Körber, Emil - Ölblatt - Jesus, der gute Hirte.
(7. April 1872.)
Text: Joh. 10,11-16.
Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen. Ich bin ein guter Hirte. Ein guter Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen, und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht; denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht. Ich bin ein guter Hirte, und erkenne die Meinen, und bin bekannt den Meinen; wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselbigen muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird Eine Herde und Ein Hirte werden.
Bei einem Texte, wie der heutige, meine Lieben, wird es einem Christen, der seinen Herrn und Heiland kennt und lieb hat, recht wohl ums Herz. Das Herz geht ihm weit auf, er ist fröhlich und guter Dinge und freut sich Gottes seines Heilands, dessen Hirtentreue, Liebe und Sorgfalt er alle Tage und Stunden reichlich erfahren darf. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser, er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen. So hat schon ein David fröhlich gerühmt und gesungen. Wie viel mehr darf ein Kind des neuen Bundes mit Grund der Wahrheit also sprechen und sich seines guten Hirten freuen.
Ja und Amen! es ist so und bleibt so: Jesus ist der gute Hirte, und seine Schafe haben es unaussprechlich gut. Er führt sie auf grüne Auen und leitet sie auf fette Weide, er speist sie mit Lebensbrot und tränkt sie mit Lebenswasser. Gelobt und gepriesen sei der Vater im Himmel, der uns diesen guten Hirten geschenkt und gesandt hat auf unsere arme Erde, damit er dieses Tränental verwandle in eine Stätte der Freude und des Friedens. Wo dieser Hirte wandelt, da grünt die Einöde und schmückt sich mit Blumen, da blüht die Wüste und wachsen duftende und saftige Kräuter und Gräser, da strömen die Wasser des Lebens durch das Gefilde. Wo dieser Hirte wandelt, da triefen seine Fußstapfen von Heil und von Segen, von Gnade und Friede. Wo dieser Hirte wandelt und einkehrt in Herz und Haus: da werden die bekümmerten Seelen getröstet, da wird die Schwermut vom Herzen und der Trauerflor vom Auge genommen; da werden die Schwachen stark, die Kranken gesund, die Verwundeten heil; da wird aller Durst und Hunger gestillt, und aller Not gewehrt, und aller Mangel verbannt. Ja es ist so und bleibt so: Jesus ist der gute Hirte, und seine Schafe haben es unaussprechlich gut.
Unter Jesu sanftem Stab
Geh ich aus und ein und hab
Unaussprechlich süße Weide,
Dass ich keinen Mangel leide;
Und so oft ich durstig bin,
Führt er mich zum Brunnquell hin.
So gut haben es die Christen, die Kinder des neuen Bundes; darum wird es ihnen auch so recht wohl ums Herz, wenn ihnen vom guten Hirten gepredigt wird, oder wenn sie hören und lesen, was unser Text von ihm redet. Aber nicht bloß lebendige Christen, welche den Heiland aus Erfahrung kennen, werden hoch erfreut durch unsere Textesworte, sondern ich meine, jedes edlere Gemüt, wenn es auch Jesum noch nicht kennt und liebt, sollte durch das liebliche, herzgewinnende Bild des Hirten und seiner Schafe unwillkürlich angezogen werden; es muss einen mächtigen Eindruck empfangen und wenigstens die Überzeugung gewinnen: dass das Christentum nicht etwas Finsteres, Trauriges, Abstoßendes, sondern etwas Schönes, Liebliches und Freundliches ist. O möchten wir Alle diesen Eindruck heute gewinnen! ja noch mehr: möchten wir Alle selige Gotteskinder werden, deren Freude und Ehre es ist, Jesum als ihren Hirten anzuerkennen und zu den Schafen seiner Herde gezählt zu werden. Dazu sei diese Stunde gesegnet, in welcher wir uns vorhalten
Jesum, den guten Hirten.
Wir gehen ganz schlicht und einfach dem Gang unserer Textesworte nach und sehen
- Jesus lässt sein Leben für die Schafe.
- Jesus kennt die Seinen und ist bekannt den Seinen.
- Jesus sammelt seine Schafe, bis dass Eine Herde und Ein Hirte ist.
Du großer Erzhirte der Schafe, du Hirte und Bischof unserer Seelen! sei du selbst mitten unter uns und bekenne dich zur Verkündigung deines Wortes. O sende das Feuer deines heiligen Geistes, dass unsere Herzen in Liebe entzündet werden und brennen. Ach, sammle dir aus dieser Gemeinde viele Schafe deiner Herde. Ja, mache uns Alle zum Volk deiner Weide und zu Schafen deiner Hand. Amen.
I.
„Ich bin ein guter Hirte. Ein guter Hirte lässt sein Leben für die Schafe“. Mit welchem Nachdruck redet hier Jesus von sich als dem guten Hirten, und stellt uns vor die Seele seine Liebe, die für die Schafe stirbt! Schon das ganze Leben unseres Heilandes ist Liebe, eitel Liebe, hingebende, aufopfernde Liebe, rettende, heilende, tröstende, segnende Liebe. Liebe hat ihn vom Himmel getrieben, aus dem Schoße des Vaters ins Tränental, von den Lobgesängen und Freudenliedern der Engel, der Cherubim und Seraphim herab zu den Klageliedern der Menschenkinder, unter das Seufzen und Jammern, Stöhnen und Sehnen der armen gefallenen Kreatur; aus dem oberen Heiligtum, da Heiligkeit und Reinheit wohnen, ins Land der Sünder, da Sünde und Schande hausen und Verbrechen begangen werden, die zum Himmel schreien. O welche Liebe des guten Hirten, der auf unsere arme Erde gekommen ist, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist! Und diese Liebe, die ihn aus dem Himmel zu uns gebracht hat, hat ihn auch sein ganzes Leben hindurch begleitet und all seinem Tun und Lassen das Siegel der Liebe aufgedrückt. Ja diese Liebe hat den guten Hirten endlich in den Tod getrieben, dahin, dass er sein Leben ließ für die Schafe. O meine Freunde, hier lasst uns stille stehen, und keinen Schritt weiter gehen, und anbeten! Zeuch deine Schuhe aus! denn die Stätte, da du stehst, ist heiliges Land: der Hirte stirbt für seine Schafe. Habt ihr gehört das wunderbare Wort, das alte und ewig neue Evangelium: der Hirte stirbt für seine Schafe? Nicht Gold und Silber dieser Erde gibt er dahin, um unsere Seelen zu erkaufen; nicht die Schätze und Kleinodien des Himmels wiegt er dar, damit die Sünder frei ausgehen; nicht Welten opfert er auf, damit unsere arme gefallene Welt erlöst werde; nicht einer der Throngeister und Engelfürsten Gottes muss sterben, damit wir leben könnten. Nein! Er selbst, der eingeborene Sohn Gottes, der in des Vaters Schoße ist der Hirte stirbt für seine Schafe! Der ewige Sohn des Vaters, für uns Mensch geworden, setzt seine edle Seele, sein teures Leben als Pfand und Lösegeld für das Leben aller Menschenkinder ein; das Kostbarste, das er hat, sein Blut und Leben, gibt er dran, um uns vom ewigen Tode zu retten. O das ist ein Abgrund der göttlichen Liebe, eine unergründliche Tiefe des Erbarmens, ein unerschöpflicher Reichtum der Gnade und Freundlichkeit Jesu Christi. Von dieser Liebe, die uns erkauft hat mit dem eigenen Blute, soll in der Gemeinde des Herrn kein Schweigen sein Tag und Nacht. Diese Liebe sollen und dürfen die Diener des Herrn, die Boten des Evangeliums, immer und immer wieder den Seelen anpreisen. Diese Liebe wird noch im Himmel die lange Ewigkeit hindurch von allen seligen Geistern und vollendeten Gerechten besungen, und die zahllosen Heerscharen der Engel stimmen fröhlich mit in das Loblied ein: das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum, und Weisheit und Stärke, und Ehre und Lob.
Ist auch dir, liebe Seele, diese Liebe des guten Hirten, unseres Heilandes Jesu Christi, schon zu Herzen gegangen? Liebst du Jesum, deinen Erlöser und Seligmacher in dankbarer Gegenliebe? Oder bist du kalt und gleichgültig, und kannst im Grunde nicht recht begreifen, was dieses Rühmen und Preisen und Reden von der Liebe des Herrn bedeuten soll? Ja, es ist dir vielleicht in der Seele zuwider und erscheint dir als unnötige Aufregung und Schwärmerei? Mein Freund! Höre mich ein wenig an, und lass mich eine Frage an dich stellen: Wenn ein Bruder dich in großer Not und Gefahr mit Aufopferung und Dahingabe seines eigenen Lebens vom Tode errettet, soll es nun Aufregung und Schwärmerei sein, wenn du ihm ein liebendes Andenken der Dankbarkeit bewahrst, und deiner Gattin, deinen Kindern und Freunden erzählst und immer wieder erzählst von seiner edlen Liebestat? Wird nicht vielmehr, wenn du das nicht tust, alle Welt dich für den undankbarsten Menschen erklären? Nun, im Herrn Geliebte, unser erstgeborner Bruder, Jesus Christus, der gute Hirte, hat uns mit Dahingabe seines teuren Lebens und mit Vergießung seines edlen Blutes vom Tode errettet, von den Sünden, vom ewigen Tode erlöst: Ihm wollen wir ein dankbares Andenken der Liebe bewahren; von Ihm wollen wir reden mit unseren Kindern, mit unseren Freunden und Angehörigen; Seine Liebe zu preisen wollen wir nicht müde werden; ja Ihm uns selbst mit Leib und Seele übergeben, seinem Namen durch unseren Wandel Ehre machen, Ihm leben, der für uns gestorben und auferstanden ist das sei die Losung unseres Lebens. O lasst uns Ihn lieben! der greise Lieblingsjünger des Herrn, Johannes, ruft in jugendlicher Begeisterung aus - denn er hat uns zuerst geliebt. Stimmst du ein in diesen Ruf mit deinem Munde, mit deinem Herzen, mit deinem Leben?
Dir ergeb ich mich,
Jesu, ewiglich!
Habe Dank für deine Liebe,
Die mich zieht aus reinem Triebe;
Jesu, ewiglich,
Dir ergeb ich mich.
Jesu, meine Ruh,
Ew'ge Liebe du!
Dein ist all mein Tun und Wallen,
Nichts als du soll mir gefallen,
Ew'ge Liebe du,
Jesu, meine Ruh!
Der gute Hirte stirbt für seine Schafe, auf dass seine Schafe leben. Davon redet unser Text noch genauer, wenn Jesus spricht: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen“. Was sind doch das für wunderbare Worte! Steht es denn auch wirklich so geschrieben, dass die Schafe des Herrn Leben und volle Genüge haben sollen? Und wenn es so geschrieben steht, ist es denn auch wirklich so gemeint? Ist es denn auch möglich? Leben! - in einer Welt des Todes, in einer Welt voll Gräber und Totengebeine. Volle Genüge! in einer Welt voll Unzufriedenheit, voll Klagen und Murren der Menschen; volle Genüge! auf unserer armen Erde, im Jammertal, da so viele Tränen fließen, so viele Herzen brechen, so viele Seufzer zum Himmel aufsteigen. Und doch, meine Lieben, es ist wahr, was der Heiland sagt. Freilich gelten diese Worte nicht der Welt und ihren Kindern, auch nicht den bloßen Namenchristen und Scheinchristen, sondern nur dem Volke Gottes, den Schafen Jesu Christi, der Herde seiner Weide, den Christen, die Jesum Christum im Herzen tragen, wahrhaft an ihn glauben und ihn von Herzen lieben, von denen es heißt: meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Von solchen Leuten gilt es in Wahrheit: sie haben Leben und volle Genüge. Sie tragen schon jetzt hienieden das Leben, das ewige Leben, in sich durch den heiligen Geist, der ihnen gegeben ist; sie haben schon jetzt volle Genüge: sie sind innerlich zufrieden und glücklich im Glauben an ihren Heiland, und besitzen ein stilles, sanftes Herzensglück, im Frieden Gottes und in der Freude des heiligen Geistes. Und wenn ihnen auch Kreuz und Leiden und Nöten aller Art nicht erspart werden, so können sie doch still und getrost sein allezeit im Glauben an ihren Herrn, in der Liebe Jesu, die Alles versüßt, in der sichern und gewissen Überzeugung, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Gott sei Dank! es gibt bei allem Unglück und Herzeleid und Herzbrechen doch auch ein wahres Herzensglück auf Erden; und davon ist auch der ärmste Knecht und die geringste Magd nicht ausgeschlossen; aber dieses Glück ist nicht bei der Welt, sondern nur beim guten Hirten zu finden. O dass alle unzufriedenen und zerrissenen Geister das glauben möchten! O dass alle in Weltschmerz und Schwermut versunkenen Herzen das hören und merken möchten! O dass alle Mühseligen und Beladenen, Murrenden und Klagenden zum guten Hirten eilen und auf seinen Auen Weide suchen und finden möchten! Sie würden bald erfahren und fröhlich sprechen:
Volle Gnüge, Fried und Freude
Jetzo meine Seel ergötzt,
Weil auf eine frische Weide
Mein Hirt Jesus mich gesetzt.
II.
Jesus lässt sein Leben für die Schafe, auf dass seine Schafe leben. Er ist aber auch als der gute Hirte mit den Seinen aufs innigste verbunden. „Ich bin ein guter Hirte“ sagt Jesus „und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater.“ Was sind das wieder für merkwürdige Worte, die von der innigsten, genauesten Bekanntschaft und Freundschaft, von der zärtlichsten und treuesten Liebe des guten Hirten gegen seine Schafe zeugen. Wie der Vater den Sohn kennt und liebt, und der Sohn den Vater kennt und liebt, so kennt Jesus die Seinen und ist bekannt den Seinen. Heißt es da nicht in Wahrheit:
Wir schauen hinauf, Er schaut herab,
An Liebe und Treue geht uns nichts ab,
Bis wir zusammen kommen.
Jesus kennt die Seinen. nicht bloß äußerlich, so dass er weiß, wer sie sind und wo sie sind, in welchem Volk und Land; welchen Beruf sie haben; ob sie in guten oder schlimmen Verhältnissen, in Traurigkeit oder Freude sich befinden. Ach, dieses äußere Wissen würde uns nicht viel nützen. Nein, Jesus kennt die Seinen das will vor allem sagen: Er sorgt für die Seinen gar treulich, er nimmt sich ihrer herzlich an in allen ihren Umständen, die sie treffen mögen; er kümmert sich um sie, nimmt sie wohl in Acht und vergisst Keines seiner Kinder. Auch die Elendesten, Schwächsten und Geringsten, die am meisten verachtet sind in der Welt, nach denen sich Niemand umsieht, deren Namen Niemand kennt und nennt, gerade diese liegen ihm am Herzen; Er kennt sie und nennt ihren Namen mit Freuden vor seinem himmlischen Vater, und er eilt, ihnen beizustehen und zu helfen. Keinem von ihnen darf auch nur ein Haar vom Haupte fallen. ohne seinen Willen. Und nicht bloß der Herr kennt die Seinen, sondern die Seinen kennen auch ihn. Jesus ist ihnen kein fremder, sondern ein wohlbekannter und vertrauter Mann, mit dem sie durch den Glauben verbunden sind und durch das Gebet täglich und stündlich im Umgang stehen. Ja wir kennen Jesum als unsern besten Freund und treuesten Ratgeber, als den Hirten und Bischof unserer Seelen. Wir kennen Jesum als unsern Gott und Heiland, als unsern Erlöser, Versöhner und Seligmacher, als unsern himmlischen Tröster im Leiden und in der Anfechtung, als unsern Arzt und Seelenfreund, der uns hilft und heilt und stets zur Seite geht auf unserer Pilgerfahrt zur frohen, stillen Ewigkeit.
Darum, was sollen wir, wenn wir Jesu Schafe sind, in den Stürmen des Lebens bekümmert sein, den Mut sinken lassen, trauern und klagen? Mag auch die Welt uns die Freundschaft aufkündigen und uns nicht mehr kennen, weil wir zu den Schafen Jesu uns halten: Jesus kennt uns, und wendet uns sein Antlitz der Gnade zu, und bleibt bei uns alle Tage bis ans Ende. Seine Freundschaft wankt und weicht nicht. Und gerade in den Zeiten der Anfechtung und Not erprobt sie sich aufs beste. Während irdische Freunde gar oft im Unglück sich fern halten, fremd tun und sich zurückziehen: Jesus zieht sich nicht zurück, auch wenn unsere Gestalt durch Leiden und Trübsal, Krankheit und Not entstellt ist. Da ist er gerade auf dem Platze und steht uns bei mit Trost, Rat und Hilfe. Wir sagen ihm all unser Leid ins Ohr und Herz, und er nimmt es zu Herzen und neigt sein Ohr zu uns und hört unser Flehen, wenn wir auch manchmal geduldig sein, harren und warten müssen. O das ist ein seliger Zustand: von Jesu erkannt sein und ihn kennen. O selige Bekanntschaft, mit der alle irdische Bekanntschaft und Freundschaft nicht zu vergleichen ist! Was ist ein Umgang mit Personen aus den höchsten Ständen und feinsten Kreisen gegen den Umgang mit Jesus? Was ist eine Freundschaft mit Männern vom größten Geistesadel und von höchster Begabung gegen die Freundschaft mit dem Mann, in welchem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt und alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis ruhen? Was ist eine Bekanntschaft mit Fürsten und Königen gegen die Bekanntschaft mit dem König aller Könige, mit dem Herrn aller Herren?
Es kennt der Herr die Seinen.
Und hat sie stets gekannt,
Die Großen und die Kleinen
In jedem Volk und Land!
Er lässt sie nicht verderben,
Er führt sie aus und ein;
Im Leben und im Sterben
Sind sie und bleiben sein.
III.
Der gute Hirte sammelt seine Schafe, bis dass Eine Herde und Ein Hirte ist. „Ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle, und dieselben muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird Eine Herde und Ein Hirte werden.“ Der Heiland hatte schon eine kleine Herde gesammelt aus dem Hause Israel; diese Schafe folgten ihm nach und hörten auf seine Stimme, und er liebte sie und sorgte für sie. Aber das genügt ihm noch lange nicht. Er dürstet nach dem Heil der ganzen Welt, denn er ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Ich habe noch andere Schafe, spricht er, die sind nicht aus diesem Stalle des israelitischen Volkes; die sind aus allen Völkern und Zungen und Sprachen und Nationen. Dieselben muss ich zu meiner Herde bringen, meine Hirtentreue und Heilandsliebe treibt mich; ich kann nicht ruhen noch rasten, bis sie alle gefunden und gesammelt sind. O wie schön hat sich dieser Blick des Heilands in die Zukunft seines Reiches erfüllt! Schon weidet die Herde seiner Schafe durch alle Völker und Länder hin auf dem Boden der ganzen. Erde. Freilich „Eine Herde und Ein Hirte“, das ist noch nicht erfüllt. es sind noch viele falsche Hirten, welche die Seelen von dem großen Erzhirten der Schafe, von Christo, abziehen; und unter den Menschen und Christen ist noch viel Trennung und Spaltung, Hader und Streit. Ja gerade in unsern Tagen möchte es Einem vorkommen, als schwinde alle Aussicht auf Erfüllung dieser herrlichen Verheißung immer mehr. Denn mitten in der Kirche ist aufs neue ein heißer Kampf ausgebrochen; die Flamme der Zwietracht brennt lodernd im Schoße der Kirche und zwischen Kirche und Staat; die ganze bestehende Ordnung der menschlichen Gesellschaft ist von dunklen Mächten der Empörung und des Umsturzes bedroht. Aber, Christen! ihr Kinder Gottes! lasst die Häupter nicht sinken. Schaut vielmehr auf zu den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt. Es kommt ganz gewiss die Zeit, da Eine Herde und Ein Hirte sein wird. Jesus Christus wird sich seiner Herde selbst annehmen und sie weiden, wie ein Hirte seine Schafe weidet; Er wird sie auf die beste Weide führen, sie werden in sanften Hürden liegen und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Alle Völker werden noch im Licht des Herrn wandeln und die Könige im Glanze, der über Zion aufgeht. Die Erde wird voll sein von Erkenntnis des Herrn, wie mit Wasser des Meeres bedeckt. Sie werden Alle des Herrn Namen anrufen und ihm dienen einträchtig. Gerechtigkeit und Friede werden sich küssen.
Eine Herde und Ein Hirt!
Wie wird dann dir sein, o Erde,
Wenn sein Tag erscheinen wird?
Freue dich, du kleine Herde!
Inzwischen, meine Lieben, gilt es noch immer, auch heute: „ich habe noch andere Schafe“, die noch verloren sind und irre gehen; dieselben muss ich herführen. Ach, wir wollen nicht weit hinausschauen in die Welt. Nein, auch in unserem Volk und Land gehen noch viele Schafe in der Irre; auf unseren schönen Bergen, in unseren lieblichen Tälern, landauf, landab, in Städten und Dörfern wandeln Viele fern von Gott im Unglauben und Halbglauben und Aberglauben, im Leichtsinn, in der Fleischeslust, in der Eitelkeit der Welt, in grober und feiner Gottlosigkeit. Ich habe noch andere Schafe! so muss Jesus sprechen, auch wenn er unsere Gemeinde ansieht. Denn Viele kennen ihn, den guten Hirten, noch nicht aus Erfahrung; sie wandeln nicht auf dem schmalen Pfade, der zum Leben führt, sondern auf dem breiten, ehrbaren und selbstgerechten Wege, da man es mit der Sünde nicht so genau nimmt und ins Verderben stürzt. Aber das darf nicht mehr länger so fortgehen. Jesus muss euch herführen, seine Liebe treibt ihn; er ist euch schon lange nachgegangen, und ihr habt seine Stimme nicht gehört. Heute sucht er euch wieder und lässt euch aufs freundlichste einladen. O hört auf seine Hirtenstimme! Kommt und werdet Schafe seiner Hand, und stellt euch zum Volke seiner Weide.
Du aber, Herr Jesu, großer Erzhirte der Schafe! weide dein Volk mit deinem Stabe, die Herde deines Erbteils; lass sie wohnen auf grünen Auen und ruhen an stillen Wassern. Weide diese Gemeinde und alle Gemeinden auf der ganzen Erde. Suche das Verlorene, und bringe wieder das Verirrte, und das Verwundete verbinde, und des Schwachen warte; und was stark und gesund ist, das behüte und pflege zum ewigen Leben. Deiner Hirtentreue, o liebreicher Herr Jesus, befehlen wir uns mit Leib und Seele für Zeit und Ewigkeit.
Amen.