Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 35. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 35. Betrachtung

Wie es um unser Christentum und insbesondere um unsere brüderliche Liebe steht, lässt sich schon aus der Art und Weise erkennen, wie wir einander grüßen. Tausende gehen stumm und kalt aneinander vorüber, sie sehen einander nicht an, sie grüßen einander nicht. Andere grüßen zwar, aber ihr Gruß ist entweder eine bloße Form der Höflichkeit oder eine kalte Gewohnheit, ein Wort ohne Herz, ein Zeichen ohne das, was es eigentlich bezeichnen soll. Es fehlt die Liebe unserem Gruß, weil sie unserem Herzen fehlt. Brüder, die einander lieb haben in dem Herrn, können nicht anders, sie müssen einander herzlich grüßen. Davon gibt uns unser heutiger Text ein Zeugnis.

Kol. 4, 10-14. Es grüßt euch Aristarchus, mein Mitgefangener, und Markus, der Neffe Barnabä, von welchem ihr etliche Befehle empfangen habt. So er zu euch kommt, nehmt ihn auf, und Jesus, der da heißt Just, die aus der Beschneidung sind; diese sind allein meine Gehilfen am Reich Gottes, die mir ein Trost geworden sind. Es grüßt euch Epaphras, der von den Euren ist, ein Knecht Christi, und allezeit ringt für euch mit Gebeten, auf dass ihr besteht vollkommen und erfüllt mit allem Willen Gottes; ich gebe ihm Zeugnis, dass er großen Fleiß hat um euch, und um die zu Laodicea und zu Hierapolis. Es grüßt euch Lukas, der Arzt, der Geliebte, und Demas.

Diese Worte enthalten den

Gruß der Freunde aus Rom.

1.

Die Kolosser empfangen Grüße von ihren Brüdern. Der Gruß ist beides, Kundgebung der Liebe und Freundschaft, und Anwünschung alles Wohlergehens. Das Herz drängt zum Gruße, wie auch des Herrn Wort und der Väter Beispiel für ihn zeugt. Christus sagt zu seinen Jüngern (Matth. 10.): Wo ihr in ein Haus geht, so grüßt dasselbige. Anderswo spricht er: Grüßt niemand auf der Straße; hier aber wird nicht das Grüßen überhaupt untersagt, sondern der Herr will nur nicht, dass die 70 Jünger, mit denen er redet, durch das, ohnehin mit langen Höflichkeitsformeln bei den Juden verbundene Grüßen sich um die Gunst der Leute bewerben sollen. Wenn ferner Johannes sagt (2 Joh. 10, 11.): „So jemand zu euch kommt, und bringt diese Lehre (die Lehre Christi) nicht, den nehmt nicht zu Hause, und grüßt ihn auch nicht, denn wer ihn grüßt, der macht sich teilhaftig seiner bösen Werke,“ so wird hier ohne Zweifel das freundliche Grüßen untersagt, das mit dem heiligen Kuss verbunden war, womit die Gläubigen, zum Zeichen ihrer aufrichtigen, herzlichen Liebe, einander zu begegnen pflegten. So den Ungläubigen, den Feinden des Kreuzes Christi entgegen treten, wäre ja eine offene Erklärung, dass man sich aus ihrem Widerstreben nichts mache. Ähnlich untersagt auch Paulus den freundschaftlichen Verkehr mit den heuchlerischen Brüdern, man solle nicht mit ihnen essen, noch umgehen (1 Kor. 5, 11.). Damit ist nun der brüderliche Gruß nicht untersagt. Wir finden ihn bei den Heiligen aller Zeiten. „Friede sei mit euch,“ war das gewöhnliche Wort, womit der Herr eintrat bei den Seinen. Ebenso sollten seine Jünger, wenn sie in ein Haus kämen, vor allem sprechen: Friede sei in diesem Hause! Auch der Engel vom Himmel spricht zur Maria: Gegrüßt seist du Holdselige (Luk. 1.). Joseph grüßt seine Brüder freundlich, da sie zu ihm kommen in Ägypten (1 Mos. 43.). Moses geht seinem Schwiegervater Jethro entgegen, küsst und grüßt ihn, und führt ihn in seine Hütten (2 Mos. 18.). Die Apostel grüßen jedes Mal zu Anfang ihrer Briefe.

Doch was bedürfen wir der Beispiele aus alter Zeit? Der Gruß empfiehlt sich durch sich selbst. Wovon zeugt es, wenn die Christen sich nicht grüßen? Mindestens von Kälte und Gleichgültigkeit, daher der Kirchenvater Augustinus sagt: „Wer einen Vorübergehenden nicht grüßt, ist von dem Wanderer für keinen Menschen, sondern für einen Baumstamm oder Wegweiser zu halten.“ Oft liegt sogar etwas Schlimmeres als Kälte zu Grunde, nämlich Hochmut oder Feindschaft. Habt Liebe zueinander, so habt ihr auch Grüße füreinander.

2.

Herzlich war der Gruß der Brüder aus Rom. Es grüßt Aristarchus. Er war aus Thessalonich in Makedonien gebürtig, ein treuer Gefährte Pauli und Genosse seiner Trübsale, der namentlich zu Ephesus in dem Tumulte, den das heidnische Volk daselbst um des Evangelii willen gegen Paulus erregte, viel leiden musste und in Lebensgefahr geriet (Apg. 19, 29.). Er reiste mit Paulus durch Makedonien, Griechenland und Asien, und begleitete ihn nach Rom, da Paulus als Gefangener dorthin zu Schiff gebracht wurde (Apg. 27.). Der Apostel nennt ihn seinen Mitgefangenen, weil er ihm in seiner Gefangenschaft zur Seite stand (Philem. 24.). Er zeichnete sich also durch Treue und Beständigkeit aus, da es sonst heißt: Von guten Freunden in der Not gehen 25 auf ein Lot.

Der zweite Grüßende ist Markus, nicht der Evangelist. Er heißt ein Neffe oder Geschwisterkind des Barnabas, entweder vom Vater oder von der Mutter. Barnabas war ein Mann voll Glaubens und Geistes, der an die Stelle des Judas getreten wäre, wenn nicht das Los den Matthias getroffen hätte. Paulus empfiehlt ihn den Kolossern, wenn er zu euch kommt, nehmt ihn auf, worin die Bitte liegt, dass sie das früher Geschehene vergessen möchten. Er war nämlich eine Zeit lang Pauli Reisegefährte gewesen. Da aber den Apostel auf dieser Reise Widerwärtigkeiten trafen, verließ Markus, der vielen Reisebeschwerden überdrüssig, den Apostel in Pamphylien, und kehrte wieder nach Jerusalem zu seiner Mutter zurück. Dies störte das gute Vernehmen zwischen Paulus und Barnabas, aber sie söhnten sich später wieder aus. Was der Zusatz in unserem Text bedeutet: „wegen dessen ihr Befehle erhalten habt“, weiß man nicht, jedenfalls aber waren diese Aufträge schon früher erteilt.

Es grüßt Jesus, genannt Justus, über den wir weiter keine Nachricht haben. Man sieht, dass damals noch der Name Jesus von Christen geführt wurde; später hörte das in der Kirche auf aus Ehrfurcht gegen den Erlöser. Die drei genannten Männer waren aus der Beschneidung, das heißt, geborene Juden, die sich zum Christentum bekehrt hatten, und die alleinigen Gehilfen Pauli am Reich Gottes. Nicht als ob sonst keiner ihm in der Verkündigung des Evangelii beigestanden hätte; aber von den Judenchristen in Rom, die damals um ihn waren, hatten bloß Jesus, Markus und Aristarch ihm hilfreiche Hand geleistet. Dadurch wurden sie für ihn ein Trost, statt dass andere Judenchristen seine Widersacher waren und ihm Kummer bereiteten.

Der vierte, von dem Paulus grüßt, ist Epaphras, aus Kolossä gebürtig, der seine herzliche Teilnahme für die Kolosser dadurch bewies, dass er allezeit für sie rang in seinen Gebeten. Vielleicht geschah dies in Gegenwart des Apostels und in Verbindung mit ihm, oder Paulus wusste es doch aus seinen Gesprächen mit Epaphras. Wo sich die Gemeinden des eifrigen, anhaltenden Gebets ihrer Lehrer zu versehen haben, da kann es noch nicht ganz schlecht um sie stehen. Gebet und Tränen haben von jeher zu den besten Waffen der Kirche gehört. Von dem Gebet des Stephanus sagt Augustin: „Die Kirche hätte den Paulus nicht, wenn nicht Stephanus gebetet hätte.“ Wie oft hat Luther unter heißen Tränen für die Kirche gebetet! Es ging kein Tag hin, bezeugt einer seiner Zeitgenossen, wo er nicht die besten Stunden aufs Gebet verwandte. Warum betete nun Epaphras? Darum, dass die Kolosser bestehen oder feststehen möchten in den Anfechtungen, die sie hatten, in den Gefahren, die sie umgaben, und zwar vollkommen, das heißt hier, mit männlicher Kraft, ohne zu wanken, damit sie wie grüne Ölbäume stünden in den Vorhöfen Gottes, und wenn sie gleich alt würden, dennoch grünten, fruchtbar und frisch wären (Ps. 92.).

Diese Vollkommenheit wird noch näher erklärt durch den Zusatz: erfüllt mit allem Willen Gottes. Das nämlich ist die rechte Vollkommenheit, dass wir den Willen Gottes, der uns sagt, was wir glauben und wie wir leben sollen, in seinem ganzen Umfange erkennen und vollbringen. Mit diesem Willen Gottes sind wir erfüllt, wenn er nicht als ein Gebot von außen zu uns spricht, sondern wie das Brot, das wir essen, sich in Blut und Saft verwandelt hat, so dass wir in ihm leben und weben und er wie ein Sauerteig unser Fühlen, Denken, Begehren, Reden und Tun durchdrungen hat. Das war es, warum Epaphras betete. Er tat es aus der brüderlichsten Teilnahme und Sorge für die Kolosser: „Ich gebe ihm das Zeugnis, dass er großen Fleiß hat um euch,“ wie Paulus von sich sagt in Beziehung auf die Korinther: Ich eifere über euch mit göttlichem Eifer (2 Kor. 11.). Diese Sorge aber erstreckte sich nicht bloß auf die Kolosser, sondern auch auf die Christen zu Laodicea und zu Hierapolis, welche Orte in der Nähe von Kolossä lagen.

Der fünfte und sechste endlich, von denen Paulus grüßt, sind Lukas, der Arzt, und Demas. Lukas, der dritte Evangelist, trieb seine Kunst als Arzt wahrscheinlich nicht bloß vor, sondern auch nach seiner Bekehrung, was ja seinem Dienst am Evangelium sehr förderlich sein konnte. Wollte Gott, alle Arzte wären Christen! Die Überlieferung bezeichnet Lukas als Maler. Diese Nachricht, die aus ziemlich später Zeit stammt, mag wohl falsch sein, wenn nicht etwa der Evangelist sich auch nebenbei mit der Malerei beschäftigt hat. Es wird sogar erzählt, dass er Christum und die Maria gemalt habe, was aber jedenfalls erdichtet ist. Von Demas haben wir an unserer Stelle weiter nichts als den Namen. Später verließ er den Apostel, verließ Christum, und gewann die Welt lieb. Es mochte ihm die mit dem Bekenntnis des Evangelii verbundene Trübsal nicht zusagen, daher er sich zu den Heiden wandte, wo er Ruhe, Sicherheit und reichlicheres Auskommen fand. Weil Paulus bloß seinen Namen nennt ohne allen Zusatz - Lukas heißt noch der Geliebte - so mag man daraus abnehmen, dass der Apostel nicht ganz mehr mit ihm zufrieden war. Sein Beispiel warne uns. Sein Beispiel warne uns. Wer sich dünken lässt, er stehe, mag wohl zusehen, dass er nicht falle!

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_35_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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