Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 30. Betrachtung

Es wäre zu wünschen, dass in jedem Hause über der Haustür eine Tafel hinge mit der Aufschrift: Evangelische Haustafel. Darauf sollte mit kurzen Worten geschrieben stehen, wie sich nach Gottes Willen und Wort diejenigen zu verhalten haben, die im Hause beisammen leben, es sei Gattin oder Gatte, Sohn oder Vater, Knecht oder Herr. Der Apostel Paulus gibt uns eine solche Haustafel. Das erste Wort lautet, wie ihr eben gehört habt. Nun geht er zu den Kindern, die aus der ehelichen Verbindung geboren werden.

Kol. 3, 20. 21: Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern in allem, denn das ist dem Herrn gefällig. Ihr Väter, erbittert eure Kinder nicht, damit sie nicht scheu werden.

Ein Wort über

die Pflicht der Kinder und Eltern.

1.

„Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern.“ Von den Frauen fordert der Apostel Unterwerfung, von den Kindern Gehorsam, der zweierlei befasst: Unterwerfung und Folgsamkeit. Es ist etwas Großes um das, was man Vater und Mutter nennt. Der Vater-Name ist nicht von Menschen auf Gott übertragen, denn ehe Menschen und Eltern waren, ist Gott schon Vater gewesen; sondern von Gott ist der Name gekommen auf die Menschen, weil das reine Verhältnis der Eltern zu den Kindern ein Abdruck ist des Verhältnisses, worin Gott durch Christum zu den Menschen steht; ja, der irdische Vater ist der himmlische Vater selbst in Fleisch und Blut. Ich meine: wenn Gott beschlösse, in irgendeiner Gestalt auf Erden zu wandeln und in dieser Gestalt ein Gott der Kinder zu sein, so wäre keine andere und bessere Gestalt, die er annehmen könnte, als die der Eltern. Nun hat er's beschlossen und den Beschluss ausgeführt. Darauf beruht die hohe, göttliche Gewalt, welche die Eltern über ihre Kinder haben. Ein Kind demnach, das Gott ehrt, ehrt auch die Eltern, und ein Kind, das die Eltern nicht ehrt, ehrt auch nicht Gott. Luther sagt: „Es ist viel ein höher Ding, ehren, denn lieben, als das nicht allein die Liebe begreift, sondern auch eine Zucht, Demut und Scheu, als gegen eine Majestät. Darum hält Gott viel von Vater und Mutter. Denn die Ehre gebührt allein Gott. Nun teilt er die Ehre Vater und Mutter mit, darum auch keine größere Herrschaft ist, denn der Eltern Herrschaft. Sieht nun das Kind die Eltern also an, so geht daraus auch hervor, dass es ihren Befehlen gehorchen, ihrem Rate folgen, ihre Zucht sich gefallen lassen muss.“

Einen solchen Gehorsam, sagt Paulus, sollen sie beweisen in allem. Ist hier nicht eine Beschränkung zu machen? „Wie“ spricht Luther, wenn sie wider Gott etwas gebieten, soll ich gehorchen? Nein, da ist Gott ausgenommen, da sollen wir nicht gehorchen, wenn sie wider die Gebote der ersten Tafel gebieten, die sollen den Vorzug haben. Da soll der Sohn zum Vater sprechen: Wir haben einen Gott, der ist mehr, denn du. Ich will dir gerne gehorsam sein, sofern es nicht wider Gott ist, wie Petrus spricht (Apg. 5, 29.): „Man muss Gott mehr gehorchen, denn den Menschen.“ Aber Paulus redet in unserem Text auch nur von frommen Eltern, die jegliches, das sie tun, im Namen des Herrn Jesu tun, daher der Gehorsam, den er meint, lediglich ein Gehorsam gegen Christum ist, der aus den Eltern zu den Kindern redet. Da haben die Kinder zu gehorchen in allem, also auch dann, wenn ihnen die elterlichen Befehle hart erscheinen, wie Isaak tat (1 Mos. 22.), und wie Christus zu seinem himmlischen Vater am Ölberge sagte: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Als Grund führt Paulus an: so ist es Gott wohlgefällig im Herrn, das ist, in Christo. Man führe die Kinder früh zu Christo, dass sie an ihm hangen, wie Reben am Weinstocke, so werden sie in ihrer Gemeinschaft mit dem Herrn bald inne werden, wer die Eltern sind, und dass wir Gott nur gefallen können, wenn wir den Eltern als gehorsame Kinder gefallen. Auch über das Verhältnis zwischen den Kindern und Eltern ist erst das rechte Licht aufgegangen im Christentum, das uns in Gott der Eltern Urbild zeigt. Darum können wir an dem Urbild lernen, was wir dem Abbild, wie wiederum am Abbild, was wir dem Urbild schuldig sind. Beides lehrt uns das Exempel unsers Herrn Jesu Christi, der nicht nur seinen Eltern untertan war, sondern auch gehorsam seinem Vater im Himmel. So prüfe nun jeder, wie es um seinen Gehorsam gegen die Eltern steht, sie mögen leben oder gestorben sein. Denn niemand meine, dass über seinen früheren Ungehorsam gegen die Eltern Gras gewachsen sei. Wohl mancher trägt eine blutige Wunde in seinem Gewissen, die nicht heilen will, und die da wirkt, dass Gottes Segen nicht auf ihm ruht, um der Sünden willen, die er gegen seine Eltern begangen hat.

2.

Damit nun aber die Eltern ihre Gewalt, die sie über die Kinder haben, nicht missbrauchen, so hält der Apostel ihnen Maß und Ziel vor, wie sie sich gegen die Kinder zu verhalten haben. Wenn er hier bloß die Väter anredet, so sind darum die Mütter nicht ausgeschlossen, sondern er tut es darum, weil er die Väter als Häupter der Familie betrachtet, und weil ohnehin die Väter weit mehr als die Mütter geneigt sind, durch harte Behandlung der Kinder sich zu versündigen. Daher spricht er: Erbittert eure Kinder nicht. Dies kann auf mancherlei Weise geschehen. Wenn die Eltern ihre Kinder nicht versorgen, sondern in Speise und Kleidung karg und hart gegen sie sind; wenn sie mit schwerer Bürde und Arbeit sie überladen, als wären die Kinder ihre Sklaven; wenn sie im Zorn und ohne Not durch Schläge und Scheltworte sie misshandeln, zumal solche Kinder, welche weichen Gemütes sind; wenn sie die Kinder in ungerechter, übertriebener Weise züchtigen und nicht einmal von ihrer Schuld sie überzeugen: so ist das alles ein Missbrauch der väterlichen Gewalt, und reizt und erbittert das kindliche Gemüt. „Lasst das,“ sagt Paulus, „damit die Kinder nicht scheu werden.“ Er will sagen: es wankt auf solche Weise der rechte Grund des kindlichen Gehorsams, nämlich die Liebe und das Vertrauen zu den Eltern, und bleibt nichts übrig in ihnen als knechtische Furcht vor der Strafe. Vielleicht werden sie gar verstockt und halsstarrig, und achten, weil sie der Strafe gewohnt sind, keine Züchtigung mehr, oder sie werden schüchtern, und ihnen vergeht, da sie als Sklaven aufwachsen, alle Lust und Munterkeit zum Guten, so dass sie vielleicht nie in ihrem Leben etwas frei und freudig tun, sondern immer reden und handeln, als stände der zornige Vater mit dem Stecken hinter ihnen. Daher, Väter, seid weise im Gebrauch eurer väterlichen Gewalt, und habt in eurem Verhalten gegen die Kinder Gott vor Augen, wie der in Christo seine väterliche Gewalt gegen euch gebraucht.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_30_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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