Huhn, August Ferdinand - Predigten über die Heiligen Zehn Gebote - IV. Vierte Predigt über das erste Gebot.

Huhn, August Ferdinand - Predigten über die Heiligen Zehn Gebote - IV. Vierte Predigt über das erste Gebot.

Herr! Deiner Hand befehl' ich mich,
Mein Glück, mein Wohl, mein Leben;
Und meine Seele preise Dich,
Dich ehr' mein ganzes Leben,
Sei nur mein Gott,
Und einst im Tod
Der Fels, auf den ich traue,
Bis ich Dein Antlitz schaue.

So fangen wir eben, vielleicht mit warmem Gefühle, mit inbrünstigem Herzen. Wir Alle merkten gewiss unter diesem Liede, welch' ein köstliches Ding es ist, auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen, an den Herrn gedenken alle Wege und sich nicht verlassen auf seinen Verstand.

Aber, Christen, mit dem bloßen Gefühle des Augenblickes ist uns noch gar wenig geholfen. Sich auf den Herrn verlassen von ganzem Herzen, Gott vertrauen über alle Dinge, an Ihn allein sich halten täglich, stündlich und in jeder Lage des Lebens, das will mehr sagen: das ist das größte Kleinod, der reichste Schah, den der Mensch auf Erden nur erringen kann, das ist das Einzige, was unserer Seele wahre Ruhe, Friede und Freude geben kann. Das will aber erkämpft, erstritten, erseufzt, erbeten und erfleht sein täglich und stündlich.

Seht, und darum will ich heute nach Anleitung der Lutherischen Erklärung des ersten Gebotes in unserem Katechismus zu Euch reden:

Von dem Vertrauen auf Gott. Zuvor aber vernehmt das Gebot selbst.

2 Mos. 20, 2 und 3.
Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Luthers Erklärung:
Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Wir sollen Gott über alle Dinge vertrauen! das fordert das erste Gebot von uns.

Lasst uns nun sehen:

  1. was das eigentlich heiße,
  2. wie es um unser Vertrauen auf Gott stehe, und
  3. wie wir zum rechten Vertrauen auf Gott kommen können.

1.

Fragen wir also zuerst, was heißt das: wir sollen Gott über alle Dinge vertrauen? Worauf Ihr Eure Hoffnung und Zuversicht setzt, worauf Ihr baut und rechnet, vom wem Ihr etwas Gutes erwartet, wem Ihr Euer Herz schenkt, wem Ihr Euer Innerstes entdeckt, wem Ihr Euch hingebt, dem vertraut Ihr. Setzt Du, wenn Du krank bist, Deine Hoffnung auf die Arznei, so vertraust Du diesem Dinge; rechnest Du auf Deine Verwandten und Bekannten, auf die Gunst, in der Du bei dem und dem stehst, rechnest Du fürs nächste und für die folgenden Jahre auf Dein gesammeltes Geld, auf Deine gute Gesundheit und dergleichen, so vertraust Du eben diesen Dingen. Und gibst Du Dich in dieser und jener schwierigen Lage des Lebens diesem und jenem Menschen hin und suchst bei Menschen Hilfe und baust auf ihr Versprechen, auf ihre Mittel und Kräfte so vertraust Du eben diesen. Und rechnest Du, um einmal selig zu werden, auf dies und das Gute, das Du getan, auf deine Verdienste und Würdigkeit, so vertraust Du eben darauf. Nun fordert aber Gott, wir sollen Ihm über alle Dinge vertrauen. Was heißt das? was will Gott damit? Mancher wird bei dieser Frage denken: Ich weiß sehr wohl, was das heißer und Gott damit will. Ihm, dem allmächtigen Gott, muss man allerdings vor allen Dingen vertrauen, und es wäre töricht, wenn man das nicht täte, da doch eben Alles in seiner Hand steht. Aber ebenso töricht wäre es auch, wenn man nebenbei nicht auf dies und das, was einem doch helfen und nützen kann, rechnen, wenn man auf dies und das, wovon man den Nutzen schon erfahren, nicht zugleich bauen und vertrauen sollte, seien es nun Menschen oder irgend andere Dinge, Verhältnisse und Verbindungen. Und was die Seligkeit betrifft, so muss man darum wohl schon der Gnade Gottes vertrauen; aber nebenbei muss man doch notwendig auch auf seine guten Werke und auf seine Verdienste rechnen, die man hat. Das ist, wenn auch nicht immer die offene Sprache, doch gewöhnlich der eigentliche Sinn gar Vieler. Was meint Ihr nun wohl, Christen, hat der Herr beim ersten Gebote das im Sinne? und ist es genug, wenn wir Ihm so vertrauen? Nein, das hat Er nicht im Sinne; solch ein Vertrauen genügt Ihm nicht. Das brauche ich Euch nicht erst zu beweisen; Gott selbst sagt es in seinem Worte sehr klar und deutlich. Da heißt es z. B.: Niemand kann zwei Herrn dienen, entweder Er wird den Einen hassen und den Anderen lieben, oder Er wird dem Einen anhangen und den Anderen verfolgen. Und von jenem, welcher guten Vorrat auf viele Jahre gesammelt und nun so recht sicher in seinen Vorräten bei sich selber dachte: nun iss und trink, liebe Seele, von jenem sagt das Wort Gottes: du Narr! diese Nacht wird der Herr deine Seele von dir fordern. Und wie lautet das, wenn es im Worte Gottes heißt: verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen Arm und mit seinem Herzen vom Herrn weichet. Und wiederum: verlass dich auf den Herrn vom ganzem Herzen und verlass dich nicht auf deinen Verstand; und: gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den Herrn verlässt und der Herr seine Zuversicht ist. Und wiederum: es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes den sie vor Gott haben sollten. Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist. - Nun, meine Freunde, in diesen Worten sagt es uns Gott doch klar und deutlich, was das heißt: wir sollen Ihm über alle Dinge vertrauen. Ganz offenbar heißt doch das: wir sollen ihm nicht nur mehr vertrauen als allen Dingen, sondern wir sollen auf kein Ding rechnen, auf nichts in der Welt sollen wir bauen, auf nichts unsere Hoffnung und Zuversicht sehen, als nur auf Ihn, den allmächtigen, lebendigen, gnädigen und unveränderlichen Gott allein. Das heißt: Gott über alle Dinge vertrauen.

Nun, fordert Gott damit von uns etwas Unrechtes oder Unbilliges? Verdient Er etwa dies Vertrauen nicht von uns, die wir doch ja seine Geschöpfe sind, ja, die wir uns doch seine Kinder zu sein rühmen? Hat Er irgendeinmal, was Er versprochen, nicht gehalten? Hat Er jemals sein Wort gebrochen? Hat er irgendjemand, der auf Ihn seine ganze Zuversicht und Hoffnung setzte, verlassen und versäumt? Oder ist in seinem Herzen auch nur irgendein Falsch, dass wir uns Ihm nicht ganz entdecken, nicht ganz hingeben könnten.

Nein, nein! Hierauf können wir nur mit David sprechen: an dir allein haben wir gesündigt und übel vor dir getan, auf das du Recht behältst in deinen Worten und rein bleibst, wenn du gerichtet wirst. - Gott fordert nichts Unrechtes und Unbilliges. Er fordert ja nur unser Herz; Er will ja nur, dass wir ihn bitten sollen, wie die lieben Kinder ihren lieben Vater bitten. Er verlangt ja nur, dass wir auf Ihn, den treuesten Wächter, der nicht Tag nicht Nacht schläft, alle unsere Sorgen werfen; dass wir Ihm, dem weisesten Lenker und Berater aller Dinge, alle unsere Wege befehlen; dass wir zu Ihm, dem Allergnädigsten und Freundlichsten ein Herz fassen; dass wir Ihm, dem unveränderlichen Freunde, der so ganz ohne Falsch ist, Alles sagen und klagen, Alles entdecken und mitteilen, dass wir uns selbst mit Leib und Seele Ihm nur so ganz hingeben sollen. Das fordert Gott von uns. Und das ist nicht zu viel, nicht wahr? so müsst Ihr alle bekennen. Ach, Er will ja damit, nur unsere Seligkeit! Es gibt ja keinen Frieden, es gibt keine Seligkeit, als nur darin, dass wir Ihn über alle Dinge, dass wir Ihm allein vertrauen! Ruhelos und gequält ist unser Herz unser Lebelang ohne dieses Vertrauen.

II.

Das wissen wir, das fühlen wir. Schenken wir aber nun Gott dem Herrn unser Vertrauen? Christen, wie steht es um unser Gottvertrauen? Verwechseln wir nicht bloße schöne Redensarten mit dem, wie es wirklich ist, und bloßem Wortkram mit dem, was es in der Tat und in der Wahrheit sein soll: so werden wir wohl gleich von vornherein bekennen müssen, dass es mit unserem Gottvertrauen etwas gar Jämmerliches, zum größten Teil nur Eingebildetes ist, dass wir mehr oder weniger Alle zwei Herren dienen und damit unseren Schöpfer und Vater täglich betrüben und kränken und uns gegen Ihn versündigen. Da möchte wohl keiner ausgenommen sein. Denn wahrlich nicht umsonst sagt das Wort Gottes von dem Menschenherzen. Es ist aber das Herz ein trotzig und verzagtes Ding, wer mag es ergründen? Seht, in diesen Worten ist uns so recht eigentlich das innerste Wesen unseres Herzens geschildert, trotzig und verzagt, also gerade das Gegenteil von dem, was Gott von uns fordert, das Gegenteil vom Vertrauen auf Ihn. Bleiben wir, um das so recht zu erkennen, fürs Erste auch nur bei dem Leiblichen, bei unseren irdischen Verhältnissen stehen. Welch' eine Sicherheit, welch ein Trotzen, ja welch' einen Übermut sieht man nicht oft an den Kindern der Welt, so lange es ihnen wohl geht! Man hat sein Geld und Gut, man weiß, dass es in jedem Notfall ausreichen und dass man immer noch darüber haben wird, wozu braucht man da noch um das tägliche Brot zu bitten? Man hat sein Haus und Gut versichert, es kann einem in keinem Falle verloren gehen; man hat beizeiten für die Seinigen gesorgt und im Falle des Todes schon alle möglichen Vorkehrungen getroffen, was braucht man da zu bitten: Herr, behüte mir das Meine und verlasse Du nicht die Meinen? Man hat sein gutes Einkommen, es hat einem noch nie die tägliche Nahrung und Notdurft gefehlt, - was braucht man da noch viel nach Gott zu fragen, dass er einem das Stücklein Brot segnen möge. Und kommt auch diese und jene schwierige Lage, diese und jene Verlegenheit, dieser und jener missliche Umstand, nun dafür hat man ja seinen Verstand, seinen Einfluss, seine Mittel und Hilfsquellen hier und dort. Seht, das ist so das gewöhnliche Denken und Trachten des Menschenherzens, so lange es einem wohl und einem das Wasser, so zu sagen, nicht bis zum Munde geht; ja auch dann noch findet sich gar oft nur dieses Trotzige in dem Herzen. Man spricht es freilich nicht aus, man sagt es nicht geradezu: wir brauchen keinen Gott, wir haben genug an uns selbst! aber im innersten Grunde des Herzens ist es so und wird zurzeit wohl auch recht sehr offenbar, auf dass das Wort Gottes Recht behalte. Und nun seht doch einmal recht auf das Menschenherz, wenn es ihm schlimm geht, welch' eine Furcht, welch' eine Angst, welche Verzagtheit kommt da ans Licht! Hier beginnet es an Geld, an Nahrung und Kleidung zu gebrechen; wie fängt man da an, auf dies und das zu sinnen, wie quält man sich ab, wie starrt der ganze Sinn da auf den Mangel hin; wo man geht und steht, kann man den Gedanken nicht los werden; mit Sorgen der Nahrung steht man auf, mit Sorgen leget man sich nieder; nichts erfreut, nichts tröstet einem mehr. Und dabei denkt man immer: man wird's mit seinem Sorgen ausrichten; denkt aber nicht daran, was das Wort Gottes sagt, wenn es heißt: es ist umsonst, das ihr wachet und früh aufstehet und esset euer Brot mit Sorgen, - und dass nur an dem Segen Gottes Alles liege. Oder dort bricht eine Krankheit herein. So lange es leidlich geht, hofft man noch immer auf die gute Natur, auf die unfehlbare Wirkung der Arznei. Nun wird es aber von Tage zu Tage schlimmer, da will man sich noch überreden, es sei noch gar nicht so schlimm; da muss einem noch jeder sagen, es wird schon besser werden; da starret man denn auf die Arzneiflasche, als auf einen Gott, und siehe, dieser Gott will nicht helfen; da heißt es denn vielleicht erst: betet für mich, lasst für mich beten! indes das eigene Herz von Furcht und Grauen dessen, was da kommen soll, gefoltert wird. Seht, so wenig, so gar nichts traut das Menschenherz aus sich selbst seinem Gotte und Schöpfer zu.

Ach seht, wohin Ihr wollt, im Leiblichen, meine Freunde; geht sie einmal durch die täglichen Vorkommenheiten und Verlegenheiten des Lebens; seht doch einmal recht genau zu, was es ist, wonach Ihr bei jeder Vorkommenheit zuerst greift, und was Ihr bei jeder Verlegenheit zuerst sucht; was es ist, worauf Ihr in guten Tagen baut; was es ist, woran Ihr in schlimmen Tagen verzagt, und wahrlich, wahrlich, Ihr werdet bei Euch selbst die Wahrheit des Wortes fühlen: es ist das Menschenherz ein trotzig und verzagtes Ding, es ist kein Vertrauen zu seinem Herrn und Gott in ihm, zu dem Gott, der es doch so gut mit uns meint, der das Gras auf dem Felde kleidet, dem Vogel sein Futter gibt, von dem alle Haare unseres Hauptes gezählt sind.

Und ist es so im Leiblichen mit uns bestellt, wie wird es im Geistigen aussehen? Kann der, welcher dem Herrn seinen Leib nicht einmal anvertraut, kann der, welcher seinem Gotte nicht einmal die Sorgen der Nahrung und Kleidung befiehlt, kann der Ihm seine Seele anvertrauen? Kann er den Geist in seine Hände befehlen? kann er den Herrn zutrauen, dass Er Ihm Gnade, Leben, Seligkeit geben will und geben wird? Nein, das ist eine Lüge, das ist ein Widerspruch. Auch hierin findet sich nur Trotziges und Verzagtes in dem Menschenherzen, Trotziges, indem man von dem Ernste und Zorne Gottes über die Sünde nichts wissen will. Man widerstrebt dem Rufe zur Buße; man will von einem Armensündersinne nichts wissen; man ärgert sich an der Barmherzigkeit, die Gott einem anbieten lässt: man braucht sie nicht. Man hat seine eigene Tugend und Verdienste und rechnet auf das Flickwerk der eigenen Gerechtigkeit. Man widersteht Gott. Oder das Herz ist verzagt. Man kann sich das Erbarmen Gottes nicht aneignen; man kann kein Kindesherz zu Ihm fassen. Allen anderen kann Gott wohl gnädig sein, aber mir nicht; und hätte ich das nur nicht getan, dann könnte ich noch auf Gottes Güte hoffen; und wenn ich nur erst besser und würdiger wäre, dann könnte ich mich Gott nahen; aber so kann Er mich ja nicht erhören. So seufzt das verzagte Menschenherz und trotzt bei seiner Verzagtheit doch noch immer auf eigene Heiligkeit und Würdigkeit, und möchte dem Herrn doch immer noch was Selbstgemachtes bringen, indes der Herr nur das Herz begehrt. Geht doch einmal in euer Inneres, meine Lieben, fasst sie doch einmal recht genau ins Auge Eure geistigen Zustände, Eure täglichen inneren Erfahrungen, Eure Kämpfe, Eure Zweifel, und Anfechtungen, und wahrlich, wahrlich, Ihr werdet mit den Propheten von Euch selbst bekennen müssen: es ist das Herz ein trotzig und verzagtes Ding, wer mag es ergründen?

Seht, in diesen Trotz und in diese Verzagtheit, in dieses Widerstreben und Misstrauen gegen Ihn, den guten Gott, gegen Ihn, dessen Herz doch so ganz ohne Falsch ist, darin hat die Sünde uns gebracht. Das war des Seelenfeindes, des Lügenvaters Werk, dass er den Kindessinn aus dem Herzen des Menschen riss, dass er das Vertrauen, das in des Menschen Brust wohnte, wegwandte von seinem Herrn und Gotte und es hinwandte auf die Kreatur, auf sich selbst, auf ein Nichts. Das ist der Sünde Fluch, dass der Sünder kein Kindesherz zu Gott fassen und sich bewahren, dass er Ihm, dem ewig Guten, nichts Gutes zutrauen kann. Zu allem Anderen fasst er eher ein Vertrauen als zu seinem Gotte; zu allem Anderen flieht er eher als zu Ihm; allem Anderen traut er mehr und Besseres zu als Ihm, dem Gnädigen und Freundlichen. Ach, das ist ein schwerer Fluch der Sünde: dass das abgefallene Menschenherz aus sich selbst nichts anders sein kann, als trotzig und verzagt, so dass es niemand zu ergründen vermag, wie weit dieser Trotz und die Verwegenheit geht, wie tief das Misstrauen gegen Gott in uns wurzelt.

Fühlt Ihr die Schwere dieses Fluches, meine Freunde, beim Eingehen in das eigene Herz? Fühlt Ihr, welch' eine Versündigung dieses tägliche Trotzig- und Verzagtsein gegen den Herrn unseren Gott ist? Fühlt Ihr die Unruhe, die Angst, die Qual, die täglich daraus kommt, dass wir Gott, dem Herrn, nicht über alle Dinge, dass wir nicht Ihm allein vertrauen, dass wir nicht bei Ihm allein Alles suchen, auf Ihn allein nur sehen, auf Ihn allein nur hoffen, an Ihm allein genug haben und in Ihm ruhen? Fühlt Ihr das, wahrlich, dann müsst Ihr Euch auch sehnsüchtig umsehen, dann müsst Ihr mit heißem, innigem Verlangen fragen: wie kommen wir los von diesem Fluche der Sünde? wie werden wir frei von dieser täglichen Unruhe und Qual? wie kommen wir heraus aus diesem trotzigen und verzagten Wesen unseres Herzens? wie kommen wir zum Kindessinn, zum Vertrauen auf den lebendigen Gott?

III.

Diese Fragen will ich Euch heute kürzlich noch im dritten Punkte unserer Betrachtung beantworten. So viel werdet Ihr wohl schon heraus haben, dass wir bei Beantwortung dieser Fragen aus dem Gesetze nichts werden brauchen können; denn das sagt nur du sollst, das decket uns nur unsere Sünde auf. Wenn jemand zu Euch sagen würde, du sollst mir vertrauen, ohne dass Ihr sein innerstes Herz kenntet, ohne dass Ihr irgendeine herzliche Neigung zu Ihm hättet, ja es wäre vielleicht etwas Feindliches gegen ihn in Euch, Ihr würdet sagen: ich kann ihm nicht vertrauen. Nicht wahr? Nun eben um dieses Können, um dieses innerste Wollen, um diese herzinnige Zuneigung zu Gott, darum handelt es sich ja eben.

Das müssen wir aber Alles da suchen, wo nicht der tötende Buchstabe, sondern der lebendig machende Geist waltet, ich meine: im Evangelium. Ach, wie viel hat Christus zu uns Sündern reden, wie viel hat Er an uns zu tun, wie sauer hat Er es sich werden lassen müssen, nur um die natürliche Feindschaft des Menschenherzens gegen Gott einigermaßen zu dämpfen, nur um das Trotzen der Sünder gegen Ihn einigermaßen zu besänftigen. Welche Arbeit und Mühe, welche Taten und Wunder kostete es, um auch nur auf einen Tag die Verzagtheit und das Misstrauen gegen Gott bei den Menschen in Vertrauen umzuwenden! Welcher Verheißungen, welcher Tröstungen, welcher Begnadigungen und Erbarmungen bedurfte es, um auch nur einigermaßen die finsteren, satanischen Gedanken, mit denen der Mensch seinem Herrn und Gott nichts Gutes zutraute, in Kindesgedanken, in herzliche Zuneigung und Vertrauen zu verwandeln! Davon, meine Freunde, könnt Ihr vom Anfange bis zum Ende der Schrift lesen. Und doch, obgleich Gott manchmal und auf mancherlei Weise zu den Vätern geredet, obgleich Er täglich von seinem Herzen ohne Falsch Zeugnis gegeben, was wäre es gewesen, wenn Er nicht zuletzt durch den Sohn zu uns geredet hätte? Ja, in dem Sohne, da hat Er sein ganzes, gnädiges und gutes Vaterherz gegen uns ausgeschüttet, da hat Er seine ganze unaussprechliche Liebe zu uns armen Sündern offenbart, da hat Er geredet und getan, was noch kein Auge gesehen, was noch kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen. Da, in dem Sohne, da müssen wir eine herzliche Zuneigung zu Gott fassen, da muss es schwinden das Trotzige und Verzagte aus unserem Herzen, da müssen wir Gott vertrauen lernen über alle Dinge, oder wir lernen es nirgends und nimmer.

Seht Ihn, den wahrhaftigen Gott und wahrhaftigen Menschen. Da steht Er umgeben von Tausenden; sie haben kein Brot; das jammert Ihn, das bricht Ihm sein Herz; Er gibt ihnen Brot, Er sättigt sie, Er gibt ihnen mehr als sie brauchen. Willst du nun dem Herrn deinem Gotte nicht vertrauen, du von Sorgen gedrückte Seele? Fliehe doch zu Christo! Sein Sorgen und Geben, das ist ja Gottes Sorgen und Geben. So jammert es Ihn ja noch täglich um deine Not. Glaubst du, dass Er den verhungern lassen wird, der Ihm nachfolgt, der bei Ihm ist? Oder seht Ihn dort, wie ganze Scharen von Kranken Ihm nachrufen, Er heilt sie; und was noch mehr ist: Er macht sie gesund an ihrer Seele, Er vergibt ihnen ihre Sünden. Das ist ja Gottes Sinn über Dich, wenn Du krank bist. Willst Du Ihm nicht vertrauen über alle Dinge? Oder seht Ihn dort bei Sturm und Wellen, wie Er die Kleingläubigen hält und tröstet, wie Er Wind und Meer bedräut. Das ist ja Gottes Sinn über Dich in jeder Gefahr, in jeder Angst und Trübsal Deines Lebens. Willst Du Dich nicht von Ihm halten und trösten lassen? Oder seht Ihn da wiederum, wie eine Schar von Müttern ihre Kinder zu Ihm bringt, wie er sie segnet, wie er den Jüngern zuruft: Wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich! Siehe, das ist ja Gottes Sinn über Deine Kinder, und Du grämst und ängstigst und quälst Dich um sie und willst sie nicht ganz in seine treuen, segnenden Hände geben? Und Du wiederum stehst an dem Sarge der Deinen und weinst. Hörst Du nicht das Wort: Was weinst Du? Sie lebt! Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird den Tod nicht sehen ewig. Das ist ja Gottes Wort, Gottes Stimme, das ruft Er ja Dir zu. Willst Du an dem Grabe der Deinen nicht ein Herz zu Ihm fassen? willst Du noch Raum geben der Traurigkeit der Welt, die ja nur den Tod wirkt?

Oder seht den Heiland dort in des Pharisäers Haus; da kommt eine reuige, geängstete Sünderin zu Ihm und weint. Da spricht Er: Gehe hin in Frieden, dein Glaube hat dir geholfen, deine Sünden sind dir vergeben. Und zu jener, über welche die Steine schon aufgehoben: Hat dich niemand verdammt, so verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr. Siehe, das ist Deines Gottes Sinn über Dich, wenn Du geängstigt und zerschlagenen Herzens sein Angesicht suchst. Wirst du nun noch mit Kain sprechen: Meine Sünde ist viel größer, denn dass sie mir vergeben werden könnte!? Oder Du zweifelst an Gottes Erbarmen, weil Du so oft dasselbe nicht recht gebraucht hast, so oft untreu gewesen bist. Du seufzt: ach, wie wird es mir im Tode ergehen! wird Gott mir da auch gnädig sein? höre doch, wie Jesus über das verstockte Jerusalem weint, wie Ihm sein Herz bricht bei den Worten: Jerusalem! Jerusalem, wenn du bedächtest, was zu deinem Frieden dient! und wie Er dem Missetäter in der Todesstunde zuruft: Wahrlich, heute noch sollst Du mit mir im Paradiese sein! Das sind ja Gottes Friedensgedanken über Dich in jedem Augenblicke und auch noch in der Todesstunde.

Aber Du kannst noch kein rechtes Herz zu Ihm fassen, Du seufzt über Deine Schuld, alles Widerwärtige erscheint Dir nur als Strafe aus Gottes Hand. Du seufzt: wer nimmt die Schuld und Strafe meiner Sünden von mir? wer erseht mir mein ganzes verlorenes Leben? wer gibt mir die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt? wer macht, dass Gott ein Wohlgefallen an mir hat? Denn ohne dies kann ich mir ja nichts Gutes von Ihm versehen. Seele, die du darnach fragest und suchst, die ernsten Wochen, denen wir nun entgegengehen, werden es dich lehren. O siehe da mit rechtem Glaubensauge auf den verspotteten und gegeißelten Jesum, siehe da mit suchenden und verlangenden Blicken auf Ihn, den Gekreuzigten und dann auf den Auferstandenen. Da werden dir Worte des Lebens in das Herz kommen, da werden Kräfte der zukünftigen Welt in dein Innerstes strömen, da wird Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste dich umschweben. Denn siehe, das Alles, was du da sehen und hören wirst, das tut dein Herr und Gott für dich, das tat Er, um dich zu erretten vom ewigen Verderben, um dich als sein erlöstes und begnadigtes Kind an sein Herz und einst in seinen Himmel zu nehmen.

O lernt da, meine Lieben, ein Herz zu Eurem Gott und Heilande fassen; lernt doch da, heraus zu kommen aus dem trotzigen und verzagten Wesen Eures Herzens. An Christo, der gekreuzigten und auferstandenen Liebe, lernt Gott vertrauen über alle Dinge. Sagt da nicht: wir können nicht! Denn da ist ja Alles, Alles, was Ihr braucht: Lust, Geist, Kraft, Stärke, Wollen und Vollbringen. Kommt nur und nehmt! So nehmt denn, meine Geliebten, heute noch aus der Fülle Christi Gnade um Gnade. Und jedes Mal, wenn Ihr von seinem Herzen ohne Falsch hört, jedes Mal, wenn Ihr das Evangelium aufschlagt und von seinem Erbarmen über die Menschenkinder lest, dann denkt daran: das ist Gottes Sinn, das ist Gottes Herz, das ist Gottes Tun an mir und Dir und an allen Sündern.

Ob Ihr dann nicht ein Herz zu Eurem Herrn und Gotte fassen werdet? ob Ihr Ihm dann nicht Alles sagen, Alles klagen, Alles entdecken werdet? ob Ihr dann nicht alle Tage und in jeder Lage Eures Lebens Ihn zuerst suchen, auf Ihn allein hoffen, ob Ihr nicht täglich Leib und Seele in Seine Hände befehlen werdet? ob Ihr dann nicht dahin kommen werdet, zu sagen: nein, ich kann ohne Ihn nicht sein, ich mag nicht leben ohne Ihn, ich will auf nichts bauen, als nur auf Ihn!? - seht, das hieße dann: Gott über alle Dinge, Gott allein vertrauen. Versucht es einmal; es ist nicht schwer. Ich vermag Alles, sagt Paulus, durch den, der mich mächtig macht, Christus. Das könnt Ihr auch durch Christum; ohne Ihn aber nichts.

Nun, der Herr gebe Euch zu solchem Wollen und Vermögen selbst seinen Segen Ja, Er pflanze Euch das Vertrauen zu seinem ewig treuen Vaterherzen selbst in Eure Seelen durch Jesum Christum, seinen lieben Sohn. Amen.

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