Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Sechste Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Sechste Predigt.

Wohl leuchtet schön das Licht der Sonne,
Doch schöner noch der Gnade Licht,
Das mit der Offenbarung Wonne
Durch alle Finsternisse bricht:
Da seh' ich Gottes Gnaden-Rat,
Der uns mit ihm versöhnet hat!

Was nur die Welt Großes, Schönes und Herrliches hat, seien es Äcker oder Wiesen, seien es Berge oder Täler, seien es Flüsse oder Meere, seien es Wolken oder Sterne, das alles wird uns erst klar und offenbar im Sonnenlicht, daher wir preisen müssen das Werk Gottes, da er zu Anfang sprach: Es werde Licht! (1 Mos. 1). Treten wir aber nun aus der äußeren Welt in das Himmelreich hinein. Ist auch hier eine Sonne? Ja! wie Gott, da er die Welt schuf, gesprochen hat: Es werde Licht, so hat er, da er die Welt erlösen wollte, zum andern Mal gesprochen: Es werde Licht! Dies Licht nennen wir die Offenbarung. Sie ist das Auge des Himmelreichs, und wir, die wir Kinder dieses Reiches sind, schauen mittels jenes Auges noch ganz andere Dinge, als die vor uns liegen in der Schöpfung. Was nur das Gnadenreich unsers Erlösers Herrliches und Schönes in sich fasst, mögen wir auf Christum selbst blicken, oder auf die Gnade Gottes, die in ihm erschienen, und auf den Segen an himmlischen Gütern, der durch ihn über uns gekommen ist: wir sähen das nicht, wüssten auch nichts davon, wenn nicht Gott nach dem Reichtum seiner Gnade das Licht der Offenbarung hätte aufgehen lassen. Darum preist auch der Apostel Paulus neben den andern Werken Gottes dies köstliche Werk, ohne dass wir des Segens an himmlischen Gütern nimmer wären teilhaftig worden. Seine Worte Lauten so:

Ephes. 1, V. 8-10: Welche Gnade uns reichlich widerfahren ist durch allerlei Weisheit und Klugheit. Und hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens, nach seinem Wohlgefallen, und hat dasselbige hervorgebracht durch ihn, dass es gepredigt würde, da die Zeit erfüllt war, auf dass alle Dinge zusammen unter Ein Haupt verfasst würden in Christo, beide das im Himmel und auf Erden ist, durch ihn selbst.

Der Apostel schreitet weiter fort in Aufzählung der großen Taten, durch die wir des Segens teilhaftig geworden sind. Kurz zuvor hat er die Erlösung genannt und die in ihr uns zu Teil gewordene Vergebung der Sünden. Nun sagt er weiter: „Dieselbe Gnade, wonach er Christum für uns hat sterben lassen, ist es auch, die er reichlich an uns erwies in aller Weisheit und Klugheit“, womit er unsere Herzen erfüllt hat. Wie das? „Dadurch, dass er uns kundtat oder zur Erkenntnis brachte das Geheimnis seines Willens“, nämlich den ewigen Ratschluss der Erlösung. Woher stammt diese Kundtuung oder Offenbarung? Wie Alles, was Werk der Gnade ist, aus „dem Wohlgefallen seines Willens“, aus dem freien Ratschluss, „den er sich vorgenommen bei sich.“ So lag denn dieser Ratschluss ewig verborgen in Gott, aber nicht, dass er verborgen bliebe, sondern er fasste ihn, wie es im Grundtext heißt, „im Hinblick auf die Veranstaltung der Erfüllung der Zeiten“, das heißt, im Hinblick auf die Offenbarung in Christo, welche eintreten sollte, als die Zeit erfüllt war. Und worauf zielte dieser Ratschluss hin? Darauf, „dass Gott Alles wieder zur Einheit brächte in Christo, das im Himmel und das auf Erden ist“. Was vereinzelt war, das sollte wieder zurück zu seiner göttlichen Einheit; was entfremdet war von Gott, das wollte er wieder zur Eintracht bringen.

Nun, das diene uns denn zur Lehre über das Werk Gottes, welche den weltbekannten Namen „Offenbarung“ führt. Die Offenbarung in Christo.

Betrachten wir 1. die Quelle, woraus sie geflossen, 2. die Art, wie, und 3. den Zweck, wozu sie geschehen ist. Ich will der Mund sein, du, lieber Gott und Heiland, sei der Prediger, der durch meinen Mund zu der Gemeinde redet, wie wir ja auch singen: Liebster Jesu, wir sind hier, dich und dein Wort anzuhören.

1.

Was ist Offenbarung? Wir reden hier nicht von der Offenbarung Gottes in der Natur oder in der Vernunft, sondern von der Offenbarung in Christo Jesu, wovon auch die Rede ist in unserem Texte, der sie eine gnadenreiche Kundtuung Gottes nennt, und zwar die in Christo geschehene Kundtuung seines bisher verborgen gewesenen ewigen Ratschlusses, demgemäß er die ihm entfremdete Welt mit sich versöhnen will. Schon aus dieser Erklärung leuchtet ein, dass die Quelle dieser Offenbarung weder in der Natur oder Schöpfung noch in der Vernunft zu suchen ist. Jemand hat die Schöpfung eine Predigerin genannt, die überall ihre Kanzel hat, und deren Predigt von Jedermann verstanden wird. Das stimmt überein mit dem Zeugnis der Schrift, welche sagt (Röm. 1): „dass man weiß, dass Gott sei, ist auch den Heiden offenbar, denn Gott hat es ihnen offenbart, damit, dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.“ An tausend Stellen weist uns die Schrift auf die Schöpfung als auf ein Gotteshaus hin, wo auf unzähligen Kanzeln eine Stimme vernommen werde, die von Gottes Macht und Weisheit rede, und sonderlich in den Psalmen Davids wird Gott besungen, wie er auf mancherlei Weise sich uns kundgebe in der Natur. Unser Gesangbuch sagt: „Dich predigt Sonnenschein und Sturm, dich preist der Sand am Meere; bringt, ruft auch der geringste Wurm, bringt unserem Schöpfer Ehre.“ Aber predigt uns die Schöpfung auch das Geheimnis des Willens Gottes, davon in unserem Text die Rede ist? das Geheimnis, davon es heißt (1 Tim. 3, 16): Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis, Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit? Es sind tausend Geheimnisse der Natur entdeckt, die verborgen gewesen sind von der Erschaffung der Welt her bis auf unsere Tage. Man ist eingedrungen in die Natur und hat große Geheimnisse ans Licht gezogen seid - namentlich erinnert an das Dampfschiff, an den Dampfwagen, an den elektrischen Telegraphen; - selbst das sogenannte Innere der Natur hat man aufzudecken versucht, davon ein früherer Dichter sang: „Ins Innr‘e der Natur dringt kein erschaff‘ner Geist; zu glücklich, wem sie nur die äuß‘re Schale weist!“ Dennoch findet man unter allen offenbar gewordenen Geheimnissen nicht den göttlichen Ratschluss unserer Erlösung. Lest die Bücher der modernen Naturforscher, lest ein Buch, genannt, „Die Geschichte der Schöpfung“, oder ein anderes, genannt „Kosmos“: ihr findet kaum den Namen „Gott“ darin. Man bleibt mit der Natur in der Natur, erklärt die Natur aus sich selbst; aber wenn's die Frage gilt, wie die dem Leben aus Gott entfremdete Seele wieder heimkommen soll zu ihrem göttlichen Ursprung, das lehrt uns nicht und kann uns nicht lehren die Naturwissenschaft.

Kann's die Vernunft, so lange sie sich nicht im Gehorsam Christo unterwirft? Auch aus ihr sind viele und große Geheimnisse herausgegraben, sonderlich in den letzten 70 bis 80 Jahren; aber wer die Geschichte der Weltweisheit kennt, der wird vielmehr leidtragen müssen, als sich freuen können, wenn er die Ergebnisse der Vernunftforschung mit dem Evangelium vergleicht. Das Bekenntnis eines unserer Weltweisen lautet ungefähr so: „dass, wenn es die Frage nach dem ewigen Leben gelte, die Vernunft es im Bereiche bloßer Begriffe nur bis zu auf- und abschwankenden Möglichkeiten bringen könne. Solle es darin zur Entscheidung und zur Entschiedenheit des Glaubens kommen, so bedürfe es der Taten Gottes, wie das Christentum sie zeige, so bedürfe es der Kundgebung Gottes, wie sie in dem Gottmenschen geschehen sei.“ Ja! alle Natur- und Vernunftforschung bis auf unsere Zeit liefert den Beweis der Wahrheit dessen, was unser Erlöser sagt: Niemand kommt zum Vater denn durch mich. Hätte nicht Gott noch anders zu uns geredet als durch Natur und Vernunft; hätte er nicht selber durch sich selbst sich offenbart und kundgetan, so tappten wir am hellen Mittage, wie ein Blinder tappt im Dunkeln, und kennten nicht das Geheimnis, das verborgen gewesen ist von der Welt und von den Zeitaltern her, nun aber offenbar geworden ist Gottes Heiligen (Kol. 1, 26). Darum preist Paulus das Wohlgefallen Gottes oder seinen Entschluss, wonach er es uns kundgetan; preist den Reichtum seiner Gnade, die er reichlich an uns erwiesen hat in den Schätzen seiner Offenbarung. Immer wieder zurück zu Gottes Gnade und Wohlgefallen! Wer den Schatz der Offenbarung kennt und hat; wer in dem segensreichen Lichte dieser göttlichen Kundtuung wandelt, der ist fröhlich in seinem Herzen und danket Gott als dem Vater dieses Lichts.

2.

Und nun lasst uns weiter fragen nach der Art, wie uns Gott sein Geheimnis kundgetan. Der Ratschluss unserer Erlösung ist ein ewiger, und ewig ist er verschlossen gewesen in Gott. Aber er sollte nicht in ihm verschlossen bleiben; nein! dies Geheimnis Gottes ist nicht, wie der Menschen Geheimnisse sind, die sie bei sich bewahren, oder doch nur etlichen Auserwählten kundtun. Gottes Rat ist ein Licht, das er angezündet hat für die ganze Welt, zur Freude aller derer, die sich wollen versöhnen lassen mit ihm. Darum sagt der Apostel, Gott habe sich seinen gnadenvollen Ratschluss vorgenommen bei sich im Hinblick auf die Veranstaltung, die er treffen wollte, wenn die Zeit erfüllt wäre. Welche Zeit ist gemeint und welche Veranstaltung in ihr? Die Zeit des neuen Testaments und die Anstalt, die der große himmlische Hausvater getroffen hat in Christo Jesu. Aber hat Gott nicht schon vor Christo sich offenbart? Allerdings! Keinem Menschen hat er sich unbezeugt gelassen von Anfang der Welt her, auch den Heiden nicht. Vor Allem aber hat er sich Israel erwählt zum Schauplatz seiner Taten. Ihr wisst ja was vorgegangen ist im Paradies, und auch nachher unter den Vätern bis auf Christum. Ein ganzes Sternenheer von göttlichen Offenbarungstaten glänzet am Himmel der vorchristlichen Zeit. Nicht nur seinen Geist hat er leuchten lassen in den Geistern der Propheten, sondern auch in mancherlei Taten hat er sich kundgegeben unter den Menschen. Gottes Offenbarung geschieht zunächst und vor Allem in Taten, die er vollbringt, und das Offenbarungslicht im Wort ist mir eine Leuchte, die er anzündet, dass die Menschen seine Taten verstehen. So ist's noch jetzt bei einem jeglichen Christen. Gott offenbart sich uns jeden Tag in mannichfaltigen Fügungen unsers Lebens, und damit wir sie erkennen und verstehen lernen als Gottestaten, gibt er seinen Geist in unsere Herzen, der deutet sie uns und erinnert uns, dass wir preisen sollen den lieben Herrn im Himmel. So ist's von Anfang an gewesen in der Welt. Denkt an die Wunder, die Gott getan hat unter den Menschen, schon an Adam, später an Abraham und seinen Söhnen, danach an dem auserwählten Volk, in Ägypten, in der Wüste, in dem gelobten Lande. Zu der Tat fügte er dann das Wort, wie es heißt (Hebr. 1): Gott hat manchmal und auf mancherlei Weise geredet zu den Vätern. Propheten erweckte er und tat sich ihnen kund in Gesichten, in Träumen, in dunkeln Worten und Gleichnissen (4. Mos. 12, 6). Mit Mose redete er von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet (2 Mos. 33), und auch die heiligen Menschen späterer Zeit haben geredet, getrieben vom heiligen Geist (2 Petri 1). Seht da die Fülle der Offenbarung Gottes! Und dessen wird gar nicht erwähnt in unserem Text? Nein, Christen, das alles, wie göttlich und groß es ist, war doch nur ein Gerüste zu dem Bau, den Gott vollbracht hat in Christo. Du könntest fragen, warum Gott nicht gleich nach dem Fall seinen Sohn in die Welt gesandt habe. Das wäre wider die Ordnung, wonach erst der Grund gelegt und danach ein Gerüste errichtet wird, ehe der eigentliche Bau beginnt. Gott konnte sich aus dem Herzen der Welt keine Wohnung machen für seinen Geist, bevor er die Menschheit auf mancherlei Weise dazu vorbereitet hatte. Wie das Christentum und die Versöhnung sich zu dem Herzen des einzelnen Menschen erst Bahn brechen muss durch mancherlei vorbereitende Erfahrung, so konnt es auch zu der Menschheit nicht kommen wie ein Blitz, der vom Himmel fährt. Der Mensch kommt schnell in die Sünde hinein, aber er kommt langsam wieder aus ihr heraus. Daher musste manches Zeitalter vergehen und manches Geschlecht untergehen, ehe Gott das Geheimnis seines Ratschlusses völlig offenbaren konnte. Was zuvor geschah, das war nur eine Hülle und Schatten des Zukünftigen. Auf Christum war es abgesehen und auf die Veranstaltung, die durch ihn geschah. Nun erst brach das Geheimnis aus der Nacht hervor wie die Sonne, wenn sie aus, dem Osten steigt. Dass Christus Mensch geworden ist; dass er sich uns gezeigt hat in der Herrlichkeit des Gottessohnes, voller Gnade und Wahrheit; dass er gelitten hat und gestorben ist am Kreuz und danach auferstanden von den Toten; dass er aufgenommen ist in die Herrlichkeit, und danach seinen Geist ausgegossen hat über die Menschen; dass er das Evangelium hat ausgehen lassen in alle Welt, nicht nur zu den Juden, sondern auch zu den Heiden, auf dass Alle, welche glauben, errettet und. selig werden: das, das ist die Veranstaltung, worauf Gott es abgesehen hatte mit seinem ewigen Ratschluss; alles Frühere ist nur der Schatten, der Körper aber ist in Christo.

Und nun seht den innern Schatz an, den wir dieser Kundtuung Gottes zu danken haben. Wie äußerlich in Taten, so hat Gott innerlich im Herzen sich uns offenbart. Erkenntnis, Weisheit, Klugheit oder Verstand, das sind die drei Namen für das Licht der Offenbarung in unsern Herzen. „Er hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens.“ Dies Wissenlassen oder Kundtun bedeutet, dass er uns die Kunde von seinem Geheimnis als eine lebendige Erkenntnis in unser Herz gegeben und in unsern Sinn geschrieben hat nach der Verheißung (Jer. 31, 33). Das Licht der Erkenntnis, welches leuchtet in der Gemeinde Christi, ist göttlich nach seiner Herkunft und mächtig nach seiner Kraft, denn es wirkt eine selige Zuversicht, einen himmlischen Sinn und einen herrlichen Trost im Leben und im Sterben. Ob du auch sonst wenig wüsstest, selig bist du, wenn du nur sagen kannst: Ich weiß, an welchen, ich glaube, denn das ist die Erkenntnis, die dich als einen Heiligen leben und dich als einen Auserwählten sterben lehrt. Das dürftigste Wissen eines Gotterleuchteten ist edler und köstlicher als die weltberühmte Wissenschaft eines Gelehrten, die ihn von Zweifel zu Zweifel jagt und aus seinem Herzen ein Babel macht, wovon es heißt (Jes. 13): „Zihim werden sich da lagern, und ihre Häuser voll Ohim sein, und Strauße werden da wohnen, und Feldgeister werden da hüpfen, und Eulen in ihren Palästen singen, und Drachen in den lustigen Schlössern.“ Die Erkenntnis des Christen bringt mit sich die Weisheit, die Weisheit wiederum die Klugheit. Beide rühmt Paulus in unserem Texte nach der Herrlichkeit ihres Ursprungs, nach dem Reichtum ihres Inhalts, nach der Größe ihres Umfangs. „Gott hat seine Gnade reichlich an uns erwiesen in aller Weisheit und Klugheit.“ Wer Gott erkannt hat und den er gesandt, Jesum Christum, der ist kundig aller Wege und Mittel, die zum geistlichen und ewigen Leben führen - das ist Weisheit. Ja, wir sind nicht mehr die Irrenden, die vor allerlei Wegen stehen mit der Frage: welcher ist der rechte. Weg? Die Christum nicht kennen, gehen alle in der Irre wie Schafe; es ist der Fluch der Sünde, dass sie ihren Dienern das Ziel verrückt und sie in Ansehung des Weges, den sie gehen sollen, in Unsicherheit und Zweifel stürzt. Aber dem Christen ist der Weg gewiesen im Worte - dein Wort ist meines Fußes Leuchte, Psalm 119; darin wandelt er als auf einem Wege mit aller Sicherheit und mit dem freudigen Bewusstsein, dass er nicht irren kann. Er geht den Weg der Buße, der zum Glauben, den Weg des Glaubens, der zur Liebe, den Weg der Liebe, der zu allen guten Werken führt. Die Weisheit lehrt ihn und leitet ihn an, wie er sich selbst erkennen, wie er wachen und beten, wie er mit Gottes Wort umgehen, wie er in der Welt leben, aber nicht der Welt sich gleichstellen soll. Die Weisheit schafft ihm einen Reichtum von Erfahrungen, wonach er alle Wege, die Gott ihn führt, verstehen lernt, und im Himmelreiche wie in seinem Hause wohnt, wo er jede Kammer kennt. Was fehlt ihm nun noch? Er ist reich, und reich an aller Weisheit, wie Paulus von den Korinthern sagt (1 Kor. 1): „Ich danke meinem Gott für die Gnade, die euch gegeben ist in Christo Jesu, dass ihr seid durch ihn in allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntnis, also dass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe.“ Das war ja auch die Verheißung, die der Herr den Seinigen gab: Ich will euch senden den Tröster, den heiligen Geist, der soll euch in alle Wahrheit leiten. Wer das Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten (Joh. 4, 14). Endlich die Klugheit. Es ist nicht gemeint die weltliche Klugheit, die nur ein weltliches Ziel vor Augen hat, als Ehre, Geld, Gut und dergleichen, und mit Mitteln der Schlauheit, der Pfiffigkeit nach diesem Ziele steuert, wie jener ungerechte Haushalter tat (Luk. 16). Nein, die „geistliche“ Klugheit des Christen verliert das himmlische Ziel nie aus den Augen und verlässt die Wege Gottes nicht. Da aber ist sie seine treue Gefährtin, die ihm den Faden gibt, womit er den Weg durch das Labyrinth des Lebens findet; die ihm in allen besonderen Fällen und Vorkommnissen des Lebens sagt, wie er sich zu halten habe, dass er die Ehre Gottes fördere, wie sein und seines Nächsten Wohl. Die Klugheit leitete den Nathan, als er dem König David seine Sünde vorhielt (2 Sam. 12); leitete den Paulus, als er in Athen von dem unbekannten Gotte sprach (Apg. 17), leitete ihn, als er vor dem hohen Rate stand: (Apg. 23). Wie wir vorsichtig wandeln, uns in die Zeit schicken, und in allen zweifelhaften und bedenklichen Fällen das Beste wählen sollen, das gibt uns die Klugheit ein. Dir fehlt noch viel, lieber Christ, wenn du zwar weise in deiner Kammer, aber ein Narr auf der Gasse bist; wenn du zwar die Waffe der Erkenntnis in deiner Hand. hast, aber sie nicht in der Welt zu führen weißt. So bringst du dich vielleicht um den Segen manches guten Werkes, das du ausrichtest, aber mit Unverstand, und schadest dir und der Ehre Gottes, der um deiner Torheit willen verlästert wird. Bitte doch, ehe du irgendetwas tust oder angreifst, Gott um Weisheit und Verstand, und dann überlege, nach dem Worte. des Herrn: Seid klug wie die Schlangen, aber ohne Falsch wie die Tauben. Es ist wohl wahr, dass Weisheit und Klugheit nicht Allen in gleichem Maße verliehen werden. Wem viel gegeben ist von der Natur, der wird, wenn der Heilige Geist über ihn kommt, auch heller leuchten im Reiche Gottes, als wer hinein geht mit einem schwachen natürlichen Licht. Wer viel Erkenntnis hat und viel Erfahrung, der wird sicherer gehen, als wer noch ein Milchkind und der Welt und Zeiten unkundig ist. Aber Gott verlässt auch den Schwachen nicht. Der ihm das Land zeigt, wo Milch und Honig fließt, der lässt ihn auch nicht ohne Rat in der Wüste. Die Klugheit wohnt nicht bloß in den Palästen derer, welche Völker und Reiche regieren, sondern auch in den Hütten der Tagelöhner, und wenn man forscht, was das für eine Klugheit sei, womit Minister und Fürsten die Geschicke der Völker leiten, so ist es in Wahrheit keine andere, als womit der kleine Hausherr waltet in seinem Hause. O, Gott sei es gedankt, dass er das große Licht seiner Weisheit und Einsicht, wovon die ganze heilige Schrift so viel zu erzählen weiß, auch in die Hütten und Herzen aller seiner Kinder fallen lässt.

3.

Seht, das ist die herrliche Offenbarung Gottes, wie sie in uns sich kundgibt in den mannichfaltigsten Wirkungen des Heiligen Geistes, außer uns aber noch viel mehr in der großen Anstalt der Erlösung. Worauf aber zielt nun diese Offenbarung hin? So lautet die Antwort in unserem Text: Gott will Alles wieder zur göttlichen Einheit bringen in Christo, was im Himmel und was auf Erden ist. Da werden wir hingewiesen auf die Verwüstung, welche die Sünde angerichtet hat in der Welt. Was zu Anfang Eins war mit Gott, das hat sich von ihm losgerissen und zersplittert, wie wenn der Sturm einen Baum mit seiner Wurzel aus dem Boden reißet und ein Blitz in ihn fährt, der ihn spaltet. Aus dem Paradiese hat sie ihn getrieben und auf den Acker gestellt unter Disteln und Gestrüpp. Aus dem Leben und Frieden Gottes hat sie ihn gerissen, und ihn, wie mit Gott, so mit sich selbst und mit dem Bruder und mit der Kreatur entzweit. Wo die Sünde herrscht, da fehlt die Einheit und Harmonie, da ist die Vereinzelung, Entzweiung, Krieg Aller gegen Alle. Sünder, schaue in dein Herz, so wirst du gewahren, wie die Sünde dich zugerichtet hat. Von Gott bist du geschieden und kannst nicht beten und rufen: Abba, lieber Vater! Mit dir selber bist du nicht einig, denn die Gedanken in dir klagen sich untereinander an. Mit deinem Nächsten bist du zerfallen, denn dir fehlt die Liebe, die das göttliche Band der Herzen ist. In die Welt schaust du mit Missmut, weil du in ihr Mühe und Arbeit hast, und in tausendfachen Kampf verwickelt bist. Traurige Verwüstung in der Welt! - soll sie ewig dauern? Nein, darum eben hat sich Gott kundgetan und hat sich offenbart in Christo Jesu, dass er in ihm Alles versöhnte mit sich selbst. Wäre Christus nicht, so würde aus der Versöhnung nichts; er ist die goldene Jakobsleiter, die Himmel und Erde miteinander verbindet, so dass wir sagen können: Nun sehen wir den Himmel offen (Joh. 1, 51), und wer will, der kann an dieser Leiter wieder zu Gott und in den Himmel kommen. Wozu die herrliche Offenbarung Gottes, wodurch er uns mit Erkenntnis und mit aller Weisheit und Einsicht erfüllt? Wozu die großen Taten Gottes, dass das Wort Fleisch ward, unter uns wohnte, litt, starb, auferstand und in die Herrlichkeit aufgenommen wurde? Wozu das Pfingstwunder und das Evangelium, das Gott hat verkündigen lassen und fort und fort verkündigen lässt aller Kreatur? Dazu und zu nichts anderem, als dass die Welt aus ihrer Entfremdung von Gott zurückgebracht würde zur Eintracht und zum Frieden mit Gott. Macht nicht Christus uns zu Kindern des Vaters im Himmel? Knüpft er nicht einen Freundschaftsbund zwischen uns und den Engeln? Söhnt er nicht die Juden und Heiden und alle Völker aus, dass sie Eine Herde werden unter Einem Hirten? Verwandelt er die Menschen nicht in Brüder, von denen es heißt: Wie haben sie doch einander so lieb!? Bringt er nicht die Vergebung in unser Herz und die Ruhe in unsere Seele? Stiftet er nicht Frieden zwischen uns und der Kreatur, so dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen? Ja, wird er nicht, wenn er wieder kommt, die Kreatur erlösen von aller Eitelkeit zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, und einen neuen Himmel schaffen und eine neue Erde? Seht, Christen, alles Heil hängt an Christo: wollt ihr euch denn aus eurer Entfremdung durch ihn nicht wieder zurückbringen lassen zu Gott? Ach, er weint, wenn er die törichten Menschen sieht, die sich durch ihn nicht wollen versöhnen lassen. „Wie oft habe ich euch versammeln wollen, wie eine Henne versammelt die Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt“ (Matth. 23). Er ruft: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken! Kommt denn, Christen, und lasst euch versöhnen mit Gott. Kommt Alle, denn von seiner Versöhnung ist Nichts ausgeschlossen. Gott will durch ihn zurückbringen, was im Himmel und was auf Erden ist. Wie?! erstreckt sich die Versöhnung auch auf den Himmel? erstreckt sie sich wohl gar auch auf die Hölle, dass selbst die Verdammten, selbst die Teufel wieder zurück sollen zu Gott? Nun, wenn's möglich wäre, so würde das Blut der Versöhnung und die Macht der Gnade selbst das Feuer der Hölle auslöschen. Es liegt nicht an dem Erbarmen Gottes, sondern an dem Widerstreben der Sünder, dass so viele verloren gehen, die in Ewigkeit nicht wiedergefunden werden. „Himmel und Erde“, das bedeutet zwar die ganze Welt, wie denn die Schrift häufig die Schöpfung also teilt. Wenn nun Gott die ganze Schöpfung versöhnen will, so können freilich auch die Engel im Himmel und die Verdammten in der Hölle nicht ausgenommen sein; aber damit ist es, wie wenn Jemand aus einem alten Hanse ein ganz neues macht: was ohne Fehl ist, das bleibt und wird mit dem Neuen neu; was aber verdorret ist, das wird ausgeschieden und ins Feuer geworfen. So wird man auch am Ende der Welt sagen können: Siehe, das Alte ist vergangen, es ist Alles neu geworden! obwohl die reinen Geister im Himmel der Versöhnung nicht bedürftig, die verlorenen in der Hölle aber ihrer nicht fähig sind. Du bist dennoch zweifelhaft, mein Christ, und frägst: wie kann man sagen, Alles sei versöhnt, wenn Millionen oder gar Milliarden Geister, ob auch durch eigene Schuld, ewig verloren gehen? Antwort: Meinst du denn, dass durch sie die Harmonie der versöhnten, seligen Welt könne gestört werden? Ist die Scheidung vor sich gegangen, wovon die Schrift an vielen Orten redet, siehe, dann sind Licht und Finsternis, Gutes und Böses, Christi Reich und des Teufels Reich nicht mehr miteinander in Kampf, und das unermessliche Reich der Harmonie und Seligkeit steht gesichert da; keine Versuchung, kein Kampf, keine Trübsal rührt es mehr an. Nennst du das Reich der Verlorenen groß, so sollst du wissen, dass es dennoch, gegen das Reich der Seligen gehalten, wie ein Tropfen ist, der unten am Eimer hängt.

Dringe nicht weiter in mich mit Fragen, welche das Schicksal derer betreffen, die ohne Christum gestorben sind. Weißt du, was dir tausendmal näher liegt als diese Fragen? Der Gehorsam gegen die Stimme, welche spricht: Lasst euch versöhnen mit Gott! Nichts, sagt der Apostel, Nichts und Niemand ist ausgeschlossen von der Versöhnung, der nicht selbst sich ausschließt. Dankt Gott für dies teure, werte Wort. Aber nun widerstrebet auch nicht länger der wunderbaren, Alles versöhnenden Gnade Gottes! Hat er sein Geheimnis uns wissen lassen und ist dies Geheimnis eben sein Ratschluss, dass er Alles versöhnen will, so wollen wir nicht länger bleiben in der Entfremdung von Gott, sondern zu Christo gehen, der uns ruft, und uns durch ihn aus der Fremde heimbringen lassen zu Gott. Ja, lieber himmlischer Vater, lass diesen deinen gnädigen Willen an mir und an uns allen in Erfüllung gehen!

Lass mich im Leben und im Sterben
Nach deines Willens Leitung gehen,
Und diesen Trost im Glauben erben,
Dein Wille werde feste stehen;
Du willst ja meine Seligkeit,
So mache mich dazu bereit.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_epheserbrief_6_predigt.txt · Zuletzt geändert: von aj
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