Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 32. Betrachtung
Es gibt einen Gemeinde-Brunnen, dahin jeder gehen kann zu jeder Stunde des Tags, um daraus Rat, Trost, Kraft und Hilfe zu schöpfen. Dieser Brunnen ist das Gebet. Wir müssen zum Gebet unsere Zuflucht nehmen, wenn uns darum zu tun ist, einen guten Kampf zu kämpfen und das Feld zu behaupten.
Mit unserer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren,
es streit't für uns der rechte Mann,
den Gott hat auserkoren.
Auf diesen Mann weist uns heute auch der Apostel Paulus hin. Nachdem er alle Hausgenossen, Gatten und Gattin, Vater und Kind, Herrn und Knecht, zu ihrer Pflicht ermahnt hat, hält er ihnen zuletzt das Gebet vor, durch das sie sich täglich stärken sollen zur Ausübung ihrer Pflicht. Er spricht Kol. 4, 2-4: Haltet an am Gebet und wacht in demselben mit Danksagung; und betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns die Tür des Worts auftue, zu reden das Geheimnis Christi, darum ich auch gebunden bin, auf dass ich dasselbe offenbare, wie ich reden soll.
Hier wird der Gemeinde
das Gebet
ans Herz gelegt, womit sie sich an den Herrn wenden soll
1. für sich selbst und
2. für die Diener am Wort.
1.
Drei Dinge sollen in unserem Gebete nicht fehlen: die Beständigkeit, die Wachsamkeit, die Danksagung. „Haltet an am Gebet.“ Wie leicht ermüden selbst die Wiedergebornen im Beten, wenn sie ohne Anfechtung sind, oder wenn in der Anfechtung Gott mit der Erhörung des Gebets verzieht! Darum nun ermahnt uns der Apostel, dass wir anhalten sollen am Gebet. Das Anhalten schließt nach der Bedeutung des Wortes im Grundierte zweierlei in sich den rechten Ernst und die Beständigkeit. Das Gebet soll ja sein ein Gespräch unseres Herzens mit Gott (Ps. 19, 15.), daher nichts ausgerichtet ist mit dem Lippendienst, es muss von Herzen gehen. Ist kein Ernst im Gebet, so kann es auch nicht durch die Wolken dringen. Jakob rang mit Gott im Gebete, bis er ihn segnete. Aber eben in diesem Ernst und Eifer ermüdet man leicht, daher die Ermahnung zum Anhalten: Haltet an am Gebet. Der Christ soll immer beten, wenn auch nicht immer mit Worten; das Gebet soll gleichsam der Pulsschlag seines Herzens sein. Wes nun das Herz voll ist, des wird der Mund übergehen. Daher die zwar der Zeit nach vielfach unterbrochene, aber doch häufig wiederholte Übung des Gebets, die auch der Herr fordert (Luk. 18.). Wie mancher Christ wird darin beschämt von den Türken und Heiden, die mit Tages Anfang sich auf ihre Knie niederwerfen und oft ganze Stunden zubringen in heiliger Andacht! Siehst du nicht die Not, die dich zum anhaltenden Gebete auffordert, so lerne sie aus dem Vaterunser; die sieben Bitten sind sieben Anzeigen unserer Not. Oder ermüdest du, weil dein Gebet nicht erhört wird?
Ob es währt bis in die Nacht,
Und wieder an den Morgen,
Doch soll mein Herz an Gottes Macht,
Verzweifeln nicht noch sorgen.
Doch das Gebet fordert nicht bloß Ausdauer, sondern auch Wachsamkeit, ohne die kein Anhalten möglich ist. „Wacht in demselben.“ Es ist gemeint ein innerliches geistliches Wachen, welches darin besteht, dass man sein Gemüt von weltlichen Zerstreuungen frei erhält, dass man Herz und Gedanken im Gebete auf den Herrn gerichtet hat; dass man nicht schläfrig ist im Gebete, wie die Jünger es waren am Ölberge (Matth. 26.); endlich, dass man betet im ernsten Hinblick auf die Zukunft des Herrn, welcher kommen kann, ehe mans denkt.
Weil nun, um den Geist zum Gebete munter und wach zu erhalten, nichts dienlicher ist als die Betrachtung der von Gott empfangenen Wohltäten, so erwähnt der Apostel noch der Dankbarkeit: „Wacht mit Danksagung.“ Sie ist das Öl in der Lampe des Gebets. Danken müssen wir und haben zu danken immer Grund, wir mögen erlangen oder nicht erlangen, was wir bitten, es mag uns gut oder übel gehen. Denn wenn uns Gott etwas versagt, so ist's besser, als wenn er es uns gewährte, weil wir nicht wissen, was uns dienlich ist; und wenn uns Trübsal trifft, so ist's eine Wolke, die Gott vor die Sonne stellt, damit sie uns nicht stechen möge. Ach, wir bitten fast zu viel, und danken nicht genug. Lasst uns denn fleißig seine große, wunderbare Liebe betrachten, damit wir durch solche Betrachtung munter werden zum Gebet. Will einmal das Herz erkalten und der Mund verstummen, so ist kein besseres Mittel, das kalte Herz warm, und den stummen Mund beredt zu machen, als wenn man herzählt all die Wohltaten, die uns Gott erwiesen hat ohne unser Verdienst und Würdigkeit.
2.
Der Apostel aber will, dass die Kolosser nicht bloß ihre eigenen Angelegenheiten vor Gott bringen einer für alle, alle für einen - sondern auch seiner gedenken sollen in ihrem Gebete. „Betet zugleich auch für uns.“ Dasselbe begehrt er auch von andern Gemeinden. Es ist Pflicht, heilige Pflicht für die Gemeinden, zu beten für ihre Hirten. Um was? Zweierlei erwähnt der Apostel: erstens die offene Tür, und zweitens die rechte Weise der Verkündigung. „Betet, dass Gott uns die Tür des Wortes auftue, zu reden das Geheimnis Christi, darum ich auch gebunden bin.“ Die Tür des Worts bedeutet hier nicht eine solche Tür, durch die wir in das Wort eingehen, sondern eine solche, durch die das Wort eingeht in uns. Die Tür ist ein Bild der mancherlei äußerlichen und innerlichen Hindernisse, die, ehe sie hinweggenommen sind, dem Evangelio im Wege stehen, dass es die Herzen nicht erleuchten, heiligen und selig machen kann. Sie sind Sie sind so groß und zahlreich, dass das Gebet vieler Gläubigen nötig ist, wenn sie gehoben werden sollen. Inwendig ist es die Herzenshärtigkeit vieler Leute, die Selbstgerechtigkeit, der Stolz, die Sorge, die Wollust, der Geiz, die Trägheit und andere Sünden, die dem Geheimnis Christi den Eingang in die Herzen wehren; äußerlich die Entfernung, die das Wort hindert, dass es nicht in alle Welt kommen kann, oder die Verschiedenheit der Sprachen, die Zahl der Arbeiter, die so klein ist für die große Ernte, die Verführung, die Bosheit der Feinde des Evangeliums und vieles andere mehr.
Paulus denkt zunächst an die Hindernisse, die zu Rom dem Eingehen des Worts im Wege standen. Bei den Hörern war es der Widerstand, den das natürliche Herz dem Geheimnis Christi leistet; denn sie vernehmen es nicht, und es ist und bleibt ihnen verborgen, dass sie es nicht begreifen, nicht einmal begreifen wollen, wo nicht Gott ihnen, wie der Lydia, das Herz auftut. Bei Paulo war es die Sorge, ob er auch tüchtig sein und bleiben möchte, offen und frei, freudig und getrost jenes Geheimnis allezeit zu verkündigen. Er bittet nicht und will nicht gebeten wissen um Freiheit von den Banden - nein, obwohl durch eine Kette gefesselt an den Arm eines römischen Soldaten, rühmt er sich dennoch dieser seiner Gebundenheit als eines rechten priesterlichen Ornats, nur dass er wünscht, die Fessel des Arms möge nicht zu einer Fessel des Geistes werden, und der Herr möge ihm geben, mit aller Weisheit das Wort zu offenbaren, in seiner Klarheit und Herrlichkeit darzulegen, so wie er reden soll. Wäre das Evangelium eine von der Gasse aufgenommene oder eine aus dem Kopf eines Menschen gesponnene Wahrheit - was bedürfte es zu seiner Verkündigung vieler Weisheit! Nun aber ist es ein Geheimnis, das, um offenbar zu werden, einen gewaltigen Widerstand der Vernunft, des Herzens und Sinnes der Welt zu überwinden hat, ist ein von Christo den Seinigen anvertrautes Heiligtum, an dessen rechter Handhabung das Heil von Millionen Seelen hängt. Da magst du wohl zittern und zagen, du Prediger, und fragen, wie du reden sollst. Willst du wissen, wie? Wisse, es ist keine kleine Sache, so eine Gemeinde beisammen zu haben, die darauf wartet, dass man sie mit dem Worte Gottes wecke, speise, stärke und tröste, wie sie es gerade braucht. So eine Predigtzeit ist eine kostbare Saatzeit, eine heilige Stunde, wo man das Allerbeste, was man nur auftreiben kann, vorbringen soll.
Wie machst du es denn? Hast du ein gut Gedächtnis und eine starke Stimme, und kannst du es auch aus dem Stegreif, und sagen die Leute: der kann's aber schön? Ich gebe dir um all das noch nicht viel, und selbst wenn ein paar Weibsbilder mit dem Nastuch oder Schurz die Nase und die Augen wischen, geb' ich nicht viel drum so ein paar wässerige Weibertränlein sind wohlfeil zu erjagen, und werden oft mehr zum Zeitvertreib herausgetröpfelt. - Vor allem kommt es darauf an, ob du predigst, oder der Heilige Geist aus dir; ob deine Predigt Menschengemächt ist oder Gottes Wort. Sieh, du solltest zu Haus allemal mit großem Ernst unsern Herr Gott fragen und bitten: Herr, was soll ich predigen? lehr du mich den rechten Geist und das rechte Wort und recht zudringlich ihn darum anflehen. Und dann wie ein geistiger Bergknapp lang und ernst graben im heiligen Wort Gottes und in der Seele, um Gold und Edelgestein an den Tag zu fördern - und nun sollst du hintreten vor die Gemeinde, wie einer, der Gewalt hat, und die eigene Person daheim lassen, und nichts wollen als Gottes Ehr und Gottes Reich. Und wenn du dann dastehst im Namen des Herrn, und aus deinen Augen die Liebe Gottes und die Menschenliebe funkelt in Kraft des Heiligen Geistes, wie aus zwei himmlischen Sternen, und wenn dann aus deinem Munde hervorströmt und wallt das Wort Gottes stark wie Feuer, wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert, und schärfer als ein zweischneidiges Schwert in die Seelen dringt: sieh, dann sagen die Leute nicht: „das ist eine schöne Predigt gewesen,“ und gehen dann heim und machen es wie sonst auch; sondern es ist ein Schauder die Leute angekommen, und viele ein Schrecken, wie wenn es gedonnert hätte, oder wie beim Erdbeben, da Jesus starb, und sie gehen sehr ernsthaft, still und nachdenklich fort, und sind den ganzen Tag sehr in sich gekehrt. Und wenn du so predigst im heiligen Geist, dann wirst du selber zuweilen tief bewegt in der Predigt, und merkst, dass nicht mehr du es bist, was aus dir spricht - und möchtest fast selber niederfallen vor dem Geist und der Stimme, die aus dir reden, und ungesehen knien und lang und tief weinen, und weißt nicht recht, aus Leid oder aus Freud, aus Bangigkeit oder aus Hoffnung, und weißt es nicht zu sagen, wie es dir ist. Sieh, du Lieber, wenn du alle Sonntag so predigen würdest, da würde es allmählig in deiner Gemeinde zünden und durchbrechen und es wäre mit dem Geheimnis Christi in deiner Gemeinde, wie wenn ein Weib Sauerteig nimmt und unter drei Scheffel Mehl vermengt, bis es ganz durchsäuert ist. Ja, es wird und muss zünden und durchbrechen, wenn du es auch nicht selber erlebst, du wirst es am letzten Gericht noch sehen an der Stellung und der fröhlichen Miene und den hellen Augen deiner auferstandenen Pfarrkinder. Freilich bringt man es nicht allemal zuwege, mit großer Kraft zu predigen, und ist nicht jedem gegeben; auch kann das Evangelium eindringen ohne Donner und Posaunenschall, als stilles Licht und sanftes Wort, und wirkt doch sehr tief. Aber eine schwere Sünde wäre es, wenn einer ohne Gebet und ernste Bereitung von der Kanzel herunterschwatzte, was ihm zuerst einfällt, weil er sich auf seine Rednerkunst und seine geläufige Zunge verlässt; oder wenn einer in der Stadt allerlei Schnitzwerk und zierliche Schwenkungen vorbrächte, auf dass er den Frauen in den Ohren wohltue und sie ihn preisen mögen ob seiner feinen Rede, statt den Armen das Evangelium zu predigen. Tue nicht so und leg es ab, wenn du so getan. 1) Und nun weißt du, wie's ungefähr dem Apostel ums Herz war, da er für sich beten ließ, dass ihm gegeben würde, zu offenbaren das Geheimnis Christi, wie er reden sollte. Hat nun also Paulus gefleht, der's doch wohl konnte, so schaue du dein Nichts an, und sinke nieder auf deine Knie und es helfe dir Gott.