Krummacher, Friedrich Adolph - Der Hauptmann Cornelius - X.
„Die Zeit ist gekommen, dass des Menschen Sohn verklärt werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle, und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.“ Diese Worte sprach der Herr Jesus kurz vor seinem Leiden, zunächst zu Philippus und Andreas, als diese ihm den Wunsch einiger auf das Fest nach Jerusalem gekommenen Griechen, welche begehrten, Jesum zu sehen, vortrugen1). - Eine wunderbare Antwort. Der Herr redet von seiner Verklärung und von dem Weg zu derselben, von seinem nahen Tod. Das Gleichnis, dessen er sich bedient, ist höchst einfach: eine alltägliche Erscheinung in dem Reich der Natur, die jeder kennt, obgleich kein Mensch sie begreift. Das Weizenkorn fällt in die Erde, erstirbt und verwest; und nur unter dieser Bedingung bringt es viele Frucht. Wenn wir es nicht von kindauf sähen und wussten, musste es uns seltsam und widersprechend dünken, dass eben aus dem Tod sich das neue Leben entwickelt. Aber dies ist das Gesetz der Erde; es muss also gehen.
Die Einfachheit des Gleichnisses kann uns nicht befremden; es ist dessen Erhabenheit, und im Grunde ist ein Weizenkörnlein ein ebenso großes Zeichen und Zeugnis der verborgenen Wirksamkeit Gottes, als ein menschliches Auge, oder ein Stern am Himmel. Die Demut des Bildes zeugt von der Demut dessen, der es sprach. Auch Er, der Eingeborene vom Vater und Erstgeborene vor aller Kreatur, hätte allein bleiben können in der Herrlichkeit, die er von Anfang hatte. Aber er äußerte sich seiner göttlichen Gestalt, und erschien in unserer sündigen und sterblichen Knechtsgestalt, um uns von Sünde und Tod zu retten, und uns die Freiheit der Kinder Gottes zu erwerben. Die Geschichte des Herrn und der stillen und großen Gottestat der Weltversöhnung gleicht der Geschichte eines Weizenkorns.
Nach Jahrtausenden der Verheißung sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe; eine Krippe zu Bethlehem war des Kindleins erste Schlafstäte. Wenigen war seine Geburt kund getan außer den Hirten auf dem Felde, Simeon und Hanna im Tempel, und den Weisen aus dem Morgenlande. Eine Anfrage der letzteren zog den ersten Sturm herbei, die Ermordung der Kinder zu Bethlehem und die Flucht nach Ägypten. Jetzt schien die Kunde von dem neugebornen König ganz erloschen, die einzige morgenrötliche Offenbarung seiner jugendlichen Herrlichkeit von wenigen Zeugen im Tempel ausgenommen. Jahrzehnte vergehen, ohne dass etwas geschieht. Da tritt Jesus von Nazareth in einfacher Menschengestalt hervor, verkündigt sich als den verheißenen Gottgesalbten, und erweist sich als den Propheten mächtig in Worten und Taten. Das Volk erstaunt und bewundert seine Taten, aber wenige glauben an Ihn. Die Hohenpriester und Obersten, die Mächtigen und Gelehrten hassen, verleumden, lästern und verfolgen ihn, und machen das Volk von ihm abwendig; nur eine kleine Zahl treuherziger Jünger und Jüngerinnen bleibt ihm zugetan; die Feinde siegen, er gerät in ihre Hände; sie verdammen, kreuzigen und erwürgen ihn. Hiermit endet die öffentliche Geschichte Jesu von Nazareth.
Alles dieses geschah in dem engen Bezirk des kleinen, von den Römern unterjochten, von aller Welt verachteten jüdischen Volks und Landes; Römer kreuzigen, den die Juden ihnen überantworteten. Er stirbt und wird begraben. Aber siehe, sein Tod wird seine Verklärung und Verherrlichung; das große nun vollbrachte, von Gott besiegelte Gotteswerk geht aus in alle Lande, das Wort vom Kreuz dringt in alle Welt und gibt ihr das Leben und eine neue Gestalt, und dem Gekreuzigten werden seitdem die Kinder, wie der Tau aus der Morgenröte geboren.
Apostelgesch. X,39.41. Den haben sie getötet und an ein Holz gehängt. Denselbigen hat Gott auferweckt am dritten Tage, und ihn lassen offenbar werden, nicht allem Volke, sondern uns, den vorerwählten Zeugen von Gott, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden ist von den Toten.
Nachdem der Apostel Petrus seine Predigt von Christo Jesu, von dessen Sendung und Salbung, Wandel und Taten, durch Berufung auf sein und seiner Mitapostel Zeugnis, unterbrochen hat, kommt er auf das Größte und Heiligste, das Wunderbarste und Geheimnisvollste aller Offenbarung, den Grund, Mittelpunkt und Gipfel des Evangeliums den Kreuzestod des Herrn und seine Auferstehung.
1) Den haben sie getötet und an ein Holz gehängt.
Es ist eine besondere Einfachheit in diesen Worten, die von dem allerwichtigsten Ereignisse so kärglich reden, welches sämtliche Evangelien doch so umständlich und genau beschrieben haben. Aber freilich diese erzählen davon, als von einer Tatsache, wie sie auf Erden unter den Menschen geschieht; die Apostel aber reden davon, als von einer geschehenen, vollbrachten und in den Himmel aufgenommenen. Dennoch befolgen die letzteren, wo sie, wie Paulus in dem 13ten Kapitel, die Geschichte des Herrn erwähnen, die Weise der Evangelisten. - Diese besteht nämlich darin, dass sie alle Vier, nachdem sie die großen Taten des Herrn und die mannigfaltigen Offenbarungen seiner Herrlichkeit, als des Sohnes Gottes, beschrieben haben, nun die umständliche Darstellung seiner Schmach und Schande, seiner Leiden und seines Todes, wie die dunkelste Nacht dem hellen Tage, folgen lassen! Die Evangelien gleichen einem Spiegel, der das Bild der Gegenstände, wie sie sind, ohne Empfindung darstellt, nur dass dem Johannes zuweilen während des Schreibens die Herrlichkeit des durch Leiden vollendeten Herrn vorschwebt, und sein Herz dann und wann die Geschichte unterbricht.
Auch Petrus befolgt die Weise der Evangelien. Er beginnt damit: Jesus, von Nazareth sei es, von welchem Gott von altersher dem Volke Israel sein Wort gesandt, und den Frieden durch ihn, als den Herrn über alles, habe verkündigen lassen. Die Erfüllung dieser Verheißung, welche angegangen nach der Taufe Johannes, sei durch das ganze jüdische Land geschehen. Gesalbt mit dem heiligen Geist und mit Kraft sei er umhergezogen, und habe wohlgetan, und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältigt waren. So habe er sich als den von Gott verheißenen Gesandten und Gesalbten durch Lehre und Tat, Wort und Kraft erwiesen vor allem Volke. Alles dieses fasst der Apostel nun zusammen in dem kräftigen Ausspruch: Denn Gott war mit ihm, und wir sind Zeugen alles des, das er getan hat im jüdischen Lande, und zu Jerusalem. Und nun fährt er fort: Den haben sie getötet und an ein Holz gehängt. Wer? - Die Kinder Israel, denen er verheißen war, und deren Väter mit Sehnsucht auf ihn geharrt hatten; die Menschen, die seine Gotteskraft und Taten sahen und bewunderten, welche Zeugen seiner Weisheit und Heiligkeit, Sanftmut und Demut, seiner Liebe und Freundlichkeit waren, deren Heil und Rettung einzig er wollte, die er mit seinen Segnungen überhäufte Ihn haben sie als einen Gotteslästerer verdammt, und als einen Aufrührer und Mörder gekreuzigt, getötet! Und wer war Er, der getötet wurde? derselbe Jesus, der von sich zeugte, dass er sei der Sohn Gottes, das Licht der Welt, die Auferstehung und das Leben, Eins mit dem Vater, von ihm gesendet zum Heil der Welt, und der die Wahrheit seines Worts und die Göttlichkeit seines Wesens und seiner Person vor den Augen der Welt durch unzählige Taten der Allmacht und Liebe erwies, dem Sturm und Wellen gehorchten, der die Blinden sehend machte und Tote ins Leben rief - Er, der Heilige und Gerechte, in dessen Munde nie ein Betrug erfunden ward, den niemand einer Sünde zeihen konnte - Er ward an ein Holz gehängt und getötet! Welch ein Widerspruch und. Abstand zwischen dem Zeugnis unseres Apostels: „Gott war mit ihm“ und dem eigenen Ausruf des Gekreuzigten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“
Wie erstaunenswürdig, unbegreiflich, ja unmöglich würde uns dieses dünken, wenn wir nicht von Jugend auf es gehört hätten, und das Kreuz des Herrn uns so bekannt wäre, wie die Sonne am Himmel. Aber wir wissen, dass es also geschah, wie Petrus laut und öffentlich zu Jerusalem seinen Feinden und Mördern ins Gesicht sagte: „Überantwortet und verleugnet habt ihr ihn vor Pilato, da derselbige urteilte, ihn los zu lassen. Ihr aber verleugnetet den Heiligen und Gerechten, und batet, dass man euch den Mörder schenkte: aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet.“2)
2) Also ist es geschehen; das ist die klare und bare Geschichte, die zu Jerusalem und auf Golgatha vor neunzehn Jahrhunderten geschah; das die Begebenheit, von welcher alle Apostel und Evangelisten in ihrer Predigt ausgehen und worauf sie immer zurückkommen, und wovon Paulus sagt, er halte sich nicht dafür, dass er etwas wisse, ohne allein Jesum, den Gekreuzigten. Ja, die Kreuzigung des Herrn ist die himmelschreiendste, ruchloseste Tat, die jemals Menschen vollbracht haben, und somit das entsetzlichste Zeugnis von dem Verderben des menschlichen Herzens; es ist die allerdunkelste und geheimnisvollste Verhüllung der Hand Gottes in seiner Weltregierung, darin liegt jeder aus bedachtem Rat und Versehung den Heiligen und Gerechten hingab in die Hände der Ungerechten, „die ihn angeheftet und erwürgt haben;“3) - es ist die allertiefste Demütigung Entäußerung dessen, der das Leben in ihm selber und des Todes Gewalt hatte, und dennoch, wie ein Lamm sich zur Schlachtbank führen ließ und gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.
Was Wunder, dass die Jünger, die seine Herrlichkeit gesehen hatten, nun, da sie solches erlebten, Zittern und Zagen ergriff, und sie davon flohen! Was Wunder, dass von jeher bis auf den heutigen Tag so vielen das Wort vom Kreuze ein Ärgernis oder eine Torheit war! Aber eben darin, dass die Kreuzigung des Sohnes Gottes allem menschlichen Denken, Erwarten und Meinen so schnurstracks entgegen, und doch so gewiss und fest, wie keine andere Begebenheit in der Geschichte dasteht der Beweis und das Zeugnis, dass es eine göttliche Tatsache, und Jesus, der gekreuzigte, der Christus, der Heiland der Welt, der Sohn Gottes ist, dazu in die Welt gekommen, um die Sünder selig zu machen.
Mit dem Tode Jesu am Kreuz war seine Geschichte auf Erden beschlossen, und das Werk, wozu er im Fleisch erschienen war, vollendet. Es ist vollbracht! rief er selbst, bevor er sein Haupt neigte, und verschied. Das an Edens Pforten gesprochene Wort war nun erfüllt; der Fersenstich der alten Schlange war geschehen, und ihr selbst der Kopf zertreten; die trostreichen Prophetenstimmen der alten Zeit, die den Vätern einen Mittler und Heiland und ewigen König verhießen, waren zur Tat geworden. Das alleinige wahrhafte Opfer, auf welches alle Opfer der Welt sehnsüchtig hindeuteten, war in Wirklichkeit dargebracht, Gott zu einem süßen Geruch. Er, des Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist, Er, der Eingeborne von Vater, der Glanz der Herrlichkeit Gottes und das Ebenbild seines Wesens, der alle Dinge trägt mit seinem kräftigen Worte, und nachdem er die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst gemacht, „sich gesetzt hat zu der Rechten der Majestät in der Höhe“4) und dem nun alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden - Er hat es vollbracht, und mit einem Opfer vollendet alle, die geheiligt werden! Um es zu vollbringen, hatte er seiner göttlichen Gestalt und Gottesgleichheit sich entäußert, und ist erschienen in der Gestalt unseres sündigen Fleisches, ist das Lamm geworden, das der Welt Sünden trug, und hat durch sein Blut und durch den Vorhang seines Fleisches uns den Eingang und neuen Weg bereitet in die wahrhaftige Hütte. Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen, um unserer Missetat willen ist er verwundet, und um unserer Sünde willen zerschlagen; die Strafe, die unsrige, lag auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
3) Dies ist die wunderbare, geheimnisvolle Geschichte der Leiden, die in Christo sind, und der Herrlichkeit danach, von welchen die Propheten forschend weissagten, und welches die Engel gelüftete zu schauen! Gottesweg, so viel höher, als der Menschen Wege und Gedanken, so viel höher der Himmel ist, denn die Erde! Der Kreuzestod Jesu Christi ist die allertiefste Demütigung, die allerherablassendste Vermenschlichung Gottes; und darum eben dem natürlichen Menschen das allerunglaublichste. Denn nun meint der Mensch, Gottes Rat und Werk auch menschlich richten zu können, und ist geneigt, die Leiden und den Tod des Herrn mit seinem Verstande nur als eine menschliche Geschichte und Tatsache zu betrachten, oder mit einem empfindsamen Herzen, wie die Töchter Jerusalems, Ihn zu beweinen, und danach, da er von Jugend auf gelernt, dass solches für ihn geschehen, sie zu eignem Trost und Vorteil anzuwenden. So war es nicht die Weise der Apostel und der wahrhaftig Gläubigen aller Zeit; sie sahen nicht bloß nach Golgatha, welches sie auch nicht ein einziges Mal nennen, sondern sie blickten, vom Geiste des Herrn erleuchtet, mit der innigsten Demut in den tiefsten Verfall des Menschen und das Verderben des menschlichen Herzens, und mit lebendigem Glauben in den überschwänglichen Reichtum der Gnade und Liebe Gottes, „der auch seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahin gegeben hat.“5)
Die Kreuzigung des Herrn, sofern sie von Menschen geschah, ist der schlagendste Beweis von der Feindseligkeit des Menschen gegen Gott, von seinem tiefen Verfall und gänzlicher Entfremdung von dem Wesen, das aus Gott ist. Unwissend, sagte ihnen Petrus, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit getötet, d. h. verblendet durch ihr eigenes bejammernswürdiges Wesen.
Da es ihnen durch die Erscheinung Jesu gleichsam möglich geworden war, Gott selbst zu vernichten, wie sie, von jeher, dem lebendigen Gott widerstrebend und zum Götzendienst geneigt, und die ganze Menschheit es schon längst gesucht hatten; so frohlockten sie, als ob es ihnen nun gelungen wäre, da sie ihn am Kreuze verspotten konnten. Da offenbarte sich das menschliche Verderben in seiner tiefsten Finsternis, gleichwie, unerkannt noch von allen, die Liebe Gottes in ihrem höchsten Lichte. So müssen wir alles samt ohne Ausnahme bekennen: Wir haben den Herrn der Herrlichkeit an das Holz geheftet, um unsertwillen ist er dahingegeben.
An das Holz - sagt Petrus hier, und in seinem Briefe. Sah er, der aus eigener bitterer Erfahrung das menschliche Herz und die Sichtungen des Satans so genau kannte, etwa auf jenen Baum zurück, wo zuerst die Begierde der Gottheit den Menschen überwältigte? Gewiss stehen der Garten Eden und der Garten Gethsemane, der lustige Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen im Paradiese und das dürre Fluchholz auf Schädelstätt, in genauem Zusammenhange. Schaue in dich selbst hinein, du Mensch Gottes, zum Bilde Gottes erschaffen und von seinem Odem beseelt! Wie viel trägst du an dir von dem Bilde deines Schöpfers, der die Liebe ist? Ist Liebe zu Ihm, dem allein liebenswürdigen, der Grundton deines Wesens? Vergleiche dich mit dem Menschensohne, der am Kreuz starb, und frage dich: wie viel du von seinem Glauben und Gehorsam, von seiner Sanftmut, Demut und Geduld, von seiner Herzensreinheit, Leutseligkeit und Liebe in deinem Herzen trägst! Vergleiche die Ewigkeit, die dir mit unauslöschlichen Zügen in die Seele gegraben ist, mit der kurzen und unsichern Wallfahrt deines Erdenlebens; versetze dich im Geist auf dein Sterbebette, siehe da den Kampf, dem du unterliegen musst, und höre das ohnmächtige Seufzen und Röcheln, womit du widerstrebst! Siehe dich selbst hinabsenken in den dunklen Schoß dem alles verschlingenden Natur, und folge deinem entfliehenden Geiste in den Lichtglanz des Thrones Gottes und einer richtenden Ewigkeit. Kans du dann noch das Wort Gottes, das deiner Sünden und des Verlustes deiner Herrlichkeit vor Gott dich zeiht, und dein eigenes Herz, und den Blick deines Geistes in die Ewigkeit Lügen strafen, und sagen: Ich bin rein in meinem Herzen und lauter von Sünden!
Und wenn du nun so hinabgestiegen bist in den Abgrund deines von Gott entfremdeten Wesens und in die Tiefe deines Sündenelends; dann wird, wie Einer, der, in einen tiefen Schacht versenkt, am hellen Mittag nicht den Erdentag, sondern die Sterne am Himmel sieht, dein sehnsüchtiges Glaubensauge das Kreuz des Gottessohnes in seinem himmlischen Glanz erblicken, und in dem Lamm, das erwürgt ward, den einigen Herzog und Bürgen deiner Seligkeit erkennen. Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; und Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns6). Wer vermag es, die Breite und die Länge, die Tiefe und die Höhe der alle Erkenntnis übersteigenden Liebe Gottes in seinem Sohn zu ermessen! Gott ist hier, der gerecht macht, und. Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auferstanden ist von den Toten!
4) Ja, den hat Gott auferweckt am dritten Tage - da es unmöglich war, sagt unser Apostel in seiner Pfingstrede, dass er von Banden des Todes sollte gehalten werden. Nachdem er das Werk, das ihm vom Vater gegeben war, dass er es vollende, vollbracht und den Vater verklärt hatte, war es an dem Vater - so dreist dürfen wir reden Ihn vor der Welt, und zwar zunächst und sichtbarlich zu verklären vor denen, die mit ihm gegessen und getrunken hatten, und bald aller Welt Ihn verkündigen sollten. Im dritten Tage, wie er vorhergesagt, stand er auf von den Toten, auferweckt durch die Herrlichkeit Gottes und kräftiglich erwiesen als der Sohn Gottes, durch den Geist, der da heiligt, seit er auferstanden ist von den Toten. - Um unserer Sünde willen ward er dahingegeben, und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt! Dadurch, dass unser Tod, der Sünde Sold, der Tod des Lebensfürsten, der von keiner Sünde wusste, geworden ist, ward dem Tode und dem, der des Todes Gewalt hatte, dem Teufel, die Macht genommen, und unser Tod ist nun nicht mehr der Sünde Sold, sondern der Sünde Ablohnung, und Eingang in das ewige Leben. Seine, des Menschensohnes, Auferstehung von den Toten ist die sichtbare Bürgschaft der zukünftigen Auferstehung aller Menschenkinder, und Darstellung der neuen unverweslichen Lebensgestaltung, zu welcher der Mensch, nachdem sein Leib den Kreislauf des Verweslichen durchwandelt hat, wieder hergestellt. werden soll und muss. Wie wir in Adam alle sterben, so werden wir in Christo alle lebendig gemacht, und dies Verwesliche muss anziehn das Unverwesliche, dieses Sterbliche muss anziehn die Unsterblichkeit. In dem natürlichen Leibe haben wir den verborgenen, zwar unterdrückten, jedoch nicht erdrückten, sondern, weil göttlichen Ursprungs, unvertilgbaren Lebenskeim eines geistlichen Leibes. Aber der geistliche Leib, spricht der Apostel, ist nicht der erste, sondern der natürliche, danach der geistliche. Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen Adams, so werden wir tragen das Bild des himmlischen Menschensohns. Er wird unseren nichtigen Leib, „den Leib der Demütigung“ - verklären, dass er ähnlich werde seinem verklärten Leibe. Das wird er tun, der Lebensfürst, der da tot war und lebt, der Anfänger und Vollender unseres Glaubens, der da hat die Schlüssel der Hölle und des Todes, Dann wird der Gerechten Loblied durch die Himmel schallen: der Tod ist verschlungen auf ewig! „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Gott sei gedankt, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesum Christum!“ Welch' ein Evangelium! Welche Freudenbotschaft voll Gnade und Wahrheit! Hier möchte man lieber weissagen und mit Zungen reden!
5) Den gläubigen Jüngern des Herrn ward die große Gottestat seiner Auferstehung sichtbarlich offenbart, und nur ihnen allein. Gott hat ihn lassen offenbar werden nicht allem Volke, sondern uns, den vorerwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben. Bis an den Tag, sagt die Geschichte, da er aufgenommen ward, wandelte er noch vierzig Tage auf Erden, erzeigte sich nach seinem Leiden lebendig durch mancherlei Erweisungen, und ließ sich unter ihnen sehen, und redete mit ihnen von dem Reiche Gottes7). Aber bloß seinen Jüngern und Jüngerinnen, nur denen, die an Ihn geglaubt hatten, nicht dem ganzen Volke, dass ihn nicht aufgenommen hatte, widerfuhr diese Gnade und Freude. Sie, die ihn verworfen hatten, waren weder würdig noch auch empfänglich, den Erstandenen und seine Herrlichkeit zu sehen. Nicht würdig. Die Wahrheit dringt sich dem nicht auf, der ihr Augen und Herz verschließt, am wenigsten solchen, welche, da sie ihnen sich freundlich genaht, sie feindselig verworfen haben; da zieht sie sich nur umso mehr zurück, und lässt die Lüge ihre Wege wandeln. Also geziemte es dem Herrn nicht, sich ihnen lebendig zu erweisen. Sie würden auch ohne Zweifel, wie ja die Hohenpriester klüglich taten, sein Zeugnis nicht minder, als zuvor verworfen, und nur das Maß ihrer Sündenschuld und Strafwürdigkeit vergrößert haben.
Sie waren aber auch eben so wenig fähig und empfänglich, den Herrn zu sehen; ihrem Schalksauge und unreinem Herzen fehlte das Vermögen, himmlisches zu schauen, und die Herrlichkeit Gottes zu erkennen. Kann auch ein Hund der schönen Lilie des Feldes, oder des Nachtigallengesangs sich erfreuen? Erst müssen durch Buße und Glauben dem blinden, nach Licht verlangenden Auge des inwendigen Menschen die Schuppen hinweggenommen werden, bevor es Himmlisches und Göttliches in sich aufzunehmen vermag. Das große Gotteswerk der Auferweckung Jesu war nicht geschehen, um von Menschen bewundert zu werden. Vielmehr, alle große Gottestaten geschehen in der Stille; der Herr wohnet im Dunkel und kommt im sanften Sausen. Auch steht ja die Auferstehung und die Verherrlichung des Herrn mit dem Glauben an ihn, als den Sohn Gottes, mit seiner Menschwerdung und seinem Opfertode am Kreuz, kurz mit seinem ganzen Erlösungs- und Versöhnungswerke, in so innigem Zusammenhange, dass das Eine ohne das Andere, das Sehen ohne den Glauben eben so wenig sein kann, als ein Blindgeborener die Sonne aufgehen sieht, wenn auch Tausende ihm zurufen: Siehe, nun geht sie auf! Es traf auch hier ein, was der Herr sagt: Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht in Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben. Und das andere Wort: Wer an den Sohn glaubt, der hat das Leben; wer aber nicht an den Sohn glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm. Und was Paulus sagt: Niemand kann Jesum einen Herrn heißen ohne den heiligen Geist.
Nur sie, die vorerwählten Zeugen von Gott, die mit dem Herrn, während seines dreijährigen Wandels, gegessen und getrunken, mit ihm in innigster Gemeinschaft, wie Kinder mit dem Vater, gelebt hatten, sie die gläubigen Jünger wurden der Offenbarung und des Anschauens seiner Auferstehung und Verherrlichung von Gott gewürdigt. Warum wurde ihnen dieser große Vorzug? Waren sie schon die Helden des Himmelreichs, die sie werden sollten? Nicht mehr, mit Johannes zu reden, Kinder und Jünglinge, sondern schon Männer und Väter im Glauben und in der Wahrheit? Mitnichten: sie fehlten und strauchelten noch mannigfaltig, waren nicht frei von Unruhe, Furcht und Zweifel, und ohne Hoffnung, dass der Gekreuzigte auferstehn werde. Aber sie waren einfältigen Sinnes und Herzens, unverderbt durch die falsche Weisheit der Schriftgelehrten, meist in Galiläa geboren und erwachsen, reine Gefäße, in welchen die alte, Israel im Gesetze und in der Verheißung gegebene, Wahrheit nicht versauert, und die Sehnsucht nach dem verheißenen Heil nicht erstorben war. So führte die Gnade Gottes, welche die jungen Raben speist und dem hungernden Vieh sein Futter gibt, diese ungefärbten Seelen auf den Weg des Heils. Sie fanden Jesum von Nazareth, kamen und sahen, und schlossen sich nun ihm an, um ihn nie wieder zu verlassen. Und der Herr, der ihre Herzen durchschaute, nannte sie die Unmündigen, welchen Gott sein, den Klugen und Weisen verborgenes, Geheimnis geoffenbart habe; hieß sie sich freuen, dass ihre Namen im Himmel angeschrieben seien, und pries sie selig vor vielen Königen und Propheten, welche umsonst gewünscht, zu sehen und zu hören, was sie sahen und hörten8).
Und da sie also sich der Sonne der Gerechtigkeit angeschlossen hatten, so wuchs unter ihrem Einfluss still und allmählich das Senfkörnlein des Glaubens in ihren Herzen, und sie wurden Pflanzen Gottes, Bäume der Gerechtigkeit, an welchen der Herr sein Wohlgefallen hatte. So waren sie, welche der Herr sich erwählt hatte, würdig, die Herrlichkeit Gottes in der Verherrlichung seines Sohnes zu schauen, und Zeugen seines Todes und seiner Auferstehung zu werden.
Dass sind sie geworden. Mit unaussprechlicher Freudigkeit, Selbstverleugnung und hohem Mut haben sie Jesum den gekreuzigten und auferstandenen aller Kreatur gepredigt, und dadurch, als Werkzeuge des Heiligen Geistes, der Welt eine neue Gestaltung, und allen Gläubigen ein neues Leben gegeben. Durch sie aufgerichtet steht das Kreuz, einst auf Golgatha ein Schandpfahl des Menschensohnes und der Menschheit, nun vor aller Welt als die Siegesfahne des Lichts und der Wahrheit, als Wegweiser zum Himmel, als Baum des ewigen Lebens, und breitet seine Arme aus, um allen Beladenen und Mühseligen Friede und Freude zu geben, alle Bekümmerte zu trösten, und allen Pilgern die himmlische Heimat zu zeigen. Das Wort von der Versöhnung, von Gott aufgerichtet und von jenen Zeugen und Botschaftern an Christi statt zuerst verkündigt, wandelt seitdem fort und fort in alle Welt, und ruft allen zu: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Wer Ohren hat zu hören, der höre.