Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 23. Betrachtung.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 23. Betrachtung.

Es ist der Apostel Weise in allen Briefen, die sie an die Gemeinden schreiben, dass sie zuerst einen guten Glaubensgrund legen, und erst dann auf die Früchte in Gesinnung und Wandel hinweisen, die auf dem Boden des Glaubens wachsen sollen. So ist es recht. Was könnte auch alles warnen vor der Sünde und alles Vermahnen zum Guten helfen, wenn man nicht vor allen Dingen zeigen wollte, in welchen Grund und Boden unser Lebensbaum gepflanzt werden muss, wenn er gute Früchte bringen soll! So hat nun auch der Apostel Paulus in den beiden ersten Kapiteln seines Briefes an die Kolosser von Christo geredet, dem Grund unsers Heils, und zugleich kräftig gewarnt vor den Irrtümern der falschen Apostel, die einen andern Grund legen wollten. Nun geht er über zur Betrachtung des tätigen Christentums, und er mahnt die Christen zunächst zu einem göttlichen Sinn und Wandel. Er knüpft die Ermahnung an das, was er gesagt hatte Kap. 2, 12., dass die Kolosser mit Christo gestorben und begraben, und auch mit ihm auferstanden seien. Hieraus leitet er eine Ermahnung ab, die nicht nur der Übergang in den zweiten Teil seiner Epistel, sondern auch die Grundlage alles Folgenden ist. Seine Worte lauten so

Kap. 3, „Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so sucht was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, das auf Erden ist. Wenn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott; wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit.“

Der himmlische Sinn und Wandel

ist es, wozu der Apostel uns ermahnt, indem er uns zeigt,

1.) worauf derselbe gerichtet, und
2.) worin derselbe begründet ist.

1.

Wenn der Apostel sagt: Trachtet nicht nach dem, das auf Erden ist, so ist unter dem Irdischen alles zu verstehen, was vergänglicher Art und Natur ist, als Reichtum, Gewalt, Ehre, Wollust und alle weltliche Herrlichkeit, die einem Menschen im Tode nicht nachfährt (Psalm 49.), sondern mit der Welt vergeht. Nun will der Apostel nicht sagen, dass das Irdische an sich böse sei und der Christ es zu fliehen habe; wäre das, so würde er ja nicht zur Arbeit ermahnen, wie er doch tut (2 Thess. 3, 10.), denn durch Arbeit erwerben wir uns irdische Güter. Das Irdische wird böse, wenn man es als das höchste Gut, und nicht vielmehr bloß als Mittel für das höchste Gut betrachtet, wenn man folglich sein Herz daran hängt, und das Himmlische darüber aus den Augen setzt. Ein Christ braucht die Welt; aber er missbraucht sie nicht; er lebt in der Welt, aber wie ein Fremdling in der Herberge.

Nicht das Irdische sollen wir suchen, sondern das, was droben ist. Anderswo heißt dies das himmlische Kleinod (Phil. 3.), oder Schätze im Himmel (Matth. 6.), oder auch das Reich Gottes, wie denn der Herr sagt: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. Warum wird es das „was droben ist“ genannt? Weil es an Wert und Dauer weit hervorragt über alles, was dieser Welt angehört; weil es seine Quelle in Christo hat, welcher oben ist, und endlich, weil es zwar schon auf Erden erlangt werden kann, aber nach seiner ganzen Fülle und Herrlichkeit erst in jener Welt. Darnach nun soll getrachtet werden, welches Trachten in einem Suchen und Sinnen besteht. Das Suchen fasst in sich eine Erkenntnis von dem Wert jener Güter, die mit einer kostbaren Perle verglichen werden (Matth. 13, 44.), sowie ein sehnliches Verlangen danach, und die Anstrengung aller Kräfte, der Gebrauch aller Mittel, die zum Besitze jener Güter führen. Das Sinnen dagegen drückt die Gesinnung aus, von der jenes Streben und Handeln ausgehen soll. Der Apostel will nicht, dass wir's bei der äußeren Tat bewenden lassen sollen; sondern das Werk soll der Ausdruck einer heiligen Sehnsucht, einer unser ganzes Herz erfüllenden Liebe zu dem Unsichtbaren und Ewigen sein. Wir sind ja auf Erden Fremdlinge und Pilgrimme, unser Bürgerrecht ist im Himmel: sollten wir denn auf diesen Himmel und seine Güter nicht Sinn und Streben richten? Ein Kind, das in der Fremde ist und weiß, dass es einen reichen und teuren Vater in der Heimat hat, richtet ja Herz und Gedanken auf ihn, sehnt sich nach ihm, freut sich seines künftigen Zusammenlebens mit ihm, und eilt zu ihm zu kommen.

2.

Der Apostel begründet nun aber seine Ermahnung näher. Der himmlische Sinn und Wandel, den er fordert, gründet sich auf unsere Gemeinschaft mit Christo, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. „Ihr seid gestorben.“ Das Sterben mit Christo ist die Veränderung, die mit einem Menschen vorgeht in der Wiedergeburt und Erneuerung, da er im Glauben an Christum, den Gekreuzigten, nicht nur frei wird von aller Schuld und Strafe, sondern nun auch die Sünde nicht mehr über sich herrschen lässt. Indem Christus für ihn stirbt, stirbt er mit. Das Für ihn löscht das Feuer der Verdammnis aus und zündet in ihm das Feuer einer heiligen Welt überwindenden Liebe an. Er stirbt dem Gesetze, stirbt der Sünde, stirbt der Welt, wie Paulus sagt (Gal. 6.). Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der Welt. Wie nun ein Toter nicht mehr teilnimmt an dem eitlen Wesen dieser Welter schmäht nicht, er afterredet nicht, er dienet nicht den Lüsten, schmeichelt nicht den Großen, kränkt nicht den Geringen; der Zorn erhitzt ihn nicht, der Hass bleicht ihn nicht, die Hoffart bläht ihn nicht, Summa, er ist los von der Welt: also ist der mit Christo Gestorbene innerlich aus der Gemeinschaft mit der gegenwärtigen argen Welt getreten. Die Welt mit allen Dingen, die in ihr sind, ist ihm eine Null geworden, die nur Wert für ihn hat, soweit sie verbunden ist mit der geltenden Zahl, welche ist das Reich Gottes, dem sie dienen soll. Nun sagt doch, Christen, ob es für einen also Gestorbenen sich noch geziemt, sein Sinnen und Suchen, sein Dichten und Trachten auf das Irdische zu richten! -

Weiter sagt Paulus: „Ihr seid mit Christo auferstanden.“ Dass Christus auferweckt ist, soll nicht bloß von uns bekannt, sondern auch im Herzen empfunden und im ganzen Leben erwiesen werden. Hat nun jemand die Auferstehung Christi mit dem Glauben gefasst, und derselbigen Kraft und Trost empfunden, so spüret man bald, wie es in ihm anfängt zu wirken, und nicht mehr bloßes Wort ist, sondern Wahrheit und Leben wird. Wir müssen mit Christo geistlich auferstehen, sonst ist Christi Auferstehung für uns nichts, und er hätte ebenso gut können im Grabe bleiben. Diese geistliche Auferstehung mit Christo ist ein neuer Grund unsers Trachtens nach dem, das oben ist. Wer nicht mit Christo auferstanden ist, wird sich wenig um die himmlischen Dinge bekümmern, sondern stets am Irdischen kleben. Aber der Glaube macht uns aus Toten zu Lebendigen, ins dem er uns Geist, Kraft und Leben gibt. Da wir tot waren in Sünden, hat uns Gott durch Christum lebendig gemacht (Eph. 2, 5.). So stehen wir denn nun in Lebensgemeinschaft mit dem Herrn. „Euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott.“ Unser Leben in Christo steht entgegen dem natürlichen Leben im Fleische. Auferstanden vom Tode, leben wir heilig als die Kinder Gottes. Weil nun dies ein Leben in Christo ist, so muss es ein verborgenes sein, weil Christus verborgen ist. Inwiefern ist denn Christus verborgen? Er ist es als der Auferstandene und Verklärte, der hingegangen ist in den Himmel zu Gott. So ist er den Augen der Welt, so auch unsern Augen verborgen. Wir lieben ihn zwar und glauben an ihn, aber wir sehen ihn doch nicht (1 Petri 1, 8.). Ist Christus aber zu Gott gegangen, so muss ja auch unser Leben in Gott sein, weil es seine Wurzel und Nahrung in Christo, als in dem Haupte, hat, von wo aus das Leben sich über alle Glieder der Kirche ausbreitet. Ebendarum aber muss es auch ein der Welt verborgenes Leben sein. Denn was zunächst unser Verhalten gegen die Welt betrifft, so ist unser Leben nicht mehr ein äußerliches, wie das der Weltkinder, deren Sinnen, Tichten und Trachten, Lieben und Begehren ganz den Gütern und Genüssen der Welt zugewendet ist. Wir leben, doch nicht wir, sondern Christus, der in uns ist. Es hat dem nach unser Leben die ganze Fülle seiner Regsamkeit, seines Friedens, seiner Freude, seiner Kraft, seines Trostes, nicht in der Außenwelt, sondern in der himmlischen Welt des Geistes. Darum drängt es sich auch nicht mehr in weltlicher Weise nach außen hin vor, es sucht nicht äußerlichen Glanz und Schein, sondern hat seine Ehre und Herrlichkeit in sich selbst; es ringt nicht nach Anerkennung und Lob vor der Welt, sondern ruht auf Demut und Selbstverleugnung; es hat nicht die Welt lieb, noch was in der Welt ist, sondern hat einen Drang in sich, reich und immer reicher zu werden in Gott. Wie nun unser Verhalten gegen die Welt, so ist auch das Verhalten der Welt gegen uns ein anderes geworden. Verstehen wir unter Welt zunächst die Kinder der Welt, so ist denen unser Leben gänzlich fremd und unbekannt. Die Welt kennt euch nicht, denn sie kennt Ihn nicht (1 Joh. 3, 1.). Es besteht ja das geistliche Leben in solchen Dingen, die man mit leiblichen Augen nicht sehen kann: in der Kindschaft Gottes, in der Wiedergeburt, in der Vereinigung mit Gott, im Glauben und dessen Kraft, in der Liebe, in der Hoffnung, in den Gaben des Heiligen Geistes, welches lauter Dinge sind, die die Welt nicht kennt, daher die Frommen in der Welt so manchem ungereimten Urteil, so mancher Verkennung und ungerechten Begegnung unterworfen sind. Wir sind ein Schauspiel worden den Engeln und Menschen, wir sind Narren um Christi willen, heißt es von den Aposteln (1 Kor. 4.). Daraus geht nun weiter hervor, dass überhaupt die Außenwelt mit dem christlichen Leben nicht zusammenstimmt. Der Christ hat mehr in sich, als die Welt in sich hat, er geht mit seinem Leben nicht in der Welt auf. Lebt er gleich nach außen in der Welt, so lebt er doch nach innen in Gott; tut er gleich nach seinem äußerlichen Leben natürliche Werke, so tut er wiederum nach seinem geistlichen Leben geistliche Werke, denn es besteht das in Gerechtigkeit, Friede, Freude, Liebe, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glauben, Sanftmut, Keuschheit (Gal. 5.). Nach diesem innern Leben will er die Außenwelt bilden und umgestalten; aber sie will sich ihm nicht fügen, sondern widersetzt sich ihm. So gerät er mit ihr in Kampf, welches Trübsal über ihn bringt. Er wäre es wohl wert, dass es ihm äußerlich wohlginge, aber der Wert seines innern Lebens und die Gestalt seines äußeren Lebens stimmen nicht miteinander überein. Sein Leben ruht verborgen unter Kampf, Kreuz und Widerwärtigkeit. Wie zur Winterzeit die Bäume und Felder anzusehen sind, als wären sie tot, weil Schnee und Eis sie bedecken, und sie den rauen Stürmen preisgegeben sind - dennoch aber ist das Leben in ihnen, und wenn der Frühling kommt, grünen und blühen sie wieder und prangen in der Herrlichkeit: also ruht auch das geistliche Leben des Christen verborgen unter Kreuz und Widerwärtigkeit, bis zur Erscheinung Christi, da es offenbar wird in Herrlichkeit. -

Das nun ist des Christen verborgenes Leben, und wer sieht nicht, dass damit kein anderer Sinn und Wandel verträglich ist als der himmlische? Wie sollten wir unsern Sinn noch auf das Irdische richten können, wenn ein solches Leben in uns ist? - Dies umso weniger, da der Apostel auch sagt: Seid ihr mit Christo auferstanden, so suchet was oben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.„ Der Sitz zur Rechten ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern ein Ehrensitz gewesen, dadurch man dem gleichgestellt wird, zu dessen Rechten man sitzt. Ist also Christus als Mensch erhöht worden zur Rechten Gottes, so bedeutet dies seine Teilnahme an Gottes Herrlichkeit und Regierung der Welt. Christus ist nicht mehr auf Erden, er ist aufgefahren gen Himmel, er ist oben und regiert sein Volk und die ganze Welt. Wiederum ein Grund, warum wir suchen sollen, was oben ist! Denn unsere Gemeinschaft mit ihm ist auch eine Gemeinschaft mit dem zur Rechten Gottes Erhöhten. Wo Er ist, da soll unser Schatz; wo unser Schatz ist, da soll unser Herz; wo unser Herz ist, da soll unser Sinn und Wandel sein. Folgen wir schon verklärten Eltern und Freunden in den Himmel, wie viel mehr müssen wir Ihm folgen, in welchem all unser geistliches Leben seine Wurzel hat! Noch weiter führt uns der Apostel, er führt uns bis ans Ende der Welt. „Wenn Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit.“ Das ist die letzte Stufe der Erhöhung Christi, daran wir teilnehmen. Die Offenbarung Christi bedeutet, dass er am jüngsten Tage als ein Richter alles Fleisches mit großer Kraft und Herrlichkeit erscheinen wird. Weil nun Er unser Leben ist und wir teilnehmen an seiner ganzen Erhöhung, so müssen wir auch mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit. Zwar nehmen wir schon jetzt innerlich Teil an seiner Herrlichkeit, und werden noch mehr daran teilnehmen, wenn wir unsern irdischen Lauf vollendet haben.

Aber der Welt ist diese Herrlichkeit verborgen und wird ihr auch nicht offenbar werden, bevor Christus kommt. Dann aber wird ans Licht kommen, was im Finstern verborgen war (1 Kor. 5, 5.). Christus wird offenbaren seiner Freunde Glauben, Liebe, Gebet, Geduld und andere Tugenden (Matth. 25.). Der Christen innerliche Gerechtigkeit wird geschmückt werden mit der Krone äußerlicher Herrlichkeit. Die vielfachen Misstöne in dieser Welt werden sich verwandeln in vollkommene Harmonie. Solche Zukunft wartet unser! Es geht uns hier wie den Blumen in der Nacht, deren Kelch geschlossen ist, so dass man ihre Farbe und Gestalt nicht sieht, und ihren Geruch nicht empfindet, bis mit der aufgehenden Sonne auch ihre Herrlichkeit sich entfaltet. So ist auch unsere Herrlichkeit hier verborgen, bis Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, aufgehen und sie offenbaren wird. Liegt nun darin nicht wiederum für uns der stärkste Antrieb zu einem himmlischen Sinn und Wandel? Ja! und das eben will Paulus sagen: Suchet, was oben ist; tut ihr das, so werdet ihr auch einst mit Christo offenbar werden in Herrlichkeit. Und Johannes spricht: Kindlein, bleibt bei ihm, auf dass, wenn er offenbar wird, dass wir Freudigkeit haben, und nicht zu Schanden werden vor ihm in seiner Zukunft (1 Joh. 2, 28.).

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_23_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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