Krummacher, Friedrich Adolph - Der Hauptmann Cornelius - III.
„Der Mensch kann ihm selber nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“ sagte Johannes, der Täufer, von seinem Beruf und von der Kraft, womit er ausgerüstet war, um Ihn, der da kommen sollte, und sein himmlisches Reich zu verkündigen. Alle gute Gabe, spricht der Apostel Jakobus, and alle vollkommene Gabe kommt von oben herab von dem Vater des Lichts. Diese Wahrheit liegt uns so handgreiflich nahe, dass es töricht scheinen könnte, daran zu erinnern, wenn wir nicht eben wegen ihrer Nähe sie zu übersehen gewohnt und geneigt wären.
Kann kein einziges Samenkörnlein sich zum Halm und zur Ähre entwickeln ohne Einfluss und Pflege von Oben; wie sollte es dann anders sein mit dem unvergänglichen Samen, durch welchen wir werden sollen Erstlinge seiner Kreatur?
Diesen Einfluss von Oben sehen wir nicht; wir sehen ihn nicht einmal in dem sich entwickelnden Halm und Baume, und wenn er auch wie Jonas Kürbis in Einer Nacht aufwüchse, sondern sehen nur die Entwicklung, wenn sie geschehen ist. Wir sehen die Rose blühen, aber nicht erblühen. Es sieht aus, als mache und gestalte sich alles von selbst. Wie könnten wir die Pflege einer unsichtbaren Hand, den Anhauch eines Verborgenen Odems bezweifeln? Wir tun es auch nicht; sondern jeder natürliche Menschensinn spricht: An Gottes Segen ist alles gelegen; und sagt damit, wenn auch unbedacht, eine Wahrheit, die über allen Menschensinn hinauffliegt. Besonders ist in Hinsicht unsers geistlichen Lebens, gleichsam als eines Ackerwerks Gottes, alles gelegen an diesem Segen und Einfluss von oben, ohne welchen wir nichts vermögen. Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken, als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott. Wie könnten wir zu Gott kommen, wenn Gott nicht zuvor zu uns käme, und sein Angesicht uns leuchten ließe! Er muss unser Schaffen segnen und in uns wirken, beide, das Wollen und das Vollbringen. Dieses Wirken Gottes in unserm Geist ist ein unergründliches Geheimnis, jedoch in sich nicht unbegreiflicher, als die sicht- und fühlbare Einwirkung der Sonne auf uns und unsere Erde. Die Wahrheit des ersteren kann eben so wenig vernünftiger Weise bezweifelt werden, als die Wirklichkeit der letzteren sichtbaren Erscheinung; nur die Erfahrung ist freilich in beiden die beste Lehrerin. Und darum eben, um unserm Glauben diese Wahrheit und Gewissheit zu geben, stellt die heilige Schrift diese unsichtbare Wirksamkeit Gottes, diese Herablassung seines Geistes zu unserm Geist, in sichtbaren Exempeln uns vor Augen. Also auch unsere Geschichte. Wenn wir am ersten trachten nach dem Reich Gottes und dessen Gerechtigkeit, so können wir sicher und gewiss sein, dass Alles, was wir dazu und sonst noch bedürfen, uns zufallen werde.
Apostelgesch. X,9-16.
**Des andern Tages, da diese auf dem Weg waren, und nahe zur Stadt kamen, stieg Petrus hinauf auf den Söller, zu beten um die sechste Stunde. Und als er hungrig war, wollte er anbeißen. Da sie ihm aber zubereiteten, ward er entzückt. Und sah den Himmel aufgetan, und herniederfahren zu ihm ein Gefäß, wie ein großes leinenes Tuch, an vier Zipfeln gebunden, und ward niedergelassen auf die Erde. Darinnen waren allerlei vierfüßige Tiere der Erde, und wilde Tiere und Gewürm und Vögel des Himmels. Und geschah eine Stimme zu ihm: Stehe auf, Petre, schlachte und iss. Petrus aber sprach: nein, Herr; denn ich habe noch nie etwas Gemeines oder Unreines gegessen. Und die Stimme sprach zum andern mal zu ihm: Was Gott gereinigt hat, das mache du nicht gemein. Und des geschah zu drei Malen; und das Gefäß ward wieder aufgenommen gen Himmel.“
Dieser Abschnitt scheint schwierig und „dünkt uns nicht sonderlich geeignet zu gemeinsamer Erbauung.“ Indessen, wie das, was darin erzählt wird, nicht umsonst geschah, sondern der Anfangspunkt eines unaussprechlichen Segens für die Menschheit war; so ist es auch nicht umsonst, unter Leitung des heiligen Geistes, aufgezeichnet worden, und wird folglich auch, wie das Ganze und das Einzelne der heiligen Schrift, uns nützen können und sollen zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung und zur Züchtigung in der Gerechtigkeit. Ja vielmehr, wir sehen hier eine Offenbarung aus der unsichtbaren Welt, und den Anfang einer neuen Schöpfung, eines großen Gotteswerks. Und so werden wir, es kann nicht fehlen darin auch Beweise und Zeugnisse seiner Herrlichkeit, und seiner Gnade und Wahrheit finden, so wir anders, von seinem Geist erleuchtet, darauf merken.
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Bisher hat uns die Geschichte mit der Gesinnung und dem Wesen des Hauptmanns Cornelius bekannt gemacht. Nachdem er durch Gottes gnädige Fügung zur Erkenntnis sowohl des einen lebendigen Gottes, als seiner eigenen Sündhaftigkeit gekommen war, erfüllte seine Seele das Verlangen nach einer innigeren Gemeinschaft mit Ihm, dem Allmächtigen und Heiligen, eine Sehnsucht, sein Angesicht zu schauen, ein Trachten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Um zu finden, was er suchte, hatte Cornelius getan, was er vermochte. Obwohl ein Heide nach dem Fleisch, und somit ausgeschlossen von dem Haus Israel, welchem gehört der Bund, und die Verheißung, und die Kindschaft und die Herrlichkeit,“1) war er doch ein rechter Israelit ohne Falsch, nach dem Geist, und hatte in israelitischer Weise getan, was er als Heide durfte, gefastet, gebetet, und viele Almosen gegeben. Da nahte sich ihm die Gnade des Herrn, und ließ, zur Stärkung seines Glaubens und seiner Hoffnung, durch einen himmlischen Boten ihn wissen, was er ferner zu tun habe, um sein ersehntes Ziel zu erreichen.
Der Weg, der ihm gezeigt wurde, war ein menschlicher Weg. Er sollte gen Joppen senden, und von daher den Apostel Petrus zu sich einladen: „Der wird dir sagen, was du tun sollst.“. Der gnädige Gott handelt menschlich mit den Menschenkindern; und wie könnte er anders, de er selbst den Menschen und die menschliche Natur geschaffen, das Auge gemacht und das Ohr gepflanzt hat? Gleich wie ein Gärtner sich in das Wesen und die Natur der Pflanze hineinversetzt, die er aufziehen will, und sich fortwährend zu ihrer, der Pflanze natürlichen Art und Bedürfnis bequemt und herablässt; also auch beweist sich darin die göttliche Gnade, dass sie zu dem Menschen, zu seiner eigentümlichen Natur, Weise und Bedarf sich zutunlich neigt und mit dem Menschen menschlich handelt. Bleiben wir bei diesem Gleichnis, so liegt die natürliche Wurzel des geistigen, und somit auch des göttlichen Lebens des Menschen schon in seinem Sehen und Hören. „Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr seht!“ Zu dieser Wurzel des inwendigen Lebens lässt sich der himmlische Gärtner herab, und pflegt ihrer, damit sie zu einer himmlischen Pflanze erwachse. Durch leibliches Sehen und Hören empfingen die Hirten zu Bethlehem das Evangelium von der Geburt des Sohnes Gottes; desgleichen Simeon und die Weisen des Morgenlandes. „Komm und siehe es!“ sprach Philippus zum Natanael. Wer den Herrn nicht gesehen hatte, konnte nicht sein Apostel werden; und wie seine Auferstehung, so musste auch seine Himmelfahrt zusehends geschehen, und nicht umsonst legt Johannes im Anfang seines Sendschreibens ein so großes Gewicht darauf, dass er und die andern Jünger „das Fleisch gewordene Wort des Lebens gehört, mit ihren Augen gesehen und beschaut und mit den Händen betastet haben.“
Diese leibliche Anschauung der Jünger, die der Herr sich erwählte, war der Anfang und Keim einer geistigen Erkenntnis, weshalb auch nur die, welche früher an ihn geglaubt hatten, seines Anschauens. und Umgangs nach seiner Auferstehung gewürdigt wurden. Dabei verfuhr und verfährt die herablassende Gnade Gottes stufenweise, wie ja auf Erden alles sich allmählich entwickelt, und selbst die Gestaltung und die Bevölkerung der Erde mit Pflanzen und Tieren bis zum Menschen hinauf in Zwischenräumen und stufenweise geschah. Wie das Himmelreich selbst, nach dem Gleichnis Jesu, in Art und Weise der Pflanzen auf Erden kam und zunahm, und wie ein Körnlein erst das Gras, danach den Halm und die Ähre brachte; so muss es auch zu den einzelnen Menschen kommen und in ihm sich gestalten. und damit das Göttliche so menschlich werde und erscheine, als möglich, bedient sich Gott der Menschen als „Gehilfen seiner Wahrheit,“ und lässt durch ihre Vermittlung ausführen, was in dem Rat der Wächter beschlossen ward. Wie Cornelius seine Hausknechte gen Joppen sandte, so wollte der Herr seinen Knecht Petrus gen Cäsarien senden, um dem Cornelius die Augen aufzutun, und ihn einzuführen in das Himmelreich. Wie freundlich ist das menschliche Verfahren unsers Gottes und Heilandes, und wie hat der Herr die Leute so lieb!
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Aber auch hierzu bedurfte es nun noch der besonderen Vorbereitung, und Petrus selbst musste und sollte dazu auf eigene Weise erzogen und befähigt werden. Denn wenn Gott zur Ausrichtung seiner Befehle und Ratschlüsse sich der Menschen bedient, behandelt er sie nicht als willenlose Maschinen, nicht mit Zwang und Gewalt treibt er die Seinigen auf den Weg; sondern sie sollen freitätig mit Gott wollen, und aus eigener Erkenntnis und Überzeugung mit Ihm, als seine Gehilfen, handeln und wirken. Je näher der Mensch zu Gott steht, um desto freier ist sein Verhältnis zu Gott; je ferner von Gott, um so mehr muss er, wie z. B. Josephs Brüder, Pharao und Nebukadnezar, als willenloses Werkzeug und gehalten in Banden der Finsternis, und dennoch Gott dienen. „Wen der Sohn frei macht, nur der ist frei, recht frei.“
Simon Petrus war ersehen, dem ersten heidnischen Mann und seinem Haus die Tür zu dem Schafstall des großen Hirten zu öffnen, und sie hineinzuführen. Warum Petrus? Warum nicht Johannes oder Jakobus? oder Philippus, der ja schon in dem benachbarten Samarien das Evangelium verkündigt und viele bekehrt, und von welchem wahrscheinlich auch Cornelius gehört hatte. Warum wurde nicht damit gewartet, bis zur Berufung des eigentlichen Heidenapostels Paulus? Die Antwort liegt in unserer Geschichte. Petrus wurde ersehen, das Werk der Heidenbekehrung zu beginnen, weil er am meisten der allgemeinen Gnade Gottes zur Bekehrung der Heiden widerstrebte, und damit diese um so mehr als Gottes Werk und Ratschluss erkannt wurde, Durch den widerstrebenden Moses ward Israel - aus Ägyptens Knechtschaft erlöst, durch den schnaubenden Saulus ward das Reich Gottes am weitesten verbreitet. „Was schwach ist vor der Welt und das Unedle vor der Welt und das Verachtete, das hat Gott erwählt, und das da nichts ist, dass er zunichte mache, was etwas ist: auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme.“
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Die evangelische Geschichte hat uns das natürliche Gemüt und den Charakter des Apostels Simon Petrus mit besonderer Wahrheit und Offenheit dargestellt. Der Herr hatte ihm den bedeutsamen Namen Kephas oder Petrus, d. h. Fels, Felsenmann, beigelegt, nicht bloß in Hinsicht auf das, was er einst werden sollte und geworden ist, sondern auch auf das, was er von Natur war. So wie die natürlichen Anlagen der Menschen sehr verschieden sind, und der Eine den Anderen an Verstand, oder Phantasie, Erinnerungskraft usw. übertrifft oder ihm nachsteht, so war dem Petrus eine vorzüglich ausgezeichnete Willenskraft angeboren, welche, so wie alle von der Sünde geschwächten Seelenkräfte, so lange der Mensch noch nicht wiedergeboren ist durch den heiligen Geist, leichtlich in Eigensinn, Eigendünkel und Eigenwillen ausartet, und dann in halsstarrigem Festhalten des einmal gefassten sich offenbart. Keiner der Jünger widersprach so oft dem Herrn, als Simon Petrus. Als Jesus ihnen sein bevorstehendes Leiden vorher verkündigte, war er es, der Ihn anfasste, beiseite zog und sprach: das wiederfahre dir nicht! worauf er die Antwort empfing: „Hebe dich weg von mir, Satan; du bist mir ärgerlich. Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ Und als Jesus den Jüngern die Füße wusch, weigerte sich Petrus wiederholt aus falscher Demut und missverstandener Hochachtung, bis der Herr ihm die ernste Weisung gab, er werde alsdann an ihm keinen Teil haben. Und wie kräftig und keck setzte er sein Selbstvertrauen dem warnenden Ausspruch des Herrn von seiner Verleugnung entgegen. Und auch in diesem seinem Fall erwies er, trotz bessern Wissens und Verstehens, eine starre Hartnäckigkeit bis zum Verfluchen und Schwören.
Freilich wurde dieses trotzige und verzagte Felsenherz unter der Leitung und durch den Odem des sanftmütigen und von Herzen demütigen treuen Meisters erweicht, und in der Feuertaufe des heiligen Geistes verschwand das Vertrauen auf die eigene Kraft vor der Kraft aus der Höhe. Aber nicht also wurden die Apostel hierdurch umgewandelt, dass die Eigenheiten ihres Charakters und Wesens, und ihre menschlichen Schwachheiten und Vorurteile gänzlich vertilgt und aufgehoben worden waren. Nein, sie empfingen dadurch wohl die volle Huld und Gnade Gottes, aber die Gabe und der Geist musste in ihnen täglich in eigener Übung und Erfahrung zunehmen und wachsen, und jemehr und mehr die angeborenen Schlacken verzehren. Auch sie mussten der Vollkommenheit nachjagen, von Christo ergriffen, trachten, wie sie Ihn ergreifen möchten, den ihnen verordneten Kampf kämpfen und die vorgezeichnete Bahn laufen, um die Krone zu erringen.
So wird auch Petrus, der Felsenmann, der den Herrn lieb hatte, sein Leben lang zu tun gehabt haben, um aus dem Kampf des Weibes- und Schlangensamens in ihm selbst als Sieger hervorzugehen, bis dahin, wo er, nach der Weissagung des Herrn, die Hände ausstrecken, sich von Anderen gürten und dahin führen lassen musste, wohin er nicht wollte. Musste er doch in Antiochien den ernsten und gerechten Vorwurf des Apostels Paulus sich gefallen lassen, dass er mit den Juden heuchele, indem er, ihnen zu Gefallen und den Christen und dem Heidentum zum Anstoß, sich unter die Knechtschaft des levitischen Gesetzes begab. So kam sein natürlicher Mensch und menschlicher Wille noch mehrmals ins Gedränge und in Streit mit dem neugeborenen geistlichen Menschen und mit dem Willen des Herrn. Die evangelische Geschichte hat uns die menschlichen Schwachheiten und Verirrungen ihrer Helden und Lieblinge nicht verschwiegen, damit wir dadurch erkennen mögen, wie schwer es sei, den alten Menschen, der immerdar zurückkehren will, gänzlich zu dämpfen, dann aber auch in beharrlichem Kampf unter dem Beistand des heiligen Geistes nicht an Erreichung des Ziels zu verzagen.
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Besonders schwer scheint es dem Apostel geworden zu sein, den Ratschluss Gottes von der Berufung und Beseligung der Heiden zu fassen. Das mit der Muttermilch ihm eingetränkte Vorurteil für sein Volk, als das alleinige Volk Gottes, klebte zu fest an seiner Seele, obgleich er selbst am Pfingstfest, freilich nicht aus eigenem Fleisch und Blut, verkündigt hatte, dass der Herr auch die herbeirufen würde, die noch fern waren. Die Zeit und Stunde, der große Anfangspunkt der Wiedergeburt der Welt, war nun gekommen. Der Herr selbst hatte mehrmals darauf hingedeutet, und es deutlich ausgesprochen: dass er noch andere Schafe, die nicht zu dem Hause Israel gehörten, herführen werde, und dass sie von Mittag und Mitternacht kommen würden. Und - wie er kein Wort sagte, dass er nicht mit einer Tatsache bekräftigte - so hatte er ja den Glauben eines Kananäischen Weibleins und eines heidnischen Hauptmanns laut gelobt und ihnen Wohltaten erwiesen. Ja, er hatte seinen Aposteln auf das bestimmteste geboten, dass sie zu allen Völkern gehen, und aller Kreatur das Evangelium predigen sollten.
Aber zugleich wollte der Herr, dass sein Reich, als ein Reich nicht von dieser Welt, ohne Gewalt und Zwang, durch Erkenntnis der Wahrheit und innere Überzeugung sowohl derer, die es verkündigten, als derer, die es annahmen, sich ausbreiten, und die Herzen der Menschen gewinnen sollte. Auch ist ja das Evangelium, als eine Gotteskraft, selig zu machen alle, die daran glauben, nicht bloß eine Lehre, sondern ein Leben, ein neues Leben, das durch Gottes Licht und Kraft, wie eine Pflanze in gutem Boden sich entwickeln, und in jedem einzelnen Menschen, wie die Kindheit zum Jünglingsalter, und dieses zum Mannesleben sich gestalten sollte, bis die Gesamtheit der Auserwählten ein Mann würde nach dem Maß des vollkommenen Alters Jesu Christi.
So sollte auch die Haushaltung des Neuen Bundes sich allmählich ablösen von der Verfassung des Alten Testaments, bis Alles verfasst wurde unter Ein Haupt in Christo. Simon Petrus, eben er, dem es so schwer fiel, sich der Alten zu entwöhnen und in das Neue sich zu fügen, und zu welchem doch der Herr zuerst und vor den andern Jüngern gesagt hatte, dass er ihm die Schlüssel des Himmelreichs geben, und auf ihn seine Gemeine bauen wolle Petrus sollte den Anfang des großen Gotteswerks unter den Heiden machen. Aber erst musste dieser Anfang mit und in ihm selbst geschehen. Denn wie könnte Jemand sein, was er nicht ist, und geben, was er nicht hat. Die Reformation musste zuvor, in ihm selbst, vorgehen. Dies geschah durch eine Offenbarung vom Himmel, durch ein Gesicht.
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Petrus stieg um die sechste Stunde (das ist Mittags 12 Uhr nach unserer Zeit) auf den Söller, oder das platte Dach des Hauses, nach morgenländischer Bauart, um daselbst das gesetzliche Gebet zu verrichten. Die Juden taten dieses gern und gewöhnlich auf dem Dach unter freiem Himmel, teils weil sie hier ungestört waren, teils und besonders auch, um ihr Angesicht während des Gebets nach der heiligen Stadt Jerusalem und dem Tempel zu richten. Auch hieraus erkennen wir, wie Petrus fortwährend die äußere Vorschrift und Sitte des Judentums treulich beobachtete, welche bald und allmählich ganz aufhören und der Verehrung Gottes im Geist und in der Wahrheit Raum geben sollte. Nachdem er sein Gebet vollendet hatte, fühlte er sich hungrig und wollte essen. Aber er sollte zuvor mit einer andern Speise gespeist werden. Es sollte vor ihm, wie einst vor dem Herrn, während die Jünger in Samarien ihm Speise brachten, ein weites Feld, weiß zur Ernte, sich auftun, und er als der erste Schnitter die Arbeit beginnen.
Er ward entzückt: aus sich selbst, aus seinem natürlichen Zustand heraus in einen anderen übernatürlichen versetzt; seine äußeren Sinne waren verschlossen, aber die Augen seines inwendigen Menschen wurden geöffnet, dass er Himmlisches schaute. Er sah den Himmel aufgetan und ein Gefäß, wie ein groß leinen Tuch, an vier Zipfeln gebunden, zu ihm herniederfahren auf die Erde. Darin waren allerlei vierfüßige Tiere, Gewürm und Vögel, reine und unreine nach dem levitischen Gesetz. Eine Stimme geschah zu ihm: Steh auf, Petrus, schlachte und iss!
Petrus widerspricht, als sei es eine Versuchung zum Bösen: O nein, Herr, ich habe noch nie etwas Gemeines (unheiliges) oder Unreines (im Gesetz verbotenes) gegessen. Die Stimme antwortet: „Was Gott geheiligt hat, das mache - achte - du nicht gemein.“ Dies geschah, um den Eindruck des göttlichen Zeugnisses zu verstärken, zu drei malen, und das Gefäß ward wieder aufgenommen gen Himmel, zum Zeichen, dass es eine himmlische Offenbarung sei.
Bei diesem Gesicht ist besonders zweierlei zu bemerken. Vorerst, welche Herablassung des Herrn zu seinem geliebten Apostel! So wie er ehemals zu seinen Jüngern in Gleichnissen geredet und die Geheimnisse des Reichs Gottes kund getan hatte, also auch hier. Die ganze Offenbarung ist nichts anders, als Herablassung und Vermenschlichung des unsichtbaren Gottes, und hierdurch allein konnte und kann ja auch nur der Mensch zu Gott kommen und ein Mensch Gottes werden. Das ganze Alte Testament, sofern es die Vorbereitung und Verheißung des Neuen Bundes der Gnade und Wahrheit ist, besteht in lauter Gleichnissen und Vorbildern. Die Opfer und Zeremonien, die Stiftshütte und der Tempel, ja das Volk Israel und seine Geschichte, das Land Kanaan und seine Helden und ihre Namen waren Gleichnisse und Vorbilder - Schatten eines noch verborgenen Lichts und zukünftiger Güter, die Elemente des wahrhaftigen Wesens, das da ist in Christo Jesu. Wie brauchten wir uns dessen zu verwundern. Sehen wir doch in den Tagen des Lichts, nach der Erscheinung des Sohnes Gottes, die Geheimnisse des zukünftigen vollendeten Reichs Gottes, wo das Stückwerk aufhören wird, nur wie durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, bis wir, erkannt, erkennen und von Angesicht zu Angesicht schauen werden.2) So ward auch der Apostel Petrus, wie ehemals alle Propheten, durch Gesicht, Bild und Gleichnis zu einer höheren Stufe des Erkennens geführt und darauf vorbereitet.
Denn es sollte - und das ist das zweite - in dem Reich Gottes auf Erden etwas ganz Neues beginnen, welches zwar längst durch die Propheten des Alten Testamentes vorbereitet und verheißen, und von dem Herrn selbst deutlich genug vorhergesagt und verordnet war, aber wozu sich der einfache und beschränkte Blick der Jünger noch nicht erheben konnte, und wozu sie auch nur, wie die Sache selbst, allmählich und stufenweise gelangen sollten. Der Blitz zerstört das alte; das Licht entwickelt aus dem vergänglichen alten allmählich das neue Leben. Dieses Neue nun war nichts geringeres, als die Aufhebung der von Gott gestifteten, durch Gesetz, Sitte, Priestertum und Prophetenstand Länger als anderthalb Jahrtausende hindurch die Eröffnung eines ganz neuen Bundes, zu welchem auch die Heiden, ohne Gesetz auf dem Weg der Gnade, berufen werden sollten. Das Alte sollte vergehen und Alles neu werden.
Dieser Ratschluss Gottes, dessen Erfüllung durch Petrus beginnen sollte, wurde dem Apostel in dem Gesicht vom Himmel sichtbar und doch geheimnisvoll offenbart, wie ja auch bisher in ihrer ganzen Leitung immer das Unsichtbare, selbst die Ausgießung des heiligen Geistes, mit dem Sichtbaren verbunden, ihnen erschienen war. Die gesetzliche Sonderung der reinen und unreinen Tiere, als solcher, die sie essen und opfern durften oder nicht, hatte Gott durch Moses geboten, und in diesem Gebote zugleich (nach 3. Mos. 20) die Absonderung des Volkes Israel von allen andern durch Abgötterei befleckten Völkern, gefasst und abgebildet, weshalb auch z. B. Ps. 80 die von Gott entfremdeten Heiden den wilden Tieren verglichen werden. Die Zeit der Trennung und Absonderung sollte nun aufhören; auf der durch das Blut des Sohnes Gottes gereinigten und geheiligten Erde sollte nun die Scheidewand zwischen Juden und Heiden hinweggenommen, Friede gestiftet, und aus zweien Eins gemacht werden; und, alle, Jude oder Grieche, sollten sie durch Christum den Zugang haben zum Vater in Einem Geist.3)
Schlachte und iss, sprach die Stimme, das heißt mit Jesaja4) zu reden: Bringe sie aus allen Heiden mir dem Herrn zum Speisopfer - auf dass, wie Paulus spricht,5) sie ein Opfer werden Gott angenehm, geheiligt durch den heiligen Geist. - So ist's geschehen, auch an uns - so geschieht es fortwährend bis auf den heutigen Tag - so wird's geschehen, bis dass erfüllt werde Alles, was Gott geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten. Der Anfang des großen Gotteswerks ist gemacht; uns geziemt, für dessen Fortgang, als Gehilfen der Wahrheit, betend und arbeitend, zu wirken, auf dass sein Reich jemehr und mehr komme und sein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Wir bedürfen dazu, nachdem es da ist, nicht mehr der Gesichte und Worte vom Himmel; wir haben beides in unserer Bibel. Und nicht allein das; es fehlt auch nicht, wenn wir darauf merken und sie zu deuten verstehen, an Gesichten und Offenbarungen in den Weltbegebenheiten, in den Führungen und Fügungen unsers Lebens und in den Erfahrungen unsers inwendigen Menschen. Alles dieses soll uns dazu dienen, dass das unreine und gemeine durch den Geist Gottes gereinigt und geheiligt werde. Dazu ist erschienen die Gnade Gottes allen Menschen.