Jellinghaus, Theodor - Kapitel VI. Der Glaube - das einzige Mittel zur Aneignung der Todes- und Auferstehungskräfte oder Heiligung durch den Glauben.
Die falschen, halbheidnischen Begriffe von Heiligsein und Heiligung.
Wenn wir fragen, woher es kommt, dass über dem rechten biblischem Heiligungswege so viele Dunkelheiten liegen, so können wir dies nur durch einen Blick in die Kirchengeschichte recht verstehen. Als das Christentum sich in Asien, Nordafrika und Europa ausbreitete, da herrschte unter einer bedeutenden Anzahl der Heiden die Meinung: Die wahre Religion bestehe in einem Aufgehen in einer Gottheit mit Ertötung nicht nur der natürlichen Triebe.
Von Indien her hatte sich diese Anschauung durch die wandernden Büsser (Fakire, Heilige) in alle Länder am mittelländischem Meer mehr oder weniger verbreitet. Der Asket (d.h. ein Mensch, der sich durch Ertötung der natürlichen Triebe in der Frömmigkeit üben will) galt als ein Heiliger und Philosoph.
Im Volke Israel und im ganzen alten und neuen Testament finden wir von dieser naturfeindlichen Frömmigkeit und diesem asketischen Mystizismus nichts.
Paulus sagt: „Es ist nichts verwerflich, was mit Danksagung genossen wird.“
Als auch nach dem Tod der Apostel die Zahl der Christen aus den Juden in der christlichen Gemeinde immer mehr abnahm, da gewann das falsche Lebens- und Heiligungsziel der heidnischen Asketen auch unter den Christen immer mehr Boden (1.Tim. 4,1). Man suchte immer mehr in Werken der Selbstertötung und nicht in kindlicher Glaubenshingabe an Christus und sein Reich die Heiligung zu erlangen. So trat die Lehre von der Rechtfertigung und Heiligung durch den Glauben an Christus immer mehr in den Hintergrund und an ihre Stelle kam mönchische Selbstquälerei, Heilsuchen bei den Priestern, Sakramenten und äusseren Gesetzeswerken der Kirche und streiten um die rechte Lehre von der Person Christi und der Dreieinigkeit.
Auf diese Weise wurde der Weg zum Frieden und zur Heiligung in Jesus von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr verdunkelt, bis Gott sich erbarmte und in der Reformation die Wahrheit von der Sündenvergebung und Erlösung durch Christus wieder recht auf den Leuchter stellte.
Aber so hell die Rechtfertigung ins Licht des Wortes Gottes gestellt wurde, über die Heiligung blieb man sich doch in vieler Beziehung unsicher. Man hatte noch manches aus der römischen Kirche, besonders von Augustin und von Anselms Genugtuungslehre beibehalten, die auf der Meinung beruht, dass man die Heiligung entweder durch die Kirche und ihre Sakramente oder durch mystische innere Erfahrung zu erreichen sucht.
Nach dem neuen Testament ist Christus der Gekreuzigte und Auferstandene, allein der Grund, das Mittel und die Kraft der Heiligung. Weil Gott heilig ist, will er auch die Menschen heiligen. Er hat darum seinen Sohn auf den heiligen Opferweg durch Tod zum himmlischen Altare gesandt.
Jesus heiligte sich für die zu erlösenden Menschen in den Opfertod, damit die bussfertigen Menschen sich Christus zum Mitsterben weihen und so in ihm geheiligt sein könnten in der Wahrheit. Die biblische Heiligung ist nicht eine Selbstheiligung durch Selbstertötung uns Selbstbessermachen, oder eine umgewandelt werden durch mystische Wirkungen des Heiligen Geistes, sondern sie ist ein Teilhaben an der Todes- und Auferstehungskraft Jesu und an Jesu Heiligkeit.
Christi Todes- und Auferstehungskraft oder Christus selbst wird und bleibt durch den Glauben unsere Gerechtigkeit und Heiligung.
Von der Grundlage aus, dass Jesus uns zur Rechtfertigung und Heiligung gemacht ist, lehrt das neue Testament folgerichtig und klar, dass die Reinigung und Heiligung und das Siegen des Christen durch den Glauben geschehe, d.h. das hingegebene Vertrauen an den grossen, gegenwärtigen Erlöser Christus.
Apg. 26,18 / 1. Petr. 1,9: „Die geheiligt werden durch den Glauben an Mich.“
Woher hat nun aber der Glaube diese Kraft, das so grundverderbte Menschenherz, das zu nichts geistlich Gutem, auch nicht zum rechten Gottesvertrauen fähig ist, zu heiligen, ebensowenig wie der Glaube in uns von Sündenschuld los machen und rechtfertigen kann. Nur deshalb ist eine Heiligung durch den Glauben an Christus möglich, weil Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung die Sündenmacht gebrochen und ein ewiges, göttliches Leben und Heiligung für uns erworben hat. In Christus, unserem Haupte und zweiten Adam, ist das göttliche, neue Leben und die Heiligung ebenso für uns erzeugt, erworben und für uns vorhanden, wie unsere fleischliche, sündliche Natur in dem ersten Adam schon vor unserer Geburt und ehe wir zu persönlichem, freiem Willen und Selbstbewusstsein kamen, für uns da war.
Wenn die Bibel von Heiligung durch den Glauben redet, so meint sie, dass Christus selbst unsere Erlösung von Sündenmacht für uns vollbracht hat und selbst fortwährend der Gläubigen mächtiger Erlöser und siegreicher Führer ist.
Es ist deshalb eine missverständliche Darstellung der Lehre der Rechtfertigung und Heiligung, wenn man scharf trennend sagt, dass Christus für uns die Rechtfertigung und Christus in uns die Heiligung sei.
Christus für uns ist des Sünders Rechtfertigung und Begnadigung durch den Glauben; aber in dem Augenblicke, wo der Mensch in der Kraft des Heiligen Geistes an Christus als den Erlöser sich vertrauensvoll hingibt, wird Christus sein Eigentum und kommt Christi Leben in sein Herz, so dass er nicht nur gerechtfertigt und wiedergeboren sondern auch geheiligt ist in Christus.
Indem der Gläubige so an diesen völligen, gegenwärtigen Erlöser und alle seine Heiligungskräfte durch den Heiligen Geist sich im Glaubensgehorsam hingibt, kommt Christus selbst in das Herz und wird des Herzens innerstes Leben, als Christus in uns. Der Heilige Geist verklärt Christus als den völligen (vollumfänglichen) Erlöser, Heiligmacher und Sieger und bringt so durch den Glauben Christus in uns immer völliger zur Herrschaft. Aber auch hier, wie bei der Rechtfertigung, macht der Heilige Geist nicht sein Werk in uns, sondern Christus für uns (an Stelle von uns), als die heiligende Macht des Blutes Christi, zur Grundlage unserer Zuversicht.
Die Reben verlassen sich nicht auf den Saft, der in ihnen ist, sondern auf den Saft, der im Weinstock ist.
Den Aposteln steht es immer in gleicher Weise fest, dass sie und die Gläubigen als mit Christus Gestorbene und Auferstandene in Christus nicht nur mächtige Vergebungsgnade, sondern auch Heiligungsgnade und Sieg im Glauben haben.