Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Invocavit.

Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Invocavit.

Text: 2 Kor. 6,1-10.
Wir ermahnen aber euch, als Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade GOttes empfangt. Denn Er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört, und habe dir am Tag des Heils geholfen. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. Lasst uns aber Niemand irgend ein Ärgernis geben, auf dass unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allen Dingen lasst uns beweisen als die Diener GOttes, in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen in Gefängnissen, in Aufrühren, in Arbeit, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft GOttes, durch Waffen der Gerechtigkeit, zur Rechten und zur Linken, durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, als die Verführer, und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch Viele reich machen; als die Nichts inne haben, und doch Alles haben.

„Du sollt anbeten GOtt, deinen HErrn, und Ihm allein dienen.“ Mit diesen Worten trieb JEsus nach dem heutigen Evangelio den Satan von sich hinweg. Er hatte seine Versuchungen erfahren müssen, nachdem Er vorher reiche Erfahrungen von der Gnade GOttes gemacht hatte. Bei der Taufe war aus dem herrlich eröffneten Himmel der heilige Geist auf JEsum herabgefahren, und GOtt hatte Ihn für seinen lieben, Ihm völlig wohlgefälligen Sohn erklärt, in der Wüste aber hatte Er in stillem Umgang mit seinem Vater himmlische Seligkeiten und göttliche Lebenskräfte empfangen. Nun sollte Er alle diese Gnade im Kampf behaupten und die Probe ablegen, dass Er durch Nichts sich aus der Verbindung mit GOtt reißen lasse. Deswegen durfte der Teufel Ihn versuchen. Aber JEsus hatte die Gnade GOttes nicht vergeblich empfangen, auch die lockendste Versuchung überwand Er in der Kraft des Gnadenwortes, in dem seine heilige Seele lebte.

Zu solchem Kampf in der Kraft der empfangenen Gnade ermahnt auch uns der Apostel in unserem Texte. Er hat vorher die Lehre von der Versöhnung als herrliches Evangelium verkündigt, wonach GOtt den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht hat, auf dass wir würden in Ihm die Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt. Weil JEsus gestorben ist, soll es sein, als wären wir Alle gestorben, und wir sollen in Ihm gerecht, heilig und selig werden, so dass das Zukünftige, was wir in JEsu noch werden sollen, uns heute schon zugerechnet wird als gegenwärtig. Diese große Gnade nun sollen wir nach unserem Text nicht vergeblich empfangen. Denn Nichts ist schmerzlicher, als wenn das, was die unendliche Liebe GOttes bei uns angefangen, wieder vereitelt wird, und was im Geist begonnen, im Fleisch und so im Verderben endet. Wen schmerzt es nicht, den König Saul zu sehen, den der HErr herrlich gemacht hatte vor ganz Israel: aber weil er den HErrn verließ, so verließ der HErr auch ihn und verwarf ihn und sein ganzes Geschlecht, dass es ein Ende nahm mit Schrecken. Und wem ist nicht das Ende des Judas erschütternd, der ein Apostel JEsu gewesen war, aber durch Geiz verderbt als Dieb, Verräter und Selbstmörder in die ewige Nacht dahinstürzte? Und wenn wir das ganze Volk Israel ansehen, ist nicht ihr Schicksal traurig genug, uns Tränen des Mitleids auszupressen? - GOttes Volk mit dem herrlichsten Gottesdienst, mit den heilsamsten Sitten und Rechten, mit Königen, Priestern und Propheten, die GOttes Stelle vertraten, und endlich so hoch geehrt, dass der Sohn GOttes selbst aus ihrer Mitte kam und sie vor allen anderen Vollem in sein herrliches Reich berief, und jetzt seit 1800 Jahren ein zerstreutes, verachtetes Volk, ohne Haupt, ohne Heimat, ohne Gottesdienst! Sie hatten die Gnade, die der HErr an ihnen tat, vergeblich empfangen. O wie müssen solche Beispiele uns besorgt machen, dass es bei uns nicht auch so gehe. Daher wollen wir die Hauptermahnung unseres Textes ernstlich zu Herzen fassen und unter dem Segen des HErrn betrachten:

Was dazu gehöre, dass wir die Gnade GOttes nicht vergeblich empfangen,

  1. dass wir den Tag des Heils treulich benützen,
  2. dass wir der Gnade zu Ehren und in ihrer Kraft wandeln.

HErr JEsu! auch heute ist ein Tag des Heils und gerade jetzt ist eine Stunde des Heils. O hilf uns, solche Gnadenzeit treulich zu benützen, damit das, was Du bisher an uns getan hast und täglich noch tust, nicht umsonst an uns sei, sondern Frucht schaffe ins ewige Leben. Dazu wirke auch jetzt in uns mit deinem heiligen Geist. Amen.

I.

Wir ermahnen euch als Mithelfer, Mitarbeiter GOttes und der Menschenherzen, dass ihr nicht vergeblich die Gnade GOttes empfangt. Das ist der Hauptgedanke unseres Textes, zu dessen Beleuchtung Alles dienen soll, was der Apostel von sich als Vorbild anführt. Er zeigt, wie er die durch GOttes Gnade empfangene Kraft anwende in einem Leben, das als treue Nachfolge JEsu voll Kampf und Arbeit, aber auch reich an weltüberwindender Kraft sei. So sollen auch die Korinther die Gnade, die ihnen in Christo zu Teil geworden, nicht vergeblich oder unwirksam bei sich sein lassen, sondern machen, dass ihr ganzes Leben ein Wiederschein der ihnen aufgegangenen Gnadensonne sei. Um diese Ermahnung noch dringender zu machen, sagt er: „Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils, und da soll an jedem Gläubigen erfüllt werden, was der HErr sagt: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört und habe dir am Tag des Heils geholfen.“ Diese Worte sagt der HErr Jes. 49 zu seinem Knecht, dem Messias, dem Er verheißt, dass durch ihn das Verlorene wiedergebracht, das Gefangene erlöst werden soll, und dass Er als das Licht der Heiden und als das Heil GOttes bis an der Welt Ende eine neue Segens- und Friedenszeit herbeiführen soll. Demnach ist unter dem Tag des Heils und unter der angenehmen Zeit die teure Gnadenzeit des neuen Bundes zu verstehen mit Allem, was JEsus von seiner Geburt bis zur Ausgießung des heiligen Geistes für uns getan hat, und was Er fortwährend tut bis zu seiner Zukunft und von da bis zum Weltgericht. Das ist die Zeit des Heils im Großen. Für die einzelnen Menschenseelen aber ist der Tag des Heils die Zeit, da der heilige Geist sie beruft oder erneuert durch das Wort GOttes und die Sakramente, durch Unterricht, Ermahnung, Predigt, durch Trübsale, die uns die Welt bitter und den Himmel süß machen, durch innerliche Wirkungen, durch welche der Geist in den Herzen entweder Unruhe über die Sünde, Sehnsucht nach Erlösung und neuem göttlichen Leben, oder Trost der Vergebung der Sünde und seligen Frieden GOttes, ja Vorschmack der ewigen Seligkeit wirkt.

So war bei den Aposteln der Tag des Heils, als der HErr sie berief, noch mehr als Er seinen Geist über sie ausgoss, und fortwährend, so oft sie Seine Nähe und Gnade erfahren durften. Für Paulus erschien der Tag des Heils zuerst als schwerer Straf- und Bußtag; in Finsternis und Dunkel der Blindheit ging ihm das innere Licht auf: aber wie herrliche Tage des Heils folgten, als es wie Schuppen von seinen Augen fiel, als er den wunderbaren Frieden GOttes schmeckte, da Er ihm Alles vergab, als der heilige Geist ihn erfüllte mit göttlicher Weisheit, hohem Mut und himmlischer Freudigkeit, oder wenn er das Netz auswarf und Tausende seinem Zug und Ruf folgten in das Reich GOttes, wenn der HErr ihm zum Trost erschien in den schwersten Trübsalsnächten, wenn er entzückt wurde bis in den dritten Himmel, und hörte und sähe im Paradies unaussprechliche Dinge, wenn er sagen konnte: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit!“ Das Alles waren Tage des Heils, in denen er reiche Gnade empfing, die dann auch nicht vergeblich bei ihm blieb.

So ist über Tausenden der Tag des Heils aufgegangen. Als Zachäus auf seinem Maulbeerbaum den Ruf JEsu hörte: „Steig eilend hernieder, ich muss heute einkehren zu deinem Haus,“ da war ihm der Tag des Heils angebrochen; ebenso als die drei Tausend am Pfingstfest unruhig wurden über das Heil ihrer Seelen, als Cornelius den Engel sah, der ihm sagte, sein Gebet sei erhört, und als Petrus seinem Haus die Heilbotschaft brachte, unter der dann der heilige Geist auf sie fiel; ebenso als der Lydia das Herz aufging durch den Geist des HErrn, und als die Grundfesten des Gefängnisses in Philippi bebten und die Riegel und Ketten zersprangen und der Gefangenwärter in Paulo den Führer zum Leben fand. So ist der Tag des Heils auch uns aufgegangen in der heiligen Taufe, in so manchem Unterricht aus GOttes Wort, in mancher stillen Stunde, da wir ein Heimweh nach dem Himmel fühlten und nur in GOtt Ruhe fanden, in den angenehmen Zeiten des Gebetes und anderen GOttesdienstes, bei so manchem Abendmahl, in der Gemeinschaft der Brüder, oft mitten unter den Geschäften der Alltäglichkeit. So oft wir von der Erde zum Himmel emporgezogen, so oft wir über unsere Sünden beschämt, im Glauben und in der Liebe bestärkt, und mit Kräften der zukünftigen Welt erquickt werden, so oft geht ein Tag oder eine Stunde des Heils für uns auf, wo die Gnade GOttes in Christo mit ihren seligen Heilsgütern uns aufs Neue angeboten wird.

Da liegt nun Alles daran, dass wir solche Tage und Stunden des Heils treulich benützen. Der empfängt die Gnade GOttes vergeblich, der es durch die Tage des Heils nicht Tag werden lässt in seinem Herzen, wie wenn Einer an seinem Haus alle Läden zuschließt, dass die Sonne nicht hineinscheinen kann, oder wie wir jetzt am Schnee auf der Winterseite sehen, dass er den kräftigen Strahlen der Sonne beharrlich trotzt, während der auf der Sommerseite rasch hinwegschmilzt. Solchem Schnee und Eis gleicht die fleischliche Natur, die ihre Ansprüche nicht aufgeben, ihre Lüste und Begierden nicht verleugnen, ihrer Eigenliebe und Eitelkeit nicht sterben und nur für diese sinnliche Welt leben will. Solche irdische Gesinnung ist auch unter uns die Ursache, warum Manche die Bekehrung aufschieben. Der Geist bezeugt dir innerlich oder durch Menschen, dass du anders sein solltest, dass so viel Fleischliches an dir dem HErrn missfalle, dass du, wenn du heute sterben müsstest, nicht in den Himmel kämest. Der Geist zeigt dir Alles, was zum Seligwerden nötig ist: aber du bist noch zu tief im Leichtsinn verstrickt, die irdischen Genüsse sind dir noch zu lieb, und du fürchtest, deine Kameradschaft möchte dich auslachen, wenn du fromm würdest. Darum denkst du, es pressiere noch nicht so, du seist noch jung, und lässt so manches Wort, das am Tag des Heils an dich ergeht, zu einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, und machst es wie Felix, der es auch nicht vertragen konnte, als Paulus vor ihm sprach von der Gerechtigkeit, von der Keuschheit, vom zukünftigen Gericht. Statt den Tag des Heils, der ihm angeboten war, zu benützen, erschrak der elende Weltdiener und antwortete: „Gehe hin auf diesmal; wenn ich gelegenere Zeit habe, will ich dich herrufen lassen.“ O wie manches Wort GOttes, das an die Seelen anklopft, muss diese Antwort hören: „Gehe hin auf diesmal!“

Selbst bei Gläubigen gibt es so gern ein Aufschieben dessen, wozu der Geist in besonderen Gnadenstunden anweist, und ein Verweilen bei dem, was er straft. „Nur noch diesmal,“ sagt das Fleisch, - „nur noch diesen Profit, nur noch dieses Vergnügen, nur noch diese Befriedigung der Eigenliebe, Hoffart, Fleischeslust oder Augenlust!“ Und über diesem „Nur noch Einmal“ wird die Gnade GOttes verscherzt und auf den vergeblichen Tag des Heils folgt tiefere Finsternis, größere Macht der Sünde und Ohnmacht des Guten in uns, und immer seltenere Erscheinung der Heilstage und Heilsstunden. Deswegen sagt Paulus in unserem Text: „Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.“ Jetzt noch werdet ihr gerufen und eingeladen, bald vielleicht nicht mehr. Heute kannst du selig werden, morgen vielleicht nicht mehr. Denn wer sich am Tag des Heils nicht bekehren und nicht erneuern will, der kann am Ende nicht mehr. Willst du das au einem Beispiel sehen? Ein leichtsinniger Mann, der dem Trunk ergeben war, wurde von seinem Pfarrer öfters gewarnt und zur Bekehrung ermahnt. Er war gerührt und versprach alles Gute. Aber er ließ nicht von seiner Sünde. Als er nun krank wurde, bat er den Pfarrer zu sich, und gedachte, seine Sache abzumachen. So lange der Pfarrer von äußerlichen Umständen mit ihm redete, war er ganz wach: aber sowie er nach seinem Herzenszustand gefragt und auf die Ewigkeit hingewiesen wurde, da überfiel ihn der Schlaf und die Mattigkeit, so dass seine Ohren verschlossen waren. Dreimal rüttelte sein Sohn ihn auf, und dreimal hörte er, was Äußerliches gesprochen wurde: aber dreimal sank er, sowie vom Seelenheil die Rede war, wieder zurück in seinen Schlummer, so dass ihm nicht mehr beizukommen war. Um dieselbige Nacht wurde seine Seele von ihm genommen und fuhr dahin in eine für sie grauenvolle Ewigkeit. So sind schon viele Tausende, die das Bekehren aufschoben, überfallen worden von Krankheiten, die alles Denken und Beten unmöglich machten, von Unglücksfällen und bösem schnellen Tod.

Das Wort GOttes, das du verachtet hast, verliert seine Kraft an deinem Herzen; der Ruf zur Buße, dem du dein Herz verschlosst, wird schwächer und schwächer; die Türe zum Reich GOttes, in die du nicht eintreten wolltest, wird zugeschlossen, und die Stufe der Herrlichkeit, zu der der Geist dich bereiten wollte, geht unwiederbringlich verloren. Deswegen ruft die Schrift mehrmals: „Heute, heute, so ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht;“ wacht, dass es euch nicht geht, wie dem Esau, der keinen Raum zur Buße fand, wiewohl er sie mit Tränen suchte; wie dem Volk Israel, das verworfen wurde und in der Wüste sterben musste; wie den Ländern, Völkern und Städten des Morgenlandes, in denen einst die herrlichsten Kirchen und Gemeinden waren, und die jetzt verwüstet und in der Gewalt der Ungläubigen sind. Schon oft ist das Evangelium von einer Gegend fortgewandert in eine andere und die die Gnade GOttes vergeblich an sich sein ließen, haben sie nie wieder bekommen. Deswegen wollen wir allen Fleiß tun, dass der Tag des Heils, dessen wir heute noch uns freuen, uns zu vollem Licht und göttlichem Leben helfe. Dazu gehört aber notwendig

II.

dass wir der Gnade zu Ehren und in ihrer Kraft wandeln. Dazu ermahnt uns das Beispiel des Apostels, das in unserem Text uns vorgehalten wird. Er sagt: „Lasst uns Niemand ein Ärgernis geben,“ oder nach dem Griechischen: wir, d. h. ich gebe Niemand ein Ärgernis, damit mein Amt nicht verlästert werde, sondern in allen Dingen beweise ich mich als Diener GOttes. Darin zeigte sich beim Apostel, dass er die Gnade GOttes nicht vergeblich empfangen hatte. Sein ganzer Wandel war eine Verherrlichung der empfangenen Gnade, nach den Worten des HErrn: „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ Dieses Wort des HErrn und dieses Beispiel seines Apostels wird von den Wenigsten befolgt; Viele bekehren sich, stehen im Glauben, halten zu den Brüdern, haben die Form des Christentums: aber sie nehmen es mit der Heiligung nicht genau, es ist noch viel Weltförmiges an ihnen, Eitelkeit, Üppigkeit, Hochmut, Lieblosigkeit, Neid, Geiz, Hartherzigkeit, Unversöhnlichkeit, Untreue im Beruf, Unredlichkeit, Unordnung, Faulheit, grobes, ungebärdiges Wesen, kurz, das Gegenteil von dem, was wir vor acht Tagen als Eigenschaften der Liebe betrachtet haben. Wenn solche Dinge an Gläubigen bemerkt werden, so gibt es großes Ärgernis, und nicht bloß ein Amt, wie z. B. das eines Apostels oder Predigers oder Vorstehers, sondern das ganze Christentum wird um solcher Fehler willen verlästert. Vom inneren Christentum, von der Vereinigung mit GOtt, vom Gebetsleben, von der Kraft des Wortes GOttes, davon versteht die Welt wenig oder Nichts: aber die äußeren Früchte weiß sie wohl zu beurteilen. Fehlt es einem Gläubigen an Liebe, an Berufstreue und Tüchtigkeit, an Fleiß und Ordnung, an Redlichkeit und Wahrheit, so hält die Welt alsbald auf sein ganzes Christentum und dann törichterweise auf das Christentum überhaupt Nichts. Und so lassen auch Christen sich das zu Schulden kommen, was Paulus den Juden vorwirft: „Um euretwillen wird GOttes Name gelästert unter den Heiden.“ Solche Halbchristen haben die Gnade vergeblich empfangen. Wozu ist uns die Gnade gegeben? Dass wir fromm reden und fromm scheinen, dass wir uns der Vergebung getrösten und das Gewissen einschläfern, dabei aber bleiben, wie wir von Natur sind? Nein, dazu wird die Gnade nicht gegeben: vielmehr soll durch sie unser ganzes Wesen geheiligt, GOtt-ähnlich gemacht, ins himmlische Wesen, in die Einheit mit GOtt versetzt werden. Wenn wir nicht darnach trachten, so sind wir in Gefahr, die Gnade vergeblich zu empfangen. Denn vergeblich ist das, dessen Zweck nicht erreicht wird.

Bei Paulo sehen wir davon das Gegenteil. Bei ihm kam die Gnade zu ihrem ganzen Zweck und Ziel, und er lebte der Gnade so zu Ehren, dass sein Wandel eine wahre Verherrlichung JEsu ist. Wenn er diesen Wandel in unserem Text uns als Vorbild vorhält, so darf ja Niemand denken, er lobe sich selbst; er tat es bloß, weil die Korinther durch ihr Misstrauen ihn zwangen, die Ehre seines Amtes, und so die Ehre Christi von jedem Flecken, den sie ihm anhängten, zu reinigen. So wollen wir nun aus dem, was Paulus von sich sagen darf, sehen, was dazu gehöre, der Gnade zu Ehren zu leben, und so die Gnade nicht vergeblich sein, sondern ihren ganzen Zweck an sich erreichen zu lassen. Paulus sagt: „In allen Dingen beweise ich mich als Diener GOttes, der nicht den eigenen, sondern nur den göttlichen Willen tut, unter Umständen, die die äußerste Verleugnung erfordern, in großer Geduld unter übermenschlichen Trübsalen und Nöten, Entbehrungen, Ängsten, Schlägen, Gefängnissen, Aufruhren durch den Hass wilder Feinde, in Wachen, in Fasten.“ Denke dich ein wenig in diese Umstände hinein aus deinem bequemen, behaglichen Leben, in dem du dich übel gebärdest, wenn dir nur der kleine Finger wehe tut; denke, es kommen einmal Rotten von Feinden Christi hierher, sie häufen allen Spott, Schmach und Verfolgung auf die Gläubigen, sie nehmen dich gefangen, schlagen dich, sperren dich ein, lassen dich halb verhungern und erfrieren. Wie würdest du dabei dich zeigen? Wärest du still und geduldig, bliebest du fest und standhaft im Glauben? Und ein fortgehendes Leben in Hunger, Blöße und unsäglich gehäufter Arbeit, wie Paulus es hatte, ohne doch irdischen Gewinn davon zu haben, was sagt deine Fleischlichkeit, was sagt deine Gewinnsucht dazu? Weiter sagt Paulus: „Ich beweise mich als Diener GOttes in Keuschheit,“ da er sich all des unreinen Fleisches- und Weltwesens enthalte, von dem auch Gläubige noch so Manches in sich beherbergen, da doch nur reine Herzen GOtt schauen werden, er trachte nach voller Erkenntnis aller göttlichen Wahrheiten, wie der menschlichen Dinge, um Alles mit den Augen GOttes anzusehen, und in Weisheit zu wandeln nach der Wahrheit GOttes, in Langmut, in Freundlichkeit, die die Schwachen, auch die draußen Stehenden, trägt, in dem heilige Geist, von dessen Zucht er sich regieren, und alle seine Gedanken, Worte und Werke beherrschen lasse, in ungefärbter Liebe gegen Freunde, Brüder, aber auch gegen Feinde und alle Menschen, in dem Wort der Wahrheit und in der Kraft GOttes, so dass er Nichts im eigenen Geist und Willen rede und tue, sondern Alles nach GOttes Wort, und gestärkt aus seiner Kraft, durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten, zum Angreifen des Feindes und Bekämpfen seiner Irrlehren und Irrwege durch das Schwert des Geistes, und zur Linken, zum Verteidigen mit dem Schild des Glaubens, mit welchem er auslöschen könne alle feurigen Pfeile des Bösewichts, so dass es ihm Nichts ausmache, ob es durch Ehre oder Schande, durch böse oder gute Gerüchte gehe.

So lebte Paulus der Gnade zu Ehren, in solch JEsus-ähnlichem Wandel bewies er, dass er die Gnade nicht vergeblich empfangen habe. Da darf er uns zurufen: „Wandelt also, wie ihr uns habt zum Vorbild.“ Es ist nicht so schwer, als wir meinen. Der Tag des Heils führt die Kraft dazu mit sich, wie der natürliche Tag mit seinem Licht Alles leicht und heiter macht, was in der Nacht schwer und düster war. Welch hohe Kraft die Gnade selbst verleiht, dass wir wohl in unserem ganzen Wandel beweisen können, wie wir sie nicht vergeblich empfangen haben, davon gibt der Schluss unserer Epistel uns einen lebendigen Eindruck, Paulus zeigt da die hohe Kraft in all seiner Schwachheit, den weltüberwindenden Sieg unter den schwersten Kämpfen, den höchsten Reichtum unter bitterer Armut, das kräftigste Leben mitten unter Todesschrecken. Er sagt: „Wir beweisen uns als Diener GOttes, als die Verführer, wie die Welt sagt, und doch wahrhaftig,“ wie sie selbst es wiederum anerkennen muss; als die Unbekannten nach dem Maß menschlicher Berühmtheit, aber doch bekannt, denn auch die Welt weiß die wahrhaftig Gläubigen zu schätzen, und selbst Viele, welche über sie schmähen, müssen sie doch innerlich bewundern und achten. „Als die Sterbenden und siehe wir leben, wir werden täglich in den Tod gegeben: aber wir fürchten uns nicht, ja, wir rühmen uns der Trübsale; als die Gezüchtigten und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch Viele reich machen; als die Nichts inne haben und doch Alles haben.“ So herrlich ist die innere Macht derer, die die Gnade in sich wirken lassen, was sie wirken will. Die Vereinigung mit GOtt macht das Herz groß und stark, und weit, und reich und selig. Daher sagt Paulus zu den Gläubigen: „Alles ist euer.“ Alles, was ihr braucht, gibt euch euer GOtt, und was ihr nicht braucht, das wollt ihr nicht, weil ihr euer Glück und euren Schatz in GOtt habt: was ihr aber verleugnen könnt, das ist euer. So kann ein Kind GOttes Nichts inne haben und doch Alles haben; schenkte man ihm alle Schätze und Herrlichkeit der Welt, aber es sollte seine Seligkeit in GOtt darum hergeben, so würde es lieber verhungern und verschmachten. Wer GOtt hat, der hat allen Reichtum; daher ein Lied sagt:

Der hat schon satt,
Der Gnade hat;
Sie ist an alles Reichtums Statt.

Wie oft schon haben wir das besonders im Gebet erfahren, da wir elend, arm und schwach niedersanken: aber aus dem Heiligtum GOttes floss solche Geisteskraft uns zu, dass wir als Helden wieder aufstanden. Wer kann die Macht aussprechen, die ein betender Geist empfängt und ausübt! Auch der Name des heutigen Sonntags erinnert uns daran. Das alte Kirchengebet fing mit den Worten an: „Invocavit“ - er rufe mich an, so will Ich ihn erhören; Ich bin bei ihm in der Not, Ich will ihn herausreißen und zu Ehren machen. Einem solchen betenden, in GOtt seligen Geist gilt die Verheißung JEsu: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“

Ein solcher kann arm und elend sein, aber er macht Viele reich, indem er ihnen zum Glauben und so zur Seligkeit in GOtt hilft; er kann traurig sein und gedrückt von außen, aber er ist innerlich allezeit fröhlich und heiter; denn wer jede Stunde den Himmel offen sieht und mit dem Vater im Himmel reden, und in JEsu Liebe und Umgang sich vergnügen kann, der hat eine unerschöpfliche Freudenquelle in sich und kann allezeit fröhlich sein. Daher gibt es keine vergnügteren und heitereren Leute, als die wahren Christen, und auch in dieser Hinsicht zeigen sie, dass sie die Gnade nicht vergeblich empfangen haben, sondern als eine Sonne, die ihr ganzes Leben wie mit himmlischem Lichtglanz erfüllt, und ihnen und durch sie auch Anderen die Erde zum Himmel macht. O Geliebte! kein menschlicher Verstand begreift die göttliche Höhe, zu der die Gnade selbst uns erhebt, wenn wir sie nur nicht vergeblich an uns sein lassen. GOtt ist Alles, in JEsu ist der Himmel, und hat GOtt seinen eigenen Sohn für uns dahingegeben, wie sollte Er uns Mit ihm nicht Alles schenken? Aber wie dürfen dann wir gleichgültig bleiben, im trägen Gewohnheitsschlaf, in der Stumpfheit irdischen Sinnes, in der Kälte der Selbst- und Weltliebe? Ach, teure Seelen! heute ist der Tag des Heils, jetzt, jetzt ist die Stunde des Heils. Lasst JEsum nicht länger stehen, ihr habt Ihn lang genug warten lassen, gebt Ihm euer Herz! Er hat euch bis in den Tod geliebt und Er will euch unaussprechlich selig machen, während Alles in der Welt euch nur immer ärmer und elender macht. Kommt besonders Ihr zu Ihm, ihr jüngeren Glieder der Gemeine! Nichts ist schöner als eine GOttgeheiligte Jugend. Heute ruft Er euch, die Tür zum Hochzeitssaal steht offen, warum besinnt ihr euch? Hat euch JEsus je etwas zu leid getan? O Er ist der treueste Freund eurer Seelen. Mit seinem Blut hat Er euch erkauft. Liebt Ihn, den Allerliebenswürdigsten, lebt Ihm, dem Lebens- und Friedensfürsten! Ja, liebe Brüder und Schwestern, tut Alle mehr Fleiß als bisher, euren Beruf und Erwählung fest zu machen. Denn wo ihr solches tut, werdet ihr nicht straucheln, und also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang zu dem ewigen Reich unseres HErrn und Heilandes JEsu Christi. Amen.

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