Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Estomihi.

Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Estomihi.

Text: 1 Kor, 13, 1-l3.
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte, und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis, und hätte allen Glauben, also, dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir es nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht, sie stellt sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie trachtet nicht nach Schaden. Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit. Sie verträgt Alles, sie glaubt Alles, sie hofft Alles, sie duldet Alles. Die Liebe hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und das Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind, und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkennt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Der am Kreuz ist meine Liebe,
Und sonst Nichts in dieser Welt.
Ach, wenn Er's doch ewig bliebe,
Der mir jetzt so wohl gefällt!
Nun, mein Herz ist so gesinnt,
Dass es diesen Schluss beginnt:
Es sei heiter oder trübe,
Der am Kreuz ist meine Liebe!

Mit dieser Gesinnung wollen wir in dieser Woche die heilige Passionszeit wieder beginnen, in der wir des Leidens und Todes JEsu ganz besonders gedenken. Niemand und Nichts in der ganzen Welt ist größerer Liebe würdig, als Er, der sein Leben gelassen hat für Sünder, für Gottlose, für Feinde. Im heutigen Evangelium sagt Er zu seinen Jüngern: „Seht, wir gehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen Sohn wird überantwortet werden den Heiden, und wird verspottet und geschmäht und verspeit1) werden, und sie werden Ihn geißeln und töten.“ Das Alles sah JEsus voraus, und doch ging Er so schrecklichem Tod entgegen. Wie unbegreiflich groß ist die Liebe, die in solche Trübsalsfluten sich freiwillig hineinstürzt! Auch dass Er mitten aus seinen ernsten Todesgedanken heraus den blinden Bettler am Weg doch sah und heilte; auch dieser Zug des Evangeliums zeigt uns seine tiefe Liebe, in der Er nicht an sich dachte, sondern nur für uns lebte. Beim Anblick solcher Liebe geht uns der Ruf seines Lieblingsjüngers tief zu Herzen: „Lasst uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebt.

Aber wir können unsere Liebe gegen Ihn nur dadurch tätig beweisen, dass wir uns unter einander lieben, und zwar nach seinem Gebot so, wie Er uns geliebt hat. Solche Liebe ist, wie wir früher sahen, des Gesetzes Erfüllung und das Band der Vollkommenheit; daher Paulus in unserer Epistel sie weit über alle anderen geistlichen Gaben setzt, von denen er im Kapitel vorher und nachher so viel spricht. Auch die außerordentlichen Offenbarungen, von denen wir letzten Sonntag geredet haben, sind nicht so hoch zu achten, wie ein Leben in der Liebe, wenn auch sein äußerer Gang ganz unscheinbar, wie unter verdecktem Himmel dahingeht. Glaube, Liebe, Hoffnung sind die drei Grundeigenschaften im Reich GOttes, die höchsten und edelsten Gaben des Geistes, höher als alle bloß menschliche Weisheit, Tugend und Glückseligkeit: aber die größte unter diesen dreien ist nach unserem Text die Liebe. Alles Andere, Wissen, Weissagen, Sprachengaben, selbst Glaube und Hoffnung hören auf, aber die Liebe hört nimmer auf. Alles Andere hat ohne sie keinen Wert, sie aber verklärt unser irdisches Leben wie mit himmlischem Licht. Deswegen hält ihr der Apostel eine so erhabene Lobrede in unserem Text, der wie ein Lied im höhern Chor die Liebe besingt als das Höchste und Herrlichste unter Allem, was der Geist wirkt in dem ohne Liebe toten und Finsteren Leben. Demgemäß betrachten wir mit des HErrn Hilfe

Den Alles übertreffenden Wert der Liebe.

  1. Ohne sie sind wir Nichts,
  2. sie macht göttlich gesinnt,
  3. sie hört nimmer auf.

Ich steig' hinauf zu Dir im Glauben,
Steig' Du in Lieb' herab zu mir;
Lass mir nichts diese Freude rauben,
Erfülle mich nur ganz mit Dir;
Dich will ich lieben, loben, ehren,
So lang in mir das Herz sich regt,
Und wenn es einst auch nicht mehr schlägt,
So soll doch noch die Liebe währen.
Amen.

I. Ohne die Liebe sind wir Nichts

Ohne die Liebe sind wir Nichts mit den höchsten geistlichen Gaben, Vorzügen und Verdiensten. Das ist der Gedanke des ersten Teils unserer Epistel. Sie beginnt mit den Worten: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.“ In dem Kapitel vor unserem Text spricht der Apostel von den verschiedenen Geistesgaben, die zum Teil als wahre Wunderkräfte in der ersten Gemeinde ausgeteilt waren, z. B. die Gabe der Krankenheilung, der Wunderglaube, die Weissagung, die Gabe, in allerlei nie gelernten Sprachen zu reden und sie auszulegen. Diese Gaben alle sollen wie Glieder Eines Leibes in Einheit und Liebe zusammenwirken: Jeder aber soll streben nach den besten, für das gemeine Beste nützlichsten Gaben. Für solches Streben wolle er ihnen den vortrefflichsten Weg zeigen. Auf diese Worte folgt dann unser Text, in dem also Paulus als die vortrefflichste Gabe und als den Weg zur vortrefflichsten Anwendung aller Gaben die Liebe nennt. Ohne sie sind alle anderen Gaben nichts; selbst die wundervolle Gabe, in allerlei Sprachen zu reden, und wenn sie übermenschlich und engelartig wäre, dass Einer alle Sprachen der sichtbaren und unsichtbaren Welt reden könnte, ohne Liebe wäre selbst eine so glänzende Gabe nur ein leerer Glanz, ein verhallender Ton, ein bloßer Schein ohne Sein, ohne Leben und Kraft.

„Und wenn ich weissagen könnte,“ als ein Prophet die Zukunft verkünden, im weiteren Sinn aber lehren, GOttes Wort auslegen, predigen mit hoher Redner- und Dichtergabe, und wenn ich alle Geheimnisse wüsste aus der sichtbaren und unsichtbaren Welt, und wenn ich alle Erkenntnis hätte, alle Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Weisheit, alle Kunst, Bildung und Geschicklichkeit, welche Menschen irgend erreichen können, so wäre ich mit aller dieser hohen Weisheit nichts ohne die Liebe. Ja, wenn ich das hätte, was als schönste Probe des geistlichen Lebens angesehen wird, starken Glauben, sogar Wunderglauben, so dass ich Berge versetzen, das Unmögliche möglich machen konnte, aber ich hätte der Liebe nicht, so wäre ich Nichts. Ja noch mehr, selbst das, was vor aller Welt gepriesen wird, was auch Kinder GOttes als Zeichen eines neuen Lebens ansehen, alle Habe den Armen geben, den Leib dem Märtyrertod in den Flammen hinopfern, - selbst das ist nichts nütze ohne Liebe. Wo die Liebe nicht ist, da regiert die Selbstsucht, und Alles, was wir um unser selbst willen tun, zu unserem Nutzen, zu unserer Ehre, zu unserem Vergnügen, das hat keinen Wert vor GOtt.

GOtt will Alles in Allem sein, weil nur so Alles selig ist in Ihm. Um Alles in uns sein zu können, verlangt Er, dass wir Ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, und als Probe unserer Liebe zu Ihm sieht Er das an, dass wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst. So werden wir Ihm ähnlich, denn GOtt ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in GOtt und GOtt in ihm. In der Selbstsucht und Selbstliebe schließt das Ich sich ein in seinen engen Kreis, und lebt und arbeitet nur für sich und sucht in Allem nur sich selbst. Was sind da die glänzendsten Gaben und Werke? Sie sind eitel Eigennutz und leere Ruhmsucht. Selbst vor menschlichen Augen gelten diese Triebfedern als unedel, um wie viel mehr in GOttes Augen, da Er als die Liebe beständig sich selbst mitteilt, und wir nur dadurch Ihm gefällig und ähnlich werden, wenn auch wir uns mitteilen, hingeben und andere mit Liebe umfassen.

Das ist aber nur dann möglich, wenn GOtt unsere höchste Liebe ist. Nur diese Liebe GOttes heiligt unser Gemüt und durchdringt alle Kräfte unseres Wesens mit neuer Lebenskraft. Die Liebe macht Eins mit dem Geliebten, sie ist das geheime Band der Geister, und so, je mehr wir GOtt lieben, desto mehr werden wir Eins mit Ihm. Nur diese Vereinigung mit GOtt gibt unserem ganzen Leben Wert; denn GOtt ist das Leben alles Lebens, nur was aus Ihm fließt, ist wahres Leben, und nur was von Ihm kommt, kommt wieder zu Ihm. Deswegen hat Alles in unserem Leben nur so viel Wert, als es im Zusammenhang mit GOtt steht, und was wir außer GOtt suchen, lieben und tun, das ist für diese vergängliche Welt, aber nicht für die Ewigkeit, oder ist es gar Schaden für die Seele. Was helfen alle Sprachengaben und was hilft alle Wissenschaft und Kunst, wenn das Herz dabei nur sich sucht, wenn GOtt nicht dadurch geehrt und das Wohl des Nächsten nicht dadurch gefördert wird? Was hilft es, wenn Einer noch so schönreden kann, predigen, ermahnen, lehren und beten: aber er sucht damit nur seine Ehre, will sich zeigen und gefällt sich selber, GOtt aber sucht er nicht und den Nächsten liebt er nicht. Sind seine Worte nicht leerer Schall, ja GOtt zur Unehre, weil die Lehre sich nicht erprobt durch die Tat?

Ja, wenn Einer auch Alles glaubt, was in der Bibel steht: aber sein Herz ist kalt und liebeleer, er verschließt sich selbstsüchtig gegen Andere, was hilft solcher Glaube! Und wenn Einer auch allerlei Werke tut, die als Liebeswerk erscheinen, Almosen, Unterstützung und Hilfeleistung aller Art: aber er tut es nur, wie die Pharisäer, um gesehen zu werden von den Leuten, um sich einen Nutzen für diese Zeit oder für die Ewigkeit dadurch zu verschaffen, - was für einen Wert hat solche Barmherzigkeit, die lauter Selbstliebe ist? All' unser Dichten und Trachten, Denken, Reden und Tun hat nur so viel Wert, als es in der Liebe geschieht und in der Vereinigung unseres Geistes mit GOtt. Ohne Liebe ist unser Leben wie eine wüste Einöde, dürre und traurig, ohne Schmuck und ohne Segen und Glück. Da herrschen die finstern Geister des Neides, Geizes, Eigennutzes, Hochmuts und fleischlicher Genusssucht. Da ist innerlicher Tod und das Ende ist das Verderben. Das Höchste ohne Liebe ist Nichts, und das Geringste in Liebe getan ist teuer in GOttes Augen. Denn

II. nur die Liebe macht uns göttlich gesinnt.

Diese GOtt-ähnliche Gesinnungs- und Handlungsweise der Liebe, um deren willen Alles nur durch sie einen Wert hat, schildert der zweite Teil unseres Textes. Da führt Paulus die herrlichen Eigenschaften der Liebe auf und gibt uns so ein Bild von ihrem wahrhaft göttlichen Wesen. Indem wir dieses Bild betrachten, wollen wir in ernstlicher Selbstprüfung sehen, wie weit mit demselben das Bild unseres Herzens und Lebens übereinstimmt.

Die Liebe ist langmütig und freundlich, wie GOtt es ist über die ganze Welt. Wie Er eine Welt voll Sünder doch liebt und segnet, so liebt auch in seinen wahren Kindern die rechte GOttes- und Nächstenliebe nicht bloß solche, die ihr angenehm sind, sondern auch solche, welche zu lieben schwer wird, welche sie beleidigen, betrüben, oder doch ihr zur Übung und zuwider sind. Die Liebe trägt ihre Fehler, sieht in den Fehlern Anderer ihre eigenen, findet in allen Adamskindern sich selbst und demütigt sich vor GOtt über der Gesamtschuld des ganzen Geschlechts, dessen Fehler und Sünden die Liebe mit priesterlichem Sinn auf sich nimmt und langmütig hinausblickt in die Länge, d. h. in die Zukunft, in der vielleicht bald die bekehrt sind, über die wir jetzt seufzen möchten. Die Liebe kann Andere auswarten und sie ansehen, nicht wie sie für sich selbst sind, sondern in Christo und durch Christum hindurch, wie GOtt alle Unbekehrte in Christo anschaut und um Seinetwillen sie segnet. Ja, die Liebe deckt auch der Sünden Menge, reicht in brüderlicher Liebe allgemeine Liebe dar, gönnt Jedem Gutes, und sucht nicht bloß mit Gebärden und Worten, sondern auch mit Rat und Tat sich freundlich gegen Andere zu bezeugen und sich ihnen zur Besserung gefällig zu machen.

So machte es jene Frau, der ihr Mann, als roher Trunkenbold zum größten Leiden war. Mehrere Jahre betete sie täglich um seine Bekehrung: aber es war, als ob es immer ärger würde, so dass sie sich versucht fühlte, das Beten aufzugeben. Wenn er spät in der Nacht betrunken nach Hause kam, so traf er sie nie im Bett, sondern sie blieb auf, um ihm zu zeigen, dass sie wisse, wann und wie er komme, aber auch um ihm noch mit Nötigem zu dienen. Ihn aber erzürnte diese schweigende Strafe; fluchend und tobend schmähte und schlug er sie. Hunderte hätten sich da scheiden lassen: aber sie hielt geduldig aus und trug still ihr Kreuz in der Kraft der Liebe JEsu. Einmal aber kam er wilder als sonst um Mitternacht nach Hause; nachdem er lange auf sie hineingeschmäht hatte, wurde er durch ihr Schweigen und gewiss durch die innern Gewissensvorwürfe, die er doch nicht hören wollte, so erzürnt, dass er ein Scheit Holz holte und sie damit schlug, ja, sie zu Boden warf und auf ihr herumtrat, so dass sie kaum aufstehen und nicht mehr gehen konnte. Dann ging er zu Bett, sie aber betete und betete für den besonders, der sie so misshandelt hatte. Bald aber hörte sie ihren Mann winseln und schreien, da er von den heftigsten Kolikschmerzen gequält war. Da kroch sie hinaus in die Küche und machte ihm einen Tee, durch den es ihm besser wurde. Durch diese Liebestat brach das harte Herz, Tränen stürzten über seine Wangen herab, schluchzend umarmte er sie und bat tausendmal um Verzeihung mit dem Ausruf: „Kannst du mir noch verzeihen?“ Sie versicherte ihn des, und auf seine Bitte, mit ihm zu beten, betete sie mit heißer Liebe für ihn. Von da an war sein Herz für JEsum gewonnen, und er bekehrte sich wahrhaftig und blieb von nun an in herzlicher, hingebender Liebe mit seiner Gattin verbunden. Was war besser? Ehescheidung oder diese freilich wunderseltene Langmut der Liebe?

Weiter sagt der Apostel: „Die Liebe eifert nicht,“ ist nicht eifersüchtig, wie die fleischliche, selbstsüchtige Liebe es ist; sie ist weit, lässt Anderen ihren Wert, ihr Verdienst und ihre Ehre, will nicht allein Alles sein, und wenn sie höhere Gaben, größere Wirksamkeit und mehr Ansehen an Anderen bemerkt, so ist sie nicht neidisch, sondern hält Andere höher als sich selbst, und freut sich, wenn ihre Mängel durch Anderer Gaben erstattet werden. Daher hütet sich die wahre Liebe vor allem Mutwillen, vor Scherz und Witz über die Schwächen Anderer, überhaupt vor Spott, vor Verkleinerung und Beschimpfung Anderer, und vor dem Aufblähen, das mit sich selbst so wohl zufrieden ist, Menschenlob so gerne annimmt, Andere in Schatten und sich dadurch ins Licht stellt, und überall Etwas zu tadeln findet, statt der eigenen Fehler, der vergebenen und der noch immer anklebenden demütig zu gedenken.

Demütige Liebe beträgt sich auch nicht ungebärdig, meidet alles unanständige Wesen, Heftigkeit, Zorn, Auffahren gegen andere, beleidigende, grobe, gemeine Reden und weltförmiges Wesen, Schimpfen, heftigen Ärger, so wie leichtsinnige, ausgelassene Freude und andere Naturaufwallungen, sie meidet Alles, worüber sie erschrecken müsste, wenn plötzlich das Auge GOtt es sie träfe.

Die Liebe bleibt in besonnener Gemütsgegenwart, in einer stillen Ruhe und Sanftmut, lässt sich daher auch nicht erbittern, wie JEsus so viel Bitteres überwand, seinen Mund nicht auftat, und segnete, die Ihm fluchten, und bat für die, die Ihn an's Kreuz hefteten. Freilich Vieles in der Welt tut uns bitter wehe, und auch im Umgang mit Gläubigen müssen wir manche bittere Erfahrung machen. Wenn wir in einer Seele, an deren Liebe wir nicht zweifelten, uns getäuscht haben, wenn der Wandel oft so ganz anders ist, als die fromme Rede, wenn Unlauterkeiten, vielleicht grobe Sünden angeblicher Brüder oder Schwestern unser Gefühl empören und wir ihretwillen Schmach tragen müssen oder Schaden leiden durch sie, so ist das bitterer, als Wermut oder Galle. Ja, Mancher hat schon durch solche Ärgernisse sich gegen alles Christentum erbittern lassen.

Nicht so die aus GOtt stammende Liebe. Auch in den gröbsten Verirrungen Anderer erkennt sie sich selbst; die Eigenliebe, von der alle Empfindlichkeit und Erbitterung rührt, lässt sie Nichts gelten, hasst sie selbst um so vieler Unlauterkeit willen, und kann daher auch Anderer Widrigkeit ertragen, und warten, und beten für Andere lieber, als über sie klagen. Sie sucht nicht, das Ihre, sie geht aus sich selbst heraus, lebt nicht in sich, sondern in GOtt und durch GOtt in Anderen, wie JEsus nur in GOtt und nur für uns lebte und für uns starb. O Geliebte, wie beschämend ist besonders dieses Lob der wahren Liebe für uns, und namentlich für die, die kaum einen Anfang von uneigennütziger Liebe in sich haben; sie sucht nicht das Ihre, nicht ihren Nutzen, nicht ihre Ehre, nicht ihre Bequemlichkeit und Lust, meint nicht, ihr Wille, ihre Meinung und Art und Weise müsse gelten und herrschen, sondern setzt das gemeine Beste über ihr eigenes, den Frieden über ihr strenges Recht.

„Solche Liebe trachtet nicht nach Schaden,“ oder nach dem Grundtext: „rechnet das Böse nicht auf“, ist nicht so argwöhnisch und misstrauisch, legt nicht gleich böse Absichten unter, sondern denkt lieber das Beste von Anderen, als das Schlimmste, und freut sich, wenn es Jedermann wohl geht und wenn sie Jedermann dienen kann. Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, weder für sich, noch für Andere, sie weiß Nichts von Schadenfreude, Nichts von den vielerlei Vorwänden, mit denen das Fleisch und die von ihm bestochene Vernunft die Sünde rechtfertigt, sie freut und befleißigt sich durchaus der Wahrheit, ist redlich und aufrichtig, so dass Jedermann auf den Grund des Herzens hinabsehen dürfte, ohne dass sie erröten müsste. So viel die Wahrheit und die Ehre GOttes zulässt, verträgt die Liebe Alles, namentlich was sie betrifft, will lieber Unrecht leiden als Unrecht tun, sie glaubt Alles, glaubt gern das Beste und sucht Alles zum Besten zu kehren, glaubt, dass Alles ihr zum Besten dienen müsse, und wo sie nicht glauben kann, da hofft sie, und wo sie nicht hoffen kann, da duldet sie in stillem Gehorsam unter GOttes Willen und Zulassung, und blickt hinaus auf die große Zeit, da alle Verheißungen GOttes über uns und allen Menschen zu ihrer Erfüllung kommen.

So ist die Liebe eine göttliche Macht, die die Welt überwindet, ein Licht in dieser finsteren Welt, ein unerschöpflicher Born, aus dem Friede und Freude und Segen und Heil ausströmt über alle ihre Umgebungen, wie wir das am Vollkommensten an dem Beispiel JEsu sehen. So hat kein Mensch geliebt wie Er: aber so hat auch kein Mensch die Welt überwunden und den Himmel aufgeschlossen, wie Er. Wäre solche Liebe aus GOtt in uns, so würde unser ganzes Leben verklärt zu einem seligen und heiligen GOttesdienst, und wir erführen die Wahrheit: „Lieben und geliebt werden ist der Himmel schon auf Erden.“ Je mehr solche göttliche Liebe unter den Menschen allgemein würde, desto mehr müsste unsere arme, jetzt so zerrissene, von tausend Misstönen und Klagen wiederhallende Erde ein Paradies werden, in dem aller Jammer über tausenderlei Lieblosigkeit und Unrecht verstummen und allgemeine Liebe wie eine hellstrahlende Sonne alles mit Licht und Wärme erfüllen würde. Weil so in der Liebe eigentlich der Himmel wäre, deswegen hat sie einen unendlich hohen, alles Andere übertreffenden Wert. Und das besonders deswegen, weil solcher Himmel ewig nie getrübt würde, denn

III. die Liebe hört nimmer auf

die Liebe hört nimmer auf, sie ist ewig, während alle anderen geistigen Gaben, Kräfte und Vorzüge aufhören. Unser Text sagt: „Die Weissagungen werden aufhören und die Sprachen werden aufhören und das Erkenntnis wird aufhören.“ Im Himmel sind alle Weissagungen erfüllt, im Himmel wird nur Eine Sprache gesprochen, die des Geistes und der Liebe; im Himmel macht alle unsere irdische Weisheit, als gering und der Wahrheit doch nie ganz entsprechend, einer höheren Weisheit Platz. Die Liebe, die GOtt schaut, hat eine unendlich höhere Erkenntnis, als all unser Stückwerk von Wissen, da wir nur Teile der Wahrheit in einzelner Aneinanderreihung erkennen, nie aber das Ganze wesenhaft durchschauen, so dass Paulus sagt, wir sehen nur rätselhaft, undeutlich wie durch einen Spiegel, durch trübes Glas, wie es die Alten hatten, durch das man die Dinge nicht recht sehen konnte. Aber im Himmel werden wir die ganze Wahrheit wesentlich erkennen von Angesicht zu Angesicht, wenn der Glaube verwandelt ist in ein seliges Schauen GOttes, als der wesentlichen Wahrheit und Liebe in Seligkeit. Da hört das Stückwerk auf, weil das Vollkommene, GOtt und das Leben, in ihm erschienen ist.

Gegen dieser wesenhaften Erkenntnis ist alle jetzige, wie Knabenspiel gegen Manneskraft und Arbeit. Denn „dann werde ich's erkennen, wie ich erkannt bin.“ GOtt erkennt und durchschaut uns durch und durch; wenn nun wir ganz zum Anschauen seiner Herrlichkeit gelangen, so spiegelt sein Wesen sich in uns ab, wie die Sonne in einem Spiegel, der das Sonnenlicht so wiederstrahlt, dass wir ihn so wenig als die Sonne ansehen können. Da erkennt dann GOtt sich selbst in uns und wir erkennen Ihn in seligem Schauen. Solche Erkenntnis ist die wesenhafteste Vereinigung unseres Geistes mit GOtt und daher die allerhöchste Seligkeit. Im Alten Testament wird das Wort „Erkennen“ als Ausdruck für die eheliche Vereinigung gebraucht, von der Paulus sagt: „Die Zwei sind Ein Fleisch.“ So wenn GOtt uns erkennt und wir Ihn, so sind wir Eins mit GOtt, wie das JEsus verheißt mit den Worten Joh. l7: „Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du mir gegeben hast, dass sie Eines seien, gleichwie wir Eines sind, Ich in ihnen und Du in Mir, auf dass sie vollkommen seien in Eins.“

Solche Vereinigung der Seligen mit GOtt und JEsu und untereinander - das ist das hohe Ziel, zu dem ein Leben in der Liebe führt. Dieses Ziel erreicht kein Geist, der nicht die Liebe, so wie wir es vorhin vom Apostel hörten, gelernt und hier unten unter Kampf geübt hat. Denn GOtt ist die Liebe, Liebe ist sein Wesen; wollen wir mit GOtt Eins werden, so kann es nur durch Liebe geschehen, wenn auch unser Wesen „Liebe“ ist, wie Liebe GOttes Wesen ist.

Zu solcher Liebe und zu so inniger Vereinigung mit GOtt durch Liebe soll unser ganzer Glaube das Mittel sein; denn ohne Glauben ist's unmöglich, zu lieben. Nur aus GOtt fließt die Kraft der Liebe uns zu, und im Glauben ziehen wir sie an. Daher müssen wir vor Allem GOtt um Liebe bitten, wie auch David in den Worten tut, die dem heutigen Sonntag seinen Namen gaben, da das Gebet der alten Kirche mit den Worten anfing: „Esto mihi,“ d. h. sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass Du mir hilfst. So im Gebet muss unser Glaube die Kraft göttlicher Liebe anziehen. Nur die Liebe, die JEsus von seiner Krippe bis zu seinem Kreuz uns erzeigt hat, nur diese höchste göttliche Liebe nimmt uns das Herz, befreit es von der Selbstliebe, macht, dass wir um der Sünde willen, die JEsu solche Not verursacht hat, uns selber hassen, und Ihn, der sich für uns sein ganzes Leben hindurch aufgeopfert hat, über Alles lieben. Und nur wenn unser Herz so in Liebe mit Ihm vereinigt ist, nur dann kann es auch in Ihm und durch Ihn die Menschen lieben, weil die Selbstsucht unter dem Kreuze JEsu gestorben ist und stirbt. So hilft der Glaube an den für uns Gekreuzigten zur Liebe: aber die Liebe ist, wie unser Text sagt, größer, als der Glaube, denn der Glaube ist nur das Mittel zu ihr; nicht deswegen glauben wir, dass uns geschwind die Sünde vergeben werde, und es dann wieder sei, wie es vorher war, sondern dass wir mit GOtt vereinigt werden in Liebe.

Einheit mit GOtt - das ist unsere ursprüngliche Bestimmung; Einheit mit GOtt, Heiligkeit und Seligkeit in Ihm, das ist das Ebenbild GOttes, das wir durch den Sündenfall verloren haben, und das hat JEsus durch sein Erlösungswerk uns wieder erworben. Der Glaube eignet es sich zu: aber erst in der Liebesgemeinschaft mit GOtt und mit dem Leib JEsu wird das, was dem Glauben zugerechnet wird, wesenhaft in uns. Deswegen ist die Liebe die Vollendung unseres geistlichen Lebens, das Band der Vollkommenheit, die Vereinigung der Erde mit dem Himmel, ja, fortwährend ist der Himmel eigentlich nichts Anderes, als Liebe, ein Leben in GOtt durch Liebe und ein Leben GOttes in uns durch Liebe. Der Glaube hört auf im Schauen, die Hoffnung hört auf in der Erfüllung: aber die Liebe hört nimmer auf, denn sie ist selbst das Alles erfüllende Schauen, das vollkommene Erkennen GOttes, und so die höchste Weisheit, das seligste Leben, da GOtt ihr Alles in Allem ist.

O Geliebte, wer sehnt sich nicht, so in der Liebe und so in GOtt zu leben? Und wer von uns blickt nicht mit tiefer Beschämung in sein armes, liebeleeres Herz, und in sein kaltes, selbstsüchtiges, von Liebe noch so wenig durchleuchtetes Leben hinein? Die Kälte, die heute wieder so stark eingetreten ist, tut uns weh: aber die Sonne, die jetzt so freundlich in unser Kirchlein hereinleuchtet, tut uns wohl, und gerne wärmen wir uns an ihrem Strahl. Was die Kälte im Natürlichen, das ist die Selbstsucht und Lieblosigkeit im Geistlichen; dagegen die Liebe ist die Freudensonne, die Alles mit ihrer wohltuenden Wärme erquickt und beseligt. Der Heilige Geist lasse diese Sonne in unser aller Herzen täglich neu aufgehen, und verkläre dazu die Liebe des Vaters und des Sohnes in uns, dass wir in Liebe Eins werden mit Ihm und verklärt in sein Bild von einer Klarheit in die andere. Alles, was ich über die Seligkeit und den hohen Wert der Liebe gesprochen, ist ein schwaches Stammeln; der Geist wolle weiter zeugen in euren Herzen, und wirken, was doch kein Mensch wirken kann, dass unsere Erkenntnis zum Wesen werde, dass wir durch Liebe neu geboren werden in göttliches Leben, und dass unser ganzer Wandel, nicht bloß unsere Rede und unser Gefühl, sondern unser ganzer Wandel geheiligt sei in der Liebe. Ja:

Kommt, ach kommt ihr Gnadenkinder
Und erneuert euren Bund!
Schwöret unsrem Überwinder
Lieb' und Treu' aus Herzensgrund.
Und wenn eurer Liebeskette
Festigkeit und Stärke fehlt,
O so flehet um die Wette,
Bis sie JEsus wieder stählt.

Hallelujah! welche Höhen,
Welche Tiefen reicher Gnad',
Dass wir Dem ins Herze sehen,
Der uns so geliebet hat,
Dass der Vater aller Geister,
Der der Wunder Abgrund ist,
Dass Du, unsichtbarer Meister,
Uns so fühlbar nahe bist.

Amen.

1)
angespien
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