Kapff, Sixtus Carl von - Am 7. Trinitatis-Sonntag
Text: Röm 6, 19-23.
Ich muss menschlich davon reden, um der Schwachheit willen eures Fleisches. Gleichwie ihr eure Glieder begeben habt zum Dienste der Unreinigkeit, und von einer Ungerechtigkeit zu der anderen; also begebt nun auch eure Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. Denn da ihr der Sünde Knechte wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. Was hattet ihr nun zu der Zeit für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselbigen ist der Tod. Nun ihr aber seid von der Sünde frei, und GOttes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet, das Ende aber das ewige Leben. Denn der Tod ist der Sünden Sold; aber die Gabe GOttes ist das ewige Leben, in Christo JEsu, unserem HErrn.
„Haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt GOtt, in Christo JEsu, unserem HErrn.“ So endete die Epistel des letzten Sonntags, in welcher wir die ernste Aufforderung erhielten, der Sünde mit Christo abzusterben und in einem neuen Leben zu wandeln. Dazu will der Apostel uns noch eindringlicher ermahnen, indem er die Sünde vorstellt als einen Tyrannen, dessen unglückliche Sklaven mit Schande und Tod enden, während GOttes Knechte vom Dienst der Gerechtigkeit nur Friede und Freude und endlich das ewige Leben haben. Das ist der Hauptinhalt unserer heutigen Epistel. Sie zeigt uns mit ernsten Ausdrücken den ganzen Jammer unserer sündlichen Natur. Denn was ist elender als Sklaverei, und was ist furchtbarer, als der Tod, mit Allem, was in dieser Zeit und in der Ewigkeit zum Tode gehört? Unter diesem Fluch der Sünde stehen wir Alle von Natur, daher Paulus (Röm. 3, 23.) sagt: „es ist hier kein Unterschied, wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir an GOtt haben sollten.“ Nur wenn wir das mit tiefer Scham und Beugung erkennen, nur dann wird uns auch das, was JEsus für uns getan hat, recht groß. Ja, man kann sagen: nur so viel wir die Sünde ernennen, nur so viel erkennen wir auch die Gnade; deswegen ist nur in der Selbsterkenntnis der Schlüssel zur GOtteserkenntnis.
Davon sahen wir auch vor 14 Tagen am Reformationsfest einen deutlichen Beweis. Dass Luther und die anderen Reformatoren eine so richtige, unter allen Stürmen bewährte Erkenntnis der ganzen Heilslehre haben und uns mitteilen konnten, das hatte seinen Grund darin, dass sie mit demütigem Sinn das ganze Verderben der Sünde erkannt und eingesehen hatten, wie in unserer Natur nichts sei, das vor GOtt gerecht und des Himmels würdig machen könnte. Die Irrlehren, gegen die sie kämpften, hatten ihren letzten Grund darin, dass die katholische Lehre die Größe des Sündenfalles und Sündenverderbens nicht so tief erkannte, sondern behauptete, die menschliche Natur sei im Wesentlichen noch wie vor dem Falle, sie habe nur die Vorzüge verloren, die GOtt ihr als übernatürliche Gnadengeschenke, gleichsam als von außen hinzugekommenen Schmuck, erteilt habe; sie sei jetzt zwar zum Bösen geneigt, habe aber wesentlich noch, wie vor dem Fall, die Kraft, sich zu bessern, wozu dann Christus und die Kirche ihr zu Hilfe komme. Daher rührt, dass in der katholischen Lehre auf das Menschliche so viel Gewicht gelegt wird, während die evangelische Lehre alles Heil allein von Christo ableitet, weil sie daran festhält, dass durch den Sündenfall unsere Natur wesentlich anders geworden sei, da sie aus dem reinen Bilde GOttes, aus der ursprünglichen Einheit mit GOtt und so aus der Herrschaft des Geistes über das Fleisch gefallen jetzt zum wahrhaft Guten unfähig, wie unser Text sagt, der Sünde Knecht und so des Todes Beute sei, so dass nur Wiedergeburt durch den heiligen Geist sie zum wahren Leben erneuern kann. Um diesen Grund unserer evangelischen Heilslehre tiefer zu erkennen, wollen wir die Beschreibung, die unser Text von der menschlichen Natur gibt, genauer erwägen und betrachten:
Das sündliche Verderben der menschlichen Natur,
1) wie tief und allgemein,
2) wie totbringend es sei.
Ach GOtt, es hat mich ganz verdorben
Der Aussatz meiner Sünden,
Die mir von Adam angeerbt;
Wo soll ich Rettung finden?
Es ist mein Elend viel und groß,
Und ist vor Deinen Augen bloß,
Wie tief mein Herz verdorben.
Du weißt, o JEsu, meine Not,
Und kannst nach Deinem Willen
Vertreiben diesen meinen Tod
Und allen Jammer stillen.
Ja, HErr, Du willst; ich glaube fest,
Dass Du mich nicht in Angst verlässt;
Du heißest und bist JEsus.
Als solcher Seligmacher wollest Du Dich auch jetzt an uns Allen erzeigen und als die herrliche Erneuerung unserer verdorbenen Natur Dich in uns verklären durch Deinen heiligen Geist. Amen.
I.
Wie tief das sündliche Verderben unserer Natur sei, sagt unser Text mit mehreren starken Ausdrücken, besonders durch die Vergleichung des Sünders mit einem Sklaven, der gar keinen eigenen Willen hat und durchaus tun muss, was sein Herr gebietet. So sagt Paulus: „ihr habt eure Glieder begeben zum Dienste der Unreinigkeit und von einer Ungerechtigkeit zu der anderen,“ und nochmals: „ihr wärt der Sünde Knechte,“ wörtlicher: Sklaven; musstet also durchaus tun, was die Sünde wollte. Diese Knechtschaft beschreibt der Apostel ausführlicher kurz nach unserem Texte Röm. 7, 14-24. Da schildert er den Kampf des Fleisches und Geistes im natürlichen Menschen, und sagt als solcher: „ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.“ Da gebraucht er dasselbe Wort von sich, das Elias dem gottlosen Ahab vorwarf: „Du bist verkauft, nur Übles zu tun vor dem HErrn“ (1 Kön. 21, 20.). Und nochmals heißt es von ihm: „also war Niemand, der sogar verkauft wäre, Übels zu tun, als Ahab; denn sein Weib Isebel überredete ihn also.“ Was diese götzendienerische Isebel, das ist das Fleisch in uns, die sinnliche Natur, da die Seele nicht dem Zug des Geistes zu GOtt, sondern der Schwerkraft ihrer Selbstsucht und dem Zug des Leibes zum Irdischen folgt.
Der Geist, der als Rest des göttlichen Ebenbildes unverwüstlich in uns bleibt, will in seinem Element, in GOtt, sein und alles Göttliche und Geistliche atmet er wie Heimatluft ein, wie auch in Ahab noch eine Stimme war, die GOtt Recht gab, daher er zu Elias sagte: „hast du mich je als deinen Feind erfunden?“ und als Elias seinen Sündengräuel ihm vorhielt und GOttes Gerichte ankündigte, da tat Ahab Buße im Sack und in der Asche, so dass GOtt zu Elia sagte: „hast du nicht gesehen, wie sich Ahab vor mir bückt?“ So bückt sich der Geist in uns vor GOtt. Aber Isebel bückt sich nicht vor Jehovah, sie dient nur den Götzen. Das ist das Fleisch in uns, d. h. die in Selbstsucht, Eigenliebe und Hochmut verblendete Seele und der von Lüsten und Begierden nach allerlei Genüssen erfüllte Leib. Dieses Fleisch hat seit dem Sündenfall die Herrschaft über den Geist, wenn dieser nicht vom heiligen Geist GOttes sich stärken lässt. So lange der Geist unmächtig dem Fleische den Sieg lässt, so lange geht es, wie Paulus Röm. 7. sagt: „ich weiß nicht, was ich tue, denn ich tue nicht, das ich will, sondern das ich hasse, das tue ich; aber ich tue dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Denn ich weiß, dass in mir, d. i. in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes; Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht; denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Hier unterscheidet der Apostel zwei Ich im Menschen; das eine ist der Geist, der in GOtt, als seinem Ursprung und Ziel, leben will, aber nicht kann. Das andere ist das Fleisch, das immerfort gelüstet wider den Geist und ist zu allem Bösen geneigt, ja tut Böses und nimmt gar gefangen in der Sünden Gesetz, welches ist in den Gliedern. Wie eine gesetzliche Macht übt das Fleisch seine Herrschaft und die Glieder des Leibes dienen ihm als willenlose Werkzeuge zur Ausführung von allerlei unreinen Lüsten und Begierden und zur Ausübung von einer Ungerechtigkeit um die andere. Das Wort „Ungerechtigkeit“ in unserem Texte bedeutet wörtlich Ungesetzlichkeit, Übertretung des göttlichen Gesetzes. GOttes Gesetz in seinem Wort und in der Tiefe unseres Geistes verlangt, dass wir GOtt über Alles, den Nächsten als uns selbst lieben, dass wir uns selbst verleugnen und Alles tun zur Ehre GOttes und in seiner heiligen Gegenwart. Das Fleisch aber sucht in Allem nur irdische Lust, Ehre und Nutzen, und diesem Streben müssen alle Glieder dienen; die Augen spähen nach dem, was dem Fleische gefällt; die Ohren merken nicht auf GOttes Wort, sondern auf Narrenteidinge, auf zerstreuende, ja sündliche Dinge; die Zunge redet leichtsinnige, hochmütige, lieblose und gar schandbare Worte; die Hände und Füße bewegen sich im Dienst der Sünde, und üben aus, was das böse Herz begehrt. So tut der unter die Sünde verkaufte Mensch, was er seinem innersten Wesen, dem Geiste nach nicht will. Ist das nicht ein jämmerlicher Zustand? Tun müssen, was man eigentlich hasst, und nicht tun können, was man gerne tun möchte! Welche Gebundenheit! Der Apostel drückt über diesen Zustand des sündlichen Verderbens den Seufzer aus: „O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes?“
So groß ist dieses Verderben, dass es alle Kräfte unseres Wesens ergreift. Der Wille ist als Eigenwille im Widerspruche gegen GOttes Willen, das Gefühl will immer nur angenehme Empfindungen und gibt der Augenlust, Fleischeslust und dem hoffärtigen Wesen sich hin, und sind wir auch von den Gegenständen solcher Lust weit entfernt, so malt die Einbildungskraft oder Phantasie sich solche vor und ergötzt sich an innerlichen Bildern von Dingen, die zu immer neuen Fleischestrieben und Fleischessünden reizen. Selbst die Vernunft, die, von Vielen so hoch gerühmt wird als die höchste Ehre der menschlichen Natur, auch sie ist durch das sündliche Verderben verblendet und in den Dienst des Fleisches gezogen. Deswegen sagt Paulus im Anfang unseres Textes: „ich muss menschlich, d. h. mit einer schwächeren Fassungskraft angemessenen Vergleichung davon, nämlich vom Leben des Fleisches und des Geistes reden, um der Schwachheit willen eures Fleisches, d. h. weil ihr als fleischlich gesinnte Menschen so wenig geistlichen Verstand habt.“ Auch 1 Kor. 2, 14. sagt Paulus: „der natürliche Mensch vernimmt Nichts vom Geiste GOttes, es ist ihm eine Torheit und kann es nicht erkennen.“ Der fleischliche Sinn ärgert sich an der Wahrheit und Heiligkeit GOttes und an allen den Offenbarungen aus der unsichtbaren Welt, die uns gebieten, die Welt, und uns selbst zu verleugnen und unsere Lust an GOtt und unsere Heimat im Himmel zu haben. Die Vernunft des natürlichen Menschen ist der Advokat des Fleisches; wie ein Advokat auch eine schlechte Sache zu verteidigen weiß, so weiß die Vernunft allerlei Gründe aufzuführen, mit denen alle Schlechtigkeit der fleischlichen Gesinnung entschuldigt wird. Unglaube heißt Wissenschaft, Hochmut Selbstgefühl, Geiz Sparsamkeit, Ausschweifungen aller Art werden als erlaubte Freuden und Erholungen entschuldigt und tausend Sünden des Leichtsinns und der Feindschaft gegen GOtt heißen Schwachheiten, mit denen es nicht so genau zu nehmen sei.
In Folge dieser Verdorbenheit aller Kräfte unserer Natur zeigt sich dann in ihr eine Niedrigkeit und Gemeinheit der Gesinnung, die uns oft mit einem wahren Ekel gegen die Menschheit erfüllen könnte. Ein Kain tötet seinen Bruder, ein Lamech will sieben und siebzigmal gerächt werden, ein Ham spottet seines Vaters, Jakobs Söhne wollen aus Neid ihren Bruder töten, und lassen nach dem schnöden Verkauf ihren Vater zwanzig Jahre lang in dem verzehrenden Kummer, dass sein Liebling tot sei. Das Volk Israel wird durch die erhabensten Wunder aus der Knechtschaft ausgeführt, in der Wüste erhalten, und bis an das herrliche Kanaan hingeleitet; aber immer aufs Neue wieder murren sie gegen GOtt, verzagen an seiner Hilfe und wollen den Mose, der so viel an ihnen getan, töten. Und nach neuen Wundern im Besitz des Landes huren sie anderen Göttern nach und hören nicht auf, den HErrn zu erzürnen. Selbst der starke Simson hängt sich an eine Hure, Saul wirft den Speer nach dem unschuldigen David und verfolgt ihn Jahre lang, ja selbst David - der von GOtt so hochgesegnete Mann - bricht die Ehe mit Bathseba und lässt ihren Mann töten; sein Sohn Ammon schändet seine eigene Schwester; Salomo der Weise lässt sich von einem Weiberheer leiten und dient ihren Göttern; und welche Gräuel geschahen von allen den 19 Königen in Israel und von den meisten in Juda? Der wollüstige Dienst des Baal und der Astarte, der grausame des Moloch, in dessen glühender Bildsäule sie ihre eigenen Kinder den schauerlichen Feuertod sterben ließen; dann die blutigen, ungerechten Kriege, die Verfolgung der heiligen Propheten und die unglaubliche Verachtung GOttes und seines Wortes, das Alles zeigt das furchtbare Verderben der menschlichen Natur. Und was soll ich davon sagen, dass ein Judas im Stande war, den Sohn GOttes, den heiligsten und besten Freund, um dreißig Silberlinge zu verraten und dann statt der Buße sich selbst zu entleiben, und was davon, dass JEsus von seinem eigenen Volke, dem er so unendlich viele Liebe erzeigt hatte, verspeit, gemartert und getötet wurde? Eine größere Sünde will ich nicht nennen. Aber das haben Menschen getan, und die Natur, die das tun konnte, ist auch in uns. Und heute noch wird JEsus tausendfach gekreuzigt durch unzählige Sünden, sogar derer, die Ihn kennen, ja durch Schandtaten, wie sie kaum in der tierischen Natur vorkommen. Wie ist ein großer Teil unseres Geschlechtes bis auf das innerste Mark verdorben durch die Wollust; wie welkt so manche Jugend von geheimen Sünden zerfressen dahin; wie tausendfach sind die Götzen, die Lust-, Ehr- und Mammons-Götzen, die man anbetet, wie groß die Menschen- und Selbst-Vergötterung, und daraus wie gewaltig der Unglaube gegen GOttes Wort, so dass die neueste Weltweisheit der Christen jetzt sogar niederer steht, als das Heidentum, da sie nicht einmal einen GOtt und eine Unsterblichkeit mehr glaubt! Aber auch wo noch Glaube ist, welch eigennützige Selbstsucht, so dass mans im Wirtshaus hören kann, unsere Zeit werde vom Egoismus regiert, welch schnöder Neid selbst unter den nächsten Angehörigen, welche Streitigkeiten über geringe Dinge, welche Unredlichkeit im Handel und Wandel, welche Schleichwege und Pfiffe, um Andere zu betrügen, zu übervorteilen und sich an ihre Stelle zu setzen! Welche Lieblosigkeit im Urteilen, Richten und Verleumden, welche Bitterkeit, zornige Leidenschaft oder geheimer Hass und boshafte Rache gegen Beleidiger und solche, die uns irgend im Wege stehen!
Von allem diesem findet Jedes unter uns etwas in sich, und wenn es auch nur die Gedanken wären, aus denen solche Worte und Werte der Finsternis hervorgehen! Freilich sagt man so oft: „Gedanken sind zollfrei;“ aber warum klagt der HErr, dass aus dem Herzen hervorgehen arge Gedanken? warum sagt Er, wer mit seinem Bruder zürne, sei schon des Gerichts schuldig? Weil Zorn und Hass der Anfang des Mordes ist. Und warum hat der, der ein Weib ansteht, ihrer zu begehren, schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen? Solche Worte des HErrn geben uns einen Blick in das tiefe Verderben der bösen Gedanken. Ach, wenn man in das Herz hineinsehen könnte, wie man durch ein Fensterlein in einen Bienenstock blicken kann, welches Gewimmel und Heraus und Herein der Gedanken sähe man da! Und wäre es nur bei uns, wie bei den Bienen, wo all das unruhige Treiben dem Glück des Ganzen gilt! Aber unsere Natur hat nur den Stachel der Bienen, nicht den Honig. Mancher seufzt, sein Herz sei verwüstet durch immer wiederkehrende unkeusche Gedanken. Mancher klagt über gotteslästerliche, fluchende, murrende, ungläubige Gedanken, die ihm allen Segen der Bibel und des Gebetes rauben. Dann die Gedanken des Neides, Hasses, Hochmuts und Geizes, die Begierden nach fremdem Eigentum, ach, wer kann sie zählen, diese finsteren Geburten des unreinen und zu allem Bösen geneigten Herzens! Selbst bekehrte Seelen müssen klagen, dass sie von solchen Gedanken noch vielfach angefochten werden, dass oft bei den heiligsten Handlungen, unter dem Wort GOttes, Gebet und Abendmahl, ihnen Dinge einfallen, worüber sie erschrecken und die ihnen alle Glaubensfreudigkeit nähmen, wenn sie nicht denken dürften, es gelte nichts und was wir nicht in uns beherbergen, das könne uns auch nicht verklagen. Aber tief demütigend bleibt es doch für uns, dass unsere Natur eine so unreine Quelle alles Bösen ist, und dass sie dem Satan mit seinen feurigen Pfeilen Fenster und Türen auftut und dass das Fleisch sich immer gleich bleibt, sich nie bekehrt, sondern uns versucht, so lange wir leben, bis ins höchste Alter.
Von einem so tiefgehenden Verderben können wir gar nicht anders denken, als wie die Schrift lehrt, dass es angeboren sei. GOtt selbst sagt (1 Mos. 8, 2l.): „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ David klagt: „ich bin aus sündlichem Samen gezeugt und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen“ (Ps. 5l, 7.) JEsus bezeugt: „was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch,“ d. h. Kinder von Eltern mit fleischlicher Natur sind auch fleischlich gesinnt und das gilt von allen Menschen, daher Paulus sagt: „Durch einen Menschen (Adam) ist die Sünde in die Welt gekommen und der Tod durch die Sünde und ist also der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben, d. h. weil Alle - auch Kinder - mit der Sünde behaftet worden sind; durch Eines Menschen Ungehorsam sind Alle Sünder geworden“ (Röm. 5, 12. l9.). Deswegen sagt Paulus (Ephes. 2, 3.): „Wir Alle waren Kinder des Zorns von Natur, wie die Heiden.“ Diese Erbsünde oder angeborene Verderbnis der menschlichen Natur sehen wir auffallend aus der Erfahrung an unseren Kindern. Das Fleisch hat in ihnen schon eine große Macht, wenn der Geist noch schlummert. Eigenwille, Eigensinn, Zorn, Ungehorsam, Lüsternheit, ja Unmäßigkeit zeigt sich, ehe noch ein Bewusstsein entwickelt ist. Und wenn dieses erwacht, so macht das kleine Wesen sich zum Mittelpunkt, um den sich Alles drehen soll; Alles soll seinem Willen dienen, von Allem behauptet es, es gehöre ihm, nicht nur Alles im Zimmer, das ganze Haus, der ganze Garten, die ganze Stadt, der Mond, die ganze Welt gehört ihm nach seinen Ansprüchen. Lässt man ihm nicht, was es will, so schreit es; trifft es mit anderen zusammen, so zeigt sich widriger Neid, Eifersucht und Zank, bald auch Lüge und Ungehorsam aller Art. Und das auch bei solchen, die nur gute Beispiele sehen. So gerne unsere Augen auf der Kindheit ruhen, so wenig dürfen wir übersehen, was die tägliche Erfahrung lehrt und womit sie die Erbsünde uns handgreiflich zeigt. Ja bei manchen Menschen, schon bei Kindern, ist es, als hätten sie von Geburt an ein doppeltes Maß von Erbsünde.
Eben als angeboren ist daher das sündliche Verderben unserer Natur ganz allgemein; alle Kinder Adams sind dadurch verunreinigt, wie Paulus sagt (Röm. 3.): „Juden und Griechen, d. h. alle Menschen, sind unter der Sünde, da ist nicht, der gerecht sei, auch nicht Einer, da ist nicht, der verständig sei, nicht, der nach GOtt frage, nicht, der Gutes tue, auch nicht Einer, sie sind Alle abgewichen und allesamt untüchtig geworden. Das sagt das Gesetz selbst, auf dass Aller Mund verstopft werde und alle Welt GOtt schuldig sei.“ Schon Salomo klagt: „es ist kein Mensch, der nicht sündigt,“ und Jesajas: „wir sind allesamt wie die Unreinen, und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges Kleid. Wir sind Alle verwelkt wie die Blätter und unsere Sünden führen uns dahin, wie ein Wind“ (64, 6.). Das bezeugt die Weltgeschichte mit gewaltiger Schrift. Ganze Völker wurden als verdorbene Sündermassen weggekehrt von der Erde, und ihre blutigen Kriege, ihre habgierigen Eroberungen, ihre schändlichen Sitten und falschen Religionen, was anders rufen sie uns zu als was schon Hiob (14, 4.) sagt: „Wer will einen Reinen finden bei denen, da Keiner rein ist?“
Aus diesem allgemeinen und tiefen Verderben kann dann auch kein Einziger sich selber helfen. Paulus sagt: „wir sind nicht tüchtig von uns selber, etwas (Gutes, Göttliches) zu denken als von uns selber, sondern das wir tüchtig sind, ist nur von GOtt“ (2 Kor. 3, 5.). Nicht einmal glauben und JEsum einen HErrn heißen können wir ohne durch den heiligen Geist (1 Kor. 12, 3.). Zu allem wahrhaft Guten, nämlich Göttlichen, sind wir von Natur untüchtig. Zwar Sehnsucht nach GOtt und göttlichem Leben bleibt immer in unserem Geiste, aber es ist nur wie das Fünklein unter dem Haufen toter Asche; nur der Heilige Geist kann das Fünklein zur Flamme anblasen, und dass das geschehe, dazu müssen wir allerdings den Willen hergeben. Diese Macht über das Fleisch hat unser Geist, und wenn wir dann den heiligen Geist in uns wirken lassen, dann kommt's durch Buße und Glauben zu neuem Leben in GOtt. Wer aber dem heiligen Geist sich verschließt, weil das Fleisch ihm zu lieb ist, der kann nie wahrhaft sich bessern, er kann Sünde mit Sünde vertreiben, z. B. Leichtsinn durch Ruhmsucht, Faulheit durch Habsucht, Unkeuschheit durch Stolz, vielleicht durch Tugendstolz, Zorn durch Heuchelei, Verschwendung durch Geiz, aber von der geheimen Lust und Begierde, vom Hochmut, Neid und Hass, vom Mammonsdienst und von der ganzen Selbstsucht der Natur sich losmachen, das kann kein Mensch ans eigener Kraft, wenn er auch äußerlich ganz ehrbar sich vor groben Sünden hüten, seinen Beruf erfüllen, manches Werk der Gutmütigkeit oder des Tugendstolzes tun und so eine bürgerliche Gerechtigkeit leisten kann, die vor Menschen alles Lob hat. Solche Gerechtigkeit vor Menschen ist noch nicht die Gerechtigkeit, die allein vor GOtt gilt. Soll GOtt uns als die Seinen erkennen, so müssen wir die Erlösung von dem sündlichen Verderben unserer Natur, die JEsus uns erworben, uns zueignen und durch den heiligen Geist uns erneuern lassen im Geist unseres Gemütes. Ohne solche Erlösung und Erneuerung ist
II.
das sündliche Verderben totbringend für uns. Das hebt unser Text besonders hervor. Er sagt: „was hattet ihr zu der Zeit, nämlich da ihr der Sünde Knechte wärt, für Frucht? welcher ihr euch jetzt schämt, denn das Ende derselbigen ist der Tod.“ Schande und Tod - in diese zwei Worte fasst der Apostel die Früchte des sündlichen Verderbens zusammen. Schon gleich nach dem ersten Sündenfall schämten und fürchteten sich Adam und Eva, wollten mit Feigenblättern ihre Blöße decken und versteckten sich unter die Bäume im Garten. Scham und Furcht vor GOtt, dem heiligen Richter, das ist bei Allen, die nicht tief gesunken sind, die erste Frucht des sündlichen Verderbens. Aber diese Furcht vor GOtt hat gewöhnlich die Folge, dass sich das Herz von GOtt abkehrt; weil es das, worüber es sich schämen muss, nicht aufgeben will, so ist ihm der zuwider, vor dem es sich schämen muss und der Heiligkeit von ihm verlangt. Da wäre es dem fleischlichen Herzen lieb, wenn es keinen GOtt gäbe. Daher kommt es dann, dass die Einen sagen: „es ist kein GOtt,“ die Anderen aber, weil das Herz diese Gedanken nicht lange aushält, sich falsche Götter ersinnen, Götter der verschiedensten Art, irdische oder himmlische, holz-, stein-, tier- oder menschen-artige, aber immer solche, die im Sündendienst nicht stören, sondern alles, Ivas das Fleisch will, erlauben. Solcher Götzendienst zieht dann immer tiefere Versunkenheit nach sich, wie Paulus (Röm. l, 24.) sagt: „GOtt habe die Heiden zur Strafe für ihre Abgötterei dahingegeben in schändliche Lüste und unnatürliche Laster.“ GOtt straft Sünde mit Sünde, indem Er das Gemüt, das von Ihm sich abwendet, sich selbst überlässt, und es so dem Verderben der Sünde Preis gibt, das immer mehr zunimmt, wie ein Stein, der von einem Turm herabfällt, in jeder Sekunde schneller fällt als in der vorigen, und wie ein Unkraut immer üppiger um sich greift. Diese zunehmende Verfinsterung des Herzens ist der geistliche Tod, der an sich schon eine Hölle wäre, wenn man nicht durch äußere Zerstreuung und Lustbarkeit ihn überdeckte. Aber bald ist das nicht mehr möglich. Und dann brechen nur um so schrecklicher alle Wunden des inneren Menschen auf und in dieser Qual haben schon Tausende sich selbst in den Tod gestürzt, oder hat die Verzweiflung sie vom Verstand gebracht. Wahnsinn oder Selbstmord - das ist in unserer Zeit besonders oft das entsetzliche Ende derer, die nur im Fleische lebten, nicht im Geiste. Ein französischer Arzt (Lauvergne) sagt: die gewöhnliche Krankheit in Frankreich ist der Lebensüberdruss, ein bitterer Spott auf den Wahlspruch: „genieße.“ Goethe sagt: „welcher ist der Unglückseligste? das ist auch ein Trost.“ Also der Mann, der alles Glück der Welt genoss, fühlte sich innerlich so unglücklich, dass er an dem schlechten Trost, Andere seien noch unglücklicher, als er, sich noch hielt. O wie schrecklich arm ist der Mensch, der keinen Heiland hat! Ohne GOtt leben heißt ohne Friede und Freude leben.
Nicht mehr beten wollen und am Ende nicht mehr beten können, und so getrennt sein von dem, der allein Seligkeit und Ruhe geben kann - das ist eine innere Pein, die sich immer schmerzlicher fühlbar macht, je näher es der Ewigkeit zugeht. Das wissen die Seelen, die in großer innerer Anfechtung über ihr Sündenelend oft schon wie in der Hölle zu sein meinen, die nichts mehr glauben, nichts mehr hoffen können, vom Worte GOttes keine Kraft und keinen Segen mehr haben, und oft Tag und Nacht klagen, sie seien verdammt und verloren. Solch' bittere Frucht des Sündenverderbens haben schon Unzählige erfahren, haben mit tiefer Scham bekannt, dass ihr ganzer bisheriger Weg ein Weg des Verderbens gewesen, dass sie auf Alles, was sie bisher an sich geliebt und gerühmt haben, nun mit Reue zurückblicken müssen und die ganze Welt sie anekle. Wer dann dadurch sich zu Christo treiben lässt, dem wird sicher geholfen.
Wer aber den Zügen des Geistes nicht folgt, über den lasst der HErr zu dem innerlichen Tode auch noch die bitteren Früchte hinzukommen, die unser Text mit dem Wort: „Tod“ zusammenfasst, wenn er sagt, das Ende der Sündenfrüchte sei der Tod, und „der Tod ist der Sünden Sold“ Unter Tod ist hier, wie in anderen Stellen, alle schmerzliche Folge der Sünde in dieser Zeit und in der Ewigkeit verstanden. Das Ende dieser Folgen in der Zeit ist der leibliche Tod, der als der schauerlichste Misston in die schöne Schöpfung GOttes hereingekommen ist und über alle irdische Lust und Herrlichkeit einen düsteren Trauerflor hereinzieht; daher es Hebr. 2, 15. heißt, dass wir durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein müssten, wenn uns nicht JEsus erlöst hätte. Besonders auffallend ist, dass der Tod schon unsere kleinsten Kinder, die noch keine Sünde getan, oft unter bitteren Schmerzen hinwegrafft. Daraus besonders sehen wir, wie die ganze menschliche Natur durch das angeborene Sündenverderben vor GOtt unrein und todeswürdig geworden ist. An Kindern ist dieses Verderben wie ein Aussatz, den einer ohne seine Schuld durch Ansteckung geerbt hat, der aber den Unschuldigen von aller Gesellschaft und Freude ausschließt, wie den Schuldigen. Übrigens wich die Erbsünde so bald zur wirklichen Sünde, dass von den ersten Jahren der Kindheit an der dunkle Faden der Schuld sich durch unser Leben hindurchzieht, bis der Fäden sich verdichtet zu Stricken und Banden, die uns an die Erde und an die Hölle fesseln. Deswegen geht durch das ganze Leben ein bitterer Vorgeschmack vom Tod hindurch; jede Krankheit droht die zerbrechliche Leibeshülle abzubrechen; jeder Schmerz führt ein gewisses Sterben mit sich, jede Not und Trübsal der Erde umhüllt mit einem gewissen Dunkel, das von dem des Todes oft nicht sehr ferne ist. Solche Nöten alle wären nicht ohne das Verderben der Sünde, dessen Fluchwürdigkeit uns desto deutlicher erhellt, je mehr uns alle die Schmerzenstöne zu Herzen gehen, die von der Erde aufsteigen.
Ach, wie viel Not ist in der Welt! Wie sind auch die glücklich Scheinenden oft im Geheimen unglücklicher als die, deren Throne Jedermann sieht! Aber wie auffallend zeigt sich oft die Sünde als der Lente Verderben! Wie schrecklich straft sich oft die Selbstsucht, der Eigennutz, der Neid, die Lüge und der Betrug; wie viele Mammonsdiener haben wieder Alles verloren; wie viele Ehrgeizige sind in Schande und Verachtung gestürzt; wie viele Glieder, die der Unreinigkeit sich zum Dienst gegeben, sind von schrecklichen Krankheiten zerstört und durch frühen Tod der Verwesung übergeben worden! Das Alles sind bittere Früchte, die ihre letzte Vollendung im leiblichen Tod erhalten, der, als der König der Schrecken, Alle als seine Beute dahinnimmt. Und doch ist das Alles noch nichts gegen den Tod, der nach dem Leiblichen eintritt als Frucht des Sündenverderbens bei Allen, die nicht in JEsu das ewige Leben ergriffen haben. Den anderen Tod nennt die Schrift als Folge des Sündenlebens in der Ewigkeit. „Wer den Sohn GOttes nicht hat, der hat das ewige Leben nicht, „ sagt Johannes; nur in GOtt ist Leben und Seligkeit, von GOtt getrennt bleibt die Seele ewig im Tode. Und dieser Tod beginnt dann erst recht, wenn die Fleischeshülle gefallen ist, und die dunkle Seele in ihrer ganzen Blöße hinübertritt vor den Richterstuhl GOttes, wo das Schreckenswort erschallt: „Ich habe euch noch nie erkannt, weicht Alle von mir, ihr Übeltäter; geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.“ Das ist der andere Tod, und wer diesem anheimfällt, von dem heißt es (Offenb. 14, 10.): „er trinke von dem Wein des Zornes GOttes, und werde gequält mit Feuer und Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm, und der Rauch solcher Qual steige auf von Ewigkeit zu Ewigkeit, und ist keine Ruhe Tag und Nacht.“ Das ist das schreckliche Ende des sündlichen Verderbens bei allen den Seelen, die sich nicht durch JEsum versöhnen und durch seinen Geist erneuern lassen. Wer wollte diesem Jammer anheimfallen, wer nicht eilen, die Ermahnung unseres Textes zu befolgen und seine Glieder zu begeben zum Dienste der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden! Solche Knechte GOttes erlangen die herrlichste Frucht der Gerechtigkeit, das ewige Leben, das schon jetzt aus GOtt ihnen zufließt und einst sich offenbaren wird in wunderbarer Herrlichkeit.
D'rum lass ich billig dies allein, O JEsu, meine Freude sein,
Dass ich Dich herzlich liebe; Dass ich in dem, was Dir gefällt,
Und mir Dein klares Wort vermeidet, Aus Liebe mich stets übe,
Bis ich endlich Werd' abscheiden, Und mit Freuden
Zu Dir kommen, Aller Trübsal ganz entnommen. Amen.