Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 24. Betrachtung
Ist es schon ein Großes, einen äußeren Feind zu überwinden, der das Vaterland verwüstet, und einen Sieg zu erringen, von dem nachher gesungen wird in den Hütten der Gerechten (Ps. 118.): so ist es ein noch viel Größeres, wider den geistlichen Feind, der die Seele und ihre Seligkeit zerstört, die Waffen zu ergreifen und den Sieg über ihn zu erkämpfen. Wer ist dieser Feind? Es sind die sündlichen Lüste und Begierden, zu deren Überwindung der Apostel Paulus uns ermahnt, auf Grund des himmlischen Sinnes und Wandels, dazu wir als Christen verpflichtet sind.
Kol. 3, 5. 6. 7: So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind: Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust, und den Geiz, welcher ist Abgötterei, um welcher willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens, in welchen auch ihr weiland gewandelt habt, da ihr darinnen lebtet.
Es ist also die Überwindung der sündlichen Lüste, zu der uns Paulus auffordert, indem er uns
1.) den Feind zeigt, den wir überwinden, und
2.) die Gründe sagt, warum wir das tun sollen.
1.
Es sind vor allen Dingen die Sünden der Unkeuschheit, auf die wir hingewiesen werden in unserm Text, wie auch Gal. 5. unter den Werken des Fleisches zunächst Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht genannt werden, ähnlich 1 Kor. 6. Es ist kein Baum auf Erden, der mehr verbreitet wäre und mehr Zweige hätte als die Wollust; sie ist die fruchtbare Mutter vieler Sünden. Wer einen Blick in die Heidenwelt tut, wie sie vor Christi Erscheinung war, der begegnet allenthalben den Sünden der Wollust, und oft in der gräulichsten Gestalt. Aber man braucht nicht in die alte Zeit zurückzugehen, um solche Laster zu finden, nein, man sieht sie auch zu unserer Zeit, nicht nur in den großen Städten, sondern auch auf dem Lande. Gott sei es geklagt, die Christenwelt ist fast wieder eine Heidenwelt geworden. Paulus redet nun von den bösen Lüsten als von Gliedern: Tötet eure Glieder. Entweder sind darunter die Glieder des Körpers zu verstehen, sofern sie der bösen Lust als Werkzeuge dienen, denn in unserm Leibe haust ja die Sünde, und solange wir im Fleische sind, zeigen sich die Lüste kräftig in unsern Gliedern (Röm. 7.). Da sollen nun die Glieder getötet werden, soweit sie Werkzeuge der Sünde sind, welches geschieht, wenn die Lust getötet wird, die in ihnen herrscht. Der Leib ist ja ein Sklave der Begierde; Auge, Ohr, Zunge, Hand, Fuß und alle Glieder werden von ihr beherrscht, werden von ihr gelenkt, wie die Pferde vom Fuhrmann.
Oder der Apostel redet von dem alten Menschen als von einem Ganzen, das aus vielen Teilen besteht. So viele Lüste und Laster es gibt, die aus dem Herzen kommen, so viele Glieder des Fleisches gibt es; ihrer sind viele, wie der Glieder des Leibes viele sind, und wie diese ineinander greifen und aneinander hängen, also hängen auch die Lüste des Fleisches zusammen, eine gebiert, nährt und stärkt die andere. Es werden zunächst fünf dieser Glieder genannt, zuerst Hurerei, darunter die fleischliche Vermischung zweier ledigen Personen verschiedenen Geschlechts zu verstehen ist, hier jedoch mit Einschluss des Ehebruchs, der sonst in der Schrift neben der Hurerei als ein besonderes Laster genannt zu werden pflegt. Sodann Unreinigkeit, wobei nicht nur an wollustige Bilder und Gedanken, unflätige Reden und Zoten zu denken ist, die Herz, Sinn und Zunge verunreinigen, sondern auch an allerlei unnatürliche und geheime Sünden der Wollust, die nur zu nennen das Ohr eines Christen beleidigen muss. Es ist kaum zu glauben, wie weit die Welt es mit dergleichen Unflätereien getrieben hat und treibt; wer es weiß und steht, bis zu welcher scheußlichen Unnatur die Wollust fortgeht, der muss sich davor entsetzen. Drittens schändliche Brunst, Geilheit, dergleichen von Israel gesagt wird (Jes. 2.): Sie liefen wie die Kamele in der Brunst. Das Wort im Griechischen weist auf den leidenden Zustand eines Wollüstigen hin, da er ohne Willenskraft und Widerstand von der entzündeten geilen Lust umhergetrieben wird. Gerät nun diese Brunst an irgendetwas, das sie fesselt, so dass sie darauf ihr blindes tierisches Begehren richtet, so wird sie das, was Paulus in unserm Text böse Lust nennt, wie bei David, da er gegen die Bathseba, oder bei Amnon, da er gegen seine eigene Schwester entbrannte. Zu diesen Wollustsünden fügt Paulus nun fünftens noch die Habsucht, den Geiz. Das Wort im Grundtext kann auch die unersättliche Begierde bedeuten, die sich auf alles stürzt, was die Sinne reizt und lockt, darum auch Genusssucht, da man den Leib mit Speise und Trank überfüllt und so wiederum der Wollust reiche Nahrung gibt. Man findet ja Menschen, die absichtlich ihren Leib mästen, um die Kräfte herzustellen, die ihnen die Wollust raubt; die darauf studieren, wie sie, nicht nur um ihren Gaumen zu kitzeln, sondern auch um der Wollust nicht zu unterliegen, ihres Leibes pflegen mögen, und so aus der Kammer der Wollust an den Tisch, und vom Tische wieder in die Kammer der Wollust gehen. Damit stimmt dann wohl zusammen, dass der Apostel von dieser Genusssucht als von einer Abgötterei redet, da es ja Menschen sind, denen der Bauch ihr Gott ist (Phil. 3, 19.). Aber man kann auch an die Habsucht oder das ungebührliche Trachten nach irdischem Gute denken, da ja, wie das sechste und siebte Gebot, so Wollust und Habsucht nahe aneinander stehen, und namentlich unter den Heiden neben der Wollust kein Laster häufiger war als die Habsucht. Was liegt der Welt, um mit ihrer Begierde sich darauf zu werfen, näher, als teils die Sättigung des Wollusttriebes, teils das irdische Gut, welches ja das sicherste Mittel zum Genusse ist! Seht euch um in der Welt: Wollust und Habsucht sind die Hauptstraßen, auf denen ihr die Kinder der Welt wandeln seht, und mit diesen Hauptstraßen hängen dann wieder viele andere Sünden als Nebenwege zusammen. Ist nicht aber auch die Habsucht mit Recht Abgötterei oder Götzendienst zu nennen? Hängt da nicht der Mensch sein Herz an den Reichtum und spricht zu dem Goldklumpen: Du bist mein Trost? Wenn schon jegliche Sünde ohne Unterschied Abgötterei heißen kann, weil bei ihr an die Stelle des Willens Gottes der eigene Wille und des Teufels Lust gesetzt wird, so muss ja absonderlich der Geiz so heißen, weil derselbe das Höchste, worin der Gottesdienst besteht, nämlich Liebe, Furcht, Vertrauen, Freude, den irdischen Gütern zuwendet. Von allen genannten Sünden nun sagt Paulus, dass sie Glieder seien, die auf Erden sind oder der Erde angehören, weil in ihrem Dienste Sinn und Wandel nicht auf das, was oben, sondern auf das Irdische gerichtet sind. Darum eben warnt er davor und sagt: Tötet eure Glieder! Aber - könnte man fragen - wie passt doch diese Ermahnung für Christen, zumal für solche Christen, von denen noch eben zuvor gesagt ist, dass sie gestorben sind und ihr Leben mit Christo in Gott verborgen ist? Sind sie gestorben, wie kann man denn reden, als lebte noch in ihnen der alte Adam mit seinen Sünden und bösen Lüsten? Darauf ist zu erwidern, dass wir als wiedergeborene Christen zwar der Sünde abgestorben sind, aber unser Leben in Gott, das wir führen, noch nicht vollendet ist. Wir sind auf dem Wege der Heiligung, aber noch nicht am Ziele. Früher haben wir noch eigentlich nicht gekämpft, sondern sind der fleischlichen Lust gefolgt, wohin die uns führte. Nun aber stehen wir im Kampfe mit dem erbitterten Feinde, der uns immerdar angreift und uns gern verderben möchte, wenn er könnte. Wer glauben wollte, die Wiedergeburt bestände darin, dass in einem Menschen das Fleisch plötzlich und auf immer getötet würde, und nun aller Kampf aufhörte, der wäre in großem Irrtum; vielmehr stellt uns die Wiedergeburt erst mitten in den Kampf hinein, und es ist in manchem Kinde Gottes das Fleisch wie ein Brand in seinen Gebeinen. Man erschrecke und verzage nicht, weil es also ist, sondern man sorge nur, dass das Fleisch nicht den Sieg gewinne über den Geist.
Paulus sagt: Tötet eure Glieder, welches die tägliche Reue und Buße bedeutet, wodurch der Christ das Fleisch kreuzigen soll samt den Lüsten und Begierden (Gal. 5.), dass es immer mehr abnehme an Kraft und Gewalt über ihn. Man muss die Lüste, gleich wenn sie sich regen, als glimmende Kohlen auslöschen, damit keine verheerende Feuersbrunst entstehe, oder als böse Sprösslinge in ihrem Wachstum ersticken, damit sie nicht Wurzel schlagen und zu einem Baume, das ist, zur Gewohnheit werden. Mit der Lust lässt sich nicht scherzen; spielen wir mit ihr, so sind wir wie der Hase, der mit dem Fuchs spielt. Sonderlich warnt uns Paulus vor der Wollust, dieser gefährlichen Klippe, woran schon manches Christen Schiff gescheitert ist. Darum lasst uns wider sie kämpfen durch fleißiges Gebet, durch Meidung aller Gelegenheit zur Wollust, durch Nüchternheit und durch Treue in unserm Beruf.
2.
Der Apostel hält uns die Gründe vor, warum wir wider die bösen Lüste streiten sollen. „So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind.“ Das Wörtlein „nun“ zeigt an, dass mit jenem himmlischen Sinn, wozu der Apostel zuvor ermahnt hat, die Herrschaft der Lüste unverträglich sei. Wie eine unendliche Kluft ist zwischen Himmel und Erde, so ist auch zwischen dem Wandel der Christen und der Weltmenschen eine gar große Kluft befestigt. Sind wir mit Christo gestorben, leben wir mit ihm in Gott, so geziemt es sich für uns, dass wir das Schwert ziehen und ritterlich kämpfen wider alle böse Lust. -
Sodann weist uns Paulus auf die Gefahr, die solchen Sündern droht, auf den Zorn Gottes hin „um welcher willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens.“ Gottes Zorn ist sein Missfallen an der Sünde, und sein gerechter, unabänderlicher Wille, die mutwilligen Übertreter seines Gesetzes zu strafen. Daher schließt nun zuweilen der Zorn Gottes die Strafen selbst mit in sich, die daraus fließen, sonderlich die äußeren Strafen, das Gericht der Verdammnis, welches Matth. 3, 7. „zukünftiger Zorn“ heißt. Dieser Zorn nun trifft die Hurer, die Unreinen, die Habsüchtigen und alle Sünder als Kinder des Unglaubens oder Ungehorsams, das heißt, als solche, die dem Ungehorsam gegen Gottes Willen sich ergeben und diesem Ungehorsam wie ihrem Vater Folge leisten. Schon in dieser Welt trifft sie der Zorn Gottes. Haben sie den Frieden Gottes in ihrem Herzen? haben sie Freude an Gott und Christo? haben sie Zutritt zu ihm und können mit ihm reden wie die Kinder mit ihrem lieben Vater? Nein, sie sind wie Ausgestoßene, die mit ihrer Mutter Hagar, der Welt, in der Wüste irre gehen. Aller Segen der Erlösung fehlt ihnen, und es bleibt ihnen nichts, als die vergängliche, mit vieler Pein verbundene Lust dieser Welt. So machen die Habsüchtigen sich selbst viele Schmerzen (1 Tim. 6, 9. 10.). Wie die Hunde dem Jäger das Wild aufsuchen und zusammentreiben müssen, selbst aber nichts davon bekommen als das Luder: also sammeln die Geizigen im Dienste des Teufels Geld und Gut, und haben doch selbst wenig mehr davon als Sorge, Überdruss und Ekel, bis es zuletzt heißt: Du Narr, in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern (Luk. 12.). Nicht besser ergeht es den Dienern der Wollust. Gott hat schon sein Schwert gewetzt und seinen Bogen gespannt, und zielt, und hat darauf gelegt tödliche Geschosse (Psalm 7, 12.). Eine Strafe ist schon ihre Sicherheit, darin sie sogar ihrer Sünden sich rühmen wie die zu Sodom (Jes. 3, 9.) und nicht erschrecken vor der Hölle. Andere geraten in Verwirrung und Verzweiflung, wenn sie ihre Ohnmacht und die eisernen Ketten des Teufels wahrnehmen; so schwinden sie hin und verdorren andern zum Exempel. Was dann ihre Zukunft betrifft, so heißt es: Kein Hurer noch Unreiner hat Erbe an dem Reiche Gottes (Eph. 5, 5.). Also zeigt uns Paulus den Zorn Gottes, und warnt uns, dass wir uns nicht mögen in solche Verdammnis stürzen. -
Endlich führt er die Kolosser in ihre Vergangenheit zurück, um ihnen bemerklich zu machen, wie verkehrt es sei, wenn sie noch jetzt als Christen jenen heidnischen Lüsten dienen wollten. Die Erinnerung an seinen Zustand vor der Bekehrung treibt ein Kind Gottes zu desto größerem Fleiß in der Heiligung. Während ein Weltkind sich nicht selten mit Lust und Freude seiner vorigen Sünden erinnert, denkt hingegen ein Kind Gottes mit Scham und Wehmut des Herzens an seinen vorigen Wandel, und der Abscheu vor dem früheren Sündendienste erhöht seinen Eifer im Dienste Gottes. Darum stellt der Apostel den Kolossern die Vergangenheit als einen Spiegel vor die Augen, und spricht: „auch ihr wandeltet weiland unter den Kindern des Ungehorsams.“ Zwar wandelten sie noch jetzt unter ihnen, aber doch nur äußerlich, denn als Auserwählte Gottes waren sie von ihnen abgesondert, und stellten sich der Welt nicht mehr gleich.
Weiter spricht er: „Ihr lebtet ehedem in solchen Sünden und Lüsten,“ das heißt, ihr hattet euer Wohlgefallen daran und bewegtet euch in diesem Element der Bosheit, wie die Sau im Kot. Nun aber seid ihr in ein anderes Element versetzt, nämlich in den Stand der Gnade, und habt euer Leben in Christo und mit Christo in Gott. So ihr denn nun im Geiste lebt, so müsst ihr auch im Geiste wandeln (Gal. 5.), und dazu gehört, dass ihr die Glieder tötet, die der Erde angehören. Denn das Leben des Glaubens kann nicht bewahrt werden, wenn nicht das Leben des Fleisches getötet wird.