Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 13. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 13. Betrachtung

Hat der Apostel der Herrlichkeit des Wortes Gottes gedacht: wie natürlich ist es, dass er nun auch des Amtes gedenkt, das dies Wort verkündigt! Es könnte keine schlechte Prediger geben, wenn alle wüssten und erkannt hätten, welch eine köstliche Perle das Wort Gottes ist, die köstlichste Perle, die es gibt in dieser Welt. Dies Wort lernt kennen, liebe Prediger, dies Wort studiert, und lasset durch dasselbige Christum in eure Herzen bringen, so werdet ihr damit auch erkennen, dass das Amt, welches ihr führt, ein überaus köstliches Amt sei, und werdet unermüdlich dar nach trachten, dies Amt zur Ehre Gottes und zum Heile eurer Brüder zu verwalten. Hört doch, welch ein Bild uns Paulus in wenigen Worten von einem treuen christlichen Prediger entwirft.

Kap. 1, 28. 29: Men wir verkündigen, und vermahnen alle Menschen und lehren alle Menschen mit aller Weisheit, auf dass wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu, daran ich auch arbeite und ringe nach der Wirkung des, der in mir kräftig wirkt.

Des Predigers Ziel und Weg ist es, was wir kennen lernen in diesen Worten.

1.) Es wäre nicht gut, wenn jemand das Predigtamt übernehmen wollte, ohne das Ziel zu kennen, dahin er das Schiff seines Amtes zu steuern hat. Kein Schiffer sticht ja in See, der nicht weiß, wohin er fahren will: wie dürfte denn ein Prediger seines Zieles unkundig sein, wenn der Herr ihm das Amt gibt und zu ihm spricht: Fahre auf die Höhe? Nun, wohin geht denn die Fahrt? Dass wir jeglichen Menschen darstellen voll kommen in Christo, das soll sein unser Ziel. Da ist nun zuvörderst jedes weltliche, jedes ungöttliche Ziel ausgeschlossen. Paulus sucht nicht Gemächlichkeit und gute Tage, nicht Reichtum und irdische Schätze, nicht Rühm und Ansehen in der Welt, sondern ähnlich jenem Weisen der Vorzeit, der am hellen Tage eine Laterne anzündete und das mit auf den Markt ging, und da man ihn fragte: „Was suchst du?“ zur Antwort gab: „Ich suche Menschen,“ ähnlich geht der Apostel mit der Laterne des Evangeliums auf den Markt der Welt und spricht zu den Fragenden: „Ich suche nicht das Eure, sondern euch“ (2 Kor. 12,14.). Das Lehramt ist nicht von dem Herrn eingesetzt, dass wir uns davon als von einem Handwerk nähren, oder daran als an einer Leiter zu Ehren und Reichtum hinaufsteigen sollen. Wozu denn? Dass wir einen jeglichen Menschen darstellen vollkommen in Christo. Aber ist das Ziel nicht zu hoch? heißt das nicht, einen Elias-Wagen besteigen, und mit den Leuten über die Wolken fahren bis in den Himmel? Die Welt spricht: „Da werden die Saiten zu hoch gespannt. Unser Wissen ist Stückwerk und unsere Kraft ist schwach. Menschen können keine Engel sein. Selbst der Gerechte fällt des Tages siebenmal. An Vollkommenheit ist nicht zu denken.“ Nein, Welt, es ist nicht daran zu denken, wenn wir's mit eigner oder mit des Gesetzes Kraft erreichen wollen. Aber der Apostel redet von einer Vollkommenheit in Christo. Alle unsere Vollkommenheit ist in und von Christo, welcher uns gemacht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung (1 Kor. 1,30.). Die durch den Glauben mit Christo verbunden sind, wie Reben mit ihrem Weinstock, an denen haftet nicht nur keine Verdammnis mehr, sondern auch kein Böses tun; die treten auf den Weg, da sie aus Liebe zu Ihm, der sie zuerst geliebt hat, das Böse hassen und lassen, und das Gute tun. Davon heißt es in der Augsburger Konfession, Artikel 27: „Die christliche Vollkommenheit ist, dass man Gott von Herzen und mit Ernst fürchtet, und dabei eine herzliche Zuversicht, Glauben und Vertrauen fasst, dass wir um Christus willen einen gnädigen und barmherzigen Gott haben, dass wir äußerlich mit Fleiß gute Werke tun, und unsers Berufes warten, darin steht die rechte Vollkommenheit und der rechte Gottesdienst.“ Dahin die Menschen führen - jeglichen Menschen, er sei Jude oder Heide oder wer er sei - das hält uns Paulus vor als das Ziel des evangelischen Lehramts. Der treue Lehrer suchet Seelen, wo er sie nur finden kann, und trachtet danach, dass Christus in ihnen eine Gestalt gewinne (Gal. 4.), und arbeitet dann an ihrem ferneren Wachstum, dass sie aus Milchkindern Männer werden und heranreifen zu der Vollkommenheit in jenem Leben (1 Kor. 13,9.10.).

2.) Das ist das Ziel, welcher Weg führt zu diesem Ziel? Verkündigung, Weisheit und Kampf in der Kraft des Herrn, diese drei. „Den wir verkündigen,“ spricht Paulus, und er meint den lebendigen Christum, von dem er zuvor geredet hat. Christus also soll der Mittelpunkt der Predigt sein, und soll hineingepredigt werden in die Herzen, dass er Wohnung daselbst mache und in ihnen die Hoffnung der Herrlichkeit gründe. Viele predigen sich selbst, indem sie ihre eigene Weisheit vortragen in Worten menschlicher Beredsamkeit. Andere predigen zwar evangelische Lehren, wie man solle Mut und Vertrauen haben zu Gott, diese und jene Sünde meiden und allerlei Gutes tun; aber sie kreisen um Christum herum, wie die Erde um die Sonne, und kommen nie zum Mittelpunkt. Das alles ist eine törichte Predigt. Können wir nur vollkommen werden in Christo, so muss auch vor allem Christus uns gepredigt werden. Das geschieht aber auf eine zwiefache Weise, „indem wir alle Menschen vermahnen, und alle Menschen lehren.“ Die Vermahnung oder Zurechtweisung besteht darin, dass man die Menschen zur Erkenntnis ihrer Sünden bringe und sie vermahne, Buße zu tun, welches ist die Grundlage. Also haben die Apostel Buße gepredigt, nach der Anordnung Christi (Luk. 24.), um ein Verlangen nach Christo in den Herzen zu entzünden. Dann aber folgt die Lehre, das ist die Kundtuung der evangelischen Wahrheit, damit man die in Christo angebotene Gnade erkenne und annehme. So soll denn die Kanzel und welche Stätte es sonst sei, da der Prediger steht, ein Sinai wer den, wo der Blitz leuchtet und der Donner schallt, damit die Sünder erschrecken, wenn ihnen der Wille des heiligen und gerechten Gottes verkündigt wird. Es lässt sich mit der Predigt bei dem Berge Sinai nicht vorbeikommen, wenn man nach dem Hügel Golgatha will. Mit dem Gesetz und mit der harten Drohung, die am Gesetze hängt, muss der Prediger die Leute angreifen da, wo sie am weichsten sind, unter der linken Brust, und muss, wo es möglich ist, einen Sturm erregen in ihrem Herzen, dass sie zittern und sich abkehren, als ständen sie vor dem Sinai. Erst wenn der Mensch mühselig und beladen ist, erquickt ihn die Lehre von Christo. Das Gesetz kann uns wecken und auf die Bahn bringen, dass wir, wie jener Mann zu Philippi, fragen: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ Es kann uns hungrig und durstig machen, aber den Hunger und Durst stillen kann nur der Mann, der da heißt Jesus Christus, wahrer Gott und Mensch, der in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen. Darum ist beides nötig, Zurechtweisung und Lehre.

Aber wie lehren? Paulus sagt: „mit aller Weisheit.“ Die Apostel waren weise Baumeister, die einen tüchtigen Grund in der Erkenntnis, teils des menschlichen Elendes, teils der Gnade Jesu Christi, legten. Sie richteten sich ferner klüglich nach der Beschaffenheit ihrer Zuhörer, und wussten sie, doch ohne Schmeichelei, zu gewinnen, besonders Paulus. Sie wussten das Wort recht zu teilen (2 Tim. 3,15.), indem sie unterwiesen, warnten, trösteten, wie es not tat, und jedem zuteilten, was und so viel ihm diente, den Schwachen Milch, den Starken Speise, und einesteils vor Ungestüm sich hüteten, andernteils aber auch den sichern Sündern nicht Kissen unter die Häupter legten. So wurden sie allen alles (1 Kor. 9.), so lehrten sie mit aller Weisheit. Täten das doch auch die Prediger in unsern Tagen! Es gibt Männer genug, denen es an Erkenntnis und auch an Liebe nicht fehlt; aber weil es ihnen an Weisheit mangelt, so reißen sie mit der einen Hand nieder, was sie mit der andern bauen. Sie predigen, aber ihr Wort ist ein stumpfer Pfeil, der nicht in die Herzen dringt. Sie teilen, aber sie teilen nicht recht; wo ihr Wort Milch sein sollte, da ist es harte Speise, und wo harte Speise, da ist es dünne Milch; wo sie schweigen sollten, da reden sie, und wo sie reden sollten, da schweigen sie furchtsam still; wo Lob sein sollte, da ist Tadel, und wo Tadel, da ist Lob; wo das Wort ein lindes Wehen sein sollte, da ist es Sturm oder ein Eifern mit Unverstand, und wo es Sturm sein sollte, da ist es ein lindes Wehen. Ach, es stünde viel besser um unsere Gemeinden, wenn bei allen Dienern am Wort die rechte Lehr- und Lebensweisheit wäre. Denn ob auch mancher noch recht lehrt, so wandelt er doch nicht wie es sich gebührt. Ich rede nicht von denen, die sich im Kot der Sünde wälzen und durch böses Leben das Wort, das sie predigen, abstumpfen und zu einem Gespött im Mund der Leute machen; sondern von denen, die, obgleich sie nicht böse leben, doch nicht in rechtem Umgang mit ihren Gemeinden stehen. Wo sie sich zeigen sollten, da fehlen sie, und wo sie fehlen sollten, da zeigen sie sich. Möchten sie immerhin zum Edelmann und zum Bauer gehen, wenn sie darüber nur den Tagelöhner nicht versäumten, und immer bedächten, dass am wenigsten vor einem Prediger ein Ansehen der Person sein soll! Es ist wahr, das äußere Verhalten eines Predigers macht die Leute nicht selig, sondern das Wort tut's, das reine, lautere Wort Gottes; aber wir wissen wohl, dass weit mehr auf das Leben, als auf die Lehre des Predigers gesehen wird, und dass sein Wort, wenn es nicht mit Weisheit im Lehren und Leben verbunden ist, keine Aufnahme findet, wenn es an die Tür der Leute klopft. Darum gehört zu einem tüchtigen Prediger, außer dem Licht der Erkenntnis, auch das Licht der Weisheit, das er leuchten lassen soll in allen Dingen. Zu der Verkündigung aber und zu der Weisheit muss auch noch ein Drittes sich gesellen, nämlich der Kampf in Demut und Zuversicht zu dem Herrn. „Daran ich auch arbeite und ringe,“ spricht der Apostel. Hat nicht Paulus wirklich mehr gearbeitet, denn die andern alle? Ist sein Leben seit der Bekehrung nicht ein beständiger Lauf gewesen, da er vergessen hat, was dahinten ist, und sich gestreckt hat nach dem, das vorne ist, zu seinem eigenen Heile, wie zum Heile seiner Brüder? Darin soll Paulus ein Vorbild aller derer sein, die mit ihm einen gleichen Beruf auf Erden haben. Arbeiten sollen sie für die Seelen der Menschen, unermüdet arbeiten und tätig sein. Mag darüber der Lehrer abnehmen, wenn nur der Hörer wächst. „Ihr seid das Licht,“ sagt der Herr. Was sehen wir aber an dem Licht? Dass es sich selbst verzehrt, indem es andern leuchtet. „Ihr seid das Salz der Erde.“ Was bemerken wir an dem Salz? Dass es schmilzt und vergeht, indem es andern dient. War nicht Moses ein geplagter Mann? Haben nicht die Propheten gearbeitet? Ist nicht der Herr selbst unser aller Knecht gewesen? Wahrhaftig! der Prediger hat seinen Beruf nicht begriffen, der nicht alles Übrige vergisst über dem Einen, dass er jegliche der ihm anvertrauten Seelen vollkommen darstelle in Christo. Sacerdotium non est otium, sed omnium maximum negotium, zu deutsch: das Predigtamt soll nicht sein ein Müßigstehen, sondern ein unermüdetes Vorwärtsgehen. Was nicht ist und sein kann ohne Ringen und Kämpfen. „Ich arbeite und ringe,“ womit Paulus sagen will, dass es ihm bei seiner Arbeit nicht an Hindernissen fehle, die er zu überwinden habe, nämlich an innern und äußeren Feinden, und an Leiden, die sie über ihn bringen. Dabei aber ist er voll Demut und Zuversicht zu dem Herrn. Er erklärt, dass er nicht mit eigener Kraft kämpfe, sondern nach der Wirkung, das heißt, in der Kraft seines Herrn und Heilandes, die in ihm kräftig wirke.

Der, wenn Paulus pflanzt und Apollo begießt, das Gedeihen dazu gibt (1 Kor. 3.), und der in uns beides das Wollen und das Vollbringen wirkt (Phil. 2.), der war auch des Apostels Stecken und Stab, daher er rühmt: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ „Ich dürfte,“ sagt er, „nicht etwas reden, wo dasselbige nicht Christus durch mich wirkte“ (Röm. 15,18.). Sein Denken und Reden, sein Reden und Tun, sein Tun und Leiden, sein Leiden und Kämpfen, sein Kämpfen und Siegen, alles wurde getragen von der Kraft des Herrn, die er als eine energische, als eine mächtig wirkende bezeichnet, wie sie ja auch wirklich eine Fülle von Gaben, nicht bloß natürlichen, sondern auch wunderbaren Gaben in ihm wirkte. Nehme sich jeder Prediger das zum Vorbild! Dies demütige Bekenntnis der eigenen Schwachheit, verbunden mit dem seligen Bewusstsein: „Der Herr ist in mir und mit mir, und stärkt mich zu aller Arbeit und zu allem Kampfe“ - das muss mich erfüllen und durch mein ganzes Leben begleiten, will ich anders ein tüchtiger Diener Christi sein. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne (2 Kor. 12,9.).

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_13_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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