Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Der Undank, der auch in unserer Zeit noch gegen Jesum geübt wird.

Predigt am vierzehnten Sonntag nach Trinitatis.

Kein Lehrer ist dir Jesu gleich!
An Weisheit und an Liebe reich
Bist du sowohl durch Wort als Tat
Der schwachen Menschen sich‘rer Rat.
Es freut mein Geist im Glauben sich
Herr Jesu! dein und lobet dich! Amen.

Wer die Gegenwart recht verstehen, über ihre Bestrebungen ein richtiges Urteil fällen will, der muss in die Vergangenheit zurückschauen; in den Erfahrungen, die sie darbietet, finden wir allein den rechten Maßstab für dies Urteil. Die Zeit, welche wir auf Erden durchleben, ist so kurz, eilt so schnell dahin; der Gesichtskreis, den wir überschauen, ist so klein, dass es uns sehr schwer wird, nur von dem einen klaren Überblick zu bekommen, was in unserer nächsten Nähe geschieht. Eine Gesamtübersicht über das Leben und Streben der Mitwelt ist für uns jedoch unmöglich, denn dazu müssten wir uns auf einen Standpunkt über diesem Leben und Streben erheben können, und darum wird unser Urteil über die Gegenwart immer nur ein missliches und unzuverlässiges sein, während wir im Rückblick auf die Vergangenheit schon ein Gesamtbild der einzelnen Zeiten, ihrer Bestrebungen und Erfolge aufzufassen vermögen. In der Gegenwart erblicken wir nur einen kleinen Teil der einzelnen Bausteine, die sich zu einem Bau zusammenfügen sollen, deren von der göttlichen Weisheit vorbedachten Plan wir jedoch nicht kennen, von denen auch wohl viele noch werden umgeformt, verworfen, oder wenn sie schon eingefügt waren, wieder herausgerissen werden müssen; während wir aus einiger Ferne auf die Vergangenheit zurückschauend, den ganzen Bau, so weit er zu jeder Zeit gediehen ist, vor Augen haben. In der Gegenwart stehen wir wie mitten in einem Wald, und es begegnet uns da wohl, dass wir, wie das Sprichwort sagt, vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen, während wir von einer angemessenen Höhe aus einiger Entfernung den ganzen Wald zu überblicken vermögen. Dabei gehen uns die Einzelheiten freilich zum größten Teil verloren; aber es treten auch Die wieder um so deutlicher vor den Blick, die sich über die gewöhnliche Höhe erheben, und durch sie erhält das Bild seine Eigentümlichkeit, sein Licht und seinen Schatten. - Solches, teure Gemeinde, glaubte ich vorausschicken zu müssen, damit ihr mich nicht der Vermessenheit beschuldigt, wenn ich heute mit einer schweren Anklage gegen die gegenwärtige Zeit vor euch und zu eurer Warnung auftrete: mit der eines fortgesetzten Undankes gegen unseren göttlichen Heiland und sein heiliges Evangelium. Ich halte mich zu derselben nur berechtigt, indem ich die Erfahrungen der Vergangenheit auf sehr deutlich hervortretende Ansichten und Bestrebungen der Gegenwart anwende. Und das wissen wir, denn die Vergangenheit steht ja in der innigsten Verbindung mit der Gegenwart; sie ist die Wurzel, aus der diese entspringt, und diese erhält, baut fort, lässt verfallen oder reißt nieder, was die Vergangenheit baute. Wenn wir nun durch die Arbeit der Vergangenheit ein Gebäude sich erheben sehen, welches, wenn auch noch erst zum kleinsten Teil ausgebaut, doch schon die Herrlichkeit ahnen lässt, die es in seiner Vollendung einst zeigen wird; wenn die Festigkeit des Grundes, auf dem es ersteht, in dem Lauf vieler Jahrhunderte bereits erprobt ist, und sich jetzt in der Gegenwart Stimmen vernehmen lassen, welche fordern, dass jenes Gebäude niedergerissen werde, oder doch verfallen möge, welche ein anderes auf einem anderen, von ihnen erdachten, noch keinesweges erprobtem Grund aufrichten wollen, so erscheint es in Absicht auf sie selbst töricht, auf die, für welche das Gebäude bestimmt ist, aber gefährlich. Eine Warnung erscheint daher an der rechten Zeit. - Das Gebäude aber, von dem ich rede, ist das Reich Gottes; der Grund auf dem es ruht: Jesus Christus; der Plan, nach welchem es errichtet wird: sein Evangelium; sein Zweck: alle Menschen in sich aufzunehmen, sie durch Heiligung und Liebe zum Heil hier, zur Seligkeit in der Ewigkeit hinzuführen. An diesem Gebäude haben 18 Jahrhunderte jetzt gebaut; aber weil sie nicht immer göttliche Weisheit, sondern vielmehr menschliche Torheit und Leidenschaft mit brachten, so haben sie es vielfach verbaut, und das muss wieder abgerissen werden. Trotzdem aber, dass dies vielfach schon geschehen ist, und das an seine Stelle Gesetzte sich zum Teil auch noch nicht vollkommen erweist, so ist das Gebäude doch schon beträchtlich gewachsen; Millionen haben in demselben Heil und Frieden gefunden, und blicken mit dankbarer Verehrung zu dem auf, der der Grund zugleich, und der Baumeister ist: Jesus Christus, der seinem Werke sein Leben gewidmet und geopfert hat. Wollen nun Andere dies nicht anerkennen, trotz dem, dass die Geschichte so deutlich dafür zeugt, so ist dies eine Undankbarkeit, der wir uns nicht schuldig machen wollen. Auch wir sollen nach unserem christlichen Beruf an dem Werk mitbauen. Wir bauen aber nur dann recht, wenn wir auf dem gelegten Grund fortarbeiten, wenn wir den Bauplan in dem Evangelio immer völliger durchdringen, und reine Herzen und Hände zu unserer Arbeit mit bringen: dazu wollen wir uns ermuntern.

Ein Vorbild jener Undankbarkeit, welche in unseren Tagen Viele gegen Jesum durch Missachtung dessen, was er für die Welt getan hat beweisen, erscheint uns in unserem heutigen Sonntagsevangelium. Von 10 Aussätzigen, welche Jesus geheilt hatte, war nur Einer dankbar. Die Anderen hatten ihren Wohltäter vergessen; unser sittliches Gefühl spricht ihrer Undankbarkeit das Urteil. Das ist aber noch nicht genug. Fragen wir uns auch: Wird nicht auch in unserer Zeit noch gleicher Undank gegen den Herrn geübt? Und trifft ihn nicht das gleiche Urteil? Ich fürchte, meine Geliebten, wir werden diese Frage bejahen müssen. Ob aber diese Befürchtung gegründet ist, soll uns die nachfolgende Betrachtung lehren.

(Gesang. Gebet.)

Evang. Lukas 17,11-19.

Nur Einer von den Zehn, die Jesus von dem Aussatz geheilt hatte, von jener furchtbaren Krankheit, die den mit ihr Behafteten völlig von der bürgerlichen Gesellschaft ausschloss, ihn zu einem Gegenstand des Abscheus machte, und sein Leben langsam aber sicher aufzehrte, nur Einer von diesen hatte ein dankbares Herz; Neun waren Undankbare und gedachten ihres Wohltäters nicht mehr. Ist das nicht tief betrübend auch für uns? Selbst Jesus, der nie Dank forderte, spricht sich verwundert und tadelnd darüber aus. - Aber geht es ihm denn in unserer Zeit anders? Von der Sünde, welche der sittliche Aussatz des Menschengeschlechts ist, welche seinen zeitlichen Frieden und sein ewiges Heil eben so sicher untergräbt, wollte er die Welt erlösen, und er hat Alles vollbracht, was dazu erforderlich war. Sein Werk ist auch nicht vergeblich gewesen; es hat bereits viel gewirkt, und was ihm nicht gelang, ist an dem Widerstreben, an der Torheit der Menschen gescheitert. Wird das aber wohl allgemein anerkannt? Ob nicht vielmehr auch heute noch gegen einen wahrhaft Dankbaren neun Undankbare stehen? - Zu ihnen, Geliebte, wollen wir wenigstens nicht gehören, und darum wollen wir zu unserer Warnung und Belehrung: den Undank betrachten, der auch in unserer Zeit noch gegen Jesum geübt wird. Haben wir ihn erkannt, dann wird er uns von selbst abstoßen.

Ein Zeichen dieses Undankes finde ich zuvörderst darin:

1) dass es nicht allgemein und genugsam anerkannt wird, welchen großen Segen das Evangelium der Welt schon gebracht hat.

„Wem ist das Reich Gottes gleich, und wem soll ich es vergleichen? Es ist einem Senfkorn gleich, welches ein Mensch nahm und warf es in seinen Garten; und es wuchs und wurde ein großer Baum, und die Vögel des Himmels wohnten unter seinen Zweigen. Es ist einem Sauerteig gleich, welchen ein Weib nahm und verbarg ihn unter drei Scheffel Mehl, bis dass es gar sauer ward“. So spricht Jesus die Bestimmung seines Evangeliums aus, die ganze Welt zu durchdringen, und gibt zugleich zu erkennen, dass es diese Bestimmung nicht mit einem Schlag erfüllen könne, sondern dass zu diesem Durchdringen ein längerer Zeitraum erforderlich sei. Wenn es also bis jetzt seine Aufgabe noch nicht völlig gelöst hat, so geschieht nur das, was Jesus selbst voraus sah, und nach der Unendlichkeit der Aufgabe und der Größe des zu erwartenden Widerstandes voraussehen musste. Und doch: was Alles und wie Großes hat die Kraft des Evangeliums bereits auf Erden gewirkt? Es gehört nur ein ganz oberflächlicher Blick auf die Geschichte der letzten 18 Jahrhunderte dazu um zu erkennen, dass das Evangelium wesentlich die bewegende Kraft derselben gewesen ist, und dass es bereits allen menschlichen Verhältnissen, so weit es sie ergriffen, eine andere und zwar eine veredelte Gestalt gegeben hat. - Den Grund davon erkennen wir in der ganz veränderten Stellung, die es dem Menschen zu Gott gegeben hat, in dem geistigen Antrieb, der von demselben ausging, und in der neuen sittlichen Grundlage, welche es dem Streben der Menschen darbot. - War früher der Mensch gebeugt von Furcht vor seinen Gottheiten, deren Zorn ihm drohte; wurde ihm stets vorgeredet, er sei zu niedrig, zu unrein, als dass er selbst mit den Opfern seines Herzens vor dieselben hintreten dürfe, sondern dass er der Vermittlung eines Priesters dazu bedürfe, um den Zorn der Gottheit zu versöhnen; kannte er sich nur als ein vergängliches Geschöpf des Staubes ohne eine weitere Bestimmung über diese Welt hinaus, wie musste er sich gehoben fühlen durch die Lehre des Evangeliums: Du bist Gott nicht fremd, bist ihm nicht zu gering; denn er ist dein Vater und du bist sein Kind! Er liebt dich, und will in dieser und jener Welt dich bilden, damit du zu ihm kommst! Er nimmt dein Gebet an und will schon hier in deinem Herzen wohnen, so du Jesum liebst und seine Gebote hältst? - Wer will es verkennen, dass nur auf dieser Grundlage des Glaubens an den Gott der Liebe, den Vater aller Menschen, an den Gott des Evangeliums der wahre Begriff von Menschenwürde und Menschenrecht sich erheben konnte. Sie war es, die den Menschen zum Himmel ausrichtete, indem sie ihm dort seine Heimat und sein Ziel zeigte, die dadurch zugleich seinen Geist anregte, auch das Ewige zu durchdringen, und ihm den Trieb gab, sein Leben durch wahre Sittlichkeit und Frömmigkeit zu veredlen. Sie war es, die eine unendliche Fülle von Tatkraft für das Leben, von Geduld und Demut für das Leiden, von Trost und Hoffnung für das Sterben in dem Menschen erzeugte. Indem Jeder dadurch zum Bewusstsein der eigenen Würde, des eigenen Rechts kam, musste er nun auch die Würde und das Recht jedes Anderen anerkennen, und das Grundgebot des Evangeliums, die Liebe, gab ihm einen verstärkten Antrieb dazu. Das früher allgemein herrschende Gesetz des Stärkeren, die rohe Gewalt, musste dadurch mehr und mehr zurückweichen, die natürliche Gleichberechtigung aller Menschen muss mehr und mehr anerkannt werden; es kann der Unterschied zwischen geborenen Herren und Knechten vor ihm sich nicht halten, denn das Evangelium verkündet die Freiheit der Kinder Gottes. Auch das Familienleben hat durch seinen Einfluss den Charakter der Willkürherrschaft des Einen und der Knechtschaft des Anderen verloren, denn auch in der Familie muss jedes Glied als ein Kind Gottes geachtet werden. Und wie in der Familie, so ist es in den Staaten, so muss unter den Staaten das heilige Gesetz der Liebe zur Herrschaft kommen in demselben Maße, als das Evangelium sie durchdringt. - Indem durch dasselbe die Religion aufhörte ein totes Formelwesen, eine Sammlung von Fabeln zu sein, und darauf gedrungen wurde, dass sie zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit werde, in der Wahrheit, die nur durch geistige Arbeit von jedem Einzelnen gewonnen werden kann, hat es die geistige Tätigkeit, den Forschungstrieb geweckt und gestärkt, aus welchem alle geistigen Eroberungen in den Reihen der verschiedenen Wissenschaften und Künste abzuleiten sind, und wenn gerade die Länder, in denen das Evangelium angenommen ist, durch ihre Gesetzgebung, Volksbildung, Gesittung, geistige Tätigkeit und fortschreitende Verbesserungen sich auszeichnen, wenn sich unwidersprechlich dartun lässt, dass dies in einem Land stets in dem Verhältnis stattfindet als das Evangelium dort frei von menschlichen Entstellungen und Zusätzen gelehrt wird, dass dies Alles aber in dem Maße verfällt oder schläft, als das Evangelium menschlichem Druck unterliegt, oder wieder unterworfen wird, so wird wahrlich Niemand behaupten wollen, dass dies etwas Zufälliges sei, es ist vielmehr ein Zeugnis von der segensreichen Kraft des Evangeliums. - Als die durch das Heidentum und seine Wirkungen entnervten Reiche der alten Zeit von wilden, aber naturkräftigen Völkern zertrümmert wurden, hat das Evangelium diese gebändigt, hat die Keime der Gesittung und Wissenschaft der alten Zeit erhalten, und sie zu allgemeinerer, edlerer, weil christlicher, Entfaltung gebracht, und noch immer trägt es Keime der Gesittung und geistiger Bildung in die nicht christlichen Länder, und mildert in ihnen die Barbarei der Sitten und die Tyrannei der Willkürherrschaft. Meine Geliebten, es ist nicht auszusprechen, wie groß und allgemein diese Segnungen des Christentums bisher schon gewesen sind, weil sie eben in allen Richtungen, in allen Verhältnissen sich kund geben, und diese veredelnd durchdringen. Und das hat es geleistet trotz dem, dass die Menschen ihm so vielfach widerstrebt, es gewaltsam gehemmt, es so oft und so lange schmählich verkannt und geknechtet haben! Was würde es aber geleistet haben, wenn sie mit Liebe sich ihm ganz hingegeben und von seinem Geist sich hätten leiten lassen?! - Verdient nun der Jesus, der in so ausgezeichneter Weise der Heiland der Welt ist, verdient er unsere Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit? Und wie wird sie ihm gezollt? Ob wohl immer unter Zehn es auch nur Einen gibt, der sich der Größe seiner Wohltaten immer recht bewusst, der von dem echten reinen Herzensdanke recht erfüllt ist? Ob der Herr nicht auch noch heute Ursache hätte, vorwurfsvoll zu fragen: Wo sind denn die Neun?

Geliebte! Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, dass von Vielen dem Evangelio eine Gleichgültigkeit entgegengesetzt wird, die es nicht verdient. Sie genießen in den ganzen Verhältnissen, die sie umgeben, seine Segnungen, und gedenken dessen nicht, dem sie sie verdanken. Ja es gibt sogar offene Feinde und Verächter des Evangeliums und sie führen zur Rechtfertigung dieser Feindschaft an, dass in seinem Namen viele Gräueltaten geschehen sind, dass ganze Zeiten und Völker von solchen, die sich Diener des Evangeliums nannten, verknechtet und verdummt worden sind, dass es noch jetzt vielfach mit vernunftwidrigen Lehren verbunden erscheint, und noch vielfach falschen Glaubenseifer, ja Glaubenshass und Verdammungssucht nährt. Solches kann und muss Alles zugestanden werden. Allein kann der Missbrauch, den der Menschen Wahn mit einer an sich so heiligen und heilsamen Sache treibt, ihren Wert überhaupt verkümmern? Ist es ihre Schuld, wenn der Menschheit Trägheit, Blindheit und Leidenschaft sich derselben bemächtigte, und so die Menschheit fast eben so weit, als es sie gefördert hatte wieder zurück zerrte? Und hat sich nicht trotz aller Verkennung, trotz allen Missbrauchs die segnende Kraft des Evangeliums immer wieder geltend gemacht, hat sein Licht nicht alle jene Finsternisse immer wieder durchbrochen und immer wieder neues Heil gebracht? - Das Messer, mit dem du dein täglich Brot schneidest, kann dem Verbrecher auch zum Mord dienen, und es bleibt darum doch ein nützliches Werkzeug! Nicht was die Menschen im Namen des Evangelii zu tun vorgaben, kann ihm angerechnet werden; sondern nur das, was sie wirklich nach seinem Willen und in seinem Geist taten, und das hat immerdar nur Segen gebracht. Dass dies noch vielfach verkannt wird, das ist Ungerechtigkeit, Unverstand und Undank gegen Jesum und sein Werk, dessen wir unsere Zeit vielfach anklagen müssen. Er selbst beansprucht für seine Person keinen Dank. Ich suche nicht meine Ehre, spricht er; des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er ihm dienen lasse, sondern dass er diene, und gebe sein Leben zu einer Erlösung für Viele. Aber für seine Verdienste, für die segnende Kraft seines Werkes keine Anerkennung haben, seine Früchte genießen, und des Urhebers derselben nur mit Gleichgültigkeit, wenn nicht gar mit Geringschätzung gedenken, das ist dennoch Undank gegen Jesum. Gefallen euch, meine Lieben, die Neun, nach denen der Heiland im Evangelio vergebens fragte? Sagt euch nicht euer Inneres: Sie haben schlecht gehandelt? Möge es dann auch nicht schweigen, wenn ihr selbst, oder wenn Andere sich dadurch des Undanks gegen Jesum schuldig machen, dass sie den Segen nicht in vollem Maße anerkennen, den sein Evangelium bisher schon der Welt gebracht hat und

2) den bestreiten, den es der Welt noch bringen kann.

Es ist in keinem Anderen Heil, auch kein Name dem Menschen gegeben, darin er könne selig werden, denn der Name Jesu Christi, so rufen die Jünger begeistert aus, und wir stimmen gewiss mit Freuden bei, die wir ihn erkannt haben als den, welchen Gott uns aus Gnade gesandt, Worte des ewigen Lebens uns zu bringen, zu suchen und zu retten das Verlorene, die wir im Rückblick auf die christliche Zeit den Segen schauen, den seine Erscheinung der Welt bereits gebracht hat. Je mehr wir seinem Worte nachdenken, desto mehr wird es uns aber auch klar werden, wie wirklich die Fülle und Tiefe der Weisheit und der Erkenntnis Gottes in demselben liegt, dass es kein anderes Heilsmittel gibt, durch welches das Menschengeschlecht der Vervollkommnung in jeglicher Beziehung zugeführt werden, dass Niemand einen andern Grund legen kann außer dem, der gelegt ist, welcher ist: Jesus Christus.

Nimmermehr! rufen dagegen die Verächter des Evangeliums, die Undankbaren gegen Christum aus: Das Christentum hat sich überlebt, es muss durch etwas Anderes ersetzt werden. Dann kommen jene Vorwürfe, die wir oben erwähnten, als da sind: Es verdüstert den Geist, es macht den Menschen träge für diese Welt, indem es ihn nur auf die jenseitige verweist; es dient der Unfreiheit und dergleichen mehr, und nun setzen sich die klugen Leute - denn so dünken sie sich - hin, und haben nichts Geringeres vor, als eine andere Grundlage des Heils für die Menschheit zu ersinnen, und haben doch bisher samt und sonders noch nichts Anderes als Hirngespinste und geistige Missgeburten hervorgebracht. Es kann und wird auch nicht anders und besser werden auf Erden, als bis die Welt sich allgemein bekehrt hat zu dem wahren Hirten und Bischof unserer Seelen.

Fragen wir dann jene mit dem Evangelio Unzufriedenen: Was ists, was ihr an den Menschen beklagt und wohin wollt ihr sie führen? Wir beklagen, so antworten die Einen, die Geistesträgheit der Menschen, wir wollen sie zu geistiger Regsamkeit, zu geistiger Bildung, zur Erkenntnis der Wahrheit führen! - Ganz recht; aber das will das Christentum auch. Sein heiliger Geist will die Menschen in alle Wahrheit leiten. Darum bietet es dem Menschen das Vollkommene dar, nach dessen Erfassung er streben, zu dem er heranwachsen soll; es trägt ihm den Wahlspruch entgegen: Prüft Alles und das Gute behaltet; es setzt das ewige Leben darin, dass er Gott und den er gesandt hat, Jesum Christum, erkenne; es ermahnt ihn: auf den Geist zu säen, wenn er von dem Geist ernten wolle; überall dringt es auf rege geistige Tätigkeit, und überall, wo es in einem Volk Eingang fand, begann es auch sofort den Kampf mit dem Aberglauben, dem überlieferten Vorurteil und erweckte ein neues geistiges Leben in ihm, wie die Vergleichung der christlichen Länder mit den nichtchristlichen in aller Zeit dartut. Es ist jedem Zwang des Buchstabens unbedingt feind, wie denn Jesus ja selbst spricht: Der Geist ist es, der da lebendig macht, das Fleisch ist kein nütze; die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben! und sein Apostel Paulus wiederholt es: Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig; der Herr ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit! -

Hier haben wir also eine Geist bildende Lehre, eine Geist erweckende Kraft, die sich bereits durch Jahrhunderte bewährt hat! Was wollt ihr noch eine andere suchen, und die bewährte undankbar geringschätzen und verwerfen? Sorgt nur dafür, dass der Geist des Christentums immer allgemeiner in den Menschen erweckt werde, dass den Mächten kräftig widerstanden werde, die den Geist des Christentums noch immer dämpfen wollen, weil sie die Finsternis mehr lieben als das Licht, dann wird sich auch der Trieb zum Wachstum in allen geistigen Gütern kundgeben, und ihr werdet ihm wahrlich kein höheres Ziel darbieten können, als das christliche: die Vollkommenheit! -

Eine andere Antwort lautet: Wir wollen das irdische Los der Menschen verbessern, auf dass Armut und Elend aus der Welt verschwinde, Jeder sein täglich Brot habe, es ohne Tränen esse, und das Glück des Lebens genieße, das Gott Jedem bestimmt hat. - Wahrlich ein großer und schöner Zweck! Aber, nicht wahr? er lässt sich nicht erreichen, wenn die Menschen nicht vorher besser geworden sind? Daran zweifeln wir wohl nicht, dass Gott in seine Welt, die er seinen Kindern angewiesen, auch die Kraft gelegt hat, sie zu ernähren. Es gilt nur ihre Kräfte zu erkennen, sie gehörig auszubeuten, ihren Ertrag gehörig zu verteilen und weise zu benutzen. So lange aber die Menschen träge, arbeitsscheu, liederlich, verschwenderisch oder geizig, hartherzig und selbstsüchtig sind, sich gegenseitig beeinträchtigen, bevorteilen, beschädigen, so lange werden sie selbst der Erreichung jenes schönen Zwecks im Weg stehen. O dieser Zweck ist ja kein neuer, das Evangelium hat ihn auch, und es schlägt zu seiner Erreichung den einzig richtigen Weg ein: es will vor Allem die Menschen veredlen, es will ihnen heilige Pflichttreue in das Herz pflanzen, es will ein Leben in allgemeiner Liebe in ihnen wecken. Meinst du, diesen Zweck durch äußere Gesetze, gesellschaftliche Ordnungen, künstliche gewerbliche Einrichtungen erreichen zu können, so bist du ein großer Tor! Im Innern wohnt des Menschen Glück, auf das Innere muss es gebaut werden. Jene äußeren Einrichtungen finden sich dann von selbst, und ohne vorhergegangene Versittlichung des Menschen würden sie, wie künstlich sie auch erdacht, wie sinnreich ausgeführt seien, unfehlbar verfallen. Banne die Selbstsucht aus dem Menschen, und die Erde wird bald ein Himmel sein. Sie zu überwinden, hat aber nichts Anderes die Kraft, als die allgemeine, die christliche Liebe, deren Wahlspruch ist: Was du nicht willst das Andere dir tun, das tue ihnen auch nicht; deren Bestreben: dass es Allen so wohl gehe, wie es nur möglich ist. Dass aber zu dieser Liebe das Evangelium vor Allem ermahnt, dass es gewissenhafte Treue im Berufe, Dienstfertigkeit, Nachsicht gegen Schwache, Hilfe für Arme und Leidende auf das Eindringlichste einschärft, das wird doch wohl Niemand leugnen können? -

Wir wollen aber auch für die Menschen Freiheit, gleiches Recht und ungehinderte Bewegung für alle, so hören wir eine dritte Antwort, verbunden mit dem Vorwurf: das Christentum sei immer ein Werkzeug gewesen zur Verknechtung des Menschen. Wäre solches der Fall, so wäre dies wieder nur ein Missbrauch, denn im Christentum selbst liegt zu einer Beschuldigung, als sei es der Freiheit nachteilig, in keiner Weise ein Grund vor. Verstehst du unter Freiheit die völlige Ungebundenheit jedes Einzelnen, dann freilich widersteht dir das Evangelium, denn es fordert Ordnung, und Unterordnung des Einzelnen unter das für das Gemeinwohl Erforderliche, unter Gesetz und Obrigkeit. Allein wo finden sonst alle die künstlichen Unterschiede in der Berechtigung der verschiedenen Menschen vor dem Evangelio Gnade, welches alle Menschen zu Gottes Kindern erhebt, und daher ihr Recht nicht nur, sondern auch ihre gleiche Berechtigung vor dem Gesetz anerkennt, welches über dem Höchsten wie über dem Niedrigsten gleichmäßig steht, und Allen die gleichen Verpflichtungen für diese Zeit auferlegt, und die Hoffnungen für die Ewigkeit lediglich nur von dem Grad der Treue und Liebe abhängig macht? Ach alle eure Träumereien von irdischer Freiheit sind noch Knechtschaft gegen die Freiheit des Evangeliums; hier gilt das Wort: So euch der Sohn frei macht, so seid ihr wahrhaft frei.

Das Alles kann das Evangelium der Welt noch leisten; zur Wahrheit, Sittlichkeit, Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit, ja zur ewigen Seligkeit will und kann es die Menschen erziehen, wenn es nur von ihnen rein aufgenommen und treu angewandt wird. In ihm liegt das Heilmittel gegen alle Übel, und die Anweisung zu allem Heil. Und den Mann, der es uns brachte mit der Dahingabe seines Lebens, den wollten wir nicht freudig anerkennen als einen Herold der göttlichen Weisheit, als das erhabenste Vorbild der Liebe und Heiligkeit, als den größten Freund und Wohltäter unsers Geschlechts, der würdig zu nehmen ist Preis und Ehre, dessen Lob aus unserem Munde nie schweigen kann? O wahrlich, dann wären wir noch undankbarer als die Neun im Evangelio, denn er hat für uns mehr getan, als für jene, er hat nicht bloß uns, er hat der ganzen Welt, und nicht bloß leiblich, sondern auch geistig geholfen. - Aber das wollen wir nicht sein; wir wollen willig anerkennen, dass er allein Worte des ewigen Lebens hat, wollen uns durch dieselben aber auch wirklich zum ewigen Leben leiten lassen, und als seine Freunde beweisen dadurch, dass wir tun was er uns geboten. Dann wird sein Reich unter uns kräftig aufwachsen und sich ausbreiten, und dadurch werden wir ihm den schönsten Ruhmestempel erbauen.

Dazu stärke uns der Geist des Herrn. Ihm dem Vater aller Gnade aber sei Dank in Ewigkeit durch Jesum Christum. Amen.

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