Kohlbrügge, Hermann Friedrich - IV. Predigt über Evangelium Johannis, Cap. 3, Vers 14 und 15.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - IV. Predigt über Evangelium Johannis, Cap. 3, Vers 14 und 15.

Ich legte es euch vorigen Sonntag dar, daß niemand von uns directe Correspondenz mit dem Himmel je gehabt hat, hat oder haben wird. Es ist dies eine Wahrheit, welche wir alle wohl zu Herzen zu nehmen haben. Gott wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann, ihn hat kein Mensch gesehen, und niemand kann ihn sehen. Diese Wahrheit fühlt ein armer Sünder in all ihrer zerschmetternden Kraft, so lange er noch keinen Frieden bei Gott gefunden hat. Wenn ein Mensch es inne wird, daß er von Gott, seinem Leben, gänzlich abgekommen ist, wenn er Gottes Zorn in seinem Busen trägt, befindet er sich in einem solchen Abgrunde, daß es für ihn eine rein abgeschnittene Sache ist, je wieder zu Gott kommen. Dieses wird nicht allein empfunden vor der Bekehrung, auch nach der Bekehrung gibt es schreckliche Stunden, in welchen man seines Abgekommenseins von Gott mit solcher Gewalt inne wird, daß man es kaum wagt, auch nur einen Seufzer zu Gott hinauf zu seufzen; der Gedanke selbst an Glauben ist dahin. So wird jeder es in der Erfahrung wohl bestätigt finden müssen, daß niemand von uns gen Himmel gefahren ist. Das Gesetz welches übertreten wurde, der Cherub mit dem flammenden Schwert, das verklagende Gewissen mit allen seinen Schrecken, die Sünde mit ihrer ganzen Folter, die Gluth des Zornes Gottes in dem Herzen, der Teufel mit seinem Widerstehen, dazu die innerliche Feindschaft wider Gott und der Stolz des Ich's, welcher sich nicht will brechen lassen, - wehren uns jeden Zutritt und schließen die Tiefe über uns zu und gänzlich uns von dem Himmel ab. Wollten wir auch gen Himmel fahren, so wäre eben dieses das Maaß unserer Sünden um so voller gemacht, so wäre es eine schreckliche Vermessenheit, welche der Gott strafen würde, der gesagt hat: Niemand steige hinan, ich will zu euch Herabkommen. Daß nun, da wir uns in einem solchen Zustande der Abgeschiedenheit von Gott befinden, daß wir nicht zu Gott hinansteigen dürfen, des Menschen Sohn vom Himmel herabgekommen ist, daß das Wort Fleisch ward und unter uns Wohnung nahm, ist eine Barmherzigkeit Gottes, welche uns erst die Ewigkeit in ihrem vollen Glanze und Herrlichkeit offenbaren wird. Wahrlich, das ist ein Wunder der Liebe obendrein, daß unser Herr, da er hier für uns in unserem Zustande war, Sünde und Fluch für uns, dennoch nie den Glauben an seinen Vater drangegeben, sondern sich selbst als den Sohn Gottes behauptet hat und Gott als seinen Vater, trotzdem daß Gott alle unsere Sünden auf ihn ließ anlaufen, und er für uns den Zorn Gottes trug. O wie mächtig ist seine Liebe, daß er, obschon umfangen mit allen unseren Schwachheiten um unseretwillen, was ihm auch von oben und aus der Hölle in den Weg trat, die Correspondenz mit dem Himmel hat offengehalten, daß er, obschon Sünde und Fluch für uns, sich durch allen Widerstand hindurch, stets da er hier auf Erden war, in den Strom des ewigen Lichtes des heiligen Gottes hineinwarf, sich hineinwarf in den Schooß des Vaters und ihn überwand wie dermaleinst Juda den Joseph, da er sich als Bürge erklärte für Benjamin.

Ihn haben wir zu hören, er allein kann es uns sagen und hat es uns gesagt in seinem Worte, wie es in dem Himmel, wie es in dem Herzen Gottes für einen Verlornen, der seinen Gott möchte wiederfinden, aussieht; nur durch ihn haben wir freien Zutritt zu Gott, nur in seinem Antlitz sehen wir das Licht, sehen wir Gott, nur in seinen Worten hören wir Gott, - nur durch ihn hindurch haben wir nunmehr Zugang zu der Gnade, zu dem Leben, zu der ewigen Seligkeit.

Wo liegt nun der Grund davon, daß wir nur durch ihn zu Gott hintreten können, ihn zu hören haben und nicht betrogen auskommen werden, wenn wir ihn hören? Wo der Grund, daß er der Weg, die Wahrheit und das Leben für uns ist?

Wohlauf meine Geliebten! Wir wollen es zu dieser Stunde betrachten.

Text: Evangelium Johannis, Cap. 3, V. 14 u. 15.
14. Und wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, 15. Auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Nicodemus muß den Herrn wohl angestaunt haben, es muß ihm sonderlich dabei zu Muthe, ja unheimlich geworden sein, daß er aus dem Munde eines Menschen, der so völlig an Haltung und Geberden den Menschen gleich war, solche Rede vernahm, nach welcher sich dieser des Menschen Sohn, den vom Himmel Herabgekommenen und den Seienden in dem Himmel nannte. Nicht, daß Nicodemus es aus den Propheten nicht hätte wissen können; hieß es doch bei den Propheten: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben und man nennt seinen Namen: Wunderbar, Rath, Gott, Durchbrecher, ewiger Vater, Friedefürst“. Aber so lange Fleisch nicht wissen will, daß es Fleisch ist, ärgert es sich an Gott geoffenbaret im Fleische. Immerdar wird Fleisch, obgleich es mit vielen Stellen der Schrift die wahrhaftige Gottheit und die wahrhaftige Menschheit Jesu wird beweisen können, sich an dem im Fleische gekommenen Jesu ärgern und ihm dem Glauben verweigern, so lange Fleisch nicht aufhört, sich als Geist hervorzuthun. Nur wo Verlorenheit ist und Liebe der Gerechtigkeit, versteht man etwas davon, daß der Sohn aus dem Vater ist, und daß dieser Sohn geboren wurde von einem Weibe und unter das Gesetz gethan worden ist; denn da disputirt man nicht dagegen, sondern labt und erquickt sich an solcher Wahrheit zu seinem ewigen Troste.

Der Herr kehrt sich indeß nicht an Nicodemi Unwissenheit solcher Sachen, die ihm zu wissen Noth thaten, sondern fährt fort die volle Gnade, den ganzen Rath Gottes, den ganzen Weg des Heiles ihm zu offenbaren. Versteht er auch heute nichts davon, möge der Geist über ihn kommen, so wird auch Nicodemus von neuem geboren sein und den Herrn verstanden haben.

Nicodemus sollte es wissen, und wir sollen es auch wissen, denn dazu wurde es aufgeschrieben, wozu der Herr ihm das sagte, daß er allein gen Himmel gefahren sei, daß er vom Himmel herabgekommen, der Sohn des Menschen sei und dennoch der Seiende im Himmel; nämlich: daß solches Wesen des Herrn einem verlornen Sünder zu gute käme, denn er sei gekommen, daß er alles wieder herstelle im Himmel und auf Erden zu sich selbst, und daß er diese Versöhnung darstelle, um den armen Menschen vor seiner Verlorenheit zu schützen und ihn des ewigen Lebens theilhaftig zu machen durch den Glauben an ihn. Des Menschen Tod und seine Versöhnung, sein Umgekommensein und seine Errettung, seine Verlorenheit und ewiges Leben, Sünde und Gnade, Elend und Erlösung hält der Herr dem Nicodemus vor, und zwar so schlagend, so überzeugend, wie nur er allein das vermocht hat. Der Herr sagt: „Wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muß des Menschen Sohn erhöht werden“.

Wir lesen 4 Mosis 21, V. 4-9: „Und das Volk ward verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und Mose: Warum hast du uns aus Aegypten geführt, daß wir sterben in der Wüste? denn es ist kein Brod noch Wasser hier, und unsere Seele ekelt über dieser losen Speise. Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk, die bissen das Volk, daß ein großes Volk in Israel starb. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und wider dich geredet haben, bitte den Herrn, daß er die Schlangen von uns nehme. Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie zum Zeichen auf: Wer gebissen ist, und siehet sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie auf zum Zeichen, und wenn jemanden eine Schlange biß, so sahe er die eherne Schlange an und blieb am Leben“.

Es liegt auf der Hand, was der Herr damit hat sagen wollen: Ihr Menschen seid Sünder und Rebellen, was ihr auch von euch behaupten möget; ihr seid von dem Teufel und von der Sünde gebissen, durch diesen Biß seid ihr durch und durch vergiftet, es steckt in euern Gliedern der Tod; was aber die eherne Schlange, welche Moses erhöhte, für die Kinder Israel war, so daß sie am Leben blieben, obgleich der Tod in ihnen steckte, wenn sie die eherne Schlange ansahen, - das werde ich auch für euch sein gegen den Biß des Teufels, so daß obschon der ewige Tod in euch steckt, ihr dennoch nicht sterben werdet, wenn ihr mich ansehet. Dazu muß ich auch erhöhet werden als eine Schlange wider die alte Schlange, den Teufel, welcher euch gebissen hat, erhöhet werden an ein Kreuz, auf daß alle, die gebissen sind, geht es ihnen um Errettung von dem Tode in ihren Gliedern, mich von weitem sehen mögen und errettet sein.

Die wahrhaftige Wiedergeburt ist nur durch den Glauben. Der Glaube ist der Lebenskeim, der Samen welcher geworfen wird in das Herz des Menschen, und schafft den Menschen ganz um, daß er ganz neu sei; - und daß weder der Schlangenbiß noch der Tod in seinen Gliedern ihm schade, dafür ist der Herr, den der Gebissene ansieht. Wo aber der Glaube kommen soll, da muß erst Ueberzeugung gekommen sein, daß man wahrlich von dem Teufel gebissen ist und daß einem der ewige Tod in den Gliedern steckt. Ist jemand von einer Schlange gebissen, so wüthet und brennt in allen seinen Gliedern eine unausstehliche Hitze, ein Durst, welcher nicht zu stillen ist, und zuletzt ein grausenhafter Tod. Und ist jemand davon überzeugt worden, ist er deß inne, daß er von dem Teufel verführt und von Gott abgefallen ist, so wird ihm die Gluth des Zornes Gottes und des verklagenden Gewissens unausstehlich, er hat einen Durst nach Gott und weiß nicht wie den zu stillen, weil er den Trost Gottes nicht findet; und das Abgekommensein von Gott wüthet in allen seinen Gliedern und, durch und durch vergiftet von der Sünde, hat man nur den ewigen Tod, die Verdammung, die offene Hölle vor sich.

Nicodemus würde auch wohl noch in einen solchen Zustand hineingerathen, wo es ein Ende haben würde mit seinem schönen Pharisäismo. Denn das geht dem Menschen so, daß er lange ohne Gesetz lebt und da dünkt er sich einen Bewahrer des Gesetzes, aber ehe er es sich versieht, kommt das Gebot, und die längst todt gewähnte Sünde lebt wieder auf; aber der Mensch stirbt, er geht m den Tod mit seiner sauer erstrebten Heiligkeit; er hat von dem köstlichen Manna, von dem Himmelsbrod gesagt, unserer Seele ekelt dieser losen Speise, er ist deß satt geworden, und er ergreift wieder alte schon längst verdammte Geschichten mit beiden Händen, er erhebt sich wider Gott, sein Gesetz und Wort, und läßt es den Himmel ansehen, was er treibt, sein Herz ist wieder nach Aegypten gewandt; alsbald ist aber auch die Strafe da, allerlei feurige Schlangen beißen ihn, eine Legion der Teufel bemächtigt sich seiner. Der Tod, der Brand und der Durst beginnen ihn bald zu plagen bei Nacht und am Tage. Woher nun Errettung? Sie ist da, wenn Gott sie gibt, und er hat sie gegeben. Höret. „Wie Moses eine Schlange erhöht hat in der Wüste, also muß des Menschen Sohn erhöht werden.“ Die Errettung ist durch den, der sich des Menschen Sohn nennt, und der Grund daß durch ihn die Errettung ist, liegt darin daß er erhöht ist. Er hat aber erhöht werden müssen, solches erforderte Gottes Gerechtigkeit und unser Elend. Gottes Gerechtigkeit, auf daß ihr genug geschehen sei, - und unser Elend, auf daß es weggenommen sei vor den Augen Gottes, obschon es bei uns unserm Gewahrwerden nach noch da ist; Christus hat erhöht werden müssen, auf daß die Sünde, Schuld und Strafe durch ihn getragen wäre und auf daß uns unser Elend nicht verdürbe, sondern wir gegen unsern Tod, der in unsern Gliedern steckt, ewiges Leben hätten.

Was Gottes Gerechtigkeit angeht, so ist es offenbar, daß sie die Kinder Israel hat müssen strafen für ihre Rebellion, - und wenn er befiehlt, daß Moses eine eherne Schlange machen soll, so muß er solches im Hinblick auf Christum gethan haben, daß derselbe seiner Gerechtigkeit Genugthuung geben würde, sonst wäre in der ehernen Schlange nichts gewesen, weshalb Gott, der erst so schrecklich die Kinder Israel straft, mit einem Mal den Tod von ihnen nimmt, denn obgleich es auf Fürbitte Moses geschah, so hat Moses Gebet in dem Himmel doch nichts gelten können, wäre dort nicht ein anderer Vertreter gewesen vor dem Throne, nämlich Christus, um deswillen Gott Moses Gebet erhörete.

Gottes Gerechtigkeit kann nur genug geschehen durch einen der Gotte gleich und auch den Menschen gleich ist: Gotte gleich, um durch die ewige Gluth des Zornes Gottes hindurch sich zu werfen an Gottes Herz und den Verlornen eine ewig gültige Gerechtigkeit zu erwerben, auch, damit die Errettung aus Gott seie; den Menschen gleich, um an ihrer Statt, obschon er gar nicht von Sünde wußte, Sünde und Fluch zu werden und für sie zu sterben, damit er durch seinen Tod den an ihn Glaubenden ein ewiges Leben darstellete in sich. Darum sollte Nicodemus wissen, wen er vor sich hatte, und sollen auch wir wissen, wer er ist, der uns allein wieder zu Gott hat bringen können.

Der Gerechtigkeit Gottes mußte genug geschehen, denn bei ihm kann kein Schatten von Veränderung sein; - sein Wort, nach welchem er alles unter Sünde beschlossen hat, sein Wort: „Verflucht ist ein jeglicher, der nicht geblieben ist in allen Worten des Gesetzes, sie gethan zu haben“, läßt sich nicht ohne Weiteres aufheben. Es muß jemand da sein, welcher an und für sich heilig und untadelig, ganz vollkommen und ohne Sünde, die Person des Sünders auf sich nimmt, an dessen Stelle Sünde und Fluch wird, wie denn der Mensch ganz Sünde und Fluch ist; der schuldlos und freiwillig des Sünders Sünde, Schuld und Strafe auf sich nimmt und dessen Tod stirbt; und das nicht allein, sondern der auch an dessen Stelle Gotte seine Ehre wiedergibt, in seinem Worte, in allen Worten des Gesetzes bleibt und sie nach Gott und Geist erfüllt, und also Gotte den Glauben, den Fleisch ihm schuldig ist, wiederbringt. Nur durch einen solchen Stellvertreter und im Hinblick auf denselben kann der heilige Gott mit dem sündigen Menschen versöhnt sein, und kann der sündige Mensch mit Gott versöhnt sein, und wird der Mensch davon die Frucht haben, wenn ihm Gott solchen Stellvertreter vor die Augen hinstellen läßt, daß der Verlorne auf den hinblicke.

Solches hat nun Gott gethan, auch ist er versöhnet worden und hat den Menschen mit sich versöhnet in einem Wege, welchen unser Herr „erhöht werden“ nennt. Eine eigene Benennung! Der Herr meinte damit nicht seine Erhöhung durch die Predigt des Evangeliums an und für sich, wie etliche denken, denn obgleich durch die Predigt des Evangeliums Christus erhöht und gerühmt wird, so ist es doch aus andern Aussagen des Herrn offenbar, daß er damit seine Erhöhung am Kreuze gemeint hat. In demselben Sinne sprach unser Herr zu den Juden: „Wenn ihr des Menschen Sohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, daß Ich es sei“, Joh. 8, V. 28, und wiederum Cap. 12, V. 32: „Und ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen“. Der Evangelist selbst legt dieses Wort „erhöhen“ von unseres Herrn Tode am Kreuze aus, indem er hinzufügt: das sagte er zu deuten, welches Todes er sterben würde.

So wissen wir denn, daß die Erhöhung, wovon der Herr spricht, die Erhöhung am Kreuze war. Indem der Zweck dieser Erhöhung folgender Weise durch den Herrn angegeben wird: „auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“, so ist es andererseits auch offenbar, daß der Herr erhöhet werden mußte, um unsere Verlorenheit wirkungslos zu machen und uns ewiges Leben zu geben. Es ist dieses die nothwendige Folge davon, daß Gottes Gerechtigkeit genug geschehen ist. Denn weil die Sünde, Schuld und Strafe durch Christum getragen wurde, so gebietet Gott den Segen und das Leben, den Segen gegen den Fluch, das Leben gegen den Tod.

Gott will aber, daß alle Verlorne seinen Christum sehen und ihn ansehen sollen, auf daß sie von ihrem Verderben errettet seien. Darum hat er seinen Christum hoch hängen lassen und zwar an ein verfluchtes Holz, und an diesem Kreuze hängt sein Christus annoch, nicht in Wahrheit, sondern in sofern er als der Gekreuzigte geprediget wird, und er ein Opfer hat dargebracht durch seine Selbstdarbringung, welches ewiglich gilt. Nun thut freilich unser Ansehen es nicht, daß wir nicht verloren werden und daß wir das ewige Leben haben, vielmehr und einzig und allein thut solches Gottes Gnade und grundlose Barmherzigkeit über uns; denn wir werden mit unserm Glauben Gott nicht versöhnt haben, sondern Christus hat Gott versöhnt, und die Versöhnung geht von Gott aus über uns durch Christum. Gott aber will, daß wir diesen seinen Christum ansehen, der da hoch über uns hängt zwischen Himmel und Erde, und ist ein Mittler Gottes und der Menschen, trägt unseren Fluch und wird behandelt von Gott als seie er der Sünder; wo wir diesen ansehen, so sind wir errettet.

Die Errettung steht bei Gott da aus lauter Erbarmung, und ist das eine doppelte Erbarmung Gottes über uns, daß er erst befiehlt, Christus soll für uns am Kreuze hangen, und sodann befiehlt, wir sollen auf diesen Christum sehen und das Leben haben, das ewige.

Hier lerne nun ein jeglicher was Glauben ist, denn das soll doch wohl bei uns die Hauptfrage sein müssen: wie werde ich nicht verloren, wie habe ich das ewige Leben; nicht das ewige Leben für die Zukunft, sondern ein solches Leben, welches nimmermehr aufhört, hier aber anhebt und ewig, ewig währt in der seligen Ewigkeit, in der Gegenwart des vollseligen Gottes, so daß ich voller Zuversicht dem Tode in's Angesicht sagen darf: ich sterbe nicht und ich fühle gar keinen Schmerz mehr von dem Schlangenbiß. Die von der Schlange gebissenen Kinder Israels mußten die erhöhte eherne Schlange ansehen. Wenn nun der Herr sagt: „Alle, die an ihn glauben“ so meint er damit: Alle, die mich ansehen, wie die Kinder Israels die erhöhte Schlange ansahen. Das schien nun seine Gefahr zu haben, denn wenn jemand von einer Schlange gebissen ist, und er sieht einen glänzenden, ehernen Gegenstand an, so stirbt er von solchem Ansehen auf der Stelle. So scheint es auch seine Gefahr zu haben, Christum den Gekreuzigten anzusehen; denn nicht allein unsere Verdrehtheit, in welcher wir empfangen und geboren sind, nicht allein unser Sündigen, wie wir alle in Adam gesündiget haben, sondern auch unsere tagtäglichen greulichen Sünden und Gebrechen sind derartig, daß ein Angefochtener viel eher meint, Gott werde ihn zermalmen, wenn er es wage, Christum den Gekreuzigten als seinen Heiland anzusehen; solches könne ein gesunder Mensch, ein Heiliger, ein wahrlich Frommer ohne Gefahr seines Lebens wohl thun, aber er sei dazu ein zu großer Sünder. Da halten ihn denn seine Sünden, das Gesetz und der Teufel zurück, daß er den Muth nicht hat, Christum anzusehen in seiner Roth. Da soll aber ein Angefochtener das Evangelium zur Hand nehmen und hören und sehen, was sein Heiland und großer Erbarmer sagt, nämlich: daß er für ihn erhöht ist, auf daß er nicht verloren werde, sondern ewiges Leben habe, und daß der arme Sünder dafür ihn ansehen soll.

Wir sollen nur recht verstehen, was wir zu thun haben, wir, die wir von der höllischen Schlange gebissen sind und fühlen den Tod in unsern Gliedern, dazu eine namenlose Angst und einen unersättlichen Durst nach Gott und Gerechtigkeit: denn der Herr spricht von glauben an ihn, das ist mit andern Worten, lediglich auf ihn sehen. Da ist die Rede nicht von Werken vor oder nach, auch ist die Art des Sehens nicht etwa bedingt, es heißt nicht: mit ganz geöffneten, klaren Augen; nein, die halbgebrochenen, halbverschlossenen, sterbenden Augen sind nicht aufgeschlossen, vielmehr brachte es die Art des Bisses der Schlange mit sich, dazu die Angst und heißer Durst, daß man kaum noch aus den Augen sehen konnte, und die eherne Schlange mehr fast in einem Nebel als in voller Klarheit sah; solches alles that aber gar nichts zur Sache, wer nur auf die Schlange sah, starb nicht, obgleich er durch und durch vergiftet und schon am sterben war des Gifts wegen, das in ihm wüthete. - So kann es denn auch nichts zur Sache thun, ob wir mit klaren und festen Blicken oder mit Augen vom Tode und der Sünde gebrochen, Christum den Gekreuzigten ansehen; wir haben ihn anzusehen, so ist uns geholfen.

Hatten die Kinder Israel eine Schlange anzusehen, so sollen wir wissen, wie und in welchem Sinne wir Christum anzusehen haben, nämlich als eine Schlange wider die höllische Schlange, als eine Schlange wie die Schlange Mosis war, da Mose vor Pharao stand: - seine Schlange verschlang die Schlangen der Zauberer. So verschlingt auch unsere eherne Schlange, Christus, mit seiner Unschuld und Gerechtigkeit alles Gift, was die höllische Schlange uns in die Glieder geworfen hat, dazu unsern Tod, welcher durch dieses Gift entstanden ist. Darum dürfen wir auf Christum sehen als auf den, der in seiner ewigen Liebe alles Gift der Sünde aussaugt und es in sich aufnimmt nach dem Willen des Vaters und an solchem Gifte stirbt, - denn davon ist uns das Leben gekommen.

Wir sind hier alle in einer Wüste, meine Geliebten! in einer Wüste, welche voller Gift und Schlangen ist, und die Schlange, die uns einmal ganz zu Tode gebissen, beißt uns vor und nach, daß wir weder gehen noch stehen können und liegen wieder von neuem darnieder in unserem Tode, sind von neuem gequält von Angst des Gewissens und von schrecklichem Durst, sehen auch nichts als den Tod vor Augen. In dieser Wüste gibt es keine andere Arzenei, kein Rettungsmittel gegen unsern Tod, als daß wir auf die Schlange sehen, welche Gott für uns hat erhöhen lassen. Wir haben aber nicht zu befürchten, daß wir nicht dem Gesetze Gottes gemäß erfunden sein werden, wenn wir diese Schlange ansehen, denn sie ist erhöht nach Gottes vorbestimmtem Rath, Vorhaben, Willen und Befehl, auch ist es sein Befehl, Wille und Gesetz, daß wir diese erhöhte Schlange ansehen; so daß wer sie ansieht, der hat Gottes Willen gethan, und sein Gesetz und Gebot erfüllt und gehalten. Es wundere euch aber nicht, daß unser Herr sich mit einer Schlange hat vergleichen wollen, ja daß nach dem Befehl Gottes der Sohn Gottes als der Menschensohn einer Schlange gleich gemacht worden ist. Denn das ist es, was geschrieben steht: „Ihn, der gar von Sünde nicht wußte, hat Gott Sünde für uns gemacht, auf daß wir würden Gerechtigkeit Gottes in ihm“; und wiederum: „Gott sandte seinen Sohn in Gleichheit von Fleisch von Sünde, und als das Opfer für die Sünde, und in solchem Fleische verdammte er die Sünde“, ließ sie austoben und machte sie zu nichte sammt der Gewalt des Teufels und des Todes.

Darum wer von euch den Tod, die Angst seiner Sünde wegen und den heißen Durst nach Gott in sich fühlt; wer von euch zu leben, ewig zu leben verlangt; wer begehrt heilig zu leben, dem Gesetze gemäß und von der Sünde und ihren Folgen abgekommen zu sein; wer sich durch und durch vergiftet fühlt von dem feurigen Biß des Teufels und wohl weiß, daß er durch seine Widerspenstigkeit wider Gott und wider sein Gesetz selbst solches über sich gebracht, und hat nichts als Tod, Umkommen und Verlorenheit vor sich: - der schaue auf diese Schlange, Christum, die gar eine andere Gewalt hat als die höllische Schlange; der schaue auf Christum, als auf die Sünde für ihn, welche die Sünde gänzlich verschlingt; der schaue auf Christum als auf den Fluch für ihn, welcher seinen Fluch wegnimmt und ihm den Segen bringt; - der schaue auf Christi Tod, welcher seinen Tod tödtet und gibt ihm ein ewiges Leben, so wird er nicht verloren werden, vielmehr bei dem Hinaufschreien.- „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes“, - hinzufügen können: „Ich danksage Gott durch Jesum Christum, meinen Herrn“. Denn was auch Gesetz und Teufel dawider haben mögen, Gott hat es befohlen: „Mache eine eherne Schlange und richte sie zum Zeichen auf“, und Gott hat's verheißen: „Wer gebissen ist und siehet sie an, der soll leben“.

Aber ihr, die ihr euch was dünkt und es wohl beweiset, daß euch der Schlangenbiß weder Angst noch Durst nach Gerechtigkeit verursachet, nehmet zu Herzen des Apostels Pauli Worte: „Lasset uns Christum nicht versuchen, wie etliche von jenen ihn versuchten und wurden von den Schlangen umgebracht“. (1. Cor. 10, Vers 9.)

Das ist aber Christum versuchen, wenn man die apostolischen Worte nicht beachtet: „Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben usw.“. (1. Cor. 6, Vers 9 u. 10.) Wer in Wahrheit Christum, den Gekreuzigten ansieht, der ist so durch und durch gebissen und vergiftet, daß er es unter den feurigen Schlangen nicht aushalten kann, sondern er schreit bei jedem Biß ein: Ach Gott, und ein: Erbarme dich mein, des armen Sünders. Wer so hinaufschreit, indem es ihm um das Leben aus Gott geht wider seine Verlorenheit und Strafe, der wird nicht zaudern, um mit einem „komme ich um, so komme ich um“, sei es auch mit vom Tode gebrochenen Augen, hinaufzuschauen zu dem und anzusehen den, in welchem wir unsere Gerechtigkeit und Stärke erblicken nach dem Willen Gottes, und ein solcher wird es finden, was unser Herr verheißt: ewiges Leben trotz seiner Verlorenheit. Amen. -

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