Hus, Jan - Über das Verlassen der Bethlehemskapelle (1411)

Hus, Jan - Über das Verlassen der Bethlehemskapelle (1411)

Allen Gläubigen Gnade und Friede von Jesu Christo. Theuerste, das Geburtsfest des Sohnes Gottes naht heran. Darum reiniget euer inneres Haus, daß es lauter sei von Sünden. Höret, soviel ihr könnt, das Wort Gottes fleißig und demüthig, und kümmert euch nichts um die Lästerer, die euch verbieten, die Reden in der Bethlehemskapelle zu hören. Was meine eilige Flucht betrifft, so habe ich diese gerne genommen, um Christi Wort und Beispiele zu folgen, da er sagte: „in welcher Stadt man euch nicht hören und aufnehmen will, aus dieser entfernt euch und schüttelt den Staub von euren Füßen zu einem Zeugniß über sie.“ 1) Und anderswo sagt er: „wenn sie euch in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere“ 2). So oft ferner die Juden ihn tödten wollten, ehe seine Stunde gekommen, entfloh er ihren Händen. So schreibt Johannes: „als sie ihn fahen wollten, entging er ihnen und begab sich über den Jordan, an den Ort, wo Johannes taufte“ 3), und in demselben Kapitel: „da sie ihn tödten wollten, trat er nicht mehr öffentlich unter den Juden auf, sondern ging in eine öde Gegend, in die Stadt Ephraim, und verweilte dort mit seinen Jüngern. Die Juden aber forschten nach ihm, beriethen sich unter einander und sprachen: warum kommt er nicht zum Fest? Die Hohepriester und Pharisäer geboten, wenn Jemand erfahre, wo er sei, solle er es anzeigen, daß sie ihn ergriffen. So schreibt S. Johannes.

Es ist also kein Wunder, daß ich hierin seinem Beispiele folgte, und daß nun die Priester nach mir forschen und sich erkundigen, wo ich bin. Wisset denn, Liebst, daß ich mich nach dieser Mahnung und nach diesem Beispiele Christi entfernt habe, damit nicht die Gottlosen, die mich verfolgten, sich ewige Verdammniß zuziehen und über die Guten Trübsal und Kümmerniß verhängen, sowie auch, damit nicht die ruchlosen Priester die Predigt des göttlichen Wortes ganz verhindern möchten. Ich verließ euch also nicht, um die göttliche Wahrheit zu verläugnen, für welche ich vielmehr unter dem Beistande Gottes zu sterben wünsche.

Ferner wißt ihr, Theuerste, daß Christus, wie er selbst sagt, zu der vom Vater vorher bestimmten Zeit leiden mußte. Seid also überzeugt, daß, was Gott mit mir vor hat, alles geschehen wird. Werde ich würdig sein, um seines Namens willen zu sterben, wird er mich zum Leiden berufen. Will er wegen der Predigt seines Wortes damit verziehen, so liegt dieß in seinem Willen.

Ohne Zweifel vermissen manche Priester unter euch meine Erscheinung in Prag, denen mein Anblick willkommen wäre, nicht daß sie Horen oder Messen singen, sondern alle sind Leute, welche die heilige Predigt des Evangeliums wegen ihres Geizes, ihres Stolzes und ihrer Hurerei unangenehm berührt. Ihr aber, die ihr Gottes Wort lieb habt, und so angelegentlich mit ihm euch zu vereinigen bemüht seid, würdet mich gerne aus Liebe als euren nächsten Freund sehen. Auch ich wünsche euch zu sehen, damit ich Gottes Wort euch verkündigen könnte. Denn darauf muß hauptsächlich die Sorgfalt und Mühe der Diener der Kirche hingeben, daß sie dem Volke das Evangelium Christi rein und fruchtbarlich predigen, damit dasselbe den Willen Gottes kennen lerne, und auf den rechten Weg zum Gutesthun geleitet werde. Wehe also den Priestern, die Gottes Wort vernachlässigen, die, obwohl sie es kennen, doch in Unthätigkeit und trägem Müßiggang dahinleben! Wehe auch denen, welche das Predigen und Anhören des Wortes Gottes verbieten! Wohl aber denen, die es hören und in ihrem Herzen bewahren und in guten Werken es halten. Denn solche preist Christus selbst selig mit den Worten: „selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren“4). Diese Seligkeit und dies Hören fördere uns Jesus Christus, der da gelobet ist in Ewigkeit! Amen.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

1)
vgl. Matth. 10, 14. Luc. 9, 5.
2)
vgl. Matth. 10, 23
3)
Joh. 4
4)
Luc. 18, 28.
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