Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 36. Betrachtung
Christen, wir nahen uns jetzt dem Ende unserer Betrachtung. Es ist kein Gefühl der Freude, sondern ein Gefühl der Wehmut, das mich erfüllt. Mir ist, als sollt' ich von dem Apostel Abschied nehmen, der mir so lieb und teuer geworden ist. So ist mir nun fast wie jenen Ältesten von Ephesus, da sie von ihm schieden (Apg. 20.). Sie fielen Paulo um den Hals und küssten ihn. Dann geleiteten sie ihn in das Schiff. - Das Schiff, darin ich jetzt den Apostel geleite, ist dies kleine Buch, das ich geschrieben habe. Ach, dass der Herr diesem Schifflein wolle eine günstige Fahrt verleihen, und geben, dass es recht vielen Seelen eine Speise bringen möchte, die nicht vergänglich ist, sondern die da bleibt in das ewige Leben!
Betrachten wir denn jetzt das letzte Wort unserer Epistel; es enthält
Aufträge an die Gemeinde.
Kap. 4, 15-18: Grüßt die Brüder zu Laodicea und den Nymphas und die Gemeinde in seinem Hause, und wenn die Epistel bei euch gelesen ist, so schafft, dass sie auch in der Gemeinde zu Laodicea gelesen werde, und dass ihr die von Laodicea lest. Und sagt dem Archippus Siehe auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, dass du dasselbe ausrichtest. Mein Gruß mit meiner, Pauli, Hand. Gedenkt meiner Bande. Die Gnade sei mit euch! Amen.
Paulus lässt die Brüder oder Christen zu Laodicea grüßen, und besonders noch den Nymphas daselbst und seine Hausgemeinde. Diese Gemeinde bestand nicht bloß aus seiner Familie und seinem Hausgesinde, sondern zugleich aus den Christen eines gewissen Stadtteils, die sich in seinem Hause zu gemeinsamer Erbauung zu versammeln pflegten. Ähnlicher Zusammenkünfte wird anderswo erwähnt; so hielten Aquila und Priscilla in Rom und Ephesus, und Philemon in Kolossä Konventikel1). Dies musste geschehen, da man für die Erbauung noch kein öffentliches Gebäude hatte, und die Zahl der Christen in einer größeren Stadt zu bedeutend war, als dass sie sich alle in Einem Privathause hätten versammeln können. Sie mussten sich daher nach Stadtvierteln sondern, und jede Abteilung sich in dazu passenden Wohnungen versammeln. So weiß Gott sich allenthalben sein Feuer und seinen Herd anzurichten, und ist nicht an diesen und jenen Ort gebunden. Es wäre zu wünschen, dass jeder Hausvater mit den Seinen und etlichen frommen Freunden und Nachbarn Gott diente mit Beten, Singen und Lesen des Wortes Gottes.
Eusebius rühmt von dem Kaiser Constantin dem Großen, er habe in seinem Palast gleichsam eine Kirche Gottes aufgerichtet, und sich nicht geschämt Gottes Wort in die Hand zu nehmen und dem Volke vorzulesen und habe mit seinen Hofleuten gebetet. Täten das auch unsere Hausväter, so würde Gott Freude haben an einem solchen Hause, und würde über dasselbe schreiben können: Hier ist nichts anders denn Gottes Haus, hier ist die Stätte des Himmels. Man sieht aus unserm Text, dass der Name „Gemeinde“ nicht bloß einer Zahl von Tausenden zukommt, die zu einem Ganzen äußerlich verbunden sind, sondern auch einer kleineren Zahl von Christen, die im Namen des Herrn in einem Hause versammelt sind, und dass folglich auch eine solche kleine Schar sich aller Verheißungen, die der Herr seiner Gemeinde gegeben, zu getrösten hat. Vergesst nicht, was eigentlich das Wort „Gemeinde“ bedeutet, nämlich eine Schar von Auserwählten des Herrn, innerlich verbunden durch Einen Glauben und Geist, wie äußerlich durch Fleiß in guten Werken und durch Versammlungen, darin sie des Herrn Wort hören, singen, beten und seinen Tod verkündigen, bis dass er kommt. Die Menge tut es nicht, auch nicht die Pracht der Gotteshäuser, und was sonst Äußerliches bei unsern Gemeinden sich findet.
Der Apostel wünscht, dass sein Brief an die Kolosser auch in der Gemeinde zu Laodicea gelesen werde. Waren doch auch die Umstände, namentlich die Gefahr, in beiden Gemeinden gleich; darum sollte in beiden auch das Verwahrungsmittel dasselbe sein. Gegen Verführung durch Irrlehre muss man das Schwert des Geistes ergreifen, welches ist das Wort Gottes. Über den Brief aus Laodicea, der wiederum von, den Kolossern gelesen werden sollte, ist man verschiedener Meinung. Vielleicht ist es der Epheserbrief, der als ein Rundschreiben von der Muttergemeinde zu Ephesus auch nach der Tochtergemeinde zu Laodicea kam. Wir sehen nun aus unserem Text, dass die Briefe an die Gemeinden nicht bloß von den Ältesten gelesen, sondern öffentlich in den Versammlungen vorgelesen wurden. In der Stelle (1 Thess. 5, 27.) sagt Paulus ausdrücklich, dass sein Brief allen vorgelesen werden solle. Auf solche Weise mussten nun die apostolischen Schriften, weil die Gemeinden sie sich gegenseitig mitteilten, schnell verbreitet und durch Abschriften sehr vervielfältigt werden. Dadurch sorgte der Herr für die Erhaltung des reinen Worts. Das Vorlesen der neutestamentlichen Schriften in der Gemeinde geschah anfangs nicht regelmäßig, so oft man sich versammelte, sondern dazu brauchte man das Alte Testament; erst als das mündliche Wort der Apostel verstummt war, trat nach und nach an dessen Stelle ihr schriftliches Wort. Gottes Wort soll man nicht unter den Scheffel verstecken, sondern auf den Leuchter stellen, dass es allen leuchte!
Aber nicht bloß auf das Wort kommt es an, dass dasselbe in der Gemeinde reichlich wohne, sondern zugleich auf die Treue derer, die den Dienst am Worte haben. Darum ermuntert Paulus den Archippus, der neben dem Philemon, welcher Bischof war, ein Kirchenamt zu Kolossä verwaltete, zur Treue in dessen Führung. Er lässt ihn durch die Gemeinde dazu ermuntern. Daraus mögen wir lernen, dass die Geistlichen nicht Herren, sondern Diener der Gemeinde sind, die eben sowohl das Recht und die Pflicht hat, auf ihre Prediger zu sehen und sie zur Treue zu ermahnen, als diese Recht und Pflicht zur Aufsicht über die Gemeinde haben. Wir brauchen nicht anzunehmen, dass Archippus sein Amt nachlässig verwaltet habe - Paulus erwähnt seiner rühmlich, indem er ihn Philemon 2 seinen Mitstreiter nennt; sondern um der Wichtigkeit des Amtes willen, das er vielleicht noch nicht lange verwaltet hatte, lässt er ihn ermuntern: „Siehe auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, dass du dasselbe ausrichtest.“ Er hatte zwar sein Amt nicht unmittelbar von dem Herrn, wie Paulus, sondern die Ältesten der Gemeinde hatten ihn vorgeschlagen, von der Gemeinde war er gewählt und dann durch Handauflegung geweiht, welches die damals übliche Weise war; aber dennoch hatte er es als ein von dem Herrn empfangenes zu betrachten, dem er dafür einst auch Rechenschaft abzulegen hatte. Siehe, lieber Pfarrer, da hat dir nun der Herr in deinem Amte ein heiliges Gefäß in deine Hand gegeben, das du nicht leer stehen, sondern füllen, ausfüllen sollst mit Treue in guten Werken bis an den Tod.
Nachdem nun Paulus mit dieser Mahnung seinen Brief beendet, fügt er seinen Gruß mit eigener Hand hinzu. Dieselben Worte finden wir 1 Kor. 16, 21: „Ich, Paulus, grüße euch mit meiner Hand.“ „Das ist“ - heißt es 2 Thess. 3, 17. „das Zeichen in allen Briefen, also schreibe ich.“ Der Apostel pflegte nämlich seine Briefe einem andern zu diktieren, daher wir Röm. 16, 22. auch einen Gruß des Schreibers finden; einige Briefe schrieb er ganz mit eigner Hand, wie den an die Galater, vielleicht auch den an den Philemon. Die eigenhändige Unterschrift unter solche Briefe nun, die ein Dritter schrieb, geschah teils aus Liebe zur Gemeinde, teils auch zum Zeichen der Echtheit derselben, damit man sie von falschen unterscheiden könnte. Denn leicht konnten Briefe unter seinem Namen untergeschoben, und die Gemeinden, an die sie gerichtet waren, betrogen werden, wie Paulus deshalb die Thessalonicher ermahnt, sie sollten sich nicht irre machen lassen in ihrem Glauben, weder durch Geist noch durch Wort noch durch Briefe, als von ihm (1 Thess. 2, 2.). Auf seinen Gruß folgen die Worte: Seid meiner Bande eingedenk. Dies schreibt er zunächst darum, dass sie ihn in seinen Trübsalen mit ihrem Gebet unterstützen sollten, sonderlich damit der Lauf des Evangelii durch seine Bande nicht gehemmt werde; dann auch, dass ihn der Herr mit Geduld und andern Tugenden ausrüsten, und ihn wohl gar von seinen Banden erlösen möge. Philemon 22 heißt es: Bereitet mir die Herberge, denn ich hoffe, dass ich durch euer Gebet euch geschenkt werde.
Endlich fügt er noch seinen Segenswunsch hinzu: Die Gnade sei mit euch! welchen Wunsch er mit einem Amen versiegelt. Mit diesem Wunsche hat er seinen Brief angefangen, mit diesem Wunsche beschließt er ihn, woraus wir lernen, dass die Gnade Gottes das A und O, der Anfang und das Ende, die Wurzel und der Gipfel unsers Christentums ist, und wir uns diese Gnade sollen zu bewahren suchen bis ans Ende unsers Lebens. Denn in diesem einigen Wort „Gnade“ sind, als in der Bundeslade des neuen Testamentes, alle Schätze des Himmelreichs verborgen.
So sei denn die Gnade auch mit Euch, ihr lieben Leser, und führe Euch mehr und mehr zu jener unvergänglichen Herrlichkeit, darin Ihr einst mit Christo sollt offenbar werden! Amen.