Krummacher, Friedrich Wilhelm - I. David's Berufung.
Die Geschichte Israels stellt uns im engsten Rahmen einen Grundriß der ganzen Weltgeschichte dar. Es begegnet uns in ihr das verborgene Walten des persönlichen Gottes in der Leitung und Erziehung der Völker als ein offenbares. Der verhüllende Vorhang menschlichen Vornehmens und Thuns hebt sich, und die durch ihn verschleierte, Alles bewegende und Alles lenkende Hand dessen, von dem Eph. 1, 11. geschrieben steht: „Er wirket Alles nach dem Rath seines Willens“, kommt in ihr zur Erscheinung. O anbetungswürdige Herablassung Gottes, in der er, um der Schwachheit unsres Glaubens aufzuhelfen, einmal an einem auserwählten Volke die Geheimnisse seiner erhabenen Alles durchwirkenden Vorsehung in anschaulichster Weise unserm beschränkten Gesichtskreise nahe bringen wollte! Darf uns doch fortan kein scheinbares Chaos zeitlicher Begebenheiten mehr stutzend oder gar irre machen, nachdem uns eine zweitausendjährige Führung jenes Volks eine Ueberfülle von Veranlassungen zu der Wahrnehmung bietet, daß auch die verworrensten Fäden, die unser Leben durchziehen, einem höheren Willen sich fügen, und endlich sich zu einem Gewebe verknüpfen müssen, welches, näher betrachtet, nur das apostolische: „O welch eine Tiefe, beide, der Weisheit und Erkenntniß Gottes!“ uns auf die Lippe drängt.
Wie reichlich leuchten uns schon aus dem Lebensgange jedes einzelnen der Frommen Israels die Fußtapfen dessen entgegen, von welchem Jesaias sagt: „Sein Rath ist wunderbarlich, aber er führt es herrlich hinaus“, und Salomo: „Des Menschen Herz schlägt seinen Weg an, aber der Herr allein gibt, daß er seinen Weg fortgehe.“ In größerer Mannichfaltigkeit bethätigte der erhabene Menschenhüter sein Führen und Regieren an keinem der alten Heiligen, als an dem Manne, der gewürdigt ward, ein „Mann nach dem Herzen Gottes“ zu heißen. Welch' ein Reichthum sowohl des Trostes und der Erhebung, als der Warnung und der Weisung entfaltet sich vor uns in den Erlebnissen und Geschicken dieses königlichen Psalmensängers. Wohlan, zu einer Betrachtung seiner Erdenwallfahrt laden wir ein. Diese Einladung wird sich als gleichbedeutend mit dem Zurufe des Propheten Amos erweisen: „Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott“; denn an welcher Stelle des Davidischen Lebensweges werden wir dem Gotte nicht begegnen, von welchem der königliche Saitenschläger selber sang: „Er führet mich auf rechter Straße um Seines Namens willen.“ , 1 Samuel 16, 1. „Und der Herr sprach zu Samuel: Wie lange trägst du Leid um Saul, den ich verworfen habe, daß er nicht König sei über Israel? Fülle dein Hörn mit Oel, und gehe hin, ich will dich senden zu dem Bethlehemiter Isai; denn unter seinen Söhnen habe ich mir einen König ersehn.“
In den Büchern Samuels bewegen wir uns auf einem festen geschichtlichen Boden. Sie bilden einen ergänzenden Theil des heiligen Bibel-Kanons, auf den als auf ein Werk des Geistes Gottes nicht nur die Erleuchteten Israel's, sondern auch Christus selbst und seine Apostel beglaubigend ihr Siegel drückten. Sei es, daß sich bei der Abfassung der geschichtlichen Bücher des Alten Testaments der Heilige Geist mehr erinnernd, überwachend und leitend verhielt, während er sich bei Entstehung der prophetischen Schriften vorwiegend schöpferisch erzeugend, und eingebend sich bethätigte: so ist doch dort wie hier jeder Verdacht einer Vermischung mit mythischen Elementen fern zu halten, will man sich nicht einer „Lästerung der Majestäten“ schuldig machen. Bekanntlich haben sich die heiligen Apostel nach dem Vorgange ihres Herrn und Meisters selbst an Erzählungen, wie die von Noah's Arche, Israels Durchgang durch's rothe Meer, Bileams redender Eselin, der Wundererstürmung Jericho's durch Josua's Posaunenbläser so wenig gestoßen, daß sie dieselben vielmehr als unzweifelhafte Thatsachen auf's neue bestätigt haben. Diesen Autoritäten glauben und reden wir nach; denn wer nennt Andere, die jenen an Heiligkeit und Erleuchtung auch nur im entferntesten ebenbürtig zur Seite ständen? So haben wir's auch in der Darstellung des Lebenslaufes Davids, welche wir gotterleuchteten Propheten wie Samuel, Nathan und Gad verdanken, mit reiner Historie, und in keinem Theile derselben mit dichterischen Zuthaten zu thun. Treten wir mit solcher Zuversicht dem reichen Lebensbild näher, das sich vor uns aufrollen wird, und richten unsre ersten Blicke auf die, Berufung und Salbung des Hirtenjünglings. Sehen wir, wodurch dieselbe veranlaßt ward, und wie sie vollzogen wurde. Der Geist des Herrn aber gebe uns das Geleite, und bekenne sich fort und fort zu unsern Betrachtungen.
1.
Die Reichsverfassung Israels war von Anbeginn her die theokratische. Gottesherrschaft war sie: Jehovah der einzige unumschränkte Gebieter, Ordner und Führer seines Volks. Die menschlichen Organe, durch welche sich sein Regiment vermittelte, waren in frühester Zeit die Familienväter: ein Abraham, Isaak, Jacob; nach diesen auf bürgerlichem Gebiete die Stammeshäupter, auf kirchlichem die Priester, deren ehrwürdiger Chor in der geheimnißvollen Person des Hohenpriesters sich gipfelte. Jedoch behielt der Herr sich freie Hand, nach Bedürfniß auch Andere zu erwecken, und als außerordentliche Bevollmächtigte mit besondern Aufträgen zu betrauen. Die Propheten traten auf als von Gott gesendete und gesalbte Wächter und Monitoren, so oft irgendwie und wo im Volke ein Wanken und Weichen aus den durch Moses vorgezeichneten Gleisen göttlicher Reichsordnung sich kundgab. Weder Krone noch Brustschild schützten dann vor den Donnern des Vorwurfs, die von den Lippen dieser Repräsentanten des Richters in der Höhe sich vernehmen ließen. Solange Josua lebte, war der Zustand des Volkes, welches erst nach dem Auszuge aus der sittlich verpestenden Luft Egyptenlandes auf der Wanderung durch die Wüste geboren war, noch ein erfreulicher. Der letzte durch Josua veranstaltete feierliche Landtag fand dasselbe auf der Höhe begeisterter Hingebung an den Gott seiner Väter. Auch nach Josua's Tode noch bewahrte es den Bund des Herrn unter der Leitung und Pflege der trefflichen Aeltesten, mit denen ihr großer Führer, Mosis würdiger Nachfolger, sich umgeben hatte. Nachdem aber die Wächteraugen auch dieser Getreuen sich geschlossen hatten, gerieth Israel durch den verführenden Einfluß der umwohnenden Heidenstämme auf die abschüssige Bahn, auf der es für eine Zeitlang zu immer tieferen Verfall herabglitt. Es ergab sich dem wüsten und unsauberen Dienste fremder Götter, und wäre allmälig mit den Kanaanitern, Hethitern, Amoritern und Pheresitern in Eins verschmolzen, hätte sich der Herr nicht immer wieder im rechten Momente dieser heidnischen Horden selbst als Geißeln wider die Abtrünnigen seines Volks bedient, und dann den bis auf's Blut Gestäupten auf ihr Hülfsgeschrei in den Personen der Richter „Heilande“ erweckt, die sie vom äußersten Rande eines gänzlichen Verderbens zurückrissen, und sie dem Gott ihrer Väter, dem sie in fluchwürdigem Undank den Gehorsam gekündigt hatten, wieder zuführten.
Immer aber erneuerten sich diese Scenen des Abfalls und der darauf folgenden zur Buße erweckenden Strafgerichte. Unter des trefflichen Richters, Propheten und Priesters Samuels Leitung schien das Volk endlich Richtung halten zu wollen. Da rückte es mit einem Male in beklagenswerther Verblendung mit dem ungestümen Begehren heraus, Samuel solle ihm einen König sehen, gleich wie die Heiden Könige hätten. Diese Forderung wäre an sich keine verwerfliche gewesen. Lag es doch im Rathe Gottes selbst, die Verfassung Israels allmälig in einem Königthum ihren Abschluß finden zu lassen. Höchst strafbar aber war der Beweggrund, der bei Israel jener Forderung zum Grunde lag. Das Begehren kam einer Lossagung von der Theokratie, einem gottlosen Verzicht auf die Alleinherrschaft Jehovas gleich. Man wollte sich von dem unbedingten Abhängigkeitsverhältnisse zu dem Herrn im Himmel entbunden sehn. Man war es müde, bei Landesnöthen sorgenvoll auf Jehovas Hände schaun und in demüthiger Unterwerfung abwarten zu müssen, ob, wann und wie er helfen werde. In gleicher Weise, wie bei den Heiden, sollte auch bei ihnen, den Israeliten, ein menschlicher Machthaber, der über einen unerschöpflichen Schatz Goldes und Silbers und über ein allezeit schlagfertiges Heer von Reisigen geböte, für das Gemeinwohl des Landes einstehn, seine Untertanen der Sorgen, wie der Mühe des Betens und Wartens überheben, und ihnen im Schatten eines milde geführten Scepters ein ungestört heiteres und behagliches Dasein sichern. Samuel, der treue Gottesknecht, hielt ihnen mit heiligem Ernste die Thorheit ihres Verlangens vor; sah aber seine wohlgemeinten Warnungen von ihnen in den Wind geschlagen und durch das immer ungestümer verlautende Geschrei: „Setze einen König über uns, wie alle Heiden haben, der uns richte!“ übertäubt. So brachte er denn die Sache im Gebet vor Gott, und erhielt von dem Herrn den unzweideutigen Bescheid: „Gehorche der Stimme des Volkes in Allem, das sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, daß ich nicht mehr soll König über sie sein!“ Und Gott „gab ihnen einen König im Zorn“, sagt die Geschichte, während er ihnen, hätten sie in kindlichem Vertrauen ihn walten lassen, einst einen solchen in Gnaden gegeben haben würde. Der Herr ersah dazu den Benjaminiter Saul, den Sohn des Landwirths und Heerdenbesitzers Kis, einen jungen Mann, schön, stattlich, und eines Hauptes länger, als alles Volk. Zu den besten Hoffnungen schien der strebsame mit verheißungsreichen Anlagen ausgestattete Jüngling zu berechtigen. Seiner ritterlichen Gestalt entsprach sein kriegerischer Muth und Thatendrang. Ueberdies gebührte ihm das Zeugniß, bis dahin von den sittlichen Verirrungen seiner Zeitgenossen sich unbefleckt erhalten zu haben; und daß es ihm, der ohne Zweifel im Glauben seiner Väter erzogen worden war, auch an reger Empfänglichkeit für religiöse Eindrücke nicht fehlte, werden wir später mehrfach wahrzunehmen Gelegenheit finden. Die Bemerkung der Geschichte, Gott habe ihm „ein ander Herz gegeben“, nöthigt uns sogar, ihn uns, nachdem die Salbung Samuels an ihm vollzogen war, als von heiligen Bewegungen, Vorsätzen und Entschließungen erfüllt zu denken. Nur erregt schon hier der Umstand uns Bedenken, daß die Demuth, die er bei jenem feierlichen Akte kund gab, mehr in der Erinnerung an seine niedere Herkunft, als in seinem Sünderbewußtsein ihren Grund hatte, und nicht minder befremdet uns, daß wir ihn, nachdem Samuel ihm die Hände aufgelegt, nicht zuerst und vor allem Andern vor dem Herrn sich beugen sehen, noch um seinen Gnadenbeistand ihn anrufen hören. Kaum dürften wir uns irren, wenn wir schon am Tage seiner Berufung einen Mann in ihm zu erkennen glauben, dessen Herz noch zwischen Gott und der Welt getheilt ist, und wir hinter seinem Gelübde, im Namen Jehovas regieren zu wollen, den geheimen Vorbehalt wittern, er werde dies thun, sofern Jehovas Wille nicht das Opfer seines eignen Willens von ihm fordern werde.
So lange Saul das Zepter führte, hat er den Kriegerharnisch nicht abgelegt. Im Sturm und Drang der Schlachtgefilde flossen die Tage und Jahre seines Lebens hin. Die Niederwerfung der umwohnenden Feinde Israels war die Hauptaufgabe, zu deren Lösung er sich berufen glaubte. Ein siegreicher Feldzug gegen die Ammoniter, bei welchem allerdings noch die gen Himmel gereckten Beterhände und weisen Rathschläge Samuels den Ausschlag gaben, bildete das erste thatsächliche Bestätigungssiegel, das der Herr Angesichts des ganzen Israels dem Königthume des neuen Führers seines Volles aufprägte. Nach diesem Triumph legte Samuel, einem Wink seines Gottes gehorsam, sein Richteramt nieder, und stand dem Könige hinfort nur noch als berathender und warnender Prophet zur Seite. Ein zweiter Krieg, zu welchem Saul seine ganze Heeresmacht aufzubieten genöthigt war, hatte die Dämpfung des Erb- und Erzfeindes Israels, des Philistervolkes, zum Ziele: ein Krieg, der nach jedem Siege Israels immer wieder neu entbrannte, und mit wechselndem Waffenglück bis zu Sauls Tode sich hinzog. Beim Ausbruch desselben ließ sich der König zu einem Schritte verleiten, der uns wieder einen tiefen, aber äußerst niederschlagenden Blick in sein Innerstes eröffnet, und ihm selbst theuer zu stehen kam. Es hatte nämlich Samuel dem Könige ausdrücklich im Namen und Auftrag des Herrn geboten, daß er die Eröffnung der Feindseligkeiten gegen die Philister bis dahin vertagen solle, daß er, der Prophet, sich persönlich im Lager eingefunden, und mit dem Heere ein feierliches Opferfest zur Verherrlichung Gottes werde gefeiert haben. Nach Verlauf von etwa sieben Tagen solle diese Feier stattfinden. Saul gelobte heilig, dem göttlichen Befehle nachzukommen. Als aber in Folge einlaufender übertreibender Gerüchte von der Stärke der feindlichen Kriegsmacht dem israelitischen Heere der Muth zu entfallen begann, so daß sogar schon einzelne Haufen Fahnenflüchtiger in Höhlen und Klüften sich zu decken suchten, und als der mit Ungeduld erwartete Seher, durch einen unvorhergesehenen Umstand aufgehalten, auch da der siebente Tag sich bereits zum Abend neigte, noch nicht eingetroffen war, da übermannte auch den König die Ungeduld, und er entschloß sich, obwohl weder Priester noch Levit, ohne alle Berechtigung mit eigner, schon von Menschenblut gerötheter Hand, das heilige Brand- und Dankopfer darzubringen. Er befahl, daß man die Schlachtthiere herbeiführe, und ging dann ungesäumt zu Werke. Mit dieser unbesonnenen Handlung versündigte er sich unter der Maske der Frömmigkeit in mehr als einer Beziehung auf's schwerste. Strafbar war sein Thun schon als Kundgebung eines durchaus unbegründeten Mißtrauens gegen das Wort des Mannes Gottes; strafbar nicht minder als eine abergläubische Herabwürdigung des äußerlichen Opferactes zu einem Zaubermittel, durch welches die. Bundesgenossenschaft Gottes erzwungen werden sollte; vor Allem aber verdammlich als grobe Uebertretung eines dem Könige wohlbekannten unzweideutigen göttlichen Verbots, dessen Hintansetzung mehr als einmal in Israel mit dem Tode bestraft wurde. Noch wirbelte der Rauch des Brandopfers von dem schnell aufgerichteten Altar empor, als Samuel, treu seinem Worte, in's Lager eintrat. Saul, nicht wenig betroffen, ging mit erheuchelter Unbefangenheit ihm entgegen. Samuel aber winkte feierlich und gemessen den König bei Seite, und richtete die Frage an ihn: „Was hast du gethan?“ Saul, nach Entschuldigungen haschend, entgegnete: „Ich sah, daß sich das Volk von mir zerstreute, und du kamst nicht zur bestimmten Stunde, während die Philister schon zu Michmas versammelt waren. Da sprach ich: Nun werden die Philister zu mir herab kommen gen Gilgal, und ich (dies mußte er selbst bekennen,) habe das Angesicht des Herrn nicht erbeten. So wagte ich es denn, und opferte Brandopfer.“ „Du hast thöricht gehandelt,“ erwiederte der Prophet und fügte, jedoch leise, daß der Umstehenden Keiner es vernahm, das Donnerwort hinzu: „Dein Reich wird nicht bestehen!“ und ging seines Weges fürder.
Auf des Königs Versündigung beim Beginn des Philisterkrieges folgte bald eine noch viel schwerere, die uns zur Charakteristik des Mannes einen neuen Beitrag liefert. Vielleicht hatte er sich dadurch in Sicherheit wiegen lassen, daß Gott ihn für sein Vergehen bei Gilgal nicht nur nicht gestraft, sondern ihn sogar, freilich nicht ihm, sondern dem Volke zu Lieb, mit einem glänzenden Siege über die Philister gekrönt hatte. Vor einer Schlacht im Kriege gegen die Amalekiter war ihm durch göttliche Offenbarung der ausdrückliche Befehl zugegangen, daß er, nachdem er dieses überaus bösartige, verstockte und hoffnungslos versunkene Volk bezwungen, dasselbe nicht verschone, sondern Mann und Weib, Kinder und Säuglinge, Ochsen und Schafe, Kameele und Esel „verbannen“, d. i. dem Untergange weihen solle. Was aber geschah, nachdem jenem in seiner tiefen Entsittlichung als unheilbar aufgegebenen Geschlechte die ihm längst angedrohte Niederlage beigebracht worden war? Nicht allein hieß Soul mit dem gefangenen Amalekiterkönige Agag säuberlich fahren, sondern auch das beste und fetteste des feindlichen Schlachtviehs als gute Beute lebend bei Seite schaffen. Da geschah zu Samuel, mit welchem der Herr, wie einst mit Moses „wie ein Mann mit seinem Freunde“ zu reden pflegte, des Herrn Wort: „Es reuet mich, daß ich Saul zum Könige gemacht habe; denn er hat sich hinter mir abgewendet und meine Befehle nicht erfüllt!“
Diese göttliche Eröffnung erschütterte den Propheten tief. Die ganze Nacht, bei deren Eintritt ihm dieselbe geworden, brachte er schlaflos unter Wehklagen und im Gebet für Israel zu. Kaum aber, daß der Morgen zu grauen begann, machte er sich auf, dem Könige zu begegnen, der, nachdem er sich mit unbegreiflichem Gleichmut!) bei Carmel in Juda ein Siegesdenkmal errichtet hatte, mit seinen lebendigen Trophäen nach Gilgal zurückgekehrt war. Hier war es, wo der Prophet ihn traf. Saul entbot ihm wieder mit der Miene vollkommenster Unbefangenheit seinen Gruß. Es gelang ihm aber nur nothdürftig, sein böses Gewissen damit zu verhüllen. „Gesegnet seist Du dem Herrn,“ sprach er, und dann mit kecker Stirn jedoch nur sich selbst verrathend: „Ich habe des Herrn Wort erfüllt!“ - „Hast Du?“ entgegnete Samuel, „so sage doch, was ist das für ein Blöken der Schafe vor meinen Ohren, und woher das Brüllen der Rinder, das zu mir herübertönt?“ Saul erwiderte in den Schein frömmster Unschuld sich verlarvend: „Das Volk glaubte, etliche der besten von den erbeuteten Schafen und Rindern schonen zu müssen, um sie dem Herrn, deinem Gott zu opfern.“ - In diesem Momente aber gab der Mann Gottes der heiligen Eifersflamme, die in ihm loderte, freien Raum, und im Namen des Herrn dem Heuchler die Maske vom Angesichte reißend, spricht er: „Du hast übel gethan, daß du der Stimme des Herrn nicht gehorcht, sondern dich zum Raube gewendet hast. Und was willst du mit dem scheinheiligen Verwande, als habest du dem Herrn ein Opfer bringen wollen? Wisse,“ - (man bemerke, daß so bereits ein Mann aus der Mitte des alten Bundesvolkes und aus der mosaischen Haushaltung heraus redet,) - „Gehorsam ist besser, als Opfer, und Aufmerken besser, denn das Fett von Widdern. Weil du nun des Herrn Wort verworfen hast, so hat auch dich der Herr verworfen, daß du nicht ferner mehr König seiest!“ - So der Seher als Mund Jehovas. Wie aber geschah dem Könige unter diesem Wetterausbruche über seinem Haupt? Wohl fühlte er sich wie zu Boden geschmettert. Nothgedrungen bekennt er: „Ich habe gesündigt, daß ich des Herrn Befehl und deine Worte übergangen habe,“ und läßt sich zu der flehentlichen Bitte herab: „So vergieb mir nun meine Sünde!“ fügt aber mit noch größerem und dringenderem Anliegen hinzu: „Kehre mit mir um, daß ich den Herrn anbete!“ Dies klang ja erfreulich und verheißungsreich; aber was lag der scheinbar frommen Aufforderung zu Grunde? Nichts Anderes, als das Begehren, durch das hohe Ansehen, dessen Samuel sich erfreute, in den Augen des Volkes sich gedeckt zu sehen. Ja, so sehr war es ihm darum zu thun, im Lichte der Heiligkeit dieses Gottesmannes vor den Leuten mitzuglänzen, und durch den fortgesetzten Verkehr mit ihm die eigene Frömmigkeit dem Verdachte der Unlauterkeit zu entziehen, daß er, als Samuel ihm seine unlautere Bitte versagte und mit der wiederholten Eröffnung: „Weil du des Herrn Wort verwarfst, so hat dich auch Gott verworfen,“ sich von ihm wandte, statt zerknirschten Herzens und um Gnade schreiend vor dem Allmächtigen in den Staub zu sinken, den Propheten gewaltsam zurückzuhalten sich bemühte, und dessen Mantel so krampfhaft und ungestüm erfaßte, daß derselbe riß und ein Zipfel davon in seiner Hand hangen blieb. Samuel aber deutete ihm dies als ein prophetisches Sinnbild dessen, was über ihn beschlossen sei und sprach zu ihm: „Der Herr hat das Königreich Israel heute von dir gerissen und es einem Andern zugedacht, der besser ist, als du!“ Da wiederholte der König sein Geständniß: „Ich habe gesündigt!“ gab aber zugleich in seiner Beängstigung aufs neue unverholen kund, was ihm vor allem Andern am Herzen liege. „Ehre mich doch jetzt vor den Weitesten meines Volkes und vor Israel,“ flehte er, „und komm mit mir, daß ich den Herrn deinen Gott anbete!“ Hier sehen wir denn sein tiefstes Innere vollends vor uns erschlossen. Statt Buße vor Gott erfüllt ihn nur die Sorge um seine Ehre bei den Menschen. Der Prophet, den des Elenden jammert, kehrt wirklich mit ihm um; aber in welcher Absicht? Etwa, um gemeinschaftlich mit ihm zu opfern und anzubeten, und ihn dadurch in seiner Heuchelei noch mehr zu bestärken? Das sei ferne! Was geschieht? In seiner Gegenwart vollstreckt Samuel eigenhändig mit des Schwertes Schärfe an dem gefangen gehaltenen Amalekiter-Fürsten Agag den Gottesbann, und stellt damit dem Könige Israels ein erschütterndes und unvergeßliches Exempel sowohl des heiligen und unerbittlichen Ernstes Dessen, der sich nicht spotten lasse, als des unbedingten Gehorsams vor Augen, der allewege seinem Wort und Geheiß gebühre. Nachdem er diesen blutigen Akt vollzogen hat, tritt er unverweilt den Rückweg nach seiner Stadt Ramath wieder an, „und sah hinfort,“ so berichtet die Geschichte, „den König Saul nicht mehr,“ (d. h. er suchte ihn nicht mehr auf,) „bis an den Tag seines Todes. Doch trug er Leid um Saul, daß es den Herrn hatte gereuen müssen, ihn zum Könige über Israel erhöht zu haben.“ Dem Herrn lag es vor Allem an, als der „Heilige in Israel“ erkannt und geehrt zu werden. Ein Mann aber so ungeistlichen Herzensgrundes, wie Saul, in seinem Innern zwischen Gott und der Welt getheilt, zum Dienste Gottes nur unter dem Vorbehalte bereit, daß, was Gott ihm auferlege, seine persönlichen Interessen und Gelüste nicht durchkreuzen dürfe, und dennoch ängstlich erpicht auf Wahrung des äußerlichen Scheins einer unbedingten Hingebung an Gott, während er das Wesen einer solchen überall verläugnete, und ein um das andere Mal sich darauf betreffen ließ, Gott und Menschen belügen zu wollen: nein, ein solcher doppelherziger und in die gröbste Heuchelei verstrickter Mensch taugte nicht zum Statthalter des dreimalheiligen Gottes auf Erden, und so ersah sich denn, wie es zu erwarten stand, der „Hüter Israels“, welcher „Könige ein- und absetzt“, einen Andern und Würdigeren zum Hirten und Führer seines Volkes. Wo werden wir denselben zu suchen haben?
2.
Ohne zurechtweisenden Wink vermuthen wir ihn schwerlich da, wo er uns begegnen wird. Was war Bethlehem? Damals der unbedeutendsten Flecken einer im heiligen Lande. Wohl freundlich auf sonnigen Hügeln gelegen und von duftigen Triften umgrünt, war es doch zu klein und unansehnlich, um bei der Aufzählung der Städte Judas im Buche Josua, Kap. 15 auch nur mit einer Silbe erwähnt zu werden. Wer hätte denken können, daß dieses verschwindende Oertlein einmal bis an den Himmel erhoben werden, , an weltgeschichtlicher Bedeutung alle Städte der Erde weit überstrahlen werde? Und ist's nicht dennoch so geschehen? Der Herr, dessen, Augen nach den Treuen im Lande schauen, kannte das Städtlein längst, und hatte es in seine besondere Obhut genommen. In einem unvergleichlich herrlichen Sinne sollte es einst seinen Namen „Bethlehem“, d. i. „Haus des Brodes“ mit der That entsprechen und gibt es einen Städtenamen, bei dem, so oft er in Verkündigung oder Lied uns antönt, so das Herz uns aufgeht, wie bei dem Namen „Bethlehem Ephrata“? -
Schon frühe knüpfte der Herr in diesem Hirtendörflein mit heilverkündendem Absehn auf ein fern Zukünftiges ein geheiligtes und verheißungsreiches Eheband um zwei edle Herzen: die Herzen der frommen Moabitin Ruth und des trefflichen Ackermannes Boas. An ihrem Vermählungstage gab er „allein Volk unterm Thor“ und „den Aeltesten“, die als Zeugen der Feier anwohnten, den bedeutungsvollen Segensspruch in den Mund: „der Herr mache das Weib wie Rahel und Lea, die das Haus Israel gebauet haben, und es wachse sehr in Ephrata und werde gepriesen zu Bethlehem!“ Als nachmals dem jungen Paare ihr erstes Söhnlein, Obed, d. i. „Diener“, genannt, geboren war, ergossen sich, wieder nicht ohne Einwirkung des Geistes von Oben, von den Lippen der die Großmutter Naemi beglückwünschenden Weiber die begeisterten Worte: „Gelobet sei der Herr, der dir nicht hat lassen abgehen einen Erben zu dieser Zeit, daß sein Name in Israel bleibe. Der wird dich erquicken!“ O, wenn die lieben Frauen geahnet hätten, in welchem überschwänglichen Maße der Herr einst diesen ihren Verheißungsspruch zur Wahrheit machen, und wie er die Stammlinie des so freudig willkommen geheißenen Söhnleins der ganzen weiten Welt zu ewigem Segen setzen werde! Doch war dies ihnen sowohl, wie dem ganzen Israel damals noch ein versiegeltes Geheimniß, und es blieb's, bis 400 Jahre später der Prophet Micha von Maresa das letzte Siegel durch den das Volk auf's freudigste überraschenden Ausruf löste: „Und du, Bethlehem Ephrata, die du zu klein bist, um unter den Tausenden in Juda mitzuzählen, aus dir soll der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist!“
Nach diesem Bethlehem ward nun, nachdem seit Obeds Geburt etwa ein halbes Jahrhundert verflossen war, Samuel vom Herrn gewiesen, „Wie lange,“ sprach der Herr in einer unmittelbaren Offenbarung zu seinem Knechte, „trägst du Leid“ (oder: bekümmerst du dich) „um Saul, den ich verworfen habe, daß er nicht mehr König sei über Israel? Fülle dein Horn mit Oel und gehe hin; ich will dich senden zu dem Bethlehemiter Isai (des Obeds Sohne;) denn unter seinen Söhnen habe ich mir meinen König ausersehen!“ Mit nicht geringer Bestürzung mag Samuel das schreckliche Wort „verworfen“ vernommen haben. Seine Seele mochte wohl betend zum Herrn schreien: „Verwirf ihn nur nicht gar von deinem Angesichte!“ Daß aber Saul die Krone über Israel verwirkt habe, hatte ihm längst schon eingeleuchtet, und so beugte er sich unter den Rathschluß Gottes als einen heiligen. Möglich, daß ihn im ersten Momente auch der Auftrag befremden mochte, der ihn die Krone nach dem unansehnlichen Hirtendorfe Bethlehem tragen hieß. Doch er kannte die Weise des Allwaltenden, und so äußerte er nur das eine Bedenken: „Wie soll ich hingehen, da Saul davon hören und mich erwürgen wird?“ Eine kleinherzige Sorge dies, die wir bei einem Samuel nicht erwartet hätten. Der Herr jedoch „kennet, was für ein Gebilde wir sind“ und hat Mitleid mit unserer Schwachheit. Auf's leutseligste läßt er sich zu seinem längst bewährten Diener Samuel herab und gibt ihm auf, die Hauptabsicht seiner Sendung in Bethlehem dem Volke einstweilen vorzuenthalten, und nur die Opferfeier, die er auf Gottes Geheiß daselbst veranstalten, und zu der er auch den Isai und dessen Söhne laden solle, hervorzuheben. Nach Beendigung dieser Feier werde er, der Herr, dann denjenigen ihm bezeichnen, welchen er aus Isai's Söhnen zum Fürsten über Israel erkoren habe. Samuel gehorchte, griff zum Wanderstabe, und zog von dannen. Seine Ankunft in Bethlehem rief unter den Bewohnern des Städtleins eine freudige Bewegung hervor; denn wer war in Israel, der nicht von dem Freunde und Seher Gottes Samuel wenigstens schon gehört hatte? Die Aeltesten des Orts gingen dem heiligen Manne ehrfurchtsvoll, aber nicht ohne ein geheimes Bangen entgegen, und begrüßten ihn mit der Besorgniß athmenden Frage: „Ist's Friede, daß du kommst?“ d. h. „Hat's Gutes zu bedeuten, daß du unserm armen Städtlein nahest?“ Samuel beruhigte die anspruchslosen Leute, indem er ihnen freundlichst entgegnete: „Nur Gutes bringe ich. Ich komme, mit euch dem Herrn zu opfern. Heiliget euch darum,“ d. i. bereitet euch nach dem levitischen Gesetze vor und sammelt eure Gedanken zu der hehren Handlung. Sonderlich ermahnte er den Isai und dessen Haus zu solcher Bereitung, und deutete ihnen leise an, daß vorzugsweise sie es seien, zu denen und um derer willen der Herr ihn sende. Die Geladenen fanden sich denn auch unverzüglich in festlicher Stimmung bei dem in Eile errichteten Altare ein, und nachdem die Opferceremonie unter herzlicher Andacht Aller vollzogen war, kehrte Samuel mit dem alten Isai in dessen Hütte zurück, und forderte ihn auf, seine Söhne vom ältesten bis zum jüngsten ihm vorzuführen, lind Isai gehorchte dem Worte des Propheten.
Da trat denn zuerst der älteste, Eliab, heran, eine Heldengestalt, kraftvoll und von männlicher Haltung. „Ha!“ dachte Samuel, „da steht vor dem Herrn sein Gesalbter!“ Aber die Stimme des Herrn in seinem Innern sprach: „Siehe nicht an seine Gestalt, noch seine große Person; ich habe ihn verworfen. Denn es gehet nicht, wie ein Mensch stehet. Ein Mensch stehet nach dem, was vor Augen ist; der Herr aber stehet das Herz an.“ Isai winkte darauf dem Aminadab, daß er vortrete. Aber wiederum hieß es im Herzen Samuels: „Auch dieser ist es nicht, den der Herr erwählte!“ Ein Gleiches geschah, als der dritte, Samma erschien, und bei den vier folgenden vernahm Samuel dieselbe Weisung. „Dieser“, sprach er zu Isai, „hat der Herr keinen erwählt; aber sind dies die Knaben alle?“ - Unsrer größten Dichter einer erinnerte sich einst dieser Frage Samuels, nachdem er die hervorragendsten Philosophen und Weisen dieser Welt gemustert und studirt, und bei keinem derselben etwas Haltbares und Befriedigendes gefunden hatte. Da schrieb er mit einem bittern Hohn das Verslein nieder: „Ach, ich war auch in diesem Falle! Als ich die Weisen hört und las; Da jeder diese Welten alle Mit seiner Menschenspanne maß; Da fragte ich: Aber sind sie das: sind das die Knaben alle?“ - Ach, hätte der Dichterfürst doch Einen nicht verkennen wollen! - Auf Samuels Frage erwiederte der Vater Isai: „Einer ist noch zurück, der jüngste; der hütet draußen die Schafe.“ Er sprach's mit einer Miene, welche zu besagen schien: „Dieser Kleinste kann es ja nicht sein, den du suchest.“ Samuel aber: „Sende hin, und laß ihn holen; denn wir werden uns nicht zu Tische setzen, bis auch er erschienen ist.“ Also geschieht's. Nach einer Weile tritt der Knabe ein, rothwangig, blonden Haars, mit schönen Augen und guter Gestalt. „Der ist's!“ bezeugte dem Propheten der Geist; „auf, salbe ihn!“ Und mit tiefer Bewegung seiner Seele nimmt Samuel sein Salbhorn, und netzt mit der heiligen Narde des Knaben Haupt; begleitete jedoch die Ceremonie mit keinem deutenden Worte, sondern begnügt sich damit, den zukunftsvollen Jüngling mit sonderlicher Herzlichkeit zu grüßen. Nachdem er dann mit der gesammten Familie das Brod gebrochen, macht er seinen Abschied, und kehrt gedankenvoll gen Ramath zurück.
Ueber den jugendlichen David, verdeutscht: den „Geliebten“, „gerieth“, so meldet die Geschichte „von jenem Tage an und fernerhin der Geist des Herrn.“ Der Jüngling trat in eine neue Entwicklungsstufe seines innern gottgeweihten Gebens ein. Die reichen Anlagen, womit er von Geburt an ausgestattet war, gelangten zur allseitigsten frischesten Entfaltung. Die Thora, die heilige Urkunde der Bücher Mosis, worin er von Kindheit auf unterwiesen worden war, erschloß sich seinem erleuchteten Auge mehr und mehr. Die friedliche Stille der freundlichen Natur, in der er, die Heerde seines Vaters weidend, seine Tage, und öfter auch die milden sternenhellen Nächte verlebte, begünstigten seine Vertiefungen in die Geheimnisse der göttlichen Offenbarung. Schon frühe ergoß sich sein bewegtes und nach Oben gerichtetes Herz zu den Akkorden seines Saitenspiels in heiligen Dichtungen und Lobgesängen zur Verherrlichung dessen, vor dem er schon als Kind die Kniee beugen lernte, und wohl ist anzunehmen, daß schon damals in jener ländlichen Einsamkeit Psalmen seinem Herzen entströmten, wie der achte, der von anbeten der Bewunderung der Herablassung und Gnade überfließt, womit der majestätische Schöpfer Himmels und der Erde des hinfälligen Menschen sich angenommen, und ihn zum Herrn über seiner Hände Werk erhöhet habe; wie der 19te: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, der 23te: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln;“ und der 104te: „Lobe den Herrn meine Seele! Herr mein Gott du bist sehr herrlich, du bist schön und prächtig geschmückt“, und wie er weiter^ lautet. Jedenfalls verdankt ein großer Theil der der Natur entnommenen lieblichen und sinnigen Bilder, wie sie in so reicher Fülle fast in allen seinen Psalmen uns begegnen, seinem Hirtenleben auf den Auen und Bergen Bethlehems seine Entstehung.
Ob David vor seiner Salbung schon mit Samuel zusammengetroffen war, oder doch, was übrigens wahrscheinlich, den Jüngern Samuels, den Zöglingen der Prophetenschule zu Rama, mit denen wir ihn später so traulich verkehren sehen, nahe gestanden hatte, läßt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Ebenso bleibt es fraglich, wie weit er sich schon der folgenschweren Bedeutung seiner Salbung bewußt geworden. Wahrscheinlich erstreckte sich dieses Wissen nicht über eine leise dämmernde Ahnung hinaus, deren er sich eher als einer verwegenen Träumerei erwehren zu müssen, als einer göttlichen Zusage sich rühmen zu dürfen glaubte. Erst später löste sich ihm im Wege mannichfaltiger Erfahrungen das Räthsel der an ihm stumm vollzogenen geheimnißvollen Handlung. Daß deren Bedeutung ihm wirklich nicht von vorne herein in voller Klarheit aufgegangen war, dafür spricht schon die große Unbefangenheit, mit der wir ihn nicht lange nach der feierlichen Scene in Bethlehem der an ihn ergehenden Aufforderung Folge leisten sahen, von der wir in unsrer , nächsten Betrachtung hören werden. Schließen wir die heutige in anbetender Bewunderung des Waltens unsres Gottes, welchen, es, wo irgend seinem Reiche Gefahr droht, nicht schwer ist „durch viel oder wenig helfen.“ Schließen wir sie mit dem Ausruf des Propheten: „Herr Zebaoth du bist wahrlich groß von Rath und mächtig von That, und deine Augen stehen offen über alle Wege der Menschenkinder“; oder mit den Worten des 40ten Psalms: „Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn und sich nicht wendet zu den Hoffärtigen, die mit Lügen umgehn. Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder, und deine Gedanken, die du an uns beweisest. Ich will sie verkündigen und davon sagen, wie wohl sie nicht zu zählen sind!“