Kohlbrügge, Hermann Friedrich - VI. Predigt über Evangelium Johannis Cap. 3, 17.
Meine Geliebten! Ich will euch mit dem alten Muth predigen von der Liebe Gottes, von der Liebe Gottes, womit er die Welt geliebet. Durch sie soll noch mancher herausgerettet werden aus dem allgemeinen Weltbrand, welcher bevorsteht; durch sie soll noch mancher Schwache befestiget werden, fröhlich das Haupt emporzuheben bei dem Vernehmen von Verwüstung hier, Verwüstung dort, bei dem Vernehmen von allerlei greulichen Dingen, wobei einem die Haut schaudert. Die Zeit ist kurz, und es ist euch kein Tag mehr übrig um zu schnarchen in dem Sichtbaren und Eitlen. Allerwärts liegt der Zunder, gelegt von Gottes strafender Hand, welche die Völker heimsucht, und es wird an allen Ecken und Enden gräßlich ausbrechen, wenn es ausbrechen wird. Darum wachet auf und meinet nicht, ihr hättet das Wort Gottes gepachtet. Wenn jede Seele verschmachten wird vor Furcht der Dinge die geschehen sollen, wird nur derjenige wohl daran sein, der wahrhaftig in seinem Gott geborgen ist. Der rollende Donner der Gerichte Gottes weissagt uns nichts Gutes. Die theilweise Verhärtung und der theilweise Gleichmuth und Gleichgültigkeit bei allem dem, was sich ereignet, deutet auf einen Schlag und Zusammenstoß, welchen ein jeder fühlen wird.
Was ist die Zuflucht, daß man getrost singen kann: Wir fürchten uns nicht, wenn gleich die Welt unterginge und die Berge in's Meer sänken; wenn gleich das Meer wüthete und wallete, und von seinem Ungestüm die Berge einfielen? - Die Zuflucht ist die Stadt Gottes, die bei alle dem wohl sein lustig bleiben wird mit ihren Brünnlein. Denn Gott ist bei ihr darinnen, darum wird sie wohl bleiben, Gott hilft ihr frühe. - Die Zuflucht ist das Herz Gottes, eines gnädigen Gottes und Vaters in den Himmeln. Dahin, dahin, ihr alle, die ihr von ferne steht, die ihr euch noch nicht geborgen fühlt gegen den annähernden Tag des Zornes, welcher allem Hochmuth weder Stumpf noch Stiel lassen wird. Darf noch Zweifel obwalten, ob dort oben für alles mag verdorben ist, für Huren und Zöllner, für verlorne und zerstreute Schafe ein Herz schlägt? Darf das Bedenken noch obwalten, ob Gott wohl gnädig sein kann einem Armen, der gar keine Tugend, gar kein Werk, gar keine Gerechtigkeit hat und gar kein Leben mehr in der Hand findet? Gewiß, wenn keine freie Gnade dort oben ist; gewiß, wenn nicht ewige, ewige Liebe, wenn nicht grundlose und alleinige Barmherzigkeit dort oben thront; gewiß, wenn dort oben nicht eine Gerechtigkeit gilt, welche außer uns liegt: so ist es mit uns eine verlorene Sache. Gewiß, dann gibt es keine Ruhe gegen unsren Tod, keine Erwartung des Lebens wider den Schlangenbiß. Aber Christus hat uns den Born unsrer Seligkeit angewiesen. Er hat uns gesagt, daß er nicht von sich selbst gekommen ist, sondern daß der Vater ihn gesandt hat. Er hat uns gesagt, daß Gott die Welt so geliebet hat“ daß er seinen eingebornen Sohn gegeben hat. Wir haben mit Gott zu thun; ihm müssen wir Rede stehen. Vor Gott aber beben und zittern wir. Sollen die argen Gedanken von ihm bei uns bestehen bleiben? Woher ist unsere Seligkeit, woher unsere Gerechtigkeit, woher Hoffnung ewigen Lebens? Davon daß wir es würdig sind, davon daß wir Verdienst haben? So meinen wir, so lehrt uns der Satan. Dürfen wir es aber wagen und uns in Gottes Schooß werfen ohne Würdigkeit, ohne Verdienst? Wir mochten es; aber das Kind, was es auch von der Liebe des Vaters erfahren hat, hat es einen Fehl begangen, so ist es scheu, bis es völlig von neuem ergriffen wird, überhäuft, überschüttet wird von der Liebe des Vaters. Das kennt der Herr wohl an uns, darum lehrt uns Christus, daß Gott seinen eingebornen Sohn gegeben hat zum gewissen und unbezweifelten Unterpfand seiner väterlichen Liebe; und das ist ihm noch nicht genug, er setzt noch etwas hinzu, damit der elende, der verlorene Sohn mit vollem Lauf sich zum Herzen Gottes aufmache. Dieses was er hinzusetzt, wollen wir in dieser Morgenstunde betrachten.
Text: Evangelium Johannis, Cap. 3, Vers 17.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.
I.
Vernehmen wir erst das Verneinende der Rede unseres Herrn. So spricht er: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte“. Mit dieser Aussage will der Herr alles Bedenken wegnehmen, als seie es nicht wahr, daß Gott die Welt so hätte lieben können, als der Herr es ausgesprochen. War aber etwa Ursache dazu vorhanden, wenn der Herr einmal gesagt hatte: „Also hat Gott die Welt geliebet“, noch dieses hinzu zu setzen, was wir hier vernehmen? Kann es denn einen Menschen geben, der so etwas von Gott denkt? Das sagt uns doch unsre Vernunft, daß kein Vater seinem Kinde einen Stein für Brod, einen Scorpion statt eines Fisches geben wird. Das erzählt doch der eine dem andern, daß Gott überschwänglich gut ist. Da denn Gott seinen Sohn gegeben, da er ihn in die Welt gesandt hat, wer wird denn solche arge Gedanken von ihm hegen, daß er es sollte gethan haben, um die Welt zu richten? Ach du armes schwaches Menschenherz! Wäre es nur nicht wahr, daß wir solche arge Gedanken von Gott hegen! Das ist obendrein Gottes große Langmuth und Geduld, daß er allen unsren argen Gedanken von ihm mit den lieblichsten Zusicherungen zu Hülfe kommt, daß sie doch ein Ende nehmen und wir unser Herz vor ihm gestillt haben mögen. Soll ich es euch beweisen, daß vor und nach aus unsrem Herzen solche arge Gedanken hervorkommen: Gott habe zwar seinen Sohn in die Welt gesandt, das sei aber nur, um uns durch ihn richten zu lassen? Sind wir alle froh bei dem Gedanken an das Endgericht? Er wird kommen, ein Richter der Lebendigen und der Todten. Sind wir alle mit aufgerichtetem Haupte seiner aus dem Himmel gewärtig; alle der guten Zuversicht im heiligen Geiste: Er wird seine und meine Feinde in die ewige Verdammniß werfen, mich aber sammt allen Auserwählten zu ihm in die ewige Freude und Herrlichkeit nehmen? - O, das arme schwache Menschenherz, was denkt es nicht immerdar Arges von Gott!
„Machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe“, heißt es in den Psalmen, - und dennoch möchte unser schwaches Herz lieber die Thore verengen und die Thüren verschließen, daß er nicht hineinzöge, weil wir dafür halten, er komme uns zu richten. O möchten wir es fassen, wie freundlich und gut der Herr ist. Aber da der Herr Gott mit seinem Christo in's Paradies einzog, da meinte Adam auch, er käme ihn zu richten, und versteckte sich hinter die Bäume. Das ist unsere Geschichte. Da die Aeltesten des Volkes Israel an dem Berge Sinai den Gott Israels sahen, meinte alles Volk, sie würden nicht lebendig davonkommen, und es war ihnen auffallend, daß die Aeltesten aßen und tranken, und nicht starben. Als Samuel gen Bethlehem kam, um der Stadt die höchste Ehre zu beweisen, daß er aus ihr den Mann holte, der in Israel König sein sollte, kamen ihm alle Aeltesten der Stadt entgegen und sprachen: „Ist es Friede?“ Sie meinten also, Samuel sei gekommen, ihnen Fluch und Verderben anzukünden ihrer Sünden wegen. Kann es uns denn Wunder nehmen, wenn auch Nicodemus von dem Herrn gedacht in seinem Herzen: „Dieser ist von Gott gesandt um mich zu richten“?
Darum ist es ein theures Wort, das Wort unseres Herrn: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte“. Das sollen wir nicht so gesagt sein lassen, sondern es uns fleißig bemerken, denn es ist ein goldenes Wort aus dem Munde unseres eignen Herrn und Heilandes, aus dem Munde der Wahrheit, um einem Jeglichen Muth zu machen, der da hinschwindet vor des Herrn Wort, der eines geängsteten und zerbrochenen Geistes ist.
Welch' ein Wort des Trostes wird dieses Wort später für den Nicodemus gewesen sein. O, der Herr war so freundlich und so gut, er ging umher im ganzen Lande, allerwärts ertheilte er die lieblichsten Beweise der Barmherzigkeit, er heilete ja alle Kranke die zu ihm gebracht wurden; alles Volk hat es von ihm bekannt: Er hat alles wohlgemacht, er macht daß die Stummen reden, und daß die Blinden sehen. Und wo war eine Verlegenheit, aus der er nicht Abhülfe bereitete, wo war ein reuiges Gemüth, dem er nicht das Gnadenwörtlein zusprach: „Sohn, Tochter, sei guten Muths, deine Sünden sind dir vergeben“. Wie hat denn Nicodemus bei solchen Proben der gewaltigen Liebe, von denen er selbst Zeuge war, indem er ja spricht von den Wundern die der Herr that, - solche arge Gedanken von dem Herrn nur denken können, als sei der Herr gekommen ihn zu richten?
Meine Geliebten! da sollen wir die Hand in unsern eignen Buße stecken. Wir hegen Alle Aftergedanken von Gott. Das ist unsre greuliche Sünde. Wir haben uns besudelt, unrein gemacht, wir haben unsere Kleider verpfändet für unsere Lust. Wir sind nicht gewaschen, wir sind nicht gekleidet. Nun kommt der Herr, er will uns waschen und kleiden; - und wir meinen, er wird uns strafen und richten, weil wir unrein sind, weil wir nackt sind. Wir haben uns die Gesundheit zerrüttet durch muthwillige Übertretung seiner heilsamen Gebote, da tritt der Arzt herein, er kommt, uns gesund zu machen, und wir meinen, er werde unbarmherzig mit uns verfahren. Es steckt in unsern Herzen ein Widerwille gegen die Seligkeit Gottes, denn wir sind so hoffärtig, daß wir nicht gerne vor ihm eingestehen alle unsere Thorheiten, wodurch wir uns selbst verderben; wir sind so eigengerecht, daß wir meinen, wir werden es doch am Ende noch einmal besser machen, und möchten dann Gott unsere Gerechtigkeiten bringen, meinen auch, dergleichen wolle Gott, und sind deßhalb verzagt und fürchten uns, wenn er bei uns eintritt, und so denken wir denn, er wird uns gram sein, weil wir nichts in unsern Schränken, nichts auf unserm Stalle haben, weil nichts Gutes da ist.
O, das ist gut, daß wir solches von uns bekennen und daß wir nicht denken: So bin ich nicht, darüber bin ich hinaus, ich sehe und suche nicht nach Eigengerechtigkeit, nicht nach einem Werk meiner Hände, wenn der Herr bei mir eintritt. Denn stets ist das allererste Wort, wenn der Herr uns besucht mit seiner Liebe, dasselbe was auch zu Maria der Jungfrau kam: „Fürchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden“. So steckt denn in aller Herzen Furcht, Todesfurcht, und eben dieses, daß man es stets von Neuem so gerne hört: „du hast Gnade bei Gott gefunden“, beweist es, daß man Arges von Gott denkt und immerdar meint, man habe nicht Gnade bei Gott gefunden. Den Verlaß auf eigne Frömmigkeit, die Meinung, durch sie sei man gerecht vor Gott, können wir, so lange wir hier leben, nie ganz aufgeben, darum ist auch Mancher lieber draußen als in der Gegenwart eines gerechten Boten Gottes, und hält immerdar an sich, sonst meint er, wird er mich richten und strafen, und dann stehe ich nackt da und ärmlich und habe nichts.
Da soll man es aber zu Herzen nehmen, daß Gott seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, um die Welt zu richten, und daß die Predigt der freien Gnade, der Gerechtigkeit aus Glauben Christi allein, nicht in die Welt hineingeht um die Welt zu verdammen.
Freilich findet diese Predigt keine zarte Aufnahme von Seiten der Welt, sie muß an's Kreuz, und an's Kreuz derjenige welcher sie predigt, ja selbst der Allerheiligste, um so zu sagen, sträubt sich gegen diese Predigt; dennoch ist sie nicht da, um einen Menschen zu verdammen, sondern ihn zu beglücken und ihm die wahrhaftige Heiligung zu ertheilen, in welcher allein er den Herrn sehen kann.
Oder urtheilet doch selbst: wenn der Herr zu Nicodemus sagt: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren ist, kann er das Reich Gottes nicht mal besehen“; wenn er ihm sagt: „Ihr nehmet unser Zeugniß nicht an“, - thut er denn solches um Nicodemus zu verdammen; ist der Herr nicht vielmehr da und spricht es deßhalb zu ihm, daß er auf ewig ihn glücklich habe. Wenn wir durch die Predigt von der Gerechtigkeit Christi über den Haufen geworfen werden, über den Haufen geworfen werden durch die Predigt, daß wir uns zu der Welt sollen schlagen lassen, auf daß wir Theil haben an dieser gewaltigen Liebe Gottes, womit er die Welt geliebt; wenn es tausendmal zu uns heißt: „Es steht nicht gut um dich“, - geschieht denn solches, um uns zu verdammen, oder geschieht es nicht zu unserm Besten, auf daß wir aufhören zu stehen auf unsern Füßen, damit wir zu liegen kommen in die Arme ewiger Erbarmung und an die Mutterbrust des vollseligen Gottes sinken? Werden wir dadurch beeinträchtigt, wenn wir auf's tiefste in Wahrheit erniedriget werden, und Gott allein auf's höchste erhöht wird; geschieht es nicht dazu, damit wir in solcher Erhöhung vor aller Gefahr sicher gegründet sein mögen auf dem Felsen ewigen Heils? Nein, Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte. Und wenn es auch den Anschein hat, als verdamme die Predigt Christi alles Fleisches Werk, Frömmigkeit, eigne Gerechtigkeit und Anmaßung vor Gott, so thut es die Predigt doch eigentlich nicht; sondern das eigne Herz, weil es solches verkehrte Wesen vor Gott liebt und sich damit vor Gott behaupten will, muß sich selbst richten und verdammen vor solcher Predigt, weil es wohl fühlt, hier helfen mir meine Krücken und Stützen nicht, nicht die Kissen den Leuten unter die Arme gemacht, nicht die Pfühle zu den Häupten.
Wenn auch Sonne und Mond einen manchmal stechen, so hat Gott den Mond doch nicht dazu gemacht, nicht hat er die Senne gemacht um die Welt zu verbrennen; nicht hat er die Berge gemacht, einen Menschen damit zu erdrücken, nicht die Wasser des Weltmeers zu Wogen gebildet, um die Erde damit zu verwüsten: alles was in seiner Schöpfung dasteht, ist zu wohlthätigen Zwecken bereitet. So hat er auch seinen lieben Sohn nicht gesandt, um zu verdammen, wenn auch seine Erscheinung und die Predigt von seinem Namen alles Fleisches Thun und Treiben, aller Menschen Werk und Gerechtigkeit verdammt, sondern aus ewiger, ewiger Liebe hat er ihn, seinen Eingebornen gegeben. Darum sollen wir abgelegt haben allen Haß und Widerwillen, auch allen Argwohn gegen die Predigt des Evangeliums von dem Sohne Gottes, und lassen getrost dahin fahren Alles, worauf wir neben Gottes freier Gnade und ewiger Erbarmung unsre Seligkeit so gerne bauen, und diesen Schluß ziehen: Gott sagt durch seinen Christum: alles Meine tauge nicht, er allein sei gut, und durch seine Güte über mich in Christo werde ich allein selig; das sagt er nicht um mich zu verdammen, sondern weil er mich liebt: so fahre denn alles Meine dahin, und ich halte mich allein an solcher Güte und Liebe.
II.
Dazu wollen wir nunmehr den bejahenden Theil der Rede unseres Herrn erwägen, welcher also lautet: „Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, daß die Welt durch ihn selig werde“.
Nun wiederhole ich es, was ich in meiner vorigen Predigt gesagt, daß wir uns zu der Welt sollen schlagen lassen, so wir anders Trost aus diesen Worten des Herrn schöpfen wollen. Denn das ist den Armen und Elenden, das ist allen Angefochtenen, die sich ihres Elendes, ihres Verderbens wegen manchmal ohne Gott und ohne Leben, ohne Trost und ohne Gewißheit ihrer Seligkeit befinden, ein köstlicher Fund, daß sie sehen, daß der Herr sie Welt heißt. Ach, das erwählte Volk hat alles, es strotzt von Heiligkeit und Vorrechten; - aber was hat die arme Welt, die verlorene, die hat ja keinen Gott, die hat nichts, worauf sie hinweisen kann, was weiß sie davon, ob etwas in dem ewigen Friedensrath bei Gott für sie bereitet und aufbewahrt ist, sie hat nichts als Sünde, sie liegt verkohlt da und wie ein Brand in ihrer Hölle. Wird sie aus diesem Feuer errettet werden, wird Gott aus solchem Unding noch was machen können zu seiner Ehre, wird er eine Verbrannte noch lieben können, wird er sie nicht verzehren in der Gluth seines Zorns, hat er sie nicht auf ewig verstoßen von seinem Angesicht? Wem gehört der arme Sünder an, der einhergeht gebückt unter dem schweigenden und sich nicht öffnenden Gewölk des Grimmes Gottes? Wem gehört er an, der nicht mal opfern darf, der nicht in den Tempel der Heiligkeit hineingehen kann, der den Muth nicht fassen darf, zu dem Altar Gottes, zu seinem Throne hinzuzutreten? Wem derjenige, dem alle Tugend, dem alles Leben, dem jede Hoffnung der Seligkeit zerronnen ist aus seinen Händen, - er hat nichts als Untugend, und sieht auch nichts als Untugend? Ach er findet keine Ruhe, sein Name ist Welt, und er kennt für sich keinen andern Namen! Sind wir darüber hinaus? Ein Stäubchen unsrer Verdorbenheit wehe uns nur eben in die Augen, und der Aufrichtige, der Gottes Gesetz mehr achtet als sein eignes Leben, kennt seinen neuen Namen nicht mehr und liegt der allertiefste und ist der allervornehmste Sünder.
Und sei es auch anders mit uns gestellt, was ist es, das wir nicht empfangen haben? Wir waren alle weiland Unweise, Ungehorsame, Irrige, Dienende den Lüsten und mancherlei Wollüsten und wandelten in Bosheit und Neid und hasteten uns unter einander. Wollte Gott, wir wären alle davon geheilt; wollte Gott, bei allem Ruhm, den mancher von der Erkenntnis; Christi hat, es gölte von uns allen: Ihr waret es weiland. O, wie viele von uns wähnen sich über alles hinaus und kennen nicht mal die Anfangsbuchstaben der Selbstverleugnung, wollen große arme Sünder sein, aber wenn man ihnen das Geringste nur aufdeckt, so sind sie in allem gerecht, nur nicht in der Liebe des Nächsten, welche alle Dinge bedeckt. Das macht, weil sie sich nicht zu der Welt wollen schlagen lassen. Aber ob ich auch um und um eine heilige Welt wäre, so werde ich doch unrein hervorkommen, wenn mein Gott mich in den Koth tunkt und in den Staub legt.
Die Welt ist etwas Scheußliches, etwas Erbärmliches, etwas durch und durch Häßliches und Vergiftetes vor Gott. Daß er sie dennoch geliebt hat, ist ein ewiges Wunder seiner freien Erbarmung, worüber alle Engel staunen und wofür alle Beseligten und Vollendeten ihm in alle Ewigkeit Lob, Preis und Anbetung bringen werden. - Die Welt, die fluch- und verdammungswürdige sind wir, und es spreche ein jeglicher von uns mit gebeugtem Herzen mir nach: „Die Welt, die fluch- und verdammungswürdige bin ich“. -
Und nun haben wir Gott Rede zu stehen. Vor ihm müssen wir erscheinen! Wie sieht's für uns aus dort oben im Himmel? Gott ist Richter, ein gerechter Richter, er muß die Sünde strafen; - was? die Sünde? Er muß den Sünder strafen, er muß ihn von sich stoßen in ewige Finsterniß hinein, in die Hölle hinein zu allen Teufeln, die seinem Willen widerstanden haben. Solches erfordert seine Heiligkeit und Gerechtigkeit, auch hat der Teufel Anrecht an die Welt, er muß den Sünder mit sich führen, das Gesetz liegt ja übertreten, geschändet von dem Sünder, und in dem Fleische ist gar keine Gerechtigkeit vor Gott. Außerdem, der Sünder kann Gottes heiligen Anblick nicht ertragen, er kann es nicht aushalten in dem Himmel der Seligkeit, wo seine Gerechtigkeit durchgefallen ist, und er belastet dasteht mit der ganzen Wucht seiner Ungerechtigkeit. - Wie lautet die Stimme von dem Stuhl der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes herab dem Armen, dem Verlornen in das vor Angst klopfende Herz? Wir haben die Stimme in dem Wort, wir haben sie aus dem Munde des Sohnes Gottes selbst: „Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, - daß die Welt durch ihn selig werde“, das ist: „durch ihn errettet sei“. -
Also Errettung ist da, für dich Welt! Für dich Verlornen und ganz in Sünden Gebornen! Wie es doch für einen verlegenen und bekümmerten Sünder vor dem Throne dort oben anders aussieht, als er denkt. O, die Liebe Gottes übersteigt die kühnsten Erwartungen, und wir können uns dennoch ihr so schwerlich ergeben, sie so schwerlich glauben! Man erwartet Verdammung und man hört sich freigesprochen; man erwartet ein für ewig Weggestoßensein und man vernimmt Gnade; den Tod, und siehe es ist ewiges Leben; einen vernichtenden Zornblick, und siehe, es strahlt in Feuer und Gluth der Liebe das Auge Gottes ewigen Frieden und Freude in's Herz hinein. So eben wähnte man sich auf ewig ausgeschlossen und mit einem Mal befindet man sich eingeschlossen in das Bündlein der Lebendigen. Die vorige Angst ist gewichen, und die Last der Sünden ist in die Tiefe geworfen auf ewig, und wer noch so eben in Thränen zerfloß, jauchzt laut auf und rühmt die ewige, ewige Liebe, die unverdiente Gnade; - und der so eben nichts als Sünde sah und einen offenen Schlund, nichts als Finsterniß, sieht nun nichts anderes mehr als ein für ihn auf ewig geöffnetes Vaterherz, nichts als das Lamm, das seine Sünden trug, das überwunden hat, und er badet sich in dem Strom und Glanz der Herrlichkeit des ewigen Lichtes.
Meine Geliebten! Was hat Gott doch für uns verlorne Welt, die wir sind, wunderbare und große Dinge bereitet! Sollen wir nun noch Arges von ihm denken? Wir haben es aus dem Munde der Wahrheit selbst. Gott wollte daß wir errettet wären. Das war sein heiliger, ausdrücklicher, ewiger Wille, so war sein Rath und Wohlgefallen. Er selbst faßte aus ewiger Liebe bei sich den Entschluß, daß wir errettet sein sollten. Errettet, wovon? Von dem zukünftigen Zorn, sagen uns die Apostel, sagt uns auch unser Herr. Errettet von dem, der die Gewalt des Todes hat, das ist dem Teufel. Errettet von der Herrschaft der Sünden. Errettet von allen unsren Verkehrtheiten und Verdrehtheiten, daß sie uns nicht verdammen. Errettet von aller Noth, errettet von allen Feinden unsrer Seelen, errettet aus dem Feuer und Wasser, errettet aus jedem Rachen, welcher uns zu verschlingen droht. Und wozu errettet? Dazu, daß wir ewig, ewig die Güte und Freundlichkeit des Herrn schmecken, daß wir mit allen heiligen Engeln ewig, ewig bei dem vollseligen Gott einwohnen mögen, in seiner Seligkeit uns auf ewig freuen, auf ewig das alles genießen und ererben, was uns Gott in seiner ewigen Liebe bereitet hat, daß wir ewig, ewig selig seien darin, daß wir ihn sehen wie er ist, und gesättiget werden aus seiner Fülle für und für.
Gott hätte zwar seinen Sohn senden können, um uns zu verdammen, das würden wir alle doppelt und dreifach verdient haben; und mit unsrer Bosheit, Unglauben, Undank und Herzenshärte Verdiensten wir es wohl, daß er seine Liebe widerriefe, aber seine Liebe ist ewig, und er hat uns auf ewig errettet haben wollen. Der Herr wiederholt darum das Wörtlein „Welt“, indem er sagt: „Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde“: auf daß keiner meine, wo er sich Sünder und verloren fühlt, er seie ausgeschlossen von solcher Errettung, die Seligkeit seie für ihn nicht da, er habe seine Seligkeit verwirkt durch seine Untugend. Wir haben mit Gott zu thun, er allein kann uns verdammen und selig machen. Das ist die Frage: - „Hat er Gedanken des Friedens über das was verloren ist, oder wird er es richten?“ Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um uns darauf Antwort zu geben. Dieser sagt uns nun, daß Gott die Welt geliebet hat; er sagt uns, wie er sie geliebet hat; er sagt es uns, daß Gottes Rath und ewiges Vornehmen gewesen ist, daß die Welt errettet sein soll, daß es sein Wille gewesen ist, sie selig zu machen durch seinen Eingebornen. Werden wir betrogen auskommen, wenn wir uns an dieses unseres Herrn Wort halten? Was, ob uns die Sünden verdammen, der Vater errettet ja durch seinen Sohn. Ob wir durch allerlei Leiden und Trübsal heimgesucht werden, so daß wir um des Herrn und seines Zeugnisses willen, welches der Teufel gerne ans uns ausrotten möchte, geachtet sind wie die Schlachtschafe, der Vater errettet ja durch den Sohn; was, ob wir durch den Tod überfallen werden, der Vater errettet ja durch den Sohn. Hat Gott seinen Sohn in die Welt gesandt, auf daß die Welt durch ihn errettet sei, so ist die Errettung vollkommen dargestellt, so können wir uns auf die Liebe des Vaters mit allem Zutrauen verlassen. Fehlt uns Gerechtigkeit, Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um die ewige Gerechtigkeit für uns anzubringen; fehlt uns Heiligkeit, Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um die Reinigung und Heiligung der Seinen zu machen durch sich selbst, und hat den heiligen Geist erwerben, welcher sich wohl in seiner Macht und Wirkung erweist bei allen die zu Gott hinaufschreien. Was kann uns nun noch fehlen, da Gott selbst uns Verlorne selig haben will. So Gott für uns ist, wer mag wider uns sein! O, daß es in unser Gemüth eingeschrieben bleibe: Gott will uns nicht richten, wie unser Herr gesagt: „Er selbst, der Vater, hat euch lieb!“ O, daß es in unserm Gemüth lebendig erhalten werde durch den Geist des Herrn Herrn: Gottes Wille ist nicht, daß der Sünder verderbe, Gottes Wille ist unsere Seligkeit durch seinen lieben Sohn.
Christus ist es, der Sohn des lebendigen Gottes, durch welchen die Welt, durch welchen alles, was verloren ward, errettet ist. Darum, was verloren ist, sehe auf Christum und nicht auf eigene große Sünden, Schuld und Missethat. Bedenke du Angefochtener! welch' ein Tag der Gnade und der Erbarmung über dich aufgegangen in deiner Finsterniß, hoffe und harre, vertraue und sei guten Muthes; - du wirst in Gnaden aufgenommen werden. Gott hat die Welt nicht so durch Christum erretten lassen, daß uns noch etwas übrig gelassen wäre unsere Errettung zu erwirken. Gott hat die Welt durch seinen Sohn selig machen lassen: - so hat er denn durch seinen Christum unsren Fluch, unsre Verdammung, unsre Sünde, unsre Verlorenheit weg von uns ab tragen lassen; so sind wir denn, die, wie auch von der Schlange gebissen, auf ihn sehen als auf den von Gott uns gegebenen Sündentilger und Todestödter, selig durch ihn - und werden nicht sterben, in Ewigkeit nicht, werden nicht von Gott verstoßen, sondern von ihm selbst aufgenommen werden mit seinem Sohne in seinen Schooß.
Da Manoach, der Vater Simsons, den Herrn gesehen hatte, sprach er zu seinem Weibe: „Wir müssen des Todes sterben, daß wir Gott gesehen haben.“ Aber sein Weib antwortete ihm: „Wenn der Herr Lust hätte uns zu tödten, so hätte er das Brandopfer und Speisopfer nicht genommen von unsern Händen; er hätte uns auch nicht solches alles erzeige, noch uns solches hören lassen, wie jetzt geschehen ist.“ Es spreche ein jeder von euch, dem es um seiner Seelen Seligkeit geht, wo ihm das zagende Her; sagt, „du kommst noch um“: - Hätte der Herr Lust mich zu tödten, so würde er das ewig gültige Opfer seines lieben Sohnes nicht angenommen haben; so hätte er uns auch dieses alles nicht gezeiget, noch es uns hören lassen, was wir vernommen haben: Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde. Die Welt bin ich, und er wird mir nicht gelogen haben, das mußt du schwaches Herz mir stehen lassen. Amen.