Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 27. Betrachtung

Nachdem uns der Apostel den Erneuerungsschmuck gezeigt hat, den wir anlegen sollen, fährt er fort: „Lasst das Wort Christi unter euch reichlich wohnen.“ Wie hängt das zusammen? Wisst fürs erste, dass, sobald das Herz erneuert wird, alsbald auch das Herz anfängt, mit Gottes Wort fleißig umzugehen, Gott zu loben und zu danken, und das Licht seines Glaubens und seiner Tugend auch vor andern leuchten zu lassen. Also auch dies ist eine köstliche Perle in dem Erneuerungsschmucke eines Christen, und wahrlich! wem noch Gottes Wort fremd und gleichgültig ist, wer noch die Brüder nicht lehrt und ermahnt, wer noch Gott nicht singt und spielt in seinem Herzen, der denke ja nicht, dass er schon eingegangen sei in das Himmelreich durch die Tür der Wiedergeburt und Erneuerung. Sodann aber muss man auch dies noch erwägen, dass, wenn die zuvor genannten Tugenden in einer Gemeinde blühen sollen, vor allem nötig ist, dass Gottes Wort reichlich in ihr wohne, und nach diesem Gottes-Wort einer den andern fleißig lehre und ermahne, also dass die gemeinsame Erbauung nicht nur eine Blüte, sondern auch ein Same des christlichen Lebens ist. So haben wir's zu verstehen, wenn Paulus spricht:

Kap. 3, 16: „Lasst das Wort Christi unter euch reichlich wohnen, in aller Weisheit, lehrt und vermahnt euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern, und singt dem Herrn in eurem Herzen.

Dieses Wort weist uns auf die Erbauung hin und sagt uns

1.) worauf man sie gründen, und
2.) wie sie geschehen soll.

1.

Alles, was an Lehre und Ermunterung, an Singen, Loben und Danken, kurz, an einsamer und gemeinsamer Erbauung in einer christlichen Gemeinde stattfinden mag, das soll seine Quelle, daraus es fließt, und seine Nahrung, davon es lebt, in dem teuren Gottesworte haben. Wohnt dies Wort nicht mehr in einer Gemeinde, so hört auch das Leben der Gemeinde auf, nämlich alle brüderliche Teilnahme an des Nächsten Seelenheil, alles Lehren und Ermahnen, alles gemeinsame Loben und Danken Gottes; oder, wo noch eine gemeinsame Erbauung stattfindet, da hat sie ohne Gottes Wort keinen festen Grund und Boden und ist eine verkrüppelte Pflanze, die auf dürrer Heide wächst. Woher will mans auch nehmen, wenn mans nicht nimmt aus Christi Wort und aus dem lebendigen Glauben an die großen Taten der Liebe Gottes, wovon jenes Wort uns Kunde gibt? Darum nun sagt der Apostel: „Lasst das Wort Christi unter euch reichlich wohnen.“ Dies Wort, das anfangs weniger in Schrift als in lebendiger Verkündigung vorhanden war, dies Wort unterscheidet sich von allem und jedem Menschenworte dadurch, dass es nicht nur auf dem Zeugnisse dessen ruht, der von sich sagen konnte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, sondern dass es auch das Zeugnis der Geschichte für sich hat, die in offenkundigen, wunderbaren Taten Gottes für die Wahrheit desselben spricht. Darum soll es nun auch reichlich bei uns wohnen bei uns, das kann beides heißen: in und unter uns. Wie sollt' es auch unter uns sein können, wenn es nicht vor allem ein lebendiger Schatz in. uns wäre, dass wir's aus der inneren Fülle nehmen und auch andern mitteilen können? Was ist das Herz ohne Christi Wort? Was das verstörte Babel war, wovon es heißt (Jes. 13.): Zihim werden sich da lagern, und ihre Häuser werden voll Ohim sein, und Strauße werden da wohnen, und Feldgeister werden da hüpfen, und Eulen in ihren Palästen singen, und Drachen in den lustigen Schlössern. Erst wenn das Herz voll ist des Wortes Gottes, kann auch der Mund davon überfließen; erst wenn das Wort reichlich in uns ist, kann es auch reichlich unter uns sein. Wann ist es das? Wenn es nicht wie ein seltener Gast bloß dann und wann bei uns einkehrt, sondern wenn es viel und von vielen verkündigt wird, und man es oft und gerne hört. Traurig, wenn es mit der Gemeinde steht, wie einst mit Israel, da man klagen musste: Kein Prophet predigt uns mehr, und kein Lehrer lehrt uns mehr (Ps. 74.). Traurig, wenn es dahin kommt, wohin es gekommen war zur Zeit der Heiden, da man von Gott nichts wusste und hörte, oder später zur Zeit der Reformation, da Menschentand getreten war an die Stelle des Wortes Christi! Dagegen, wenn das Land voll ist der Erkenntnis des Herrn; wenn die Hausväter mit Weib, Kind, Knecht und Magd sich fleißig um den Brunnen des Lebens sammeln; wenn die Christen, die sich besuchen, sich Schätze der Erkenntnis und christlicher Erfahrung mitteilen; wenn viel geforscht und gelesen wird in dem Buche der Bücher; wenn die Gotteshäuser voll sind und ein Reichtum an Evangelisten, Hirten und Lehrern ist, deren Lust und Freude es ist, die Christen hinzuführen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes: dann, dann wohnt das Wort Christi reichlich unter uns. Sorgt, dass Gottes Wort unter die Leute komme, denn Christi Wort ist das einzige, feste Fundament aller Erbauung.

2.

Wie soll nun aber diese Erbauung geschehen? Paulus sagt uns; wie wir auf Grund des Wortes Gottes uns gegenseitig anfassen und stärken sollen. Fürs erste, indem wir einander in aller Weisheit lehren. Es ist, wie ein Recht, so auch eine Pflicht aller Christen, einander zu lehren und zu ermahnen. Als Christen sind wir zu Priestern gesalbt, die das Amt und den Beruf haben, die Brüder zu erbauen. Hat demnach jemand eine bessere Erkenntnis als andere, so darf und soll er ihnen mit seinen Gaben dienen, welche Pflicht besonders den Hausvätern gegen ihre Kinder und ihr Gesinde obliegt. So mussten zur Zeit des Alten Testaments die Hausväter ihren Kindern das Gesetz vorhalten und ihnen erzählen, was Gott an den Vätern getan (5 Mos. 6.). Auch im Neuen Testamente wird ermahnt, einer solle den andern unterweisen, in welcher Rücksicht z. B. Priscilla und Aquila gerühmt werden, welche Christen in ihren Häusern versammelten und mit ihnen sich erbauten. Man hatte damals noch die großen Kirchengebäude nicht, die man jetzt hat, sondern die Gemeinde musste sich teilen und hie und da in Privathäusern sich versammeln, was sie auch fleißig tat. Da diente denn einer dem andern mit der Gabe, die er empfangen hatte, wie es der Liebe Art ist, dass sie sich gerne andern mitteilt, gleich dem Lichte, welches andere Lichter anzündet. Dabei fehlte das öffentliche Lehramt nicht, sondern neben dem Berufe der Einzelnen, einander zu lehren und zu ermahnen, bestand das Amt eigens zu Lehrern berufener Männer (Eph. 4, 11.). Beides soll nebeneinander bestehen, auch in unsern Tagen, und der Apostel will nur, dass das Lehren in aller Weisheit geschehe. Die Weisheit erfordert mancherlei, z. B. dass man ohne Stolz und Anmaßung verfahre; dass man zwar mit Ernst, aber auch mit Milde und Sanftmut lehre; dass man allen alles sei, den Einfältigen ein Einfältiger, den Kindern ein Kind; dass man zu rechter Zeit den Mund auftue und am rechten Orte, denn ein Wort, zu rechter Zeit geredet, ist wie ein goldener Apfel in silbernen Schalen (Sprichw. 25.).

Mit dem Lehren soll das Ermahnen verbunden sein: „Ermahnt einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern.“ Die Lehre fasst den Verstand, die Ermunterung das Herz und den Willen, jene wirkt Überzeugung, diese wirkt Gehorsam und Treue. Wo die Blöden getröstet, die Müden gestärkt, die Halsstarrigen gestraft, die Wankelmütigen befestigt, die Gefallenen aufgerichtet werden, da geschieht Ermahnung oder Ermunterung. Dazu sollen nun auch die Psalmen, die Loblieder und geistlichen Gesänge dienen. Man kann nicht mit Gewissheit sagen, wie sich diese drei genannten Stücke der Erbauung zu des Apostels Zeiten unterschieden. Vielleicht sang man in den christlichen Versammlungen die Psalmen Davids, wie es in der Synagoge der Juden geschah, und wie viel Aufforderung zur Buße, zur Treue, zum Troste liegt nicht in diesen Psalmen, wenn sie auf die rechte Weise gelesen oder gesungen werden! Außerdem hatte man vielleicht noch andere Gesänge, die man zu gegenseitiger Erbauung sang. Geistlich heißen sie wegen ihrer Herkunft, weil der Geist sie gab, und wegen ihres Inhalts, weil es nicht weltliche Lieder waren. Endlich mochten auch in den Versammlungen noch einzelne begeisterte Brüder hervortreten, die nicht in gewöhnlicher Rede, sondern in frommen Liedern, die aus ihrem Herzen quollen, Gott und den lieben Heiland lobten. So oder ähnlich ermunterten die Christen einander durch Gesang. Denn auch durch geistliche Lieder, die gemeinsam gesungen werden, wirkt ja einer auf des andern Herz. Wenn wir aus vollem Herzen mit ein ander singen: Nun dankt alle Gott, oder: Ein' feste Burg ist unser Gott, ruft's da nicht einer dem andern zu, dass er Gott danken und auf Gott vertrauen soll? Nun kommt es freilich sehr darauf an, wie wir singen. Paulus fordert, dass wir dankbar in unserem Herzen dem Herrn singen sollen. Dankbar, das heißt, der Grundton unsers Herzens soll beim Gesang immer die Freude sein über Gott und der Dank für seine große Gnade, die er uns in Christo bewiesen hat und fortwährend beweist. Schwimmen wir nicht alle wie Fische in dem Meere der Liebe Gottes?

Sodann soll unser Gesang herzlich sein. Auf das Herz kommt es bei allem an, was ein Mensch tut, auch beim Gesange; das Herz kann wohl Gott loben ohne den Mund, aber der Mund kann es nicht ohne das Herz. Man muss mit Maria sagen können: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes meines Heilandes. Daher will der Apostel, dass, wenn wir miteinander singen, jeder für sich mit dem Herzen daran teilnehme, wie auch Luther sagt: dass nicht singe und bete allein der Mund, sondern dass es gehe von Herzens Grund. Endlich, Herz und Gedanke sei im Gesange gerichtet auf den Herrn, und durch ihn auf Gott, den lieben himmlischen Vater. Niemand singe, um das Metall seiner Stimme klingen zu lassen oder sonst irgendwie sich selbst zur Ehre, sondern, wie all unser Tun, so diene auch unser Gesang zu Lob und Ehre dem treuen Gott.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_27_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain