Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Zweite Predigt.
Gehalten den 3. Oktober 1858, Abends.
Gesang vor der Predigt.
Psalm 138, Vers 3 u. 4.
Dann singen sie, dem Herrn geweiht,
In ihm erfreut,
Von seinen Wegen,
Wie seines Namens Majestät
Sei hoch erhöht
Zu ihrem Segen;
Denn der Erhabne wohnet hoch
Und siehet doch
Auf Kleine nieder.
Wer aber hier im Staube lebt,
Sich stolz erhebt,
Ist ihm zuwider.
Wenn mir, von Angst und Not umringt,
Das Herz entsinkt,
So gibst du Leben.
Dein linker hält der Feinde Schwarm,
Dein rechter Arm
Wird Freiheit geben.
Der Herr führt's wahrlich auch für mich!
Ach wirst du dich
Bald offenbaren?
Lass, Herr, da Gnade dich verklärt
Und ewig währt,
Dein Werk nicht fahren.
Meine geliebten Brüder und Schwestern! Wir betrachteten vorigen Sonntag Vormittag einen Teil des hundertachtzehnten Psalms. Lasst uns in dieser Abendstunde aus demselben Psalm mit einander betrachten, was wir lesen:
Vers 6-12. Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun? Der Herr ist mit mir, mir zu helfen, und ich will meine Lust sehen an meinen Feinden. Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen. Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Fürsten. Alle Heiden umgeben mich; aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Sie umgeben mich allenthalben; aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Sie umgeben mich wie Bienen, sie dämpfen wie ein Feuer in Dornen; aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen.
Wir wollen des eingedenk bleiben, dass unser teurer und hochgelobter Herr und Heiland Jesus Christus diesen Psalm gesungen hat in der Nacht, da er verraten ward. Hatte dieser Psalm auch etwa eine äußerliche Bedeutung zur Zeit, da so viele Völker feindlich um Israel her waren, - zum Beispiel einmal zehn Völker, ein jedes mächtiger als Israel selbst, so ist es doch nicht etwa ein Nationalpsalm, sondern ein Psalm für das Volk Gottes, das zu streiten hat mit ganz andern Feinden. Freilich hassten die Feinde den David, weil er des Herrn Gottes König war, und wollten das israelitische Volk gerne vertilgt wissen, weil es so klein, und dennoch so groß und mächtig war im Herrn. Wenn wir jedoch bedenken, dass der Herr Jesus diesen Psalm gesungen in der Nacht, da er verraten ward, so sind es nicht sowohl die äußerlichen, als vielmehr die innerlichen Feinde, die hier angedeutet werden, und da ist es denn eigentümlich, dass wir auch in diesem Psalm, wie in so vielen andern, eine ungemeine Furcht vor Menschen ausgesprochen finden.
Diese Furcht finden wir ausgesprochen Vers 6: „Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?“ oder: „Was kann der Mensch mir tun?“
Unser teurer Herr und Heiland hat diese Furcht, diese Menschenfurcht mit den Seinen mitgehabt. Das ist ja offenbar: er hat den Lobgesang mit seinen lieben Jüngern gesungen. Wenn er selbst dies nicht erfahren hätte, würde er das nicht gesungen haben; aber da erkennen wir ihn in seiner Liebe, dass, da er hat Bürge sein wollen für uns, er seinen Brüdern in allen Dingen gleich und also in allen Dingen versucht sein wollte. Diese Menschenfurcht ist bei uns eine sündliche Furcht, eine schändliche Furcht, aber sie ist einmal da, und über diese Furcht ist unser Herr hinübergekommen, hat im Glauben sich durchgeschlagen, ohne Sünde, um all den Seinen, die ihm nachfolgen, eine Ursache zu sein, auch über diese Furcht hinwegzukommen.
Nun liegt es aber also: „Was vom Geist geboren ist, das ist Geist“, es zeugt von Gott, was es durch den Geist weiß und erfahren hat, - „und was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch“; und „Geist und Fleisch sind gegen einander“. So sind die Kinder Gottes, die Kinder des Lichts, und die Kinder der Finsternis geschworene Feinde, und Gott der Herr hat selbst diese Feindschaft gesetzt im Paradies. Nicht, dass die Kinder Gottes eine feindselige Gesinnung hätten gegen irgend einen Menschen, vielmehr haben sie alle Menschen lieb, tun ihnen Gutes, segnen ihre Feinde und Fluchen nicht, tun ihnen wohl, wo sie nur können, und sammeln glühende Kohlen auf ihr Haupt. Aber das weiß ein jeder, der zu Gott bekehrt ist, dass Fleischlich-gesinnt-sein eine Feindschaft ist gegen Gott, dass der Mensch von Natur geneigt ist, Gott und seinen Nächsten zu hassen. Darum ist bei allem Fleisch dieser Hass gegen Gott, gegen seinen Weg, gegen alles, was Wahrheit, Recht und Heiligkeit ist; das kann nicht ausbleiben. Es ist bekannt, wie unser teurer Herr und Heiland durch's Land zog, Gutes tat, und alle waren ihm feind: die Herodianer, die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die doch die Besten und Frömmsten waren. Es sind alle Menschen gottlos, und indem sie gottlos sind, wollen sie doch fromm sein. Es gibt viele, die meinen, sie seien bekehrt und sie liebten Gott, und sind doch unbekehrt, es sind Leute wie Joab, Simei u. s. w. Solche wollen nicht gestraft sein, wollen nicht, dass man ihnen in die Quere komme mit Gottes Gesetz und Wahrheit, sondern sie verlangen, dass man ihnen die Hände auflege, und ihr Tun und Treiben gut heiße; das kann aber der Gerechte nicht tun. Sobald nun Gott kommt und in Wahrheit bekehren will, so wird er füllt, was der Herr Jesus gesagt hat: „Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert“; und: „Von nun an werden zwei in einem Hause uneins sein, der Vater wird sein wider den Sohn, und der Sohn wider den Vater, und des Menschen Feinde werden seine eignen Hausgenossen sein“.
Wo Gott der Herr mit seinem Geist wirkt und bekehrt, da schafft er im Herzen mit Einem Mal eine andere Wahl, so dass das Christentum nicht mehr besteht in Worten, sondern in der Tat und in Kraft; nicht darin, dass man des Sonntags Gottes Wort hört, ohne in der Woche danach zu tun, sondern dass man sich selbst verleugnet, dem Fleisch nicht nachgibt, und dass man auch in der Woche lebt als einer, der Gott fürchtet. Nun kommt aber bei solcher Wahl ein anderer Weg auf, ein anderes Zeugnis, ein anderes Bekenntnis; und wo der Ungerechte gestraft wird, da kommt die Feindschaft, erst verborgen, aber der verborgene Funke schlägt bald heraus als lodernde Flamme. Und von nun an lauert der Ungerechte, der doch fromm sein will, auf das Haus des Gerechten und auf seinen Gang. Das ist von jeher so gewesen, und das wird so bleiben. Nun ist der Mensch, obschon von Gott abgefallen, ein hoher Geist, und wenn er beginnt sich zu vereinigen mit Geistern aus der Hölle, so hat er eine furchtbare Kraft, und diese besteht darin, dass er sich für fromm hält, und sucht doch Gottes Ehre, Wahrheit und Wort zu vernichten und unter die Füße zu bekommen. Nochmals: es gibt ein Bekenntnis auf dem Papier; so lange es bloß auf dem Papier ist, sind wir alle gute Christen. Aber wenn dem Menschen das Bekenntnis in's Herz gegraben wird, wenn das Bekenntnis in Tat und Wahrheit mit Selbstverleugnung soll geübt werden, dann muss der Herr Gott den Menschen herumgeholt haben, um zu seinem Bekenntnis zu stehen, dafür zu leben und zu sterben; da wird nicht gefragt nach dem Sichtbaren, nach Umkommen und Untergang, sondern danach dass Gottes Wort bleibe, und es kommt der Wahlspruch: Das Wort sie sollen lassen stahn! Da kann der Mensch nicht fragen nach dem, was ihn angeht, sondern er hat sich selbst verleugnet und folgt Jesu nach. Und nun erhebt sich der Streit. „Wehe mir“, sagt David einmal, „dass ich ein Fremdling bin unter Mesech; ich muss wohnen unter den Hütten Kedars. Es wird meiner Seele bange, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. Ich halte Frieden, aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an“ (Psalm 120,5-7). Wer soll nun gewonnen haben in diesem Streit - Gott und sein Zeugnis, oder der Mensch, der Gott feind ist? Das ist die Frage, und da ist es nun allemal dem Aufrichtigen bang, er werde den Prozess verlieren, und der Mensch in seiner Feindschaft werde gewonnen haben.
Meine Lieben! Wenn demokratische Grundsätze einen Menschen erfüllt haben, dann fragt er nicht nach Stand, sondern sagt: Gleiche Mönche, gleiche Kappen! und der gemeinste Mensch ist frevelhaft genug, dem Könige sagen zu wollen, wie regiert werden soll; aber der aus Gott geboren ist, ist fein und fürstlich erzogen vom Heiligen Geist, er hat das feine Gold zu bewahren, und da ist es ihm denn bange vor den Menschen. Nochmals, der Mensch der Gott nicht fürchtet, ist ein hoher Geist, er nimmt den Teufel zu Hilfe, um die Haltung eines Engels anzunehmen, er kommt mit dem Wort und will mit dem Wort umstoßen den Wahrhaftigen; kann er es aber damit nicht fertig bringen, so kommt er mit Drohungen; bringt er es damit nicht fertig, so kommt er mit Versprechungen, und gelingt es ihm auch damit nicht, so wird aus dem Engel ein Eisbär, und dann geht's an ein Verfolgen, und alle Mittel werden erdacht, um zu dämpfen und zu töten den Wahrhaftigen.
Meine Geliebten! Das hat der Herr durchgemacht, das sehen wir aus diesem Psalm; und da wollen wir denn einmal sehen, ob diese Worte Worte des Glaubens sind, wobei man dem Sichtbaren nach nur das Widerspiel vor Augen hat, oder ob wir sie, so zu sagen, als einen äußerlichen Siegespsalm ansehen können, wobei alles, was davon erfahren wird, nur zur Sättigung des Fleisches dient.
„Der Herr ist mit mir“; das sagt unser Herr in der Nacht, da er verraten ward; bald darauf schrie er: „Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen!“
„Darum fürchte ich mich nicht!“ und bald darauf, da er in Gethsemane war, begann er zu zittern und zu zagen und sprach: „Meine Seele ist um und um betrübt bis zum Tod!“ und: „Siehe, der mich verrät, ist nahe!“
„Was können mir Menschen tun?“ spricht zwar der Herr mit dem Psalm; aber in Wirklichkeit haben ihm doch die Menschen das Äußerste antun können. Judas, der konnte ihn verraten mit einem Kuss und ihn den Feinden überliefern, und die Feinde, sie banden ihn und schleppten ihn hinweg; und die Feinde und die ihn hassten, sahen ihre Lust an ihm. Und doch heißt es Vers 7: „Der Herr ist mit mir, mir zu helfen; und ich will meine Lust sehen an meinen Feinden“. Nein, die Feinde sahen ihre Lust an ihm! Sie hatten ihn gebunden vor den hohen Rat geführt; und ebenso auf Gabbatha, wo es hieß: ecce homo, seht den Menschen! - Zweimal spricht er es aus: „Es ist gut auf den Herrn vertrauen“, aber wer half ihm in Gethsemane oder unter den Feinden? Dieses sein Vertrauen auf den Herrn wurde ihm vorgeworfen, da er am Kreuze hing; da hieß es: „Ja, er hat auf Gott vertraut, der helfe ihm, hat er Lust zu ihm!“ Dreimal spricht er es aus: „Ich will sie zerhauen im Namen des Herrn!“ Die gottlosen Pharisäer, Hohenpriester und Schriftgelehrten, das sind die Heiden, die ihn umgaben. Ja, sie haben ihn umgeben wie Bienen, allenthalben. Wenn ein Schwarm Bienen auf den Menschen loskommt, wer kann sich wehren? Die Bienen in ihrer Wut kümmern sich nicht darum, dass sie ihren Stachel verlieren, dass sie sich untüchtig machen, Honig zu bereiten, dass sie zu Wasserträgern gemacht werden oder das Leben einbüßen, wenn sie nur in ihrer Wut gestochen haben. Nun: „im Namen des Herrn will ich sie zerhauen!“ Ja, aber starke Stiere von Basan haben ihn umgeben, Hunde umringen ihn und durchgraben ihm seine Hände und Füße! Da möchte ich doch fragen: Hat der Herr sie zerhauen, oder haben sie ihn zerhauen? „Ja, er ist wieder auferstanden!“ werdet ihr mir sagen. Danach frage ich nicht, sondern darum handelt es sich, dass der Herr dies gesagt hat angesichts des Todes, angesichts der Feinde, von denen er wusste, dass sie ihn zu Tode bringen würden am Kreuz, und die ihn nicht wert achteten, den Namen des Herrn auf die Lippen zu nehmen; vielmehr hat Kaiphas den Namen des Herrn auf seine gottlosen Lippen genommen, da er Jesum frug: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagest, ob du seiest Christus, der Sohn Gottes?“ Und da Jesus antwortete: „Du sagst es!“ da haben sie ihn zerhauen mit den Worten: „Er ist des Todes schuldig!“ (Matth. 26,63-66.)
Und zerhauen wurde er, da sie ihn mit Geißeln schlugen, und umgeben und gestochen haben sie ihn, da sie riefen: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Da Jesus hinausging und sein Kreuz trug, und wiederum da er am Kreuze hing, da hat er ja keine andere Hilfe gehabt, als dass er seine Seele in die Hände des Vaters übergab; und so haben sie ihn gestoßen, dass er den Leib auch dahingeben musste. So sah es nach dem Sichtbaren aus, und da sollen wir lernen Gottes Wort verstehen, dass, wenn die gute Wahl getan wird: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott“ dann gewiss alles durchs Widerspiel hindurch geht. Wo diese gute Wahl getan wird, da gehört wohl der erste Psalm hin; aber singe nur diesen ersten Psalm und erlebe dann eine Geschichte, wie sie Hiob erlebte, und du wirst ein dürrer Baum, und deine Blätter verwelken, und alles, was du tust, gelingt nicht; den Gottlosen aber gelingt alles wohl. Dann setzt du zum ersten den dreiundsiebzigsten Psalm, und du siehst mit Augen, wie es dir so übel geht und den Gottlosen so gut, und wie sie nicht geplagt werden noch im Unglück sind wie andere Leute.
Es ist gut, dass wir das zu Herzen nehmen und also den lieben Psalter erst betrachten als das Buch, worin die verborgene Geschichte des Lebens unsers teuren Heilandes gefunden wird; denn so werden wir getröstet, dass es dennoch am Ende wahr ist, was wir im Wort lesen: „Es ist gut, auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen!“ Ja, es ist gut, aber schmerzlich, wenn Vater und Mutter, Weib und Kind nicht auf demselben Weg mitwollen, oder wenn geliebte Verwandte und Freunde nicht mitwollen, ja, einem vielmehr alles nehmen, so dass man auch sein Erbgut verliert in dieser Zeit. Ist das gut?
Seht, meine Geliebten, es ist ein wahres Rätsel, wie es bei den Menschen so zugeht. Es wird sich niemand schämen, einen Götzen anzubeten, eine sogenannte „Jungfrau Maria“ anzurufen, die früher als Astaroth angebetet war; es wird sich niemand schämen, vor den Menschen allerlei Gottlosigkeit zu treiben und öffentlich den Teufeln zu dienen. Aber für Gott, für seine Wahrheit, für Christum aufzukommen, - ach, es ist dem Menschen unmöglich! Es schämt sich das Christenkind, eine Bibel über die Straße zu tragen und mit in die Kinderlehre zu nehmen. So ist der Mensch. Das ist unsere Sünde. Da ist lauter Furcht und Angst vorhanden; die macht uns so zu schaffen, und es ist uns so bange, gegenüber einem Menschen stehen zu bleiben mit Gottes Wahrheit.
Ist das wirklich gut, „auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Fürsten“? Auf dem Papier ist es gut; aber wenn eines Fürsten Entschluss entscheidend ist für Staat und Kirche, für dein und mein Leben, wenn sich mit einem Mal Verfolgungen erheben, ah, da möchte man das Blatt umwenden - ha, was ist es doch gut, einen reichen Oheim zu haben, diesen oder jenen mächtigen Freund; was ist es doch gut, in des Fürsten Gunst zu stehen! - Und was ist das: „vertrauen auf den Herrn“? Damit sieht es auch eigentümlich aus. Die Meinung dieser Worte für dich ist, dass es zu dir heißt: du hast dein Haus gebaut auf Menschen, auf das Menschliche, auf Fürsten, und da steht es fest und unwandelbar; und du hast an Gott deinen Herrn gedacht, ja, einen Augenblick, als es dir gerade einfiel; du hast dich festgesetzt in deinem fürstlichen Haus, so dass du Gottes, des Herrn, vergessen bist. Nun will ich dir aber sagen, was gut ist, ich will es dir in Liebe sagen: es kommt der Tod und stürzt das ganze Gebäude zusammen - es ist nichts mehr da von all dem, worauf du vertraut hast. Wohlan, laufe dann sofort zu dem Herrn, bekenne deine Sünde und Gottlosigkeit, dass du ihn verlassen hast, und du wirst erfahren, dass er hilft, und dass es gut ist, auf den Herrn zu vertrauen.
So habt ihr es vernommen, meine Geliebten; dieser hundertachtzehnte Psalm ist also nicht ein Psalm, der so gesungen werden kann, dass man jauchzend alles gleichsam nur so wegbläst, sondern ein Psalm in höchster Not und Anfechtung, ein Psalm im schrecklichsten Leiden, in der äußersten Verlassenheit, da nichts mehr da ist, woran man sich halten kann. Und ist man denn Gottes, hat man mit Ruth die gute Wahl getan: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott!“ hat man, um dem Herrn Jesu nachzufolgen, sich selbst verleugnet, das Kreuz aufgenommen, dann kommt der Herr, während Furcht da ist, Menschenfurcht, während Menschen drohen und von allen Seiten dich einengen, während alle Feinde rufen: da, da! so wollten wir's gerne! - dann kommt der Herr mit seinem Psalm mitten in solche Not hinein, das Herz wird erfüllt, ergriffen, getröstet, es wird ermutigt, um die Gefahr zu sehen, den Abgrund zu ergründen, die Macht derer wohl zu kennen, die es von allen Seiten umgeben, und zu gleicher Zeit fahren zu lassen alles Vertrauen, auf welche Stütze immer, und dazustehen mit dem Bewusstsein: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! - es wird ermutigt, um zu bleiben bei dem guten Bekenntnis unsers Herrn Jesu Christi, wie er dabei geblieben ist: Gott ist mein Vater, ihr kennt ihn nicht, ihr seid von dem Vater, dem Teufel!
Wie hat der Herr dann die Feinde zerhauen, da sie ihn umringten, und wie zerhauen die Kinder Gottes ihre Feinde annoch? nicht einmal, sondern dreimal, wie es dreimal wiederholt wird: „Im Namen des Herrn will ich sie zerhauen!“ Wie zerhauen die Kinder Gottes ihre Feinde? Gerade wie ihr Herr Jesus Christus es auch getan hat! Er hielt voll bei dem Bekenntnis: „Ich bin Gottes Sohn!“ und doch stand er da vor dem hohen Rat als des Menschen Sohn, beladen mit unserer Sünde, Schuld und Fluch, und also als der Sünder Sündigster vor dem Gesetz; und trotzdem er so dastand, sprach er es angesichts des Gesetzes und seiner Vertreter aus: „Ich bin Gottes Sohn!“ Er hat geschwiegen, und sie konnten ihn nicht zum Sprechen bringen, aber, beschworen bei dem lebendigen Gott, stand er nicht an, das gute Bekenntnis zu bekennen. Er hat geschwiegen vor Pilatus, und das war seine Kraft; aber da die Frage an ihn kam: „Bist du der König der Juden?“ da hat er bezeugt ein gutes Bekenntnis, wie Paulus sagt 1. Tim. 6,13; er hat gesagt: „Ich bin es! ich bin ein König! ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll; wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme!“ Also eben durch sein Schweigen, dadurch dass er sich hat anspeien, verspotten, geißeln, martern und ans Kreuz heften lassen, hat er die Feinde zerhauen; er hat sie zerhauen, indem er das Bekenntnis als Bürge um unsertwillen nicht drangegeben hat; und so zerhauen alle Kinder Gottes ihre Feinde, ob diese auch von allen Seiten wider sie anrücken und sie umgeben und es machen wie die Bienen in ihrer Wut, dass man sie beschwören möchte: liebe Bienen, verderbt euch doch nicht selbst, und richtet euch doch nicht selbst zu Grunde! Sie bleiben stehen bei Gottes Wort, bei ihrem Bekenntnis, und zerhauen also die Feinde dreimal im Namen des Herrn, im Namen des Vaters, des Wortes und des Heiligen Geistes, auf dass sie das Zeugnis bekommen in ihrem Streit: „Drei sind die da zeugen im Himmel, der Vater, das Wort und der Heilige Geist, und diese Drei sind eins“ (1. Joh. 5,7).
So kommt also der Herr mit seinem Wort, und wo er mit seinem Wort kommt, da offenbart er sich dem Menschen darin, dass er ihn gewiss macht der Vergebung der Sünden, der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und von seiner Gnade, so dass wir sagen dürfen: „Ich bin mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Herrn und Heilandes, Jesu Christi“. Da kommt durch die Gnade des Heiligen Geistes der Trost ins Herz hinein, und es wird dieser Psalm gesungen, eben wo Furcht ist, wo man sich auf allen Seiten eingeengt sieht. Wo man klagen muss: „Vater und Mutter haben mich verlassen“, eben da kommt es auf, dass man sagen darf: „Der Herr hat sich meiner angenommen“, und dass man dessen gewiss wird: Der Herr, der treue Bundesgott, ist mein, und ich bin sein! Eben in der äußersten Not, da wird die Größe seiner Macht, seiner Gnade und Erbarmung erblickt, und so wird es dann erkannt und ausgesprochen: „Ich fürchte mich nicht; was kann der Mensch mir tun?“ Nun ja, was kann er tun? Verleumden? Nachteil bringen? Töten? Er kann mir in Wahrheit doch nichts anhaben! Alle Menschen zusammen sind vor Gott auf die Waage gelegt: nichts! So lange Gott Gott bleibt, und Jesus Christus lebt, wird das Ende doch allemal dieses sein -: es mögen die Feinde drängen und stoßen, was und wie sie können, damit das arme Herz wanke und falle, - und mag der Gerechte auch siebenmal des Tages fallen, dennoch steht er immer wieder auf in der Kraft der Auferstehung Jesu Christi!
Amen.
Schlussgesang.
Psalm 84, Vers 4.
Wir wallen in der Pilgerschaft
Und gehen fort von Kraft zu Kraft,
Vor Gott in Zion zu erscheinen.
Hör mein Gebet, Herr Zebaoth!
Vernimms, vernimms, o Jakobs Gott!
Erquicke mich auch mit den Deinen,
Bis wir vor deinem Throne stehn
Und dort anbetend dich erhöhn.