Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 31. Betrachtung
Das Christentum ist wie die Sonne, die alles bescheint, was auf dem Erdboden ist, die Berge und Täler, die Bäume und Blumen, den Adler in der Luft und den Wurm im Staube. Also bringt Christus Licht, Wahrheit, Leben in alles, was zur Menschenwelt gehört, es sei groß oder klein, hoch oder niedrig. Wie er der Großen und Gewaltigen der Welt sich annimmt, ihnen den Weg ins Himmelreich zeigt, sie lehrt, vermahnt und ihrer sich annimmt wider den Trotz und Ungehorsam der Weltkinder: so geht er auch zu den Knechten und Mägden, und vermahnt sie zwar kräftig, dass sie den Weg des Heils gehen, aber schützt und schirmt sie auch wider alles Unrecht ihrer Herren. Davon haben wir ein Beispiel in unserem heutigen Text, welcher lautet
Kap. 3, 22 bis Kap. 4, 1: Ihr Knechte, seid gehorsam in allen Dingen euren leiblichen Herren, nicht mit Dienst vor Augen, als den Menschen zu gefallen, sondern mit Einfältigkeit des Herzens und mit Gottesfurcht. Alles, was ihr tut, das tut von Herzen, als dem Herrn, und nicht den Menschen, und wisst, dass ihr von dem Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes, denn ihr dient dem Herrn Christo; wer aber Unrecht tut, der wird empfangen, was er Unrecht getan hat, und gilt kein Ansehen der Person. Ihr Herren, was recht und gleich ist, das beweiset den Knechten, und wisst, dass ihr auch einen Herrn im Himmel habt.
Das ist eine kleine
evangelische Gesindeordnung,
darin uns gelehrt wird
1.) der Knechte Verhalten gegen ihre Herren und
2.) der Herren Verhalten gegen ihre Knechte.
1.
Jenes Wort sollen alle Untergebene zu Herzen nehmen, mögen sie Knechte oder Mägde, Junker oder Fräulein, Bürgermeister oder Schreiber, Bediente eines Herrn oder Untertanen eines Kaisers sein. Zunächst aber meint Paulus mit den Knechten, die er anredet, die Sklaven jener Zeit, deren viele in die christliche Gemeinde übertraten. Obwohl nun die Sklaverei ein Werk der Sünde war und ist, so hob doch das Christentum sie nicht äußerlich mit Gebot und Zwang auf, dass es zu den Herren sagte: Wo ihr nicht die Sklaven allererst freilasst, werdet ihr nicht aufgenommen ins Himmelreich; sondern erst nahm es beide, Herren und Sklaven, auf, pflanzte den Glauben und mit dem Glauben die Liebe in ihre Herzen hinein, und löste so innerlich die Bande der Sklaverei.
Wenn nun das Christentum nicht einmal die Sklaverei geradezu aufhob, obwohl der Herr kein Recht über Gut und Blut, Leib und Leben seiner Sklaven hat, sondern diese ermahnt, dass sie den Herren einen völligen, aufrichtigen und willigen Gehorsam leisten sollen: so löst es noch viel weniger dies Band zwischen Dienstboten und Herrschaften, wie es heutzutage besteht, sondern es bestätigt und heiligt das Band. Was fordert denn Paulus von den Knechten? Er spricht: Seid gehorsam, wie ein Muster solchen Gehorsams Joseph war im Hause Potiphars, auch Elieser, Abrahams Knecht, der weder essen noch trinken wollte, bis er seines Herrn Geschäfte verrichtet hätte (1 Mos. 24.); der allertreueste Knecht ist unser Herr selbst gewesen, als der uns allen gedient hat bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze. Der Knechte Gehorsam aber soll ein Gehorsam in allen Dingen sein. Nur die Sünde ist ausgenommen, wie denn auch Joseph nicht tat, was Potiphars Weib von ihm forderte, noch die Wehmütter in Ägypten taten, was der König befahl (2 Mos. 1.). Sonst aber in allem, das gut oder doch nicht von Gott verboten ist, sollen die Knechte, auch wenn es hart und beschwerlich ist, gehorsam sein - wem? den Herren nach dem Fleische, welchen entgegensteht der geistliche Herr, Christus Jesus, dessen Herrschaft viel größer, herrlicher und dauernder ist. Wozu nun dieser Zusatz: „Nach dem Fleische?“ Fürs erste liegt darunter der Gedanke verborgen, dass der Gehorsam gegen die leiblichen Herren unter dem Gehorsam gegen den Herrn aller Herren stehe; sodann aber ist's auch tröstlich für die Knechte, zu hören, dass sie noch einen andern, gar milden Oberherrn haben, dessen sie eigen sind in Ewigkeit, statt dass die weltlichen Herren nur kurz und in äußeren Dingen über sie Gewalt haben. Christus selbst weist darauf hin (Matth. 10,28.).
Umso mehr konnte der Apostel darauf dringen, dass sie die kurze Lebenszeit hindurch willig und aufrichtig ihren Herren dienten. Seid gehorsam, nicht mit Dienst vor Augen, als den Menschen zu gefallen. Augendienst ist ein solcher Dienst, da bloß fleischliche Furcht oder Hoffnung die Treiber zum Gehorsam sind, denn die Augendiener würden um Gottes und des Gewissens willen nichts tun, wo nicht der Herren Zorn wäre, den sie scheuen, und ihre Gunst, die sie suchen. Sie gleichen den Schauspielern, die auf der Bühne nicht sind, was sie scheinen, und die nur handeln, wenn sie Zuschauer haben. Wie soll's denn sein? Gehorcht, spricht Paulus, in Einfältigkeit des Herzens, und mit Gottesfurcht. Das steht dem Augendienst entgegen; denn die Einfalt des Herzens besteht darin, dass man, ohne Verstellung und Heuchelei, um des Gewissens willen tut, was recht ist. Da ist man treu, auch wenn Menschen es nicht sehen, noch Aussicht ist, dass sie es je sehen und erfahren werden. Solche Einfalt des Herzens tut ihr Werk als unter den Augen Gottes, dem zu gefallen sie alles meidet, was ihm missfallen könnte.
Aber wie? tritt hier nicht ein Augendienst an die Stelle des andern, nämlich die Furcht vor Gott an die Stelle der Menschenfurcht? Allerdings! wenn man wollte treu sein, um nicht in die Hölle zu kommen, sondern in den Himmel; aber die rechte kindliche Gottesfurcht sieht weder auf Lohn noch Strafe, sondern, ob auch kein Himmel und keine Hölle wäre, möchte sie doch nicht irgendetwas tun, das dem teuren Gott missfallen könnte. Die Liebe treibt alle knechtische Furcht aus, und macht aus dem Gehorsam einen ganz willigen, herzlichen Gehorsam, daher auch Paulus sagt: Alles, was ihr tut, das tut von Herzen, ungezwungen, mit Lust und Freude, erfüllt von Liebe zu euren Herren. Aber wie kann doch ein Sklave seinen Herrn lieben, zumal wenn es ein harter Herr ist, der seinen Knecht kaum als einen Menschen achtet? Ja, das ist die Kunst, die man von Paulus lernen soll. Er sagt: dient den leiblichen Herren, als dientet ihr dem Herrn Christo, und nicht Menschen. Es ist die Gewohnheit der Menschen, denen der Glaube fehlt, dass, wenn sie ihre Herren sehen, sie denken: das ist Fleisch von meinem Fleisch und meines Gleichen; ja, sie murren wohl gar heimlich, dass sie dienen müssen im Schweiße des Angesichts, während der Herr müßig geht, Wein trinkt und Wildbret isst. Also sehen sie in ihren Herren nur Menschen, weiter nichts, und wenn nun gar die falschen Apostel kommen, welche Freiheit und Gleichheit und Gütergemeinschaft predigen, so wird vollends aus dem Herzen der Knechte und Tagelöhner eine Mördergrube, darin Neid, Zorn, Hass sich zusammenrotten.
Aber ganz anders urteilt der fromme Glaube, der in der ganzen Welt nichts sieht als eine Larve oder Maske, dahinter das milde Antlitz des Herrn Jesu verborgen ist. So steht nun ein frommer Knecht in der Gestalt seines leiblichen Herrn nichts als eine menschliche Form, dahinter Jesus Christus verborgen ist, und alles, was sein Herr sagt, tut und befiehlt, wenn es nur nicht böse ist, steht er an als Wort, Tat und Befehl des lieben himmlischen Herrn und Meisters, dem er willig und von Herzen gehorchen soll. Nun sollte zwar auch der Herr hinter der Gestalt seines Knechtes das Angesicht des Herrn Jesu sehen, aber wenn er's nicht tut, sondern hart und lieblos ist, so lässt dennoch der fromme Knecht die harten Befehle des Herrn sich gefallen, und ehrt und liebt in ihm den himmlischen Herrn, der zu ihm spricht: Es ist mein Wille, dass du sollst auf Erden mein Knecht und Tagelöhner sein; doch bist du mein liebes Kind und will dich innerlich laben und erquicken mit Frieden und Freude als mit einem goldenen Groschen zum Tagelohn. Das ist nun die schöne evangelische Kunst des Gehorsams, die uns der Glaube lehrt, und geht die verloren, so wird in der Welt nichts sein als innerlich Neid, Zorn, Hass, und äußerlich Ungehorsam, Gleisnerei, Mord, Empörung, Revolution.
Doch der barmherzige Apostel kann noch immer nicht weggehen von den lieben Knechten, sondern ihn jammert der armen Leute, und möchte ihm das Herz vor Mitleid brechen, wenn er daran denket, wie ihrer viele doch so hart gehalten werden von ihren Herren. Darum fügt er noch einen schönen Trost hinzu und spricht: „Ihr wisst, dass ihr empfangen werdet die Vergeltung des Erbes, denn ihr dient dem Herrn Christo.“ Wirklich war ja die Lage der Knechte zu des Apostels Zeit ungleich härter, als sie es heutiges Tages ist. Denn als Leibeigene standen sie nicht nur weit hinter den Kindern des Hauses zurück, die als Kinder auch Erben waren, sondern sie hatten nicht einmal einen rechtlichen Anspruch selbst auf den geringsten Lohn von ihren Herren. Da vertröstet sie nun Paulus auf das himmlische Erbe, das sie als Kinder Gottes, und auf die himmlische Vergeltung, die sie als Knechte Christi zu erwarten hätten. Der Herr wird ja am Abend zu seinem Schaffner sagen: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn (Matth. 20, 8.) und wird nicht unvergolten lassen, was sie getan und sich haben gefallen lassen aus Liebe und Gehorsam gegen Ihn, sondern wird sagen (Matth. 25.): Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen. Dass dies himmlische Kleinod der Seligkeit eine Vergeltung oder ein Lohn genannt wird, hat nicht den Sinn, als ob es mit den Werken verdient würde, denn das Zeitliche steht in gar keinem Verhältnis zu dem Ewigen. Die Seligkeit lässt sich nicht verdienen, sie ist Gnade und nicht Verdienst, aber dennoch ist sie eine Folge der Treue. Der Herr hat sie gar genau mit dem Gehorsam verbunden, wie mit dem Ungehorsam die Strafe, daher es heißt: Wer Unrecht tut, der wird empfangen, was er Unrecht getan, und gilt kein Ansehen der Person. Es wird heißen an jenem Tage: Tue Rechnung von deinem Haushalten! Wie ging's dem faulen Knechte, da der Herr um Mitternacht kam (Matth. 24.)? und wie dem Knechte, der sein Pfund vergraben hatte (Matth. 25.)? Und zwar gilt hier kein Ansehen der Person. Es könnte sonst etwa ein Knecht denken, Gott werde es mit ihm so genau nicht nehmen, da ihm in seiner Lage das Leben schon ohnehin sauer genug gemacht werde; demnach werde ihm Gott seine Untreue und Ungehorsam, dazu er ohnehin oft genug durch die Härte seines Herrn verleitet werde, schon ungestraft hingehen lassen. Mitnichten! sagt Paulus. Die Vergeltung ist mit der Untreue verbunden, wie der Schatten mit dem Körper, und wer auch der Untreue sei, ob König oder Sklave, das macht keinen Unterschied. Darum hüte sich, wer hier an der Karre zieht, dass der nicht einst am Wagen ziehen müsse!
2.
Doch nun gibt der Apostel auch den Herren eine kurze Lektion, kurz, weil es nicht geziemend wäre, den Herren in Gegenwart der Sklaven viel von ihrer Pflicht zu sagen. Ihr Herren, was recht und gleich ist, das beweist den Knechten. Von welchem Rechte redet Paulus? Die Sklaven hatten ja kein Recht gegen ihre Herren. Aber es gibt außer dem bürgerlichen Rechte noch ein von Gott den Menschen ins Herz geschriebene Recht, welches sagt, wie sich der Mensch gegen den Menschen zu verhalten habe. Bei den christlichen Herren war nun noch das Licht des Evangeliums hinzugekommen, welches das schlafende Gewissen weckt und das irrende unterweist. Deshalb ermahnt sie der Apostel, dass sie an ihren Knechten tun sollen, was die Stimme ihres Gewissens sie tun lehre. Taten sie das, so musste die unverantwortliche Strenge und Härte wegfallen, die so oft gegen die Knechte geübt wurde. Die Schrift zeigt uns Beispiele grausamer Härte. Pharao legte den Israeliten so viel Frondienste und Beschwerung auf, dass sie es nicht mehr ertragen konnten (2 Mos. 2.). Jener Amalekiter (1 Sam. 30.) ließ seinen Knecht, der krank geworden, wie einen Hund auf freiem Felde liegen, während der Hauptmann zu Kapernaum für seinen kranken Knecht besorgt war wie für sein eigenes Kind (Matth. 8.).
Außer dem Rechte dringt der Apostel noch auf Gleichheit. Dies Wort kann das richtige Verhältnis zwischen dem Betragen der Knechte und der Behandlung, die sie erfahren sollten, bedeuten. Eifer und Treue in ihrem Dienste sollten nicht übersehen, sondern belohnt werden; Schwachheiten sollten nicht wie Verbrechen bestraft, sondern mit Geduld getragen, strafwürdige Vergehen nicht mit schonungsloser Härte behandelt werden. Oder es kann die Gleichheit bedeuten, dass man unter den Knechten nicht nach Laune und Willkür einen Unterschied machen, sondern sie alle gleich behandeln soll, soweit ihr Verhalten es gestattet. Denn es ist ja empörend, wenn ich sehe, dass mein Herr in Wort und Werk, in Lohn und Strafe gegen mich mit roher Willkür, gegen meinen Mitknecht dagegen nach Recht und Billigkeit verfährt. Oder endlich, es kann die Gleichheit darauf gehen, dass der Herr in seinem Verhalten gegen die Knechte sich gleich bleiben, und nicht etwa heute wie ein Lamm, morgen wie ein Löwe sich Gebärden; heute nachsichtig, morgen grausam; heute freigebig, morgen karg sein soll.
Was aber auch der Apostel zunächst versteht, so steht fest, dass von der Gleichheit nichts ausgeschlossen ist von dem, das gesagt worden ist. Nun weist der Apostel die Herren noch hin auf den Tag des Herrn, da sie werden Rechenschaft ablegen müssen von ihrem Tun und Lassen. Ihr wisst - spricht er - dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt. Als wollte er sagen: Wie ihr wollt, dass euer Herr im Himmel mit euch, seinen Knechten, verfahren möge, also sollt auch ihr verfahren mit euren Knechten. Ihr sollt bedenken, dass euch eure Macht von Oben herab gegeben ist (Joh. 19, 11.); sollet sagen wie Joseph: Ich bin unter Gott (1 Mos. 1.); sollet nicht vergessen, dass der Herr die Gewaltigen vom Stuhle stoßen könne (Luk. 1, 52.); sollt bedenken, was die Schrift sagt: Mit dem Maß, damit ihr messt, wird man euch wieder messen. In Summa, fürchtet Gott, so werdet ihr immerdar an euren Knechten tun, was recht und billig ist.