Hus, Jan - Über die Kirche
Jetzt will ich das Wort der Doktoren aufgreifen, worin es heißt: „Dem Apostolischen Stuhl der römischen Kirche und ihren Prälaten müssen die Untergebenen in allem und jedem gehorchen, sofern darin nicht das reine Gute verhindert oder das reine Böse befohlen ist.“ Hier muß man beachten, was der Apostolische Stuhl sei, über den viele Leute, insbesondere die Lehrer des Kirchenrechts, vielerlei sagen; was der Apostolische Stuhl jedoch ist, wissen sie nicht. Denn manche meinen, das sei der hölzerne oder steinerne oder sonst wie beschaffene Stuhl des Papstes, auf welchem der Papst zu sitzen pflegt; andere sagen, das sei die römische Kurie; wieder andere, das sei der Sitz des heiligen Petrus, auf welchem er zu sitzen pflegte; andere, das sei Rom; andere, das sei die Gewalt des Papstes; andere, das sei die Kirche oder Basilika des heiligen Petrus. Indessen ist es bekannt, dass „Apostolischer Stuhl“ von „apostolisch“ kommt, „apostolisch“ aber kommt von „Apostel“, „Apostel“ aber heißt von Gott gesandt.“ - „Denn welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Worte …“ spricht der Heiland (Joh. 3,34). Darum sagt er auch zu seinen Jüngern (Joh. 20,21): „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“, und zwar, um die Wahrheit zu bezeugen, das Wort des Heils zu predigen und durch Lebenswandel und Lehre dem Volk den Weg zur Seligkeit zu zeigen. Ein jeder Priester, der nicht das Seine sucht, sondern die Ehre Gottes, den Fortschritt der Kirche und das Heil des Volkes, der den Willen Gottes tut, die Ränke des Antichrists aufdeckt und das Gesetz Christi predigt, hat die Zeichen, welche beweisen, dass Gott ihn gesandt hat … Jeder Papst, Bischof, Priester oder Prediger muß auf diese Weise von Gott gesandt sein. Und daher sagt der Apostel (Röm. 10, 15): „Wie sollen sie predigen, wenn sie nicht gesandt werden?“
Da wir nun wissen, was ein Apostel ist, können wir entsprechend wissen, was „apostolisch“ ist. Denn „apostolisch“ heißt, wer den Weg des Apostels beachtet. So wie als wahrer Christ derjenige bezeichnet wird, der Christo in seinem Wandel nachfolgt, so ist wahrhaft apostolisch derjenige Priester, welcher der Lehre der Apostel folgt, indem er das Leben des Apostels lebt und seine Lehre lehrt. Darum wird jeder Papst in dem Maße apostolisch genannt, wie er die Lehre der Apostel lehrt und tut, Wenn er aber die Lehre der Apostel hintansetzt und mit Wort und Tat das Gegenteil lehrt, so wird er „falscher Apostel“ oder „Abtrünniger“ genannt … Apostolischer Stuhl kann demnach genannt werden der Lebenswandel des Priesters, der mit seinem Tun das Leben des Apostels beachtet, so wie der Apostolische Stuhl das Leben des Apostels ist …
Unter dem Stuhl der Majestät Christi ist hingegen die Aufrichtung des ewigen Reiches zu verstehen, von dem er nicht vertrieben werden kann, und dieser Stuhl ist Christi innerer Stuhl. Sein äußerer Stuhl, auf dem er mit seiner Gnade ausruht, wohnt oder residiert, ist die Gesamtheit der Heiligen, so wie umgekehrt gilt.: der Stuhl, auf dem der Satan ausruht, wohnt oder residiert, ist die Gesamtheit aller Sünder … Aber, zu unserem Hauptthema: Der Apostolische Stuhl ist dasselbe wie der Stuhl Moses, von welchem der Heiland (Mt. 23,2) sagt: „Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer.“ Der Stuhl Moses aber ist weder Mose selbst noch sein hoher Richterstuhl aus Holz oder Stein, noch die Synagoge, der Stuhl ist vielmehr die Vollmacht, zu lehren und das Volk zu richten. Das kann man aus den Worten Christi beweisen, denn er sagt: „Auf Moses Stuhl,“ … „, andererseits. „Was sie sagen . . .“ - das heißt: was sie auf Grund der Vollmacht und Lehre Moses lehren - „das tut“ (Mt. 23,3). Der Apostolische Stuhl ist also die Vollmacht, zu lehren und zu richten nach dem Gesetz Christi, welches die Apostel gelehrt haben, auf welchem die weisen Männer sitzen müssen, „die Gott fürchten, wahrhaftig und der Habsucht feind sind“ (Ex. 18,21).
O wenn doch heutzutage jener Stuhl solche Männer hätte! Und wo sind sie zu finden? In der römischen Kurie, wo sie auf dem Stuhl Petri präsidieren, das heißt: auf Grund der Vollmacht der Apostel sitzen, die eine Vollmacht ist, geistliche Dinge zu richten und das Gesetz des Herrn Jesu Christi zu lehren. Wenn hierbei Habsucht, Ungerechtigkeit und Hochmut ausgeschlossen sind und ein heiliges Leben blüht, so bezeugt es der Heiland selbst (Mt. 23,2-7): „Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das haltet und tut's; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun: sie sagen's wohl, und sie tun's nicht“ - das bezieht sich auf ein Leben ohne die Werke des Gesetzes. „Sie binden aber schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf den Hals“ - das ist die unrichtige Lehre und die Ungerechtigkeit. „Aber sie selbst wollen dieselben nicht mit einem Finger regen“ - das ist das üppige Leben. „Alle Werke aber tun sie, dass sie von den Leuten gesehen werden“ - das ist die Eitelkeit. „Sie machen ihre Denkzettel breit“ - mit ihren Bullen durch die ganze Welt, als wären sie die ersten, die das Gesetz Gottes beachten, - das ist die Heuchelei. „Und die Säume an ihren Kleidern machen sie groß“ - womit sie ihre Maultiere bedecken. „Sie sitzen gerne obenan über Tisch“ zu ihrem Vergnügen und um der Ehre willen „und in den Schulen“ - das ist: in den Kirchenversammlungen, denn jener will Kardinal sein, dieser Patriarch, dieser Erzbischof - und haben's gerne, dass sie „gegrüßt werden“, kniefällig „auf dem Mark“, das heiß: in der Öffentlichkeit, „und von den Menschen Rabbi genannt werden“ - das ist: Lehrer, welche die gesamte Kirche Christi regieren. Darum nennen sie auch die römische Kurie die Lehrerin der Kirchen.
Dies zugegeben, ist es möglich, dass sie der Stuhl nicht Christi, sondern des Satans sind, denn sie sitzen, ihrem eigenen Leben nach zu urteilen, auf dem Stuhl der Pestilenz … Wahrhaftig also sitzt auf dem Stuhl Moses oder Petri, wer in der Vollmacht der Schrift richtig lebt und richtig lehrt, wer nichts Fremdes zum Gesetz hinzutut noch bei dem Stuhle Gewinn oder Hoheit sucht. Umgekehrt sitzt unrichtig auf dem Stuhl, wer unrichtig lehrt und unrichtig lebt oder wer richtig lehrt und falsch lebt oder wer weder richtig lehrt noch richtig lebt. Und solche gibt es leider in großer Zahl, die das Ihre suchen und nicht, was Jesu Christi ist (Phil. 2, 2 1) …
Hieraus ergibt sich: Der Stuhl Moses oder auch der Apostolische Stuhl ist (a) die Vollmacht, das Gesetz Gottes zu lehren, oder (b) die Gemeinschaft der aufeinander folgenden heiligen Päpste oder Bischöfe, eine Gemeinschaft, die für das sorgt, was der Ehre Gottes dient, der heiligen Kirche nützt und für ihren Leiter und für ihre Untergebenen heilsam ist, die keinen Fähigeren benachteiligt noch ohne Prüfung irgendeinen an der Ausübung seines kirchlichen Amtes hindert um Geldes oder um verwandtschaftlicher Beziehungen willen oder aus Ansehen der Person …
Wenn daher vom Papst ein Mandat ausgeht, so muß der treue Jünger Christi bedenken, ob es ausdrücklich das Gebot eines Apostels oder des Gesetzes Christi ist oder ob es seine Grundlage im Gesetz Christi hat, und wenn das der Fall ist, so muß er einem solchen Gebot ehrfürchtig und demütig Gehorsam leisten. Wenn er aber in Wahrheit erkennt, dass das Gebot des Papstes dem Gebot oder Rat Christi zuwiderläuft oder der Kirche Schaden bringt, dann muß er mannhaft Widerstand leisten, damit er nicht durch seine Übereinstimmung an dem Verbrechen mitschuldig wird. Darum habe ich im Vertrauen auf den Herrn und Christus Jesus, der in seiner Macht und Weisheit die Bekenner seiner Wahrheit beschützt und mit dem Lohn der ewigen Herrlichkeit belohnt, der Bulle Papst Alexanders V. Widerstand geleistet, die der Prager Erzbischof Sbinko im Jahre des Herrn 1409 von ihm erlangte, worin er befiehlt, niemand dürfe, selbst wenn er eine apostolische oder eine andere Sondererlaubnis dazu besitzt, Predigten oder Ansprachen vor dem Volke halten, außer in Bischofs-, Stifts-, Pfarr- oder Klosterkirchen oder deren Grabeskirchen.
Dieses Mandat, das den Taten und Worten Christi und seiner Apostel zuwiderläuft, ist nicht apostolisch, denn Christus hat auf dem Meer, in der Wüste, auf dem Feld, in Häusern, in Synagogen, in Ortschaften, auf Marktplätzen vor dem Volke gepredigt, und seinen Jüngern befahl er (Mk. 16,15). „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur.“ Sie aber machten sich auf und predigten überall, das heißt: wo immer das Volk sie hören wollte, mit der Hilfe des Herrn. Auch bringt dieses Mandat der Kirche Schaden, weil es das Wort Gottes bindet, damit es nicht frei laufen kann, und drittens bringt es den Kapellen Schaden, die von den Diözesanen bestätigt und vom Apostolischen Stuhl mit guten Gründen dafür privilegiert worden sind, dass das Wort Gottes in ihnen gepredigt werde. Denn es ergibt sich offenkundig kein Nutzen aus diesem Mandat, sondern es liegt arglistige Täuschung darin, dass Plätze, die für den Gottesdienst bestimmt und mit guten Gründen für die Verkündigung des Wortes Gottes vom Heiligen Stuhl privilegiert sind, um privater Neigung willen und auf eine ungerechte, rücksichtslose und auf irdischen Vorteil bedachte Bittstellung hin ihrer erlaubten Freiheiten beraubt werden. Darum habe ich von jenem Mandat an Papst Alexander selbst zu seiner besseren Unterrichtung appelliert, doch während meiner Appellation verstarb der Papst, und da man mir in der römischen Kurie kein Gehör gab, erlangte Herr Sbinko, Erzbischof von Prag, Prozesse, die mich bedrängten, von welchem ich im Jahre des Herrn 1410 an Papst Johannes XXIII. appellierte, der aber zwei Jahre hindurch meinen Rechtshelfern und Bevollmächtigten keine Audienz gewährte, und in der Zwischenzeit wurde ich weiterhin von Prozessen bedrängt. Da mir also die Appellation von einem Papst an seinen Nachfolger nichts genützt hat und da die Appellation von einem Papst an das Konzil soviel ist wie mitten in der Bedrängnis langwierige und unsichere Hilfe herbeirufen, darum habe ich schließlich an das Haupt der Kirche, an den Herrn Jesus Christus, appelliert. Er ist bei der Entscheidung des Rechtsstreits auf jeden Fall dem Papste vorzuziehen, denn er kann nicht irren, noch kann er einem Menschen, der ordnungsgemäß darum bittet, Gerechtigkeit versagen, noch kann er ihn auf Grund seines Gesetzes unschuldig verdammen.
Im übrigen habe ich der Verordnung über die Erteilung oder Veröffentlichung des Ablasses im Jahre des Herrn 1412 durch die Bullen Papst Johannes' des XXIII. widerstanden, wovon ich anderswo genügend gesagt habe. Denn der Papst kann erlaubtermaßen nur das bestimmen, was der Zerstörung der Bosheit und der Erbauung der Kirche dient, was allgemein beachtet werden müsste. Das bezeugt der Apostel (2. Kor. 10, 4 ff.): „Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott zu zerstören Befestigungen, wir zerstören damit die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes.“ Auch sagt er (2. Kor. 13, 10): „Auf dass ich nicht, wenn ich gegenwärtig bin, Schärfe brauchen müsse nach der Macht, welche mir der Herr zu bessern und nicht zu verderben gegeben hat.“
… Und es ist offenbar, dass der Papst irren kann, und zwar um so mehr, als sich in einem solchen Falle die Menge, Stärke und Unüberwindlichkeit seiner Sünde ins Vielfache steigern würde … Denn so wie der Stand des Papstes, der der Kirche nützt, größeres Verdienst erwirkt, so schafft größeren Verlust derjenige, der seine Stellung als Papst mißbraucht und der Kirche schadet. Ein Zeichen für das Versagen des Papstes ist es, wenn er das Gesetz Gottes und die frommen Bekenner des Evangeliums hintansetzt und sich menschlichen Traditionen zukehrt. Diesen Fehler hat Bernhard an Papst Eugen getadelt, weil er das Geschwätz der menschlichen Gesetze in seinem Palast gestatte, während das Gesetz Christi schweigen müsse, welches das vollkommene Gesetz ist, das da Seelen bekehrt (Ps. 19,8). Das zweite Zeichen ist es, wenn der Papst und die geistlichen Oberen den Wandel verlassen und sich weltlich in der Welt verstricken. Das dritte Zeichen ist es, wenn er den Händlern der Welt im Dienste Christi Vorrangstellungen gibt und mit Eifer, in erster Linie zur Fortsetzung seines weltlichen Lebens, die armen Kirchen bedrückt. Das vierte Zeichen ist es, wenn er durch sein Mandat oder durch die Ernennung Ungeeigneter in der Seelsorge die heilsbedürftigen Seelen des Wortes Gottes beraubt.
Hieraus ist zu entnehmen: Einem irrenden Papst Widerstand leisten ist soviel wie dem Herrn Christus gehorchen - was vor allem bei den Provisionen hervortritt, die der persönlichen Bevorzugung verdächtig sind. Darum rufe ich die Welt zum Zeugen dafür auf, dass die Verteilung von Pfründen durch den Papst in der Kirche allzu viele Mietlinge zeitigt, auf Seiten der Päpste aber Gelegenheit gibt, die Gewalt des Stellvertreters allzu sehr zu steigern, das Ansehen vor der Welt allzu hochzuschätzen und die phantastische Heiligkeit allzu sehr zu lieben. Jene Doktoren aber, welche vom Papst irdischen Lohn erwarten oder sklavisch seine Macht fürchten und so behaupten, er sei von unfaßbarer Gewalt, er sei zur Sünde unfähig und nicht zur Rechenschaft zu ziehen und daher sei es ihm erlaubt zu tun, was ihm beliebt, sind falsche Propheten, falsche Apostel, Antichristen! …