Kapff, Sixtus Carl von - Am dritten Epiphanien Sonntag.
Text: Röm. 12,17-21.
Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet Niemand Böses mit Bösem. Fleißigt euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann. Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn; denn es stehet geschrieben: die Rache ist mein, Ich will vergelten, spricht der HErr. So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
„Lieben Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, was irgend eine Tugend, was irgend ein Lob ist, dem denket nach, so wird der HErr des Friedens mit euch sein.“ Dieses Sprüchlein, das schon unsere Kinder lernen, wird durch unsere gegenwärtigen Episteln uns dringend an's Herz gelegt. In den zwei letzten Texten zeigt uns der Apostel mit vielen Regeln das Bild eines göttlichen Wandels, und die Tugenden, in denen sich die Erfüllung unserer eigentlichen Christenpflichten offenbaren soll. Unser heutiger Text nimmt auch das hinzu, was schon nach menschlicher Sitte und Regel wohlanständig, wohllautend, lieblich und lobenswert ist. Wenn unser täglicher Wandel, wie wir vor acht Tagen sahen, ein Gottesdienst sein soll, so muss dadurch auch unser äußerliches Leben, die ganze Art, wie wir gegen alle Menschen uns betragen, verklärt werden, so dass auch die Welt bei jeder Berührung mit uns einen Eindruck erhält von der Lieblichkeit des Christentums.
Das will der Apostel sagen mit den Worten unseres Textes: „Fleißigt euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann,“ nachdem Griechischen wörtlich: denket auf das, was schön ist vor allen Menschen. Es gibt auch eine göttliche Schönheit, nicht bloß Heiligkeit und Wahrheit. JEsus heißt der Schönste unter den Menschenkindern und Jesajas spricht als eine besonders hohe Verheißung aus: „Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne,“ und bei Ezech. 16, 14. rühmt der HErr über sein Volk: „Du wärest überaus schön und dein Ruhm erscholl unter die Heiden deiner Schöne halben, welche ganz vollkommen war durch meinen Schmuck, so ich an dich gehängt hatte.“ Die geistlichen Segnungen in himmlischen Gütern, die der HErr einer gläubigen Seele mittheilt, sollen uns Christo und so dem Bilde GOtt es ähnlich machen und der Glanz dieser geistlichen Schönheit soll auch in unserem äußeren Leben wiederstrahlen. Wir sollen, wie der alte Storr sagt, „nicht ein Diamant sein, der im Koth liegt, über den Viele weglaufen und keinen Nutzen von ihm haben, sondern ein Diamant, der in einem schönen Kästlein zierlich gefasst ist und in aller derer Herzen strahlet, die ihn an dem Finger seines Heilandes sehen.“
Diese christliche Schönheit muss uns dann zu dem helfen, was man gewöhnlich Bildung nennt. Über diesen Gegenstand hätte ich schon lange gern auch ein Wörtlein gesprochen; nun gibt unser Text eine Veranlassung. Viele Leute teilen alle Menschen ein in zwei Klassen: „Gebildete und Ungebildete;“ Viele sehen die Bildung als den Inbegriff und als die Richtschnur alles Guten, neuerdings sogar als die Richterin des Glaubens an. Sehen wir so die Forderung der Bildung als Quelle sträflichen Hochmuths, lieblosen Rangunterschieds und sogar eitlen Unglaubens, so müssen doch auch wir trachten, uns als gebildete Menschen zu betragen, und besonders unserer zahlreichen Jugend müssen wir das oft einschärfen und viele Regeln darüber geben. Schon um unserer Jugend willen ist es daher der Mühe wert, dass wir das Gebot unseres Textes, „zu denken auf das, was schön und edel ist vor allen Menschen,“ näher erwägen und daher unter gläubigem Gebet betrachten:
Was zur wahren Bildung gehöre?
Nach unserem Text:
- Bescheidenheit und Demuth.
- Allgemeine Menschenliebe.
- Wahrheit und Reinheit des Herzens.
HErr JEsu bilde uns in dein Bild, so sind wir am schönsten; denn Du bist der Schönste und Liebenswürdigste unter den Menschenkindern. O ziehe deine Sanftmut und Demuth, deine Liebe und Heiligkeit uns an durch die Kraft deines heil. Geistes, durch den Du auch unsere jetzige Betrachtung segnen wollest zu deinem Preise. Amen.
1.
Das Erste, was selbst alle Welt als zur Bildung nötig ansieht, ist die Bescheidenheit, deren fester Grund nur die christliche Demuth ist. Unser Text ermahnt uns dazu mit seinem ersten Gebot: „Haltet euch nicht selbst für klug,“ und unmittelbar vorher sagt der Apostel: „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.“ Ein hochmütiger Mensch ist immer ein ungebildeter Mensch und wenn er äußerlich noch so viel Anstand und seine Lebensart hat. Der Vornehmste und Feingebildetste verliert seinen Ruhm, so wie man an ihm bemerkt, dass er sich über Andere erhebt, sie geringschätzt, und sich selbst gefällt in seiner Weisheit oder Geschicklichkeit oder in irgend einem guten Werk. Schon das allgemeine Sprichwort sagt: „Eigenlob stinkt,“ widert uns an und ist so das Gegenteil des Feinen und Edlen. Schön vor allen Menschen, wie es Paulus verlangt, lieblich, wohllautend ist das nie, was auch nur Eine sündliche Ader in sich hat. Hochmuth aber ist Sünde, denn seine Wurzel, die Selbstsucht, die nur sich sucht, ist die Wurzel der Sünde überhaupt. Wie es nun allgemein als etwas Gemeines und Niedriges gilt, wenn Jemand offenbar vom Eigennutz sich beherrschen und leiten lässt, so ist auch der Hochmuth und die Eitelkeit eine niedrige Gesinnung und gibt dem ganzen Wesen eines Menschen etwas Unedles, Verächtliches durch das alle andern guten Eigenschaften verdunkelt werden.
Wenn wir z. B. sehen, wie die Schriftgelehrten, die mit JEsu zum Essen eingeladen waren, nach den obersten Plätzen der Tafel trachteten, so urteilen wir sogleich, dass das ungebildete Leute waren, so gelehrt und angesehen sie sonst gewesen sein mögen. Und wenn die Apostel am letzten Abend JEsu einen Streit darüber anfangen, welcher unter ihnen für den größten gehalten werden solle, so zeigt sich da ein Rest ihrer ungebildeten, unedlen Natur, die daher in den tiefen Schmerzen über den Tod JEsu sterben musste. Dagegen erscheint uns Maria, so gering sie äußerlich war, als eine lieblich und edel gebildete Jungfrau, da sie den Ehrengruß des Engels nicht annehmen will, und so der Hauptmann von Kapernaum, der nach dem heutigen alten Evangelium JEsu sagen ließ: „Ich bin nicht wert, dass Du unter mein Dach gehest und habe mich nicht würdig geachtet, dass ich zu Dir käme.“ Das heißt Bescheidenheit und solche Bescheidenheit ist wahre Herzensbildung, die auch dem geringsten, äußerlich ungestalteten und unscheinbaren Menschen ein edles Ansehen gibt.
So bei Mephiboseth, der an beiden Füßen hinkte, aber dessen Zierde die Demuth war, mit der er zu David sagte: „Wer bin ich, dein Knecht, dass du dich wendest zu einem toten Hunde, wie ich bin?“ Dieser Mann durfte täglich an des Königs Tafel essen. Und da der verlorene Sohn in Bettlersgestalt kam und sagte: „Ich bin nicht wert, dass ich dein Sohn heiße, mache mich als einen deiner Taglöhner,“ da sprach aus ihm die wahre Bildung, die in der Leidensschule gereift war, während sein Bruder mit seinen Ansprüchen und seinem Neid uns als ein höchst ungebildeter Mensch erscheint. Aber eben am verlorenen Sohne sehen wir, welches der Grund der rechten Bescheidenheit und Demuth und so der wahren Bildung ist, nämlich die Selbsterkenntnis, in der wir unsere Sünde und Unwürdigkeit mit tiefer Beugung einsehen und so uns aller Ehre unwert achten, alle Ansprüche aufgeben und unter GOtt und alle Menschen uns demütigen lernen.
So lange ein Mensch sein sündliches Verderben nicht erkannt hat, so kann er nicht demütig sein; daher wir sehen, dass selbst sehr beschränkte, unwissende und untüchtige Menschen oft die hochmütigsten sind, wie die leeren Kornähren sich aufrecht emporheben, während die vollen sich beugen. Nur gründliche Sündenerkenntnis bricht den Hochmuth, der mit unserer Natur aufs Tiefste verflochten ist. Wer vor GOttes Richterstuhl sich als armen, unwürdigen Sünder erkennt, der weiß, dass er keiner Gnade wert ist, dass alle seine etwaigen Vorzüge nur eine unverdiente Gabe GOttes sind und weit aufgewogen werden durch seine Sünden. Eine solche Seele steht in dem Sinn des Apostels Paulus, der sich den vornehmsten unter den Sündern nannte. Nach menschlichem Gericht können wir besser sein als viele Menschen: aber vor GOttes Angesicht, im Blick auf alle uns gegebenen Gnadenmittel, erkennt Jedes seine Sünde als so groß, dass ihm alle andern Menschen als besser vorkommen. So kann man sich unter Alle demütigen, wie der berühmte Arzt Boerhave einst weinte, als man einen Missetäter zum Richtplatz führte, und bekannte, so wäre er vielleicht auch geworden, wenn GOttes Gnade ihn nicht bewahrt hätte. Erkennen wir uns so, dass wir den Keim alles Bösen in uns sehen, dann können wir alle Andern höher achten, als uns selbst, dann auch dem Geringsten dienen, dann den Eigenwillen Andern zum Opfer bringen, ja Allen mit Ehrerbietung zuvorkommen, wie Paulus gerade vor unserem Text gebietet.
Da sind dann die Äußerungen der Bescheidenheit, durch die sich die wahre Bildung auszeichnet. Da ist die Dienstfertigkeit, die gerne Jedem tut, was sie kann; da ist die Hingabe, die sich nach Anderem richtet, auch nach der Schwachheit, und so viel es sein darf, sogar nach den Vorurteilen Anderer, wie Paulus gebietet, „es soll Keiner an ihm selbst Gefallen haben, sondern der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und dem Nächsten gefallen zum Guten, zur Besserung.“ Da ist auch die Höflichkeit, die von vielen Leuten als Hauptbestandteil der Bildung angesehen wird. Wie diese Höflichkeit sich zeigt, möchte ich besonders unserer lieben Jugend an einigen Beispielen vorhalten. Wenn wir in dieses Haus hereintreten, so trifft oft ein Jüngeres mit einem Älteren vor der Türe zusammen. Gar oft sieht man, dass das Jüngere zuerst eintritt und das Ältere Hintennach kommt. Das ist unbescheiden und daher ungebildet. Wer gebildet sein will, der lässt das Ältere oder das sonst Höhere und Ehrenwertere zuerst eintreten und geht ihm nach, und wer gebildet sein will, lässt dem Älteren und Höheren den besten Platz zum Sitzen und bleibt lieber stehen. Gar oft aber sehen wir, dass, wenn etwa Fremde oder Ältere keinen Platz mehr finden, unsere jungen Leute sitzen bleiben, statt alsbald aufzustehen und den Fremden und den Älteren ihren Platz einzuräumen. Das ist ungebildet, nicht lieblich und nicht wohllautend. Ebenso wenn Kinder an Älteren und Höheren vorbeigehen, ohne sie zu grüßen, wenn sie in ungeschickten Reden, Stellungen und Bewegungen sich gehen lassen, ohne auf das zu denken, was wohlanständig, und, wie Paulus sagt, schön ist vor allen Menschen.
Da setzen manche Menschen etwas darein, wie sie sagen, recht ungeniert zu sein, d. h. recht wenig Rücksicht auf andere Menschen zu nehmen, sich der eigenen Bequemlichkeit zu überlassen und nur dem eigenen Kopfe zu folgen. Andere machen einen üblen Eindruck durch albernen Fürwitz, da sie sich in Dinge mischen, die sie nichts angehen, durch unnötige Fragen einen belästigen, Alles besser wissen wollen, gerne widersprechen und mit plumpen oder doch allzu starken Ausdrücken drein fahren, welches Alles der Demuth und so der Bildung widerspricht, die sich bescheiden zurückhält und in Allem weises Maß zu halten weiß. Ach, wie Vieles wäre hier zu sagen! Aber auch in diesen Punkten kann nur der Geist in alle Wahrheit leiten, der Geist der Demuth und Bescheidenheit, die nur in der Schule JEsu gelernt wird. Wer diesen Geist hat, der wird im Einzelnen sich zu benehmen wissen und vor Verstößen bewahrt bleiben, wenn er auch das nicht hat, was man „feine Manieren“ nennt; er wird aber doch auch solche zu lernen suchen von denen, die als Muster wahrer Bildung ihm zum Vorbild sein können.
Solcher Demuth und Bescheidenheit werden sich am meisten die befleißen, die das zweite Haupterfordernis wahrer Bildung haben, nämlich
II.
allgemeine Menschenliebe. Ohne Liebe ist alle Bescheidenheit und Demuth entweder leere Höflichkeit oder eigennützige Kriecherei. Überhaupt unserem ganzen Leben gibt erst die Liebe seinen Werth. Ohne Liebe ist alle Bildung bloßes Flitterwerk. Wer aber Liebe im Herzen hat, der ist gebildet, wenn es auch äußerlich gar nicht so scheint.
Daher ermahnt auch unser heutiger Text, wie die bisherigen und wie noch viele folgende, zur Liebe. Gleich nach den Worten: „Fleißigt euch der Ehrbarkeit oder des Schönen und Edlen gegen Jedermann,“ sagt Paulus: „so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede.“ Friede mit allen Menschen - das ist keine kleine Aufgabe. Aber der JEsus, der gesagt hat, Er wolle alle Menschen zu sich ziehen, wenn Er erhöhet sei an's Kreuz, an dem Er für Alle blutete und starb, und erhöhet auf den Thron der Herrlichkeit, auf dem die Menschheit der göttlichen Natur teilhaftig geworden ist, dieser Hohepriester und König, der Alle auf seinem Herzen trägt, Er darf uns gebieten, Alle zu lieben, auch die Welt, auch Feinde. „Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“ Das hat Er im vollkommensten Maß getan, hat es getan auch an uns, die wir nach der Natur seine Feinde waren. Der Heilige hat es getan gegen Sünder, die keiner Liebe wert sind, und Sünder sollten es nicht tun gegen Mitsünder, mit denen sie in gleicher Verdammnis sind! O, wer nicht auch Feinde lieben kann, und wer nicht auch gegen die sündenvolle und ungläubige Welt herzliches Erbarmen, Sanftmut und Geduld anzieht, der hat JEsum noch nicht erkannt, dem ist gewiss die volle Seligkeit der Vergebung seiner Sünden noch nicht zu Theil geworden; er kann viel wissen und viel glauben, aber dass GOtt die Liebe ist, weiß er nicht, und wer nicht alle Menschen so lieben kann, dass er sich Alles von ihnen gefallen lassen kann, der hat die wahre Bildung, die der GOttes- und JEsus-Ähnlichkeit, noch nicht.
Daher ermahnt unser Text so ernstlich: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem; rächet euch selber nicht, sondern gebet Raum dem Zorn; lasst den zürnen und selbst Unrecht gegen euch tun, der zürnen will, und stellet Alles der Strafgerechtigkeit GOttes anheim; sein ist die Rache, Er will vergelten und bestrafen, was euch Übles angetan wird.“ Diese stille Sanftmut und Liebe, die nach JEsu Beispiel Alles verträgt und Alles duldet, und auch vom schlimmsten Feind lieber das Beste glaubt und hofft, als das Schlimmste, das ist die höchste Bildung. Denn da ist die größte Selbstbeherrschung, von der Salomo sagt: „Der seines Mutes Herr ist, der ist stärker, als der Städte gewinnet.“ In der Feindesliebe ist der eigenwillige Natursinn am meisten gebrochen, und himmlischer, göttlicher Sinn verklärt in das Bild des, der von einem rohen Knecht sich einen Backenstreich geben, von Heuchlern sich, ohne ein Wort zu reden, verklagen und verdammen, und von dem Volk, dem Er sein Leben geweiht hatte, sich kreuzigen ließ.
Solche Sanftmut ist aber auch die klügste Weisheit. Unser Text sagt: „Wenn du deinen Feind speisest und tränkest, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln, „ d. h. du wirst ihn so beschämen, dass deine Liebe ihn wie ein Feuer brennt und so auch in ihm ein Liebesfunke angezündet wird, der ihn mehr und mehr entwaffnet und für dich gewinnt, wie David den Saul, der ihn gegen zehn Jahre verfolgte und der tief beschämt mit Tränen Davids Gerechtigkeit bekennen musste, als er zweimal in der Höhle ihm das Leben schenkte, und wie die Syrer den Krieg aufgaben, nachdem der König Israels auf Elisa's Wort sie gespeist und getränkt hatte, da er sie hätte töten können. Einen schöneren Sieg und eine wohltuendere Rache gibt es nicht. Denn was ist süßer, als Hass in Liebe, Feinde in Freunde, Finsternis in Licht zu verwandeln? Will es dir schwer werden, so denke nur, dass du keinen ärgern Feind hast, als - dich selbst. Kein Feind ist dir so gefährlich, als dein Hochmuth; kein Widersacher kann dir so viel schaden, als deine Lust und Fleischlichkeit. Diese inneren Feinde Haffe recht tief, und äußere Feinde, die dich demütigen, sieh' als erwünschte Hülfe an, durch die es dir leichter wird, dich selbst zu bekämpfen, wie der alte Machtolph dem, der ein Pasquill gegen ihn machte, öffentlich in der Kirche dankte, und da er sich durchaus nicht nennen wollte, Allen im Ort den Zehenten des Jahres schenkte, damit sein unbekannter Gegner für die Wohltat, ihn gedemütigt zu haben, belohnt werde. Das heißt wahre Bildung.
Ungebildet sind dagegen die vornehmsten Leute, wenn sie Böses mit Bösem vergelten, und Scheltwort mit Scheltwort; ungebildet Alle, die meinen, sie dürfen sich keine Beleidigung gefallen lassen; ungebildet und unedel Alle, die sich nicht bestreben, so viel an ihnen ist, mit allen Menschen Frieden zu haben, auch mit solchen, die ihnen zuwider sind, in Liebe auszukommen und gegen Jedermann freundlich zu sein. Freundlichkeit - das ist die Sprache der Liebe, die auch die Welt versteht und aus der sie Christum heraushört; Freundlichkeit und Sanftmut, das ist die lieblichste Zierde wahrer Bildung. Ungebildet aber sind die finstern, düstern, mürrischen Leute, deren üble Laune man fürchten muss; ungebildet und roh Alle, die in ihren Reden hart, grob, zurückstoßend sind, und sich nichts daraus machen, Andern wehe zu tun; ungebildet und unedel und unehrbar auch die, die so viel über Andere zu richten wissen und es so wenig genau nehmen mit Herumtragen von Schwätzereien, statt in Liebe sich in Andere hineinzudenken, Alles zum Besten zu kehren und Fehler still zu tragen, darüber zu beten, und vorher mit GOtt, als mit Menschen darüber zu reden. Überhaupt in allen Umständen sich in Andere hineindenken - das ist die Liebe der wahren Bildung. Wie wäre es dir, was wünschtest du, wenn du in des Andern Umständen wärest? Was willst du, dass dir die Leute tun sollen, und was willst du, dass sie dir nicht tun sollen? Danach fragt die wahre Bildung der göttlichen Liebe; und das bis aufs Kleinste hinaus; z. B. kommst du ihm jetzt nicht ungeschickt, raubst du ihm nicht unnötig seine Zeit, ist dein Gespräch ihm nicht zu breit und zu langweilig, ist deine Bitte nicht zu unbescheiden? Kannst du nicht gelegenere Zeit abwarten? So fragt die wahre Bildung der Liebe, die sich bescheiden zurückzieht, der Geben seliger ist als Nehmen, und die mit zarter Rücksicht in Andere sich hineindenkt und ihnen zum wenigsten so viel oder noch mehr leistet, als sie für sich verlangen würde, nach dem Gebot des HErrn: „den Nächsten zu lieben als sich selbst.“ Doch auch die Liebe hat ihre Grenze, zwar nicht innerlich, aber äußerlich. Diese Grenze ist die Wahrheit, und so betrachten wir noch das
III.
Erfordernis wahrer Bildung, nämlich Wahrheit und überhaupt Reinheit des Herzens. Unser Text sagt: „Ist's möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede.“ So viel an euch ist, d. h. so weit es sich nur darum handelt, dass ihr euer Ich aufgebet, euch demütigen und in aufopfernder Liebe hingeben sollet, da tut Alles um des Friedens willen, lasst euch Alles gefallen, schmiegt euch unter Alles hinunter, schweiget, wo eure Natur bersten möchte, verzeihet, wo Alles in euch Rache verlangt, ja bittet um Verzeihung, wo ihr Recht habt. Friede sei euch mehr, als das Recht, aber nicht mehr, als die Wahrheit, besonders als die Wahrheit GOttes, die Wahrheit seines Wortes und des allein seligmachenden Glaubens, und überhaupt als die Wahrheit, von der des Nächsten Heil abhängt. Da sagt unser Text: „Ist's möglich, so habt mit allen Menschen Friede.“ Es gibt Fälle, wo es unmöglich ist, Friede zu halten. JEsus sagt: „Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will Ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ Wenn du nun der Welt dich so gefällig zu machen suchst, dass du der Wahrheit etwas vergibst, deinen Glauben verleugnest, der Welt in ihrer Art dich gleichstellst, ihren Unglauben und ihre Sünden nicht missbilligst, dann hast du nicht in Liebe gehandelt, wenn du gleich dich so bereden möchtest; du hast auf Kosten der Wahrheit fleischlicher Liebe, und so der Selbstliebe und Selbstsucht Raum gegeben, du hast in Menschenfurcht und Menschengefälligkeit Böses, nicht Gutes getan, und um nicht Menschen zu beleidigen, hast du deinen HErrn beleidigt.
Die Ehre, des HErrn muss uns über alle Menschen gehen; den HErrn zu lieben, zu ehren und Ihm zu dienen, das ist das erste Gebot, und nur so können wir den Nächsten wahrhaft lieben. Nicht das ist Liebe des Nächsten, die ihn in seiner Sünde und in seinem Unglauben bestärkt oder doch ruhig lässt, sondern die dem Nächsten gefällt oder nicht gefällt zum Guten, zur Besserung, und diese Besserung sucht durch zwar sanftmütige, aber der Wahrheit gemäße Bestrafung. Selbst bei Beleidigungen hat das Schweigen seine Grenze. JEsus machte dem Knecht, der Ihn schlug, eine Vorstellung, die ihm gewiss wie Spieße und Nägel in's Herz fuhr, so sanft sie war. Bleiben wir nur in der rechten Gemütsgegenwart und heiligen Liebe, so können wir mit Einem Wort den zornigen Beleidiger schlagen, wenigstens dann, wenn sein Zorn vorüber ist. Da gilt es dann auch, ein Zeugnis abzulegen, das den Nächsten von seinem Fehler überzeugt, ihn demütigt und so zur Buße treibt. Die christliche Weisheit weiß da die rechte Zeit zu ersehen. Was man im Augenblick der Aufregung des Nächsten, vielleicht auch der eigenen, nicht sagen kann, das kann man nach einer Stunde, nach einem Tag, vielleicht nach einer Woche sagen. Und je mehr wir in der Zwischenzeit beten, desto mehr Eingang findet unser Wort, desto gewisser wird der Widersacher mit Beschämung uns und GOtt um Vergebung bitten. Da zeigt sich die wahre Bildung darin, zu rechter Zeit das rechte, treffende Wort zu sagen, auch darin, dass sie ihr Betragen gegen Jedermann weise einrichtet, sich mit dem Gemeinen nicht gemein macht, sich von unredlichen Brüdern zurückzieht, sie fühlen lässt, dass sie mit solchen Fehlern, wie sie leider so häufig sind, der Liebe nicht wert seien.
Das ist dann die Wahrheit, die dem Nächsten nichts schenkt, was er GOtt und seinem Gesetze schuldig ist, wenn auch die Liebe ihm Alles schenkt, was er ihr schuldig wäre. Nur wenn wir so der Wahrheit nichts vergeben, nur dann ist unsere Demuth und Liebe rechter Art. Ohne solches Feststehen in der Wahrheit würden wir in Demuth und Liebe zerflattern und zerfließen, und uns und Andern den größten Schaden antun. Wie Salz vor Fäulnis, so bewahrt die Wahrheit vor der Erschlaffung weichlichen Gefühlswesens. Überhaupt gibt erst die Wahrheit unserem Wesen einen bestimmten Charakter. Wer charakterlos sich hingibt, der ist nie wahrhaft gebildet. Zur wahren Bildung gehört Charakterfestigkeit, in der die sanfte Nachgiebigkeit der Liebe beschränkt und geheiligt ist durch das heilige Gesetz der Wahrheit, der Ehre und Sache GOttes, des ächten Glaubens und aller der Pflichten, die wir GOtt und dem wahren Seelenheil des Nächsten schuldig sind.
Das weiß auch die Welt, dass es ohne das, was man gewöhnlich Wahrheit nennt, ohne Aufrichtigkeit und Redlichkeit, keine wahre Liebe und Demuth gibt; eine solche bloß außen scheinende Liebe wird als schnöder Eigennutz oder als schwächliche Feigheit verachtet, und ein Mensch, auf dessen Redlichkeit und Rechtschaffenheit man sich nicht verlassen kann, ist immer ein ungebildeter Mensch. Nicht mit der Zunge, nicht mit schönen Worten, nicht mit leeren Komplimenten sollen wir lieben, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit. Aber die rechte Wahrheit ist nur da, wo GOtt unser Licht, JEsus unser Leben, sein Geist unser Lehrer und unsere Kraft, und sein Wort unsere Richtschnur ist. Das nur macht charakterfeste Leute, die wissen, was sie wollen, und wollen, was sie wissen, nämlich vor Allem GOttes Ehre, JEsu Verherrlichung, des Geistes Herrschaft und dadurch der Menschen ewiges Heil und volle Seligkeit. Nur wer so seine und der Menschheit Bestimmung und Ziel klar erkannt hat, nur der sieht Alles im rechten Licht mit gesunden Augen, und nur da werden die drei herrlichen Himmelsgaben, Demuth, Liebe und Wahrheit in der rechten Mischung mit einander ein Leben bilden, das den alle redliche Herzen gewinnenden Eindruck wahrer Bildung macht.
Dazu gehört dann freilich auch die Reinheit des Herzens, die der Apostel in den letzten Worten unseres Textes uns empfiehlt, wenn er sagt: „Lass dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Wie wir das Böse in unsern Feinden durch Gutestun überwinden sollen, so überhaupt alles Böse außer und in uns durch das Gute, das uns gegeben ist in unserem allerheiligsten Glauben, in der unendlichen Liebe GOttes und JEsu, in der Gemeinschaft des heiligen Geistes und aller Heiligen, im Gebet und Worte GOttes, in Allem, was die allgenugsame, unerschöpfliche Gnade täglich in ein gläubiges Herz einströmen lässt. Diese göttlichen Segnungen und Kräfte sind das Gute, durch das wir alles Böse, Sündliche, Ungöttliche überwinden, und so von allem Unedlen, Unehrbaren uns je mehr und mehr losmachen sollen. Das ist dann die Reinheit des Herzens, die, vom Irdischen frei, in GOtt lebt, da die Gedanken und Willensbewegungen von GOtt erfüllt und so unser ganzes Wesen in die Ähnlichkeit JEsu verklärt wird. Das ist die höchste Bildung. Wie Unreinlichkeit und Unordnung im Äußern, in Kleidung und Geräten, so noch vielmehr ist alles geistlich Unreine, alles Sündliche und Gemeine, alle Fleischeslust, Augenlust und alles hoffärtige Wesen der wahren Bildung entgegen; nur ein reines keusches Herz, das sich bestrebt, immer in Gedanken mit GOtt umzugehen, GOtt vor Augen und im Herzen zu haben, GOtt zu dienen und in seiner Liebe zu wandeln, nur ein solches Herz hat wahre Bildung. Denn die rechte Bildung ist die Hineinbildung in das heilige Bild GOttes und JEsu.
Nach allem Bisherigen können wir beurteilen, was von den gewöhnlichen Ansichten über Bildung zu halten ist. Da macht ein feiner Rock den gebildeten Herrn, ein schönes Kleid oder Gesicht die gebildete Frau, und wer feine Lebensart hat und wer viele Komplimente machen kann, der gilt für gebildet. Aber welche Gemeinheit und Schlechtigkeit, ja, welch' niedrige, schwarze Seelen sind oft unter diesem Flitter von äußerer Bildung verborgen und lassen sich bald offen sehen, so wie man solche Menschen ein wenig näher kennen lernt. Ach, über wie Vieles, was hier als hohe Bildung sich gebärdet, wird in der Ewigkeit das Urteil gesprochen werden: „gewogen und zu leicht befunden!“
Die wahre Bildung ist an keinen Stand geknüpft; der Ärmste wie der Reichste, der Niederste wie der Höchste, der Ungelehrte wie der Gelehrte ist berufen, durch GOttes Gnade und Geist veredelt, in Demuth, Liebe und Wahrheit verklärt zu werden in GOttes Bild. Immer bleibt es dann ein besonderer Vorzug, wenn ein Geist und dessen äußeres Leben noch weiter ausgebildet wird durch Wissenschaft, Kunst, edle Kenntnisse aller Art und durch Umgang mit fein und edel gebildeten Menschen, deren gute und feine Sitten zu lernen Jedermann sich bestreben sollte. Aber das Hauptmittel der wahren Bildung bleibt immer das lebendige Christentum. Wie im Großen das Christentum erst die Völker zivilisiert und edlere Sitten unter ihnen eingeführt hat, so findet auch jede einzelne Seele nur in Christo ihre rechte Bildung: daher man's auch einem Menschen, der sich bekehrt, bald äußerlich ansieht; sein ganzes Wesen wird milder, ruhiger, edler; die rohen Züge einer natürlichen Wildheit und fleischlicher Ansprüche schwinden, aus dem Auge leuchtet Sanftmut und Liebe, das ganze Gesicht wird heller, heiterer, geistvoller, so dass man manche Menschen einige Zeit nach ihrer Bekehrung beinahe nicht mehr kennt. Da gilt, was Oetinger sagt:
„Auch ein ungestalt'ter Klump,
ist er noch so roh und plump,
wird sich schon in's Reine spinnen,
ist nur Christi Leben drinnen.“
Unter den Bekehrten aber werden wieder diejenigen die Gebildetsten sein, die über göttliche Dinge fleißig nachdenken, durch Lesen guter Bücher und Umgang mit geistvollen Menschen sich weiter ausbilden; und die allergebildetsten sind die, die allezeit in der Gegenwart GOtt es wandeln, im lautem Licht göttlicher Wahrheit und göttlicher Liebe, unbefleckt von dem, was Welt und irdisch heißt, in reiner GOtt- und JEsusähnlichkeit, wie ein Lied sagt: „rein und frei und ganz vollkommen nach dem besten Bild gebild't, „ In solchen mit GOtt vereinigten Seelen spiegelt sich nach 2 Kor. 3, 18. „des HErrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und sie werden je mehr und mehr nach Geist, Seele und Leib verkläret in dasselbige Bild der höchsten Wahrheit, Schönheit und Heiligkeit von einer Klarheit zu der andern, als vom HErrn, der der Geist ist.“ Amen.