, seinen Herrn mit jedem Athemzug zu loben und ihm zu dienen, und wohl steht es ihm zu, zusprechen: „Alle seine Rechte habe ich vor Augen, und seine Gebote werfe ich nicht von mir. Ich bin“ (meinem innersten Dichten und Trachten nach) „ohne Wandel vor ihm, und hüte mich vor meiner Sünde,“ (d.i. vor der mir inne wohnenden, denn ein Heiliger bin ich nicht.) „Darum vergilt mir der Herr nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinheit meiner Hände vor seinen Augen,“ - die nemlich in's Verborgene schauen, und anders richten, als die Welt zu richten pflegte. „Gegen den Frommen bist du fromm, o Gott, gegen den Unsträflichen bist du unsträflich, gegen den Reinen bist du rein; aber gegen den Verkehrten bist du verkehrt.“ David will mit diesen Worten der Gemeine, der der Psalm zum Gesange gewidmet ist, in Erinnerung bringen, daß Gott sich zu dem Menschen verhalte, wie der Mensch zu ihm, und daß er nur denen hold sei, die von Grund der Seele und in lautester Hingebung ihm anhangen und unterthänig sind. Nicht im entferntesten ist es Selbstgefälligkeit, die sich in diesen seinen Worten kundgibt. Er weiß sehr wohl, wie manchmal Gott der Herr ihm selbst, dem „Verkehrten,“ in seinem Verfahren mit ihm „verkehrt“ erscheinen mußte. Der Sänger beabsichtigt nur, dem Volke auf's neue die allgemeine Wahrheit einzuschärfen, daß der Herr sich nur von denen, die, wie tugendarm und schwach sie auch immer seien, ihn aufrichtig lieben, freundlich und hülfreich erfinden lasse. „Du hilfst,“ ruft er aus, „dem elenden“ (d. i. dem gebeugten) „Volke; die hohen Augen aber niedriges: du.“ Daß übrigens David getrost und ohne in eine eitle Selbstüberhebung zu verfallen, trotz der mannichfaltigen Fehltritte, deren er sich schuldig wußte, zu den Gottesfürchtigen, und darum Gott dem Herrn Wohlgefälligen sich zu zählen berechtigt war, wird durch das göttliche Zeugniß außer Frage gestellt, welches ihm nach 1 Könige 14, 8 zu Theil ward. Hier nemlich spricht der Herr durch des Propheten Ahia Mund: „Mein Knecht David hielt meine Gebote, und wandelte mir nach von ganzem Herzen, daß er nur thäte, was mir wohlgefiel.“ Und im 15. Capitel Vers 5 wird dieses Zeugniß, wie uns schon bewußt, nur mit einer ausdrücklichen Einschränkung wiederholt: „David hat gethan, was dem Herrn wohlgefiel, und wich nicht von Allem, das ihm der Herr gebot, ohne in dem Handel mit Uria, dem Hethiter.“
In dem zweiten Theile unsres Psalms (V. 29-46) gedenkt der Sänger der zahlreichen göttlichen Gnadenerweisungen und Hülfeleistungen, die sein späteres Leben durchzogen, und zugleich derjenigen, die ihm laut göttlicher Verheißung für die Zukunft in Aussicht standen. „Du Herr,“ beginnt er, „machst meine Leuchte hell,“ (oder: umkleidest mich mit Glanz.) „Der Herr, mein Gott, macht meine Finsterniß licht.“ Seine sämmtlichen Siege und Triumphe über feindliche Völker schreibt David einzig und allein dem Herrn zu: „Mit dir zerschmeiße ich Kriegsvolk, und mit meinem Gott springe ich über die Mauern:. mit dem Gott, dessen Weg unsträflich ist; und sein Wort (das Verheißungswort) ist durchläutert. Er ist ein Schild Allen, die auf ihn trauen.“ - In den zunächst folgenden Versen fährt er fort, die Kraft Gottes zu rühmen, wie sie in der Schwachheit seiner Knechte mächtig sei, und wie mächtig sie sich auch während so vieler Kriegshändel in ihm erwiesen habe. Man könnte sich an Aeußerungen stoßen, wie die harten und herben, des 38. und 39. Verses: „Ich verfolge meine Feinde, und erreiche sie, und kehre nicht zurück, bis ich sie aufgerieben. Ich zerschmettere sie und sie können nicht wieder aufstehn, denn sie fallen unter meine Füße.“ Aber nimmer dürfen wir bei dergleichen Auslassungen übersehn, daß David hier nicht als Privatmann nach seinem menschlichen Herzen, sondern aus Anregung des Heiligen Geistes als theokratischer König redet, der in den Feinden, die wider ihn stehn, die Feinde Gottes und seines Reiches erkennt, deren Niederschmetterung und Unterjochung er nur zu Nutz und Frommen dieses Reiches herbeiwünscht. Im 44. Verse bezeichnet er die Gegner näher, wider welche der Herr ihm geholfen. Theils sind's die Einheimischen, namentlich Saul und Seba. Auf sie bezieht sich das: „Du hilfst mir von dem zänkischen Pan,“ d. i. aus dessen böswilligen Anfeindungen. Theils sind es die überwundenen Nachbarvölker, Philister, Amoriter, Ammoniter u. s. w. Diese hat er im Auge, wenn er spricht: „Du setzest mich zum Haupt der Heiden; ein Volk, das ich nicht kannte, dienet mir.“ Der Sänger schließt seinen Psalm, wie er ihn begonnen, mit freudiger Lobpreisung des Herrn der Heerschaaren: „Der Herr lebt. Gelobet sei mein Hort, und hoch erhoben der Gott meines Heils, der Gott, der mir Rache gibt,“ (d. i. die angetastete Ehre seines Namens mich rächen läßt,) „und der die Völker unter mich zwinget. Er ist's, der mich errettete von meinen Feinden, und erhöhet mich aus denen, die sich wider mich setzen. Auch von dem Manne der Gewaltthat, (Saul, oder Absalon, oder Seba) errettetest du mich; darum will ich dir danken, o Herr, unter den Heiden, auf daß auch sie erkennen, wie groß und mächtig du bist, und will deinem Namen lobsingen.“ Er schließt, indem er mit erleuchtetem Seherblick in fern zukünftige Zeiten hinüberschaut: „Ja, deinem Namen, Herr, will ich danken, der du dem Könige großes Heil beweisest und wohlthust deinem Gesalbten David und seinem Samen ewiglich.“ Hier schwebt seiner Erinnerung offenbar wieder die große Verheißung vor, deren er einst (2. Sam. 7) von dem Herrn gewürdigt ward. Sie lautete, wie uns bewußt: „Wenn deine Zeit hin ist, will ich deinen Samen nach dir erwecken; dem will ich sein Reich bestätigen. Er soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will den Stuhl seines Königreichs bestätigen in Ewigkeit.“ Wer war der Sprößling des Hauses Davids, von dem so große Dinge ausgesagt werden konnten? Wir kennen ihn. Wer konnte es sein, als der künftige Messias, Jesus Christus, hochgelobet in Ewigkeit!