Kohlbrügge, Hermann Friedrich - II. Predigt über das zweite Kapitel des Propheten Jona., Vers 2-7.
Vers 2.
Und Jona betete zu dem Herrn seinem Gott im Leibe des Fisches.
Die Heiligen des Fleisches und des Teufels haben alle schwimmen können, selbst wenn sie von Stein gewesen sind; die wahrhaftigen Heiligen, die da des Geistes und Gottes sind, würden von jeher ertrunken sein, hätte der Herr selbst sie nicht wunderbar erhalten. An Mitteln fehlt’s ihm nie, welche geeignet sind gegen die augenblickliche Not und Gefahr. Die Worte: Der Herr „verschaffte“ oder „er verordnete“ sind wohl zu beachten. Denn sie beweisen, daß der Herr die Hilfe sowohl verordnet hat als die Not, und daß er auf die Minute zur Hand ist mit seinem Heil. Darin beweist er seine Treue, daß noch stets der Tod verschlungen und verschluckt wurde durch das Leben, wenn es mit unserm Leben ein Ende hatte, und es ist der Herr noch nie eine Sekunde zu spät gekommen mit seiner Errettung. Es bleibt stets denkwürdig, daß der Herr so auf der Stelle einen großen Fisch herbei hatte, der Jona auffangen und ihn verschlucken mußte, ohne ihm auch das geringste Leid zuzufügen. Freilich da Jona den Fisch erblickte, mag er wohl gedacht haben: nun ist es auf ewig mit mir vorbei; was aber zu seinem Verderben heranzukommen schien, war seine Errettung, und was ihn verschlang, verschlang ihn zu seinem Heile. Die, welche des Herrn sind, müssen mit Christo drei Tage und drei Nächte in den Ofen des Elends, in den Rachen des Umkommens. Es gibt eine Zeit, wo das köstliche Licht weicht, und da ist es Finsternis, eine Zeit, worin diese Finsternis gräßlich ist, und man seines Lebens sich erwägt; - und es gibt auch eine Zeit, wo es mit einmal wieder helle wird. Das geht manchmal so auf und ab, so vor und nach mit den Kindern Gottes. Aber die Finsternis und die Hölle kann sie nicht halten. Denn sie fangen an aus dem Bauche der Not und der Hölle zu dem Herrn ihrem Gott zu beten. Der Heilige Geist wirkt sich in ihnen aus, daß eine Scheidung komme zwischen Sünde und Errettung, zwischen Not und Heil, und die Seele bricht, wo es nun gar zu arg geworden ist, aus der Hölle heraus zu ihrem Gott und Heiland hin; sie muß, sie kann nicht anders; was Leben hat, will Luft und Licht haben von oben herab und läßt sich nicht ersticken. So betete dann auch Jona. Wir wollen in dieser Morgenstunde sein Gebet betrachten, das er gebetet, da er in dem Bauche des Fisches war, und das er aufgeschrieben, da er errettet ward. Die Worte stehen alle in vergangener Zeit, denn da er das Gebet aufzeichnete, beschrieb er mehr, wie er gerungen mit seinem Gott in dem Bauche des Fisches, als daß er die eigentlichen Worte wiedergab, welche die Angst ihm ausgepreßt. -
Jona hat doch ein sonderbares Gebetskämmerlein gehabt. Wenn es aber darum geht, beten und schreien wir wohl, wo wir uns auch befinden; denn da wissen wir nichts von Stubenwänden, sondern Gott hat uns ummauert unten und oben, vorne und hinten und an allen Seiten - und es wird die Hölle und die Not unsere Betstube. Doch kann der Herr das Weinen seines Kindes wohl hören, wie die Mutter eben ist, - und so hörte denn der Herr auch Jonas Gebet aus dem Bauche des Fisches. Wie nun Jona gebetet, was er gedacht, wie er gerungen, was er vom Herrn erfahren, das hat uns der Heilige Geist durch ihn aufzeichnen lassen zum Trost der Gemeinde. Es lautet aber folgendermaßen:
Vers 3.
Und sprach: „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir; ich schrie aus dem Bauch der Hölle, und du hörtest meine Stimme.“
Wir haben ein Gebet vor uns wie die Gebete Davids fast alle sind. Ein Geist leitet alle heiligen Gottes. Sie verstehen nicht zu beten, aber der Geist betet ihnen vor. „Angst haben wir gehabt, wir haben geschrieen zu dem Herrn, wir haben auch Antwort bekommen“ - das wissen alle Heiligen Gottes zu erzählen, erzählen es einander gerne. Wer am schreien ist, teilt es mit, daß er in Angst ist, und wer Antwort hat, teilt es mit, daß er geschrieen hat. So wird dann den Anderen Mut gemacht, daß sie es vernehmen: auch andere Kinder Gottes waren in Angst, und es auch vernehmen, daß sie geschrieen und Antwort bekommen haben. Da fangen sie denn auch an zu schreien aus ihrer Angst. Es muß für Jona schrecklich gewesen sein, als er nun wirklich es erlebte, daß die Leute ihn über Bord warfen. Denn wir geben uns wohl gerne dran, aber wenn es dann wirklich dazu kommt, so ist der Schrecken da wie ein gewappneter Mann. Selbst der Herzog unserer Seligkeit ging ganz freiwillig seinem Leiden an unserer Statt entgegen, aber wir wissen, was in Gethsemane vorfiel. Wir mögen so gerne singen: „Tu was du willst mit mir, werd‘ ich nur zugerichtet“: - aber das „wie“ dieses Zugerichtetwerdens, der Weg darin wir Gottes Heiligung teilhaftig werden, ist ein Weg des Umkommens. - So wie Jona in das Meer geworfen werden sollte, mußte ihn Angst überfallen; aber der Glaube: Alles Übel, so er mit in diesem Jammertal zuschickt, kann er als ein allmächtiger Gott und will es als ein getreuer Vater mir zu gut wenden, - wirkt bei ihm ein Schreien zu dem Herrn. Denn die des Herrn sind, können nie in eine Not, welche sie auch sei, hineingeraten, ohne daß sie anfangen zu schreien und zu rufen zu dem Herrn; das tut der Geist in ihnen, geschehe es auch unter der Last der Bürde mit diesem Stöhnen, welches man nicht unter Worte zu bringen weiß; denn ein heftiges Schreien zu Gott besteht gewöhnlich aus ein paar Worten: Ach Gott, ach mein Gott, und dergleichen.
In der Angst, in der äußersten Beklemmung befand sich Jona, aus dieser Angst schrie er zu dem, der alles vermag und dem nichts unmöglich, auch nichts zu wunderbar ist, und er erhielt Antwort. Gott hört die Sünder nicht, die fromm sein wollen auf eigne Faust, und die Tränen der Esaus, die den Segen nicht wollen, sondern das äußerliche Glück, das mit dem Segen verbunden ist, hat er noch nie gezählt. Aber Jona fühlte sich rettungslos verloren, und das seiner Sünden wegen, dennoch wandte er sich zu der Gnade Christi, er schrie zum Heil von dem Herrn trotz der Verdammung; das hat Gott gefallen, darum antwortete er ihm. Hinterher hat aber Jona es erst gesehen, daß Gott ihm mit der Tat geantwortet hat, indem Gott den Fisch verschaffte, der ihn verschluckte; in dem Augenblick aber als der Fisch den Rachen auftat, mag Jona wohl gedacht haben: statt daß ich Antwort bekomme, ist nun die Not noch größer, und ist es gar aus mit mir. Denn so geht es immerdar: wenn uns angst ist, fangen wir an zu schreien; der Herr verschafft die Mittel der Errettung, aber die haben von vornherein ein Ansehen, daß nunmehr unser Verderben völlig beschlossen scheint, und wir zu klagen haben: ich sink noch immer tiefer d’rein. Der Weg der Errettung ist in unsern Augen eine Höllenfahrt, - und wir wähnen uns, befinden uns auch mitten in der Hölle, wenn Gott da ist uns zu erhalten; darum bezeugt Jona: „Ich schrie aus dem Bauch der Hölle, und du hörtest meine Stimme.“ Der Bauch des Fisches war für ihn der Bauch der Hölle. Denn er hatte geschrieen zu dem Herrn, da er von den lebenden Wellen aufgenommen wurde, und war das nun Erhörung, daß er durch einen Fisch verschluckt wurde? Ach er sank in noch tiefere Not hinein; aber aus der Mitte dieser Hölle schrie er um Heil, er klagte es seinem Gott, daß Gott so wenig sein Gebet erhört; daß er nun auf ewig verschlungen war durch das Verderben; - und nun erzählt er uns weiter, daß der Herr sich seiner angenommen und ein Ohr für seine Stimme, sein Klagen, Schreien und Stöhnen gehabt hat. - Darum sollen wir nicht zweifelmütig werden, wenn wir zu dem Herrn schreien, und die Not nun noch einmal so groß wird als die vorige, hintennach werden wir erfahren, daß eben in der verzweifelten Lage der Herr uns nahe ist mit seiner Antwort. Auch sollten wir uns nicht vom Gebet abhalten lassen durch den Gedanken: weil ich mich in dieser Hölle befinde, darf ich nicht zu ihm schreien, denn ich habe es mit meinen Sünden wohl verdient, daß ich in solchem Abgrund stecke; denn der Heilige Geist stellt hier für alle, die nach Barmherzigkeit Verlangen tragen, an Jona ein Beispiel auf, daß, wie tief auch die Hölle sei, der Herr Gott im Himmel dennoch das Schreien um Heil, um Errettung, um Seligkeit wohl hören kann und auch hören will, darum sagt Jona: „du hörtest meine Stimme“. - Diese Erhörung war ihm wohl überraschend, er hat’s aber aufgeschrieben zum Trost aller Aufrichtigen, die sich aus der Hölle nicht retten können, - und er predigt solchen: haltet nur an mit Schreien um Heil und Seligkeit, der Herr wird euch auch überraschen, obschon euch alles zuruft, der Herr habe euch in die Hölle geworfen eurer Sünden wegen, er habe euch von seinem Angesichte verstoßen und euch fahren lassen. - Solche schreckliche Anfechtung hat Jona auch durchgemacht; höret doch nur, wie er darüber seinem Gott klagt.
Vers 4. 5.
“Du warfst mich in die Tiefe mitten im Meer, daß die Fluten mich umgaben; alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, daß ich gedachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen. (ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.)“
So geht’s her in der Seele, wenn sie in dieser Not steckt, daß sie meint, es käme die ganze Not von Gott, nicht um ihr zu helfen und sie daraus zu erretten, sondern sie darin liegen zu lassen. Es ist ihr fast unglaublich, daß Gott noch ein Herz für sie habe in solcher Not, da sie nichts als Zorn und Ungnade sieht von Seiten Gottes. So spricht denn auch Jona: „du warfst mich in diese Tiefe mitten im Meer“, denn ob es zwar die Schiffsleute getan hatten, so würden sie es ja doch nicht haben tun können, hätte Gott es sie nicht tun lassen; und war auch die Sünde, daß er sich unter das Wort der Gnade nicht hatte beugen wollen, die nächste Ursache seiner Todesnot, so hätte doch Gott es wohl anders fügen können und ihm die Sünde mit einmal vergeben. Weil er nun aber in solche Not gekommen, so hatte Gott solches getan; und weil er das Ende der Wege Gottes nicht sah, darum sprach er: „du warfst mich, du ließest mich fahren und aus deiner Hand gleiten, du schicktest mich von dir fort in den Wasserwirbel hinein, wo man wohl grade aufzustehen kommt, aber nicht um stehen zu bleiben, sondern um desto tiefer zu sinken, wo man wohl mit fortgerissen wird, aber nicht nach dem Trocknen zu, sondern ganz hinein in das volle und tiefe Meer, ja „mitten in Meer“, daß nicht Hilfe war weder zur Rechten, noch zur Linken. „Die Fluten umgaben mich“ - es war alles Verlorenheit, ich lag da ganz rettungslos. Ich schrie, ich schrie, aber statt mir zu helfen, ließest du die eine Woge und Welle nach der anderen über mich hergehen; und dachte ich: diese Welle da ist über mich hergegangen, nunmehr werde ich eben bleiben, so ließest du bald eine noch stärkere Welle auf mich heranrollen und über mein Haupt fahren, also daß es geschehen war um mein Leben. Ich gedachte: Es gibt keine Seligkeit mehr für dich, Gott will nicht mehr dich sehen, dich nicht mehr zu sich lassen, nicht mehr hören. Ach, er will nicht mehr leuchten mit seinem Angesicht über mich: „Ich bin ganz von ihm verstoßen“. - So weit hast du es mit deinen Sünden gebracht, daß Gott sich nun nicht mehr um dich kümmern will; er hat dieses Übel selbst über dich kommen lassen, um sich zu rächen über alle deine Bosheit, nun mußt du sterben, Gott wird hier kein Wunder tun dich zu erretten. - Er hat auch den letzten Schimmer der Hoffnung verschwinden lassen: „da muß ich nun ringen mit dem Tode und dem Verderben, ohne je Gott wiederzusehen mit der Hilfe seines Angesichts, wie's mir doch vormals oft widerfahren; es ist ja alles jetzt aus und vorbei“.
Das sind so unsere Gedanken mitten im Meer der Leidenschaften, der Sünde, der tiefen Not des Leibes und der Seele, in schweren Prüfungszeiten, wenn Gott auch das letzte Rind von dem Stall nimmt und gar noch den Stall dazu, und wir auch nicht mehr antworten können auf die Frage: was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben. Sünden sehen wir genug, gräßliche Sünden, Not sehen wir und Tod von allen Seiten, Verderben und Untergang von allen Ecken und Enden, - was wir gestern wußten: ich habe einen gnädigen Gott und treuen Vater in den Himmeln, ist heute dahin. Es donnert oben schrecklich, Feuerflammen wollen uns verzehren, der Abgrund sich auftun, uns zu verschlingen, Posaunen hören wir, die zum Gericht erschallen; - oder aber es schweigt alles oben und wir sehen und hören nichts anderes, als daß die Not sich häuft, Gott schlägt uns mit seinen zehn Plagen, wie vormals die Ägypter, und auch das Geliebteste, was uns wie die Erstgeburt ist, entsinkt uns in solchen Wogen und Wellen; - in solchem Zustande nun, wo man nicht anders denken kann als: Ich bin von deinen Augen, ich bin ganz von dir verstoßen, - wie hält's da ein Mensch, ein Kind Gottes aus?
Vernehmt es, was der Heilige Geist dem Jona auszusprechen gab, wodurch er in solcher schweren Anfechtung und Not der Seele den Sieg davon getragen hat über sein Fleisch, über Not, Tod und Hölle, und wodurch er mitten in den Wogen, mitten im Bauch des Fisches sich auf einmal wieder bei dem Herrn befand: „Jedoch (denn so muß es nach dem Hebräischen heißen) jedoch werde ich den Tempel deiner Heiligkeit wieder sehen“.
Dieses „Jedoch“ jedoch werde ich den Tempel deiner Heiligkeit wiedersehen, war von jeher eine wahre Herzensstärkung für jedes angefochtene Gemüt. Es sei über alle Hoffnung hinaus, - Erfahrung aber bringt Hoffnung; und wenn der Glaube ohnmächtig da liegt, richtet die Hoffnung ihn wieder auf. Es fehlt einem Kinde Gottes in der schrecklichen Not, wenn auch alle Erwartung abgeschnitten ist, dennoch nie an heiligem Geiste, von welchem der Apostel bezeugt, daß er unseren Schwachheiten aufhilft. Ein Toter kann nicht klagen; wo aber die Liebe Gottes in dem Herzen ist, da ist der Klage viel, wenn man in Not steckt, und erhebt sich ein Zank der Liebe in Gedanken eher in lautem Schreien, weil man Gottes Wege nicht begreift. Und wo dann die Übermacht des Unglaubens Gott die Ehre seines Werks rauben will, und die Gedanken der Hoffnungslosigkeit, rege gemacht durch die Hölle, nur auf Zorn und Verwerfung hinweisen, da hört man, wo nur immer Leben ist, inmitten der Verlorenheit und der tiefsten Klagen das Siegeslied: Jedoch werde ich den Tempel deiner Heiligkeit wiedersehen. So war es auch bei Jona. Obwohl er in der schrecklichsten Lage sich befand, wurde er mit einmal inne, daß er nicht darin umkam, daß er erhalten wurde. Darum sprach er es aus, obschon er nichts sah: „jedoch werde ich wiedersehen den Tempel deiner Heiligkeit“. Die Not ist wohl arg, aber dennoch werde das ob drauf setzen, daß ich den Tempel deiner Heiligkeit schauen werde. Unter dem Tempel verstand er nun nicht das Zedernhaus zu Jerusalem an und für sich, sondern was der Gläubige darin sah mit Augen des Geistes, denn er sagt: „den Tempel deiner Heiligkeit“. Er meinte demnach das wundervolle Gebäude des Heils, welches Gott gebaut hat für sein Volk. Jona will sagen: ich will dennoch nicht ablassen zu harren auf dein Heil, welches du aus der Fülle deines Christi mir verheißen hast. So sprach auch Hiob: Sollte er mich auch töten, so will ich dennoch auf ihn hoffen. Das Wort „Heiligkeit“, Gottes Heiligkeit, hat für alle, die sich selbst noch heiligen, wie sie das Wort auch rühmen, etwas Schreckliches, etwas Unausstehliches. Aber in der Not lernt einer die Lieblichkeit und Süßigkeit dieses Wortes; denn wenn ich ganz unrein bin, freue ich mich, daß der Herr der Heiligkeit genug hat mich darin zu reinigen. Erst in der Not lernt man es einsehen, daß Gott sich für seine Heiligkeit ein Haus gegründet und gebaut hat. Dieses Haus ist der ganze Rat Gottes in Christus Jesus zur Seligkeit dessen was verloren ist. Nach diesem Rat thront die Heiligkeit Gottes auf dem Gnadenstuhl, und teilt er seine Heiligkeit dem Verlorenen mit in dem Blute der Versöhnung, durch den Geist der Gnade in dem Worte von Sündenvergebung. Und wer erst nur einmal etwas von dieser Heiligung gegen seine Unreinigkeit als ein wahrhaftig Verlorener geschmeckt hat, dessen Augen können nicht zurücksehen, sondern in der tiefsten Not lassen sie doch nicht ab, wie auch angefochten, zu hoffen über Hoffnung hinaus, ja zu glauben trotz des Widerspiels: „jedoch werde ich den Tempel seiner Heiligkeit wiedersehen“ und zu schreien: „Laß mich leben, auf daß ich dich lobe, und deine Rechte mir helfen“, - wie wir solches auch in dem 119. und in dem 42. Psalm ausgesprochen finden.
Dieses: Jedoch werde ich den Tempel deiner Heiligkeit wiedersehen, lautet fast eben so, wie der Apostel Paulus für die ganze Gemeinde angesichts der tiefsten Tiefe des Verderbens und der Verlorenheit sich ausspricht in dem 8. Kapitel seines Briefes an die Römer, wo er die Gewißheit bezeugt, daß nichts uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, welche in Christo Jesu ist. -
So gibt uns der liebe Prophet Jona in wenigen Worten das ganze Geheimnis des Glaubens zu verstehen. An ihm ist es auch offenbar geworden, daß das Evangelium von Jesus Christus eine Macht Gottes zur Seligkeit ist. Freilich ist es uns in der Not eigen, auch so zu gedenken, wie Luther es in seiner Übersetzung hat: „ich gedachte, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen“: - „ich gedachte, für mich sei keine Errettung, keine Heiligung, kein Heil, Ehre und Durchkommen mehr da; für mich sei es ein Garaus mit der Seligkeit. Ich kann nicht mehr erneuert werden zur Buße, ich habe den Sohn Gottes für Spott gehalten, ich habe zu sehr mutwillig gesündigt und den Geist der Gnade verschmäht, es geht mir wie Esau, ich kann mit allen meinen Tränen den Segen nicht wieder bekommen, ich habe es zu arg gemacht mit meinen Sünden, und Gott kann meiner nicht mehr gedenken; er hat mich gar verstoßen müssen, darum läßt er auch alle seine Wogen und Wellen über mich hergehen; - ach warum habe ich doch einmal in seinen heiligen Tempel hineinschauen dürfen, besser wäre es, ich wäre nie geboren, als daß ich in eine solche Lage gekommen bin; wenn von zweien, beide auf einem Bett liegen oder in derselben Not liegen, einer angenommen wird, so werde ich verworfen. Alle diese Dinge sind wider mich.“
Hingegen haben wir auch an Jona einen Beweis, daß alle Sprache der Hoffnungslosigkeit bei den Kindern Gottes den Geist der Gnade reizt und stachelt, um eben in der verzweifelten Lage Glaube, Hoffnung und Liebe rege zu machen; daß Liebe der Hoffnung, Hoffnung dem Glauben die Handreichung tut, und Liebe, Glaube und Hoffnung sich aufmachen in der Seele, so daß der Bedrückte die Wellen und Wogen nicht ansieht, nicht an der Verheißung Gottes zweifelt, sondern stark wird im Glauben, Gott die Ehre gibt und es aufs allergewisseste weiß: was Gott verheißt, das kann er auch tun. Und ergriffen von dem lieblichen Evangelium, von dieser Macht Gottes zur Seligkeit, wie auch eingeschlossen und vermauert, und obwohl kein Licht gesehen wird, bricht der Umkommende in das Siegeslied aus: „jedoch werde ich den Tempel deiner Heiligkeit wiedersehen.“ Denn wo einmal von der Hand Gottes die Verheißung in die Seele gepflanzt und geglaubt wurde: Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar (Psalm 23, 6), - da wird es auch wohl unerwartet heißen, wenn die Flut heran kommt, und alle Wogen Gottes über einen stürzen: Der Herr hat des Tages verheißen seine Güte, und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens. Was betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir: harre auf den Herrn, denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. -
Das ist aber ein trefflicher Geist, der sich durch das Widerspiel nicht niederhalten läßt, sondern trotz aller Wogen, Wellen und Fluten Gottes, die über den Elenden hergehen, das „jedoch“, das „dennoch“ des Glaubens nicht drangibt, wenn auch solche Gedanken ihn bestürmen: er sei von dem Herrn ganz verstoßen, wenn er auch selbst erschrecken möchte vor solchem Mut sich so auszusprechen, er wird es wohl erfahren, daß ein solches „jedoch“ wird stehen bleiben, wie auch Hiob es erfuhr, da er, obschon auf dem Aschenhaufen, es ausrief mitten in seinen Schmerzen: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“
Vers 6 u. 7.
“Wasser umgaben mich bis an mein Leben, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, die Erde hatte mich verriegelt ewiglich; aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott.“
Das Anhalten bei Gott, obschon man denkt, ich bin ganz von ihm verstoßen, muß seine herrliche Frucht, muß die Frucht der Gerechtigkeit von sich geben. Solches teilt Jona uns mit zum Trost aller Notleidenden und Angefochtenen, da er es in diesen Versen wiederholt, in welcher Drangsal er gewesen ist. „Wasser umgaben mich bis an mein Leben.“ Bis an die Seele also, bis an die Lippen: - so hoch kam es. Denn da der Fisch ihn verschluckte, verschluckte er zugleich eine Menge Wassers, so daß Jona in solcher Flut dem Tode nahe war. Wie wir denn auch wohl denken: jetzt hat es ein Ende, nunmehr kommst du um, es ist aus mit Gottes Gnade, aus mit seiner Hilfe. „Die Tiefe des Abgrunds umringte mich“, so daß es hieß, wie es zu dem Angefochtenen manchmal heißt: du bist in unserer Gewalt, meinst du noch, daß du Gottes bist, du kommst hier nie wieder heraus, wir halten dich fest, du bleibst in unserer Macht deiner Sünden wegen. „Schilf bedeckte mein Haupt“ oder „war meine Hauptbinde“, so klagt er weiter; denn das Schilf, welches der Fisch einschluckte, setzte sich um sein Haupt. Das war auch ein anderer Kopfschmuck als wenn die Gemeinde singt: du bedecktest mein Haupt mit einer Krone von feinem Golde. Ach, alle die dort oben werden Kronen tragen, sollen es verstehen, daß hienieden unter ihrem mit Dornen gekrönten Haupte Christo manchmal Schilf als eine Binde um ihr Haupt sich schlingt, so daß der Teufel wohl volles Recht zu haben scheint, sie zu beschimpfen ob solcher Krone! „Ich sank hinunter zu der Berge Gründen“, nämlich mit und in dem Fisch, so daß er tiefer versunken lag als das Äußerste und Unterste ist aller Festigkeit, worauf man fußen kann. Wie denn auch der Angefochtene manchmal sich so tief versunken fühlen kann in seiner Not, daß es ihm unmöglich scheint je wieder die Höhe Gottes, die Höhe seines Heils erreichen zu können; weshalb auch der Prophet noch folgen läßt: „die Erde hatte mich verriegelt in Ewigkeit“, d. i. ich war in dem Fisch auf dem Boden des Meeres wie in einem Gefängnis eingeschlossen, dessen Riegel man zugestoßen hat, so daß der Gefangene nichts anderes ahnen kann, als daß er für immer darin wird bleiben müssen. Ach, daß ist ein schrecklicher Zustand, wenn wir uns so von der Wucht der Not erdrückt fühlen, daß wir uns wie lebendig in einem Grab befinden, wenn alle Zweifel uns so überwältigen, daß jede Öffnung zu Gott und seinem Herzen hin uns wie verriegelt ist und alles uns zuraunt: nie, nie kommst du in den Himmel, nie wirst du Errettung erleben, auf immer bleibst du verloren und verstoßen; andere mögen hinausgelassen sein, aber du bleibst für immer des Unheils Beute. Ja, es haben die Heiligen Gottes grausame Erfahrungen gemacht, wie weit es mit der Verzweiflung gehen kann, und wie schrecklich es ist, mit dem Tode und mit der Not kämpfen zu müssen, wenn man gar kein Licht, keinen Trost von oben hat.
Nun kommt indessen ein „aber“, das ist doch ein anderes „aber“ als das „aber“ des Teufels, der Not und des zaghaften Herzens: „aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt (heraufgebracht), Herr, mein Gott.“
So gibt denn Gott den Elenden auch ein „aber“; welches ein Siegeslied ist. Das Verderben ist freilich da, eine Grube, welche verzehrt, wie wir es lesen Hiob 33, Vers 15-22. Alles wird verzehrt in der Not, daß kein Fleisch mehr auf dem Gebein bleibt, und das Gebein behält kein Mark mehr. Wo indessen bei uns ein „aber“ nach dem andern aufkommt: aber die Not, aber die Sünde, aber der Tod, aber die Hölle, aber der Zorn und die Verdammung: - da erhält aber der Geist der Freimütigkeit am Ende dennoch die Oberhand, die Stimme der Elenden kommt hinauf zu den Ohren Gottes und das Kreuz Christi, welches nicht mehr gesehen wurde, beginnt mitten in unserem Verderben wieder zu strahlen in neuem Glanz der Liebe Gottes. Der Donner schweigt, der Unglaube vermag nichts mehr, und ehe man es vermutet, sieht man ihn wieder, der unsere Seele von neuem geborgen, wir sind aus der Grube heraus, wir sehen den Heiland Gottes und rufen mit Thomas aus, die Augen gerichtet auf seine Wunden, auf sein Leben: „O Herr, mein, und o Gott mein“, - wie auch Jona hier ausruft: Herr, mein Gott.
„Herr“, - denn er hat uns erkauft und ist doch mächtiger als der große Fisch, als der tiefe Abgrund, als die gewaltige Flut, als das Gefängnis, welches seine Riegel über uns zugestoßen hat. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“.
„Mein Gott“, ja, das „meinen“, das „mein“ sagen, das „mein Gott“ sagen, es kommt doch endlich. Gott hat geantwortet, die Stimme des Klagens gehört, man erblickt seine Treue, die Unveränderlichkeit seiner Liebe, die Wahrheit seines Wortes, aller seiner Verheißungen. Man fühlte sich ausgestoßen von seinen Augen, verworfen von seinem Tempel, dem Tempel seiner Heiligkeit; man lag in der Tiefe, - aber in der Hölle besucht er den Verlorenen, - und so ist man denn nicht beschämt worden über seinem „jedoch“, und der Verlorene in seinem Versinken ergreift ihn mit beiden Armen, und was sollte er anders sagen können als „mein Gott!“: - kann ein solcher Gott, der uns in unserer Verlorenheit besucht, doch nur der Verlorenen und Elenden Gott sein.
Meine Geliebten! Ist es uns nicht zum Trost aufgeschrieben worden: „Aber du mich aus dem Verderben heraufgebracht, Herr, mein Gott“? Sollen wir deshalb nicht allerlei Mut in dem Herrn ergreifen, besonders in dieser Zeit der Bedrängnis? Was dem Jona widerfuhr, widerfuhr auch dem David, widerfuhr allen Heiligen Gottes, besonders aber unserm teuren Heiland und Herrn Jesus Christus. In allen Psalmen hören wir ihn klagen, wie alle Wellen und Wogen Gottes über ihn hergingen. Aber das hat er auch bezeugt: du wirst meine Seele in der Hölle nicht verlassen, du wirst nicht zulassen, daß dein Heiliger die Verwesung sehe. Christ ist erstanden, erlöst von Todesbanden. Unsere Sünden hat er getragen und alle unsere Not. Darum muß es uns gelingen, daß wir Antwort bekommen, wenn wir zu ihm rufen, - daß unsere Stimme gehört wird, wenn wir zu ihm schreien aus dem Bauch der Hölle. Darum werden wir nicht beschämt werden wenn wir das „jedoch werde ich den Tempel deiner Herrlichkeit wiedersehen“ vernehmen lassen, auch dann wenn wir denken, ich bin ausgestoßen vor seinen Augen. Habe sich auch die Erde ewig verriegelt über Gottes Kindern, - Er trägt die Schlüssel der Hölle und des Todes. Dieser unser starker Simson läßt sich nicht halten, und sein Volk läßt er auch nicht halten durch Schloß und Riegel. Er hat uns sein Wort gegeben, das ist gewisser und wesentlicher als alle Macht des Verderbens und des Umkommens. Darum halten wir uns an ihn, so werden wir wohl Durchkommen mit ihm finden, und es wird endlich wahrhaftig dieses unser letztes Wort sein: „Du hast mich erlöst, o Herr, du treuer Gott“. Amen.