Friedrich Wilhelm Krummacher - Blicke ins Reich der Gnade - VII. Abfall und Wiederbringung.
Hebräer 6, 4-6.
Denn es ist unmöglich, die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes, und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen, wiederum zu erneuern zur Buße, als die ihnen selbst den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und für Spott halten.
Bekannte und gewichtige Worte, meine Brüder, die wir heute betrachten wollen! Aus welchem Grunde so bekannt und inwiefern so gewichtig, wer wüsste das nicht? Mancher unter euch wird recht gespannt sein, was es denn heute wohl geben werde? Aber ihr irrt euch, meine Brüder, wenn ihr denkt, darum habe ich mir diesen Text erwählt, um an ihm einmal meinen Witz und meine Weisheit euch zur Schau zu stellen. Nein! das wäre wohl heute sehr zur Unzeit und könnte mir übel vergolten werden. Auch denke keiner, ich wollte ihm einen neuen Stoff zum Spekulieren mit nach Hause geben, oder sei gar gesonnen, der Streit- und Disputiersucht eine neue Nahrung darzureichen und Öl zu gießen ins Feuer der Parteiungen. Das erstere wäre in der Tat sehr überflüssig; denn es ist schon des Grübelns genug vorhanden, dass hier und da schier das Leben darüber vergessen wird; und des andern bedarf es eben auch nicht, da das Feuer der Meinungskriege unter uns schon wacker brennt und unter der Asche nicht mehr verborgen glimmen mag. Und wie würde ich auch bei solchem Anblasen in der Wahrheit bestehen und im Einklange bleiben mit mir selbst und dem, was ich vor 14 Tagen über den 133. Psalm euch vorgehalten? Nein, nein! unsere Absicht ist eine andere. Weil diese Worte, wie Gottes Worte alle, nütze sind zur Lehre, Strafe, Besserung und Züchtigung in der Gerechtigkeit; und weil sie uns besonders passend schienen für einen Tag, wie der heutige, da eine ganze Schar von Schuldbeladenen, ja von abgewichenen und verirrten Söhnen und Töchtern bei einander steht und sich des Bundesbruches schuldig weiß und ihren Bund mit Gott erneuern möchte; darum wählten wir sie. Möchte sich's erweisen, dass auch ein anderer als wir sie für euch wählte! Drei Stücke sind es, die wir zu betrachten haben:
1. die Personen, von denen die Rede ist,
2. der Abfall, dessen sie fähig sind und
3. die Warnung, die ihnen gegeben wird.
1.
Was sind das für Leute, die der Apostel im Auge hat? Sind es Kinder Gottes oder nicht? Eine wichtige Frage, die schon manchem den Kopf erhitzt und das Herz geängstigt hat. Viele, wie ihr wisst, halten an der Meinung, es sei hier nicht von Wiedergeborenen, sondern von sogenannten Zeitgläubigen die Rede; von Menschen, mit denen es wohl je und dann zu guten Rührungen, Eindrücken und Vorsätzen, nicht aber zu einem wirklichen Umschlage und Durchbruche gekommen sei, die also durchaus noch zu denen zu zählen wären, die draußen sind. Diese Meinung schwebt in der Luft und ist offenbar aus der Besorgnis hervorgegangen, es möchte durch unsere Textesstelle eine der heilvollsten und tröstlichsten Lehren umgestoßen werden: die Lehre unserer Kirche, „von der freien Gnade und der Unauflösbarkeit des Gnadenbundes.“ Diese Besorgnis habe nun Grund oder nicht; in keinem Falle ist es recht und in der Wahrheit gehandelt, dass man das Wort Gottes nach seinem Systeme drehe und ihm Zwang antue. Das heißt nicht, sich fürchten vor dem Worte. Das Wort sei Herr im Hause und unser System der Untertänige; nicht umgekehrt. Paulus redet von Kindern Gottes. Von Kindern Gottes? Und die könnten noch aus der Gnade fallen? die noch auf dem Wege sterben - die noch am Ende verloren gehen? Nun ruhig, ruhig! nicht vorgegriffen! Davon nachher; eins nach dem andern. Zuerst will ich euch beweisen, dass Paulus von Kindern Gottes redet.
Paulus zählt an den Leuten, die er vor sich hat, eine Menge Kennzeichen auf, die sie durchaus als Wiedergeborene bezeichnen. Wir wollen diese Kennzeichen etwas näher betrachten, und ihr, meine Brüder und Tischgenossen, mögt unterdessen eine stille Selbstbetrachtung mit euch anstellen, ob ihr diese Zeichen und Siegel des wahrhaften Israels auch an euch findet. Das erste, was Paulus von seinen Leuten aussagt, ist, sie seien erleuchtet. Es gibt verschiedene Arten von Erleuchtung in der Natur: Erleuchtung durch den Schein des Mondes, Erleuchtung durch den Strahl der Sonne, Erleuchtung durch Licht der Fackeln oder Lampen. So auch in der menschlichen Gemütswelt: Da sind manche, die wissen allerdings, was not ist und wie die Stationen heißen auf dem Himmelswege; aber sie wissen alles aus menschlicher Unterweisung, und haben ihr Licht aus der zweiten und dritten Hand. Das ist ein Mondlicht, das weder erwärmt noch befruchtet, weder Totes lebendig, noch Verdorrtes grünend macht. Solche Erleuchtung kann man freilich haben und doch von Gott und seinem Reiche so fern stehen, als der verfinstertste Heide. Da sind andere, die scheinen schon einer besseren Erleuchtung teilhaftig; es ist Licht da und auch eine gewisse Wärme. Es sind die weichen, gemütvollen und leicht erregten Seelen, die, wenn sie von Christo und den Erfahrungen seines Heils und seiner Gnade mit Innigkeit reden, rühmen und erzählen hören, sich gewisser Rührungen und Gemütsbewegungen nicht erwehren können, auch wohl unter solchen Umständen von dem Gedanken durchblitzt werden, dass diese Sachen doch wohl wahr sein müssten und vielleicht sogar dem Evangelio die Ehre geben und so etwas von den Strömen lebendigen Wassers schmecken, die von den Leibern der Gläubigen ausgehen; aber das nur so lange, bis andere Umgebungen auch wieder andere Eindrücke herbeiführen. Die sind beschienen und erleuchtet von den Lampen der klugen Jungfrauen. Aber brennt diesen einmal der Docht und das Öl ein wenig herunter, oder ziehen sie sich zurück mit ihren Lampen, dann ist die alte Finsternis wieder da. Denn jene Leute haben das Licht nicht empfangen in ihnen selber.
Weder diese noch die vorhin Benannten werden in der Schrift jemals Erleuchtete genannt. Den Titel „erleuchtet“ gibt die Schrift nur solchen, die ihr Licht nicht mittelbar aus der zweiten und dritten Hand, als vom Monde herab und durch Lampenschein empfingen, sondern die es nahmen unmittelbar aus der Sonne der Gerechtigkeit selber, von der geschrieben steht: „Wache auf, der du schläfst, stehe auf von den Toten, dass Christus dich erleuchte!“ Und das ist ein Licht, das Mark und Bein durchdringt und hinunterleuchtet bis in die verborgensten Winkel der Seele. Das ist ein Licht, das dem Sünder sein Elend nicht allein aufdeckt, sondern auch zu fühlen gibt und einen Saul auf dem Wege nach Damaskus in den Staub danieder blitzt. Das ist ein Licht, durch das wir nicht bloß Lehre und Theorie empfangen, sondern das uns gleich in die Praxis hineinleitet und uns die Zunge löst: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ Das ist ein Licht, das uns den Heiland nicht allein erkenntlich, sondern auch begehrlich, süß und köstlich macht zum Schreien: „O Davids Sohn, erbarme dich unser!“ Alle nun, welche die Bestrahlung dieses Lichts erfuhren, das da im Menschen das Unterste zu Oberst kehrt und eine Radikal-Reform zuwege bringt, das nicht kalt ist, sondern heiß und brennend, befruchtend, Liebe und Leben zeugend, die, aber auch nur die heißen Erleuchtete in der Schrift. Wer aber also erleuchtet ward, der ist ein Gottesmensch, vom Geist geboren, das ist ohne Zweifel.
Was sagt der Apostel von seinen Leuten weiter? „Sie haben geschmeckt,“ spricht er, „die himmlische Gabe.“ Wiederum ein ausschließliches Abzeichen des wahrhaftigen Israels. Die Gabe vom Himmel ist keine andere, als diejenige, von welcher der Herr zur Samariterin spricht: „Dass du erkenntest die Gabe Gottes!“ und Paulus zu den Korinthern: „Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe.“ Die Gabe ist Christus selber. Diese Gabe geschmeckt, nämlich genossen als ein Himmelsbrot, durch den Glauben in sich aufgenommen und jemals mit der Lust eines begnadigten Sünders sich ihrer getröstet zu haben, nein, nein! das wird kein natürlicher Mensch von sich rühmen können. Ich will nicht sagen, ob man nicht etwas von Christo schmecken und kosten, ob man nicht irgendeinen köstlichen Ausspruch aus seinem Munde mit einem gewissen Wohlgefallen vernehmen, ob nicht irgendeine schöne Tat von ihm uns angenehm bewegen, ob die Holdseligkeit seines Bildes uns nicht in gewisser Weise ergötzen und erfreuen könne, ohne dass man wiedergeboren ist und zu Gottes Kindern gehört. Aber die ganze Gabe, Christum selber als das, was er ist, als Versöhner und Sünderfreund, mit lebendiger Zuversicht in seinem Herzen genießen, als Arznei wider den Tod, als Speise zum ewigen Leben, Das kann nur ein Kind, ein aus Gott Geborener; denn es setzt Bedürfnis voraus, Hunger nach der Gerechtigkeit und vieles andere, das schon zu der göttlichen Natur gehört.
Ein neues Kennzeichen: „Sie sind teilhaftig worden des Heiligen Geistes,“ und das lässt uns nun vollends keinen Augenblick mehr ungewiss, von was für Leuten der Apostel rede. Merkt wohl! nicht sagt er, dass der Geist einmal bei ihnen angeklopft, dass sie einmal vom Odem Gottes seien berührt worden. Teilhaftig, teilhaftig geworden des Heiligen Geistes sind sie: der Geist des Herrn ist in ihnen, ermahnt, richtet, straft, unterweist und tröstet sie; er seufzt in ihren Seufzern, er betet in ihren Gebeten und stimmt an ihre Lobgesänge; er führt den Streit in ihnen wider das Fleisch; er leitet sie zur Buße nach jeglichem Falle und verklärt ihnen Christum und sein Verdienst in ihren Herzen. So sind sie des Geistes teilhaftig geworden und getränkt und erfüllt mit dem neuen, geistlichen Leben. Das meint Paulus. Wer zweifelt daran, dass er wahrhaftige Gotteskinder im Auge habe?
Und damit wir gewiss wüssten, er rede von solchen, die den Geist Gottes wirklich zum Unterpfande ihrer Seligkeit empfangen hatten, so setzt er hinzu: „Sie haben geschmeckt das gütige Wort Gottes.“ Ein lieblicher Ausdruck! Sie haben das Wort Gottes an sich erfahren als ein gütiges, als ein Wort, das an allem, was uns begegnet oder drückt, den freundlichsten und mitleidigsten Anteil nimmt; als ein Wort, das allezeit für uns Rat und Ausweg weiß und auf das leutseligste mit seinem Lichte und seinem Balsam uns zur Seite geht. Und so erfahren das Wort Gottes nur solche, die in wirkliche Gemeinschaft mit dem Tröster aus der Höhe gekommen sind, der das Wort diktiert und eingegeben, der es seinen Vertrauten auch auslegt und versiegelt, der es versteht, immer das für die jedesmalige Lage Passende herauszuheben, und der die unbedeutendsten Sprüchlein oder Geschichtchen in diesem Wort dazu anzuwenden weiß, um uns zu erbauen, aufzurichten, zu erfreuen, zu trösten, zu warnen und uns zuzureden. Selig, die da schmecken das gütige Wort Gottes! Die gehören mit zum Hause.
Und nun das letzte Charakterzeichen: „Sie haben geschmeckt die Kräfte der zukünftigen Welt.“ Darunter verstehe nun, was du kannst. Denke dabei an die Gnadenergüsse aus der Höhe zur Welt- und Todesüberwindung, oder an einen lebendigen Vorschmack der ewigen Wonnen und an entzückende Vorgefühle der himmlischen Seligkeiten; denke an ein freudiges Ergriffensein von den Dingen, die da kommen sollen, oder an ein zuversichtlich frohes Vorausempfinden der majestätischen Wiederkehr des Ehrenkönigs; gedenke an kräftige Versicherungen von dem einstigen: „Allezeit bei Christo sein,“ oder an ein siegreiches und mächtiges Hinausgehobenwerden auf Glaubensflügeln über Zeit, Kreuz, Grab und Tod, Gericht und Hölle, oder was du immer unter jenen Worten verstehen magst: das wirst du zugeben müssen, nur Kinder Gottes könne Paulus vor Augen haben, wenn er von ihnen aussagt: „Sie haben geschmeckt die Kräfte der zukünftigen Zeit und Welt.“
Wollte Gott, o wollte Gott nur, meine Brüder, dass ihr dieselben Merkzeichen auch an euch befunden hättet! Wir trügen keinen Augenblick mehr Bedenken, wie Bileam einst, auf einen Berg zu steigen und über euch zu jauchzen: „O wie fein sind deine Hütten, Jakob, und deine Wohnungen, Israel! Wie sich die Bäche ausbreiten, wie die Gärten an den Wassern, wie die Aloebäume, die Gott gepflanzt hat. Volk, du bist vom Herrn erwählt!“
2.
Paulus spricht von Kindern Gottes, und zwar nicht von Neulingen, sondern gar von solchen, die schon Erfahrungen gemacht haben im Wege des Heils, und mit denen es zum Durchbruche schon gekommen ist. Nun sagt er weiter: „Wo die nun abfallen.“ Abfallen? Ja, ja, meine Brüder! das sagt er und nichts anders. Wem sollte hier nicht grauen? Hier öffnet sich nun der Abgrund, der uns die teuersten Glaubenssätze, den von der freien, unverdienten Gnade, und die andern von unserer ewigen Bewahrung in Gottes Händen, und mit ihnen unseren seligsten Trost, ja unsere ganze Ruhe zu verschlingen droht. Denn in Wahrheit, der Gedanke, dass man sich selbst zu bewahren habe, ist des Friedens Grab und eine Quelle ewiger Ängsten. Aber heißt es denn wirklich abfallen? Lässt sich Das Wort nicht anders geben? Nein, liebe Brüder, durchaus nicht anders! Und auch das ändert die Sache nicht, dass Paulus, statt Die Möglichkeit des Abfallens ausdrücklich zu behaupten, nur sagt, „wenn sie abfallen“. Da meinen manche, Paulus habe da heimlich in seinem Herzen gedacht: „Was nun und nimmermehr geschehen kann!“ Aber das ist nichts. Genug, es wird behauptet, der Abfall der Kinder Gottes sei möglich! So leicht geschieht es freilich nicht, dass sie abfallen; aber geschehen kann es.
Genau genommen ist jeder Fall ein Abfall, ein Vergessen Christi und ein Hinwegtreten von seiner Seite und von seinem Wege. Aber zwischen Fall und Abfall macht doch die Schrift einen Unterschied. Von dem Fallen und Straucheln aus Schwachheit, von welchem Salomo in seinen Sprüchen sagt: „Der Gerechte fällt siebenmal des Tages, und steht wieder auf,“ von diesen Fällen, die uns oft nützlicher sind und mehr eintragen, als unsere Tugenden spricht der Apostel nicht. Diese Fallenden richte niemand; sie werden schon genug vom Geiste gerichtet. Sie stehen und fallen ihrem Herrn, und Gott kann sie wohl aufrichten. Doch vom Fallen handelt sich's nicht, vom Abfallen ist die Rede, und was das heiße, muss näher erörtert werden.
Galater 5, 4, da treffen wir mit Abgefallenen zusammen. Wir wollen sie näher ins Auge fassen. Es sind Leute, die der Apostel wirklich als Erweckte und Bekehrte charakterisiert. Nun heißt es zu ihnen: „Ihr habt Christum verloren und seid von der Gnade gefallen.“ „Von der Gnade“ wird gesagt, aber nicht „aus der Gnade.“ Aus der Gnade fallen, diese Redensart habe ich, beiläufig bemerkt, in der Schrift noch nicht gefunden. Worin bestand denn nun der Abfall dieser Galater? Darin, meine Brüder, dass sie aus dem evangelischen Stande in den gesetzlichen, aus einem empfangenden in einen erwerbenden, aus dem Armensünderwesen in ein eitles Eigenwirken und Sichselberhelfenwollen, hineingeraten waren. Sie hatten das lebendige Gefühl ihrer Untüchtigkeit und ihres Unvermögens verloren, waren, anstatt fein unterm Kreuz zu bleiben, und von Gnade und Vergebung zu leben, auf den unglückseligen Gedanken gekommen, ihre eigenen Heilande und Vertreter zu werden, und anstatt dass sie ihre Sünden hätten richten und verdammen und dann vorm Gnadenstuhle sich beugend, ihre Kleider im Blute des Lammes wieder helle machen sollen, waren sie darauf aus, ihre Gebrechen selbst zu heilen, und durch Gesetzeswerke ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten, und sich eine persönliche, selbsterworbene Würdigkeit zu verschaffen, dass Paulus ihnen zurufen musste: „Ihr lieft so fein! wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht mehr zu gehorchen?“ Das war ein Abfall, das war ein Hinwegtreten von der Gnade, das war eine Verirrung vom Wege der Kinder Gottes auf den der selbstgerechten Naturmenschen; das war ein Sichlossagen von Christo, das war eine stillschweigende Erklärung: wir bedürfen seiner nicht, wir können ihn entbehren; das war eine Geringschätzung seines Blutes, eine Verachtung seines Opfers, eine Wegwerfung seiner Person, dass Paulus mit Fug und Recht ihnen vorwerfen konnte: Christus sei wieder unter ihnen gekreuzigt; ja, dass er ihnen auch mit den Worten unseres Textes hätte zurufen können: „Ihr habt den Sohn Gottes für Spott gehalten.“ Seht also, meine Brüder, ein Abfall wahrer Christen, und zumal ein solcher, der leider! nicht zu den seltensten Erscheinungen gehört im Reiche Gottes.
Aber es gibt einen Abfall, noch schrecklicher denn dieser. Nicht ein Abfall bloß von der Gnade ins Gesetz, ein Abfall in die Gesetzlosigkeit, ein Abfall von Gott zu den Götzen, vom Himmelreiche zur Welt, und vom Wege des Lichtes in den des Fleisches und der Finsternis. Es ist kaum zu glauben, und doch bestätigt es die Erfahrung. Seht David an in einer gewissen Periode seines Lebens; doch nein! Davids Irrgang meine ich nicht: der war mehr Fall als Abfall. Aber denkt an Salomo, diesen teuren Gottesmann, und begleitet ihn auf seinem Lebenswege, ein Schauder wird euch ankommen! O seht! seht! der inbrünstige Sänger des Hohenlieds, der Meister in Sprüchen der Weisheit, der Mann voll Glaubens und Eifers, wo ist er hingeraten? Siebenhundert Königinnen umgeben ihn und dreihundert Kebsweiber halten ihn in Stricken. Sein Herz wird fremden Göttern zugeneigt, und er wandelt Astaroth, der Gottheit Sidons nach, und dem Gräuel der Amoriter. Er tut, was dem Herrn übelgefällt, und baut Höhen, Götzentempel und Altäre dem Moloch und dem Gräuel der Moabiter, und gibt sich mit den Weibern ans Räuchern und ans Opfern. Zweimal erscheint ihm der Herr und gebietet ihm, dass er nicht andern Göttern nachwandeln soll; aber er hält es nicht und bleibt am Weichen vom Herrn, dem Gotte Israels, dass der Herr endlich mit den Donnern und Blitzen seiner Gerichte wider ihn anrücken muss. Und ach, wie so manchem Gotteskinde ist es schon ergangen, wie Salomo. Wie so mancher, dem die Welt schon gekreuzigt war, ist in die Welt wieder zurückgetreten! Wie so mancher, der schon lange, lange Zeit dem Herrn gedient, hat die Wüste seines Sündenlebens, die er längst verlassen, wieder ausgesucht, um wieder Träber zu essen mit den Säuen. Ach, vielleicht wandeln auch unter uns solche Unglückselige, die einst es mit dem Herrn gehalten, und siehe! nun ist der Bund gebrochen und geschändet; die einst mit unterm Kreuz standen, und siehe! nun kreuzigen sie den Sohn Gottes selber und halten ihn für Spott und treten sein Blut mit Füßen! die einst in der Reihe der Simonen und Schächer und Magdalenen zu sehen waren, und nun träuft keine Träne um ihre Sünde mehr aus ihren Augen; und ihr Herz ist wie Stahl und Eisen; die einst mit das Lied des Lammes sangen, wissen nun nichts mehr von Lamm und Lammesblut, sondern singen das Lied der Welt und Belials; die einst liebliche Pflanzen waren zum Preise Gottes, und sind nun wie die entlaubten Bäume im Walde, verdorrt und kahl, ohne Blüte, Blatt. und Frucht, und ohne Saft in Zweigen und Ästen, und hilft kein Verpflanzen mehr noch Begießen. Ach, vielleicht auch unsere Ge meine hat solcher etliche auszuweisen, dass wir nicht brauchen in die Weite und Ferne zu greifen, dass wir in der Nähe bleiben können. Ist es also? Nun so weisen wir hin auf diesen und auf jenen unter euch. Seht, seht! an diesen Menschen ist es zu erkennen: Abfall sei möglich.
3.
Nun denn, ihr Abgefallenen, hört! hört! Ein Donner geht vom Munde des Apostels. „Es ist unmöglich, spricht er, dass die, so einmal erleuchtet sind, und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen und dadurch wieder ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten, dass sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße.“ Ach, wie klingt das furchtbar und erschrecklich! das klingt beinahe wie: „Geht hin von mir, ihr Verfluchten! in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist!“ Aber, das lässt sich von selbst schon denken, wie schwer die Wiederbringung solcher sein müsse, die schon ins geistliche Leben eingewurzelt und mit den süßesten Liebeserfahrungen vom Herrn beseligt waren, und mit denen es dennoch zum Rückfalle kommen konnte! Darum, wer des Abfalles sich schuldig weiß, der zittre und erbebe! er hat Ursache dazu. Das Wort „unmöglich“ in unserm Texte fülle ihn mit Grausen und Schauder. Wer da steht, der sehe zu, dass er nicht falle! Wacht und betet, und unter dem Kreuze sei eure bleibende Stätte! Da legt euch schlafen, da steht auf am Morgen; da treibt eure Geschäfte; da beschickt eure ewigen Angelegenheiten; da leibt und lebt; da wartet auf den Bräutigam; da sterbt; so seid ihr sicher.
Es ist Spannung unter euch, meine Brüder, und in manchen Herzen ein heimliches Bangen, Weinen und Schluchzen. Ich glaube mich nicht zu irren! Was gibt es denn? Ach, ich merke es wohl: es sind etliche unter uns, die sich des Abfalles schuldig glauben, und denen sich das „Unmöglich“ wie ein Berg auf die Seele gelagert hat. Ach, meine Brüder, wir beklagen euch! Aber seid ihr denn auch wirklich abgefallen? Ja, denkt ihr, ja, wir sind es wirklich. Und ist euch auch bange darum? Ach, seufzt ihr, ach so bange, so bange! Und möchtet auch wohl gerne wieder zurückkehren? Ach, sprecht ihr, ja, wie gerne, wie gerne! Aber es ist aus mit uns! wir sind verloren, wir Ungetreue, wir arge Sünder, die wir den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt haben, wie sollte er uns wieder annehmen? Es ist ja unmöglich, ach! unmöglich! So seufzt eure Seele. Nun gut, wir wissen jetzt genug und rufen euch zu: Seid fröhlich und unverzagt! ihr zittert ohne Grund. Für euch liegt nichts als Trost in unserm Texte. Trost? ja, Trost! Denn hört doch nur, was der Apostel sagt. Er sagt, es sei unmöglich, dass die, so abfielen, könnten zur Buße erneuert werden. Ihr aber, dünkt mich, seid erneuert zur Buße: denn dies euer Bangen und Beben, dies euer Seufzen und Zagen, dies euer Weinen und euch selber Richten vor dem Herrn, was ist es anders, als Buße und Zerknirschung? Mithin braucht ihr euch zu den Abgefallenen nicht zu zählen. Seht ihr diesen Schluss und seine Wahrheit ein? Getrost! Im Namen Gottes und seines Wortes: „Ihr seid in Gnaden!“
Nicht wahr, ihr lieben, allzu besorgten Seelen, seid beruhigt? Aber beruhigt sind noch nicht alle Herzen in unsrer Mitte. Ach, nicht wahr? noch manchem liegt das Wort „unmöglich“ wie eine Zentnerlast auf der Seele, vielleicht weniger um sein selbst, als um anderer willen. Hier denkt ein Vater an seinen abgefallenen Sohn, dort ein Bruder an den schwer verirrten Bruder, und da ein Freund an seinen abgewichenen Freund, und ach! bei dem Worte „unmöglich“ wird ihnen zu Mute, als sähen sie soeben in die offene Hölle hinein, und Bruder, Sohn und Freund den ewigen Flammen rettungslos preis gegeben. Womit beruhigen wir nun diese, und was sagen wir denen, welchen wir nun das angenehme Gefühl und Bewusstsein ihrer Sicherheit geraubt, oder doch erschüttert haben? Diesen sagen wir: So tut desto mehr Fleiß mit Wachen und Beten. Und jenen sagen wir: so jene Lieben, deren Abfall ihr beweint, Kinder Gottes waren, so werden sie wohl wieder kommen, und ob auch deine und meine Augen nichts davon merken, und ob sie's auch selber kaum gewahr werden, der Geist ist nicht von ihnen genommen; denn von ihm ist uns verheißen: „Er bleibt bei euch.“ Das Wort Gottes kann nicht mit sich selber uneins sein, und die ganze Bibel braucht sich vor der halben nicht zu fürchten. Was Christus sagt bei Johannes: „Meine Schafe werden nimmermehr umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen; mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen.“ Was er sagte zu Kapernaum: „Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir. Das ist aber der Wille des Vaters, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich es auferwecke am jüngsten Tage!“ das steht noch fest. Und was der Heilige Geist in unserm Texte sagt, das läuft dem nicht zuwider. Das muss ich euch noch in der Kürze beweisen.
Vergleichen wir unseren Ausspruch zunächst mit dem Grundtext, so finden wir, dass er in einem einzigen Punkte nur noch etwas buchstäblicher konnte übersetzt werden. Statt dass wir lesen: „Es ist unmöglich, dass sie sollten wieder erneuert werden,“ sollte es nach dem Grundtexte heißen: „Es ist unmöglich, sie wiederum zu erneuern zur Buße.“ Den Unterschied zwischen diesen beiden Redensarten werdet ihr fühlen. Ein Arzt kann von einem gefährlichen Kranken sagen: „Es ist unmöglich, ihm zu helfen;“ damit drückt er aus, dass seine Kunst hier zu Ende sei. Wollte er sagen: „es ist unmöglich, dass diesem Menschen geholfen werden kann,“ so würde er zu viel sagen: die Allmacht Gottes könnte wider alles Vermuten doch noch eine Hilfe bereiten. So hütet sich denn auch der Apostel wohl, zu behaupten, es sei unmöglich, dass die Abgefallenen wieder zur Buße erneuert werden könnten, sondern er spricht nur, es sei unmöglich, sie zur Buße zu erneuern. Damit will er sagen, die Mittel, die sonst von so großen Erfolgen und Wirkungen begleitet würden, Ermahnung der Liebe, Warnung, Predigt des Wortes, wodurch andere Kinder Gottes so leicht wieder aufgeweckt und erfrischt werden, die blieben an diesen Abgefallenen fruchtlos; und Zuruf des Ernstes, wie Vorstellung der Freundlichkeit, Verheißung, wie Drohung falle auf diese Seelen, wie Tau auf ein plattgetretenes Land, und wie Regen auf harte Steine. Wenn Paulus also hier von Unmöglichkeit spricht, so müssen wir wohl bedenken, dass er davon spricht im Blicke auf die gewöhnlichen Erweckungsmittel „Wort und Vermahnung,“ die er als Diener Gottes handhabe; dass er aber keineswegs damit sagen will, auch Gott sei es nicht möglich, diese Abgewichenen wieder zurecht zu bringen. Nein, das Wort „unmöglich“ ist hier gerade so zu verstehen, wie Markus 10. Da spricht der Herr: „Es ist leichter, dass ein Kamel durchs Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Himmelreich komme?“ Da aber die Jünger sich entsetzten, da antwortete er: „Bei Menschen ist es unmöglich; aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Aber warum setzte nicht auch Paulus das ausdrücklich hinzu? Er wollte warnen vor Sicherheit und Abfall, und darum musste er stark sprechen. Dass übrigens kein liebes Gotteskind unnötiger Weise durch seinen Ausspruch beunruhigt werde, dafür hat er auch gesorgt. Versteckt sagt er's in unserm Kapitel mehrere Male, dass es Gott nicht unmöglich sei, seine abgefallenen Kinder wieder zur Buße zu erneuern.
Zuerst tut er das im dritten Verse. Von den Leuten, zu denen er redet, musste er befürchten, sie eben seien Abgefallene, und gibt denen auch geradezu zu verstehen: er besorge, dass die Predigt von den großen Geheimnissen der Gottseligkeit, die er ihnen halten wolle, an ihnen fruchtlos bleiben und wie auf ein verschlossenes Erdreich fallen werde. Dennoch aber, sagt er, wolle er ihnen predigen. Wir wollen's tun, so es Gott anders zulässt, oder möglich macht. Was denn, „möglich macht und zulässt?“ Du weißt ja; Paule, dass ihre Herzen verbaut sind? Du hast ja selber gesagt, sie bedürften wieder Milch und müssten von vorne anfangen? Ja, freilich; aber Paulus meint, wenn er es auch nicht könne, Gott könne doch wohl schaffen, dass die abtrünnigen und verschlossenen Seelen wieder herumgebracht, aufs neue gebrochen und aufgeschlossen würden. Diesen seinen Glauben spricht er, zwar versteckt, aber doch deutlich genug aus in den Worten: „wenn es Gott anders zulässt.“
Aber im 8. Verse, sagt er da nicht offenbar, die einmal Abgefallenen seien unbedingt verloren? Da vergleicht er sie mit einer Erde, die trotz des Segens, der über sie komme, nur Dornen und Disteln trage. Und was sagt er von dieser Erde? „Sie ist untüchtig,“ spricht er, „und dem Fluche nahe, welche man zuletzt verbrennet.“ Das sind freilich starke Ausdrücke. Aber dem Fluche nahe sein, heißt noch nicht, wirklich verflucht zu werden: sowie zwischen wirklichem Sterben und dem Sterben nahe sein, noch eine außerordentliche Kluft befestigt ist. Die Worte „welche man zuletzt verbrennet“ sind wirklich schrecklich und bleiben's auch; aber so er schrecklich sind sie auch wieder nicht, als es scheint. Es wäre was anders, wenn die Abgefallenen hier mit einem dürren Holze verglichen würden, das man zuletzt ins Feuer wirst. Aber sie sind verglichen einer Erde. Warum aber pflegte man im Morgenlande unfruchtbare Äcker in Brand zu stecken? Um sie völlig zu zerstören, zu verwüsten? Ei bewahre! im Gegenteil, um das Erdreich zu reinigen und wieder ur- und fruchtbar zu machen. Wie solchen Äckern also, wie der Apostel sagt, ergeht es zuletzt den abgefallenen Gotteskindern. Sie werden wieder zur Buße erneuert, wie durchs Feuer, mit der Brandfackel schwerer Gerichte, fürchterlicher Heimsuchungen, die den Zornesflammen und den Höllenqualen ähnlich sind: wie David, wie Salomo und andere, viele andere. Ja, bei Gott ist kein Ding unmöglich!
Seid ihr nun noch nicht beruhigt, meine Brüder? ist es euch noch zweifelhaft, ob der geschlossene Gnadenbund, auf Seiten Gottes ewig und unter allen Umständen unauflöslich fest stehe, so leset nur das ganze Textkapitel herunter. Da hält uns der Apostel eine Predigt von Gottes Treue, die Herz und Seele jauchzend macht. Da ist es, als wollte er, was er etwa durch den Donner seiner ernsten Warnung zu Boden geschmettert, jetzt wieder mit seinen Händen in den Himmel erheben. „Nein,“ sagt er da, „Gott kann nicht lügen, noch sein Wort zurücknehmen.“ Habe er uns einmal durch seinen Geist seine Gnade zugeschworen, habe er einmal uns armen Schächern sein Paradies wirklich verheißen: dann hätten wir einen starken Trost. Diese zwei Stücke, sein Eid und sein einmal gegebenes Wort, die könnten nicht wanken: daran hätten wir allezeit einen sicheren und festen Anker der Seele, der auch hineingehe in das Innere des Vorhanges. Seht, so denkt der Apostel über diese großen Sachen.
Für wen nun diese Predigt? Für die Leichten und Sichern. zuerst, und dann für die Kleingläubigen und Verzagten. Für jene zur Warnung, dass sie wachen und beten sollen, und fein unterm Kreuze verbleiben, damit sie nicht, ehe sie es meinen, in die Irre und Wirre geraten; denn es ist schrecklich und tut sehr wehe, zuletzt wie ein Acker in Brand gesteckt, und dadurch zur Buße erneuert zu werden; für diese zur Stärkung, dass sie getrost und gutes Mutes seien, trotz ihrer Untreue und ihres Abweichens; denn der feste Bund und Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: „der Herr kennt die Seinen.“ Ja, er kennt euch. Kommt nur, Tischgenossen Gottes, wie zerlumpt und zerrissen, wie bestaubt von der langen Irrfahrt und wie unkenntlich ihr euch vorkommen mögt; sobald er euch setzen wird an seiner Bundestafel, wird's ihm schon wieder einfallen, dass er einmal mit euch zu tun gehabt, und wär' es auch vor Monden. oder Jahren gewesen, und wird euch als seine alten Freunde herzlich willkommen heißen, und wird es euch selber sagen, dass ihr nichts zu fürchten habt, dass er euch lieb habe, herzlich lieb, wie vor, so nach. Dein treuer Herr, nicht wahr? Diese Treue breche euch das Herz, und so gebrochen kommt! Er brennt vor Eifer, euch zu umarmen, zu erquicken.
So kommt, wer weinend kommen kann! Kommt: Er nimmt alle Sünder an.
Amen!