Huhn, August Ferdinand - Predigten über die Heiligen Zehn Gebote - Zweite Predigt über den Beschluss der zehn Gebote.
Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorne, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unseren Herrn Jesum Christum. Darum, versammelte Christen, lasst uns heute, wo wir die Katechismus-Betrachtungen für dies Jahr beschließen, aus dem Beschlusse der zehn Gebote auch den zweiten Teil desselben, nämlich die göttliche Verheißung, vor uns nehmen. Hört die Worte des Herrn:
2 Mos. 20, 5 und 6.
Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der über die, so mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht an den Kindern, bis ins dritte und vierte Glied; aber denen, so mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied.
Luthers Erklärung:
Gott droht zu strafen Alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorne und nicht wider solche Gebote tun. Er verheißt aber Gnade und alles Gute Allen, die solche Gebote halten; darum sollen wir ihn auch lieben und vertrauen, und gerne tun nach seinen Geboten. Denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied.
Verheißung, Lohn, Segen, Leben, Gnade und alles Gute wird uns in diesen Worten vorgelegt. Ach! und wer von uns möchte das nicht haben? Aber wie dazu gelangen? Wie zu der Gewissheit kommen: mir gilt die Verheißung: Gott liebt, Gott segnet mich? Wie der Gnade Gottes froh werden?
Seht, dazu müssen wir den Herrn, unseren Gott, in seiner Verheißung erst etwas näher kennen lernen; wir müssen zusehen, dass Er uns sein Herz, seinen Sinn und seine Gedanken bei dieser seiner Verheißung zeige. Ja, den Herrn unseren Gott, wie Er so stark und eifrig, so unüberwindlich in seiner Liebe ist, den müssen wir erkennen, wenn wir der Verheißung froh werden wollen.
Von dem Liebeseifer des Herrn unseres Gottes möchte ich darum in dieser Stunde Etwas zu Euch reden. Lasst uns daher sehen:
I. wer auf denselben eigentlich nur Anspruch machen darf?
II. um wen die Liebe unseres Gottes aber in der Tat eifert? und
III. woran wir diesen seinen tatsächlichen Liebeseifer erkennen?
I.
Wer kann also auf den Liebeseifer Gottes und auf seine Verheißung eigentlich nur Anspruch machen?
Über die Antwort auf diese Frage brauchen wir nicht lange nachzudenken. Erinnern wir uns nur daran, wie wir es mit unseren eigenen Kindern machen. Versprechen wir ihnen etwas Angenehmes und Schönes für ihre Unarten? Lieben und belohnen wir sie für ihren Ungehorsam? Nicht wahr, so werdet Ihr es nicht machen, sondern gerade umgekehrt. Und Euer Herz wird in dem Augenblicke, wo Eure Kinder recht böse und ungehorsam sind, gewiss kein angenehmes, wohlwollendes, seliges Gefühl haben, wird sich nicht in Loben und Segnen und Belohnen ergießen. Nein, umgekehrt; Ihr werdet von Grund Eures Herzens zürnen, Ihr werdet strafen, Ihr werdet das Versprochene dem ungehorsamen Kinde nicht geben. So machen wir es mit unseren Kindern. Dürfen wir nun von Gott verlangen, dass Er es mit uns anders machen soll? Oder findet Ihr es nicht ganz angemessen, ganz mit dem innersten Rechts- und Wahrheitsgefühle in Eurem Herzen übereinstimmend, wenn Er sagt: Denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied? Träte z. B. Euer Kind, eben nachdem es den schnödesten Ungehorsam bewiesen, vor Euch hin und sagte: Du hast mir das und das versprochen, gib es mir nun, würdet, könntet, dürftet Ihr es tun? Nein, wenn anders nur ein Rechts- und Wahrheitsgefühl in Eurem Kinde ist, und es Euch nicht als schwache, ungerechte Eltern kennt: Euer Kind wird es von selbst bleiben lassen, Euch so zu kommen; es wird schon fühlen, dass ihm das Versprochene nicht zukommt, dass es dasselbe nicht fordern darf. Haben wir nun an diesem Rechtsgefühle unserer Kinder etwas für uns gelernt? Hat es uns über unser Benehmen gegen den heiligen und lebendigen Gott zum Bewusstsein gebracht? Sagten wir uns, wenn wir unser Kind trotzig oder murrend, und dann wieder weinend und sich von uns zurückziehend sahen, sagten wir uns: ach, das bist Du selbst, so beträgst Du Dich täglich gegen Deinen himmlischen Vater? Mussten wir da dem Herrn nicht Recht geben, wenn Er Gnade und alles Gute nur denen verheißt, die Ihn lieben und gerne tun nach Seinen Geboten? Ach ja, wir mussten Ihm Recht geben mit Weinen. Wir müssen Ihm Recht geben mit Furcht und Angst und Schrecken. Oder was ist es denn, mein Christ, was Dich, wenn Du auf Deine Lage siehst, wenn Du an die Zukunft denkst, wenn die Sorgen der Nahrung und Kleidung Dich überfallen, was ist es, dass Du so verzagest, dass Du gar kein Herz zu Gott fassen kannst, dass Du Dich gebärdest, als gebe es gar keinen Gott? Du hast es Dir vielleicht noch nicht gesagt. Aber siehe einmal zu: ist es nicht dies, dass Du Dir selber sagen musst, ach, wenn ich mein Leben lang nur fromm gewesen wäre, wenn ich mein Leben lang nur auf Gottes Wegen gewandelt und seine Gebote gehalten hätte, dann wollte ich schon nicht verzagen, dann wollte ich auf die Verheißungen meines Herrn schon bauen, dann würde Er mich schon nicht verlassen. Aber so weiß ich ja nicht, ob Er mich liebt, ob Er noch ein Erbarmen mit mir hat. Ach, er kann mich gar nicht lieben, ich bin ja seiner Liebe so ganz unwert. Darum kann ich auch gar nicht beten, kann kein Vertrauen und keine Hoffnung zu Ihm fassen. Dein Zustand, liebe Seele, ist bejammernswert. Und Du, mein Christ, der Du merkst, dass im Deinem Berufe und Hause Alles rückwärtsgeht, dass in Allem, was Du unternimmst, der Segen fehlt; der Du auf das Häuflein Deiner Kinder bekümmert siehst und nicht weißt, was aus ihnen werden soll: was ist das, was Dich nicht alle Sorge auf Deinen Herrn und Gott werfen lässt? Was ist es, das Dich hierhin und dorthin treibt, dass Du bald dies, bald das ergreifst, und doch keinen Fortgang, keinen Segen siehst? Ist es nicht dies, dass Dich Dein Herz verdammt? Ist es nicht dies, dass Du Dein Leben zugebracht hast, ohne an das Wort des Herrn zu denken, wo Er sagt: Gedenke an Deinen Schöpfer in Deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen und die Jahre herzutreten, wo Du wirst sagen, sie gefallen mir nicht? Du kannst jetzt an Deinen Gott und Schöpfer nicht mehr von Herzen gedenken, weil Du nicht glauben kannst, dass Er an dich im Guten gedenkt. Du kannst dem Herrn nicht mehr vertrauen, weil Du nicht glauben kannst, dass Er Dich lieb hat. Ach, das ist wohl die größte Not und das größte Elend. Und Du, Du klagst: ich bete, ja ich schreie zu Gott, aber ich sehe keine Frucht meines Gebetes; meine Sünde mehrt sich von Tage zu Tage; ich bleibe elend, wie ich war; Gottes Verheißungen können darum mir nicht gelten; sein Segen und Wohltun, ich habe es nicht verdient, darum kommt es mir auch nicht zu Gute. Nun fühle ich erst, wie ich mein Leben lang verscherzt habe, was seine Liebe und Güte mir zugedacht.
Ja, meine Lieben, wer wir auch sind, das müssen wir wohl Alle fühlen. Wir brauchen nur die zehn Gebote vorzunehmen, in diesem Spiegel unser Herz und unser Leben anzusehen. Wenn wir bei solchem Sehen in uns selbst an die Zukunft denken; wenn wir so auf unser Amt und Haus und unsere Kinder sehen, und dann eine Sünde nach der andern uns vor die Seele kommt, wie wir uns täglich gegen Gott, gegen uns selbst, gegen Amt und Beruf, gegen Pflicht und Treue, gegen Kinder und Dienstboten versündigt; wenn dann der Sünden mehr werden, als Haare auf unserem Haupte und wir unter ihrer Last erseufzen, - dann müssen wir wohl rufen: was soll daraus werden? Wo soll da der Segen herkommen? Was soll da aus Deinen Kindern werden? Ach, mit welchen Augen muss der heilige, gerechte Gott auf Dich sehen?! Kann Er Dich lieben? Bist Du nicht vor Ihm ein Gräuel? Bist Du noch wert, dass Du sein Kind heißt?
Somit wäre also die teure, überschwängliche Verheißung unseres Herrn und Gottes verscherzt. Somit hätten wir keinen Anspruch auf Gottes Segen für uns und unsere Kinder. Denn wer von uns kann sagen: ich habe den Herrn, meinen Gott, geliebt und seine Gebote gehalten? Somit wäre also Alles, was wir dächten. und vorhätten und täten, für uns und die Unsrigen, ohne Segen, ohne Frucht, verloren, vergebens? So wäre selbst der größte Überfluss nur zum Gerichte und zur Verdammnis da; wir häuften mit jeder Stunde mit jedem Essen und Trinken uns nur den Fluch und den Zorn Gottes auf den Tag des Gerichtes? Ja, so wäre es, unwiderruflich wäre es so (denn so steht es im Worte Gottes, so steht es in unseren Herzen geschrieben), es wäre so, wenn es sich mit der Gnade ebenso verhielte, wie mit der Sünde. Verdammt wären wir in Ewigkeit, wenn Gott nicht größer wäre, als dieses unser Herz, das uns verdammt. Verflucht wären wir, wenn Gottes Liebe nicht stärker wäre, als der Tod, und fester, als die Hölle; verloren in Ewigkeit, wenn unser Gott nicht wäre ein starker, eifriger Gott! Aber der Herr unser Gott ist ein starker, eifriger Gott nicht allein in seinem Zorne, wo Er die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied; Er ist o dass ich tausend Zungen hätte und einen tausendfachen Mund, um es auszusprechen! - Er ist ein starker, eifriger Gott in seiner Liebe, darin Er wohltut bis ins tausendste Glied. Kann auch die Mutter vergessen des Säuglings, dass sie sich nicht über den Sohn ihres Leibes erbarme; vergäße sie sein, ich will dein nicht vergessen. Und wenn du bis an der Himmel Ende verstoßen wärst, so wird dich doch der Herr, dein Gott, von dannen sammeln und dich von dannen holen, spricht der Herr. Und wenn Eure Sünde gleich blutrot ist, so soll sie doch schneeweiß werden.
II.
Ja für Euch, Ihr Seelen, für die,
Die unter ihrer Last der Sünden
Kein Mensch, kein Engel trösten kann,
Die nirgends Ruh' und Rettung finden,
Den'n selbst die weite Welt zu klein,
Die sich und Gott ein Gräuel sein,
Den'n Moses schon den Stab gebrochen,
Und sie der Hölle zugesprochen,
für Euch, für Euch brennt Gottes Vaterherz. Glaubt Ihr es, um Euch eifert seine Liebe?!
Das ist sein Ruhm, den Er keinem anderen, seine Ehre, die Er keinem Götzen geben will! Ja, das zerstoßene Rohr nicht zerknicken und den glimmenden Tocht nicht auslöschen, suchen und selig machen, was verloren ist, gesund machen, was todkrank daliegt, segnen, die Ihm fluchen, wohltun denen, die Ihn beleidigen und verfolgen, ewigen Segen erwerben bis ins tausendste Glied denen, die verflucht waren bis ins dritte und vierte Glied, und das Alles mit Gericht und Gerechtigkeit, das Alles nicht auf Kosten seiner Heiligkeit, das ist der Eifer unseres Gottes. Arme, elende Sünder, mich und Dich und uns Alle, lieben mit unaussprechlicher Liebe; um uns arme Sünder und um unsere Liebe und unser Vertrauen eifern mit einem Eifer, als gälte es einer Braut, die eine Königskrone hat; um uns arme, elende Sünder arbeiten, um uns zu dienen, als wären Königreiche zum Lohne ausgeboten, das ist die Stärke des Herrn, unseres Gottes. Das ist es also auch, wenn es heißt: Ich, der Herr dein Gott, ich bin ein starker, eifriger Gott!
Ich weiß wohl, dass Manchem unter uns die allerteuerste Wahrheit, die ich eben ausgesprochen, ein Rätsel, ein Gleichnis, ein versiegeltes Geheimnis sein wird. Ich weiß wohl, dass Mancher gern in die Liebe Gottes und in seine Verheißung sich eingeschlossen sähe, ja wohl auch dafür hält, Gott liebe ihn, Gott segne ihn, und werde ihn und die Seinen noch ferner segnen; aber unter die armen, elenden Sünder will er sich noch nicht rechnen, dagegen sträubt sich noch sein Herz, er kommt sich dazu noch zu gut vor, er meint, Gott müsse ihm ja doch weit eher wegen seiner guten Seiten gnädig sein; die Sünderliebe Gottes ist ihm noch eine Torheit, ein Ärgernis. O ich bitte Euch, ärgert Euch nicht daran. Es gilt Eure Seligkeit. Lasst Euch auch in diesem Sinne mit Gott versöhnen! Es sind nun einmal Seine Gedanken nicht Eure Gedanken, und Seine Liebe nicht wie Eure Liebe, Sein Eifer nicht wie Euer Eifer und Seine Stärke nicht wie Eure Stärke. Wäre das so, wäre Gott nicht größer als Euer Herz, dann wäret Ihr verloren. so lasst Ihn doch größer sein und werdet Ihr kleiner; lasst Ihn den Starken sein und werdet Ihr schwach in Euch selbst. Lasst Ihn den ewig Reichen, Herrlichen, Gerechten sein, und werdet Ihr arm und elend in Euch selbst. Mit Einem Worte: lasst, o lasst Euch doch lieben von dem Herrn, Eurem Gott, Ach, wie gern ließe ich das! sprichst du, ängstliche, verzagte und zweifelnde Seele. Wie gerne rechne ich mich unter die Armen und Elenden; wie bereitwillig stelle ich mich zu den größten Sündern, denn ich fühle es, ich bin es vor dem heiligen Gott und seinem Gesetze. Aber die Liebesgedanken meines Herrn und Gottes sind mir so unbegreiflich, die Stärke seiner Sünderliebe scheint mir so unglaublich. Ich kann mein eigenes Herz nicht überwältigen. Ich möchte es so gern glauben, möchte so gern der Liebe meines Gottes zu mir froh werden. Aber ich kann nicht. Wer bürgt mir für die Wahrheit? Wer zeigt mir, dass es wirklich so ist? Woran erkenne und sehe ich, dass Er mich nicht verwerfen, dass Er mich selig machen will? Wie weiß ich, ob Alles, was mich trifft, Fluch oder Segen, Zorn oder Liebe ist?
Aus dir selbst, liebe Seele, aus dir selbst wirst und kannst du das nie sehen und erkennen und glauben. Ja, es ist richtig, unser armes, trotziges und verzagtes Herz, es muss etwas haben, woran es sehen und erkennen und glauben kann, dass der Herr, unser Gott, ein starker, eifriger Gott ist in seiner Liebe zu uns Sündern. Wir müssen etwas haben, das größer ist, als unser Herz. Und das lasst uns nun im letzten Teile unserer Betrachtung uns vorhalten.
III.
Was tatest Du, Vater oder Mutter, für das Kind Deines Herzens, oder Du Gattin für den Gatten, Du Schwester oder Bruder für den Bruder, Du Freund für den Freund, was tatet Ihr, wenn Ihr das Geliebte auf bösem Wege tief gesunken, eine Schande vor Gott und Menschen saht? Liebtet Ihr es, dann suchtet Ihr, dann ermahnt, warntet, batet Ihr, ja Ihr beschwort mit Tränen, Ihr verleugnetet Euch selbst, Ihr machtet gut bei den Menschen, was jene verschuldet; dann erschien Eure Liebe.
Nun, was meint Ihr, die Ihr arg seid und könnt den Eurigen doch solche gute Gaben geben: wird der Herr, Euer Gott, nicht vielmehr es so machen mit den Geschöpfen und Kindern seines Herzens, wenn sie verirrt und verloren dahingehen? Sagt Er nicht selbst: Täglich recke ich meine Hände aus nach einem halsstarrigen Volle!? Bittet er nicht: Kehre wieder, du abtrünniges Israel!? Ist Euch die suchende, arbeitende, selbstverleugnende Mutterliebe Gottes an seinen Menschenkindern nicht erschienen im ganzen Alten Bunde, an Israel, seinem Erstgeborenen? Ist Euch da nicht schon seine Alles überwindende Geduld und Langmut zum Bewusstsein gekommen? Ruft Euch da nicht schon in jedem Zuge, in jedem Worte die Stimme unseres Gottes entgegen: Ach, ich will nicht verfluchen, ich möchte nur lieben, ich möchte nur segnen, ich möchte Euch glücklich, selig sehen bis ins tausendste Glied!?
Aber wehe! wenn Ihr mit all' Eurem Bitten und Ermahnen und Beschwören bei den Euren nichts ausrichtetet? wenn das Alles nichts half? wenn Ihr hofftet und weintet, aber es war keine Umkehr, keine Besserung da, es wurde ärger? Da sankt Ihr zusammen, da seufztet Ihr: Ach, ich möchte lieben, aber ich kann nicht; mein Innerstes empört sich, wenn ich daran denke, wie er alle meine Liebe mit Füßen getreten; ich kann es nicht mehr ertragen; er macht mir vor allen Menschen Schande; ich muss ihn aufgeben, muss ihn seinem Schicksale überlassen.
So seufzt vielleicht noch heute manches Eltern- und Schwester- und Freundes-Herz. Nun, der Herr unser Gott, hat um seine Menschenkinder mehr geseufzt. Aber wehe! es half dies Arbeiten und Lieben und Seufzen Gottes um seine abgefallenen Menschen, es half ihnen nicht, denn sie wollten sich nicht helfen lassen. Wenige, sehr Wenige nur waren es, die sich mit Gott versöhnen ließen. Ach, und auch diese Wenigen mussten täglich gegen sich selber seufzen, weil Gott täglich auch noch über sie seufzen musste. Ja, der starke, eifrige Gott wollte sie lieben, die Welt, er wollte sie segnen, aber er konnte nicht. Bedenkt, was das heißt: Er konnte nicht lieben. Denn sie waren allesamt abgewichen; da war Keiner, der Gutes tat, auch nicht Einer. Keine Seele auf Erden zu haben, die seiner Liebe würdig war, keine Seele zu haben, die Ihm sich ganz vertraute, keine Seele in der ganzen weiten Welt, die ihn liebte aus allen Kräften, - das brach ihm sein Herz. Lieben wollen und nicht lieben können, wahrlich, das muss auch das stärkste Herz brechen! Aber sank Er zusammen mit seinem gebrochenen Vaterherzen? Gab er auf seine Liebe? Nein, nein! der Herr, unser Gott, ist ein starker, eifriger Gott, stark auch mit gebrochenem Herzen. Darin steht die Liebe, nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern, dass Er uns geliebt hat.
Er sprach zu seinem lieben Sohne:
Nun ist's Zeit zu erbarmen;
Fahr hin meines Herzens werte Kron'
Und sei das Heil der Armen,
Hilf ihnen aus der Sündennot,
Erwürg für sie den bittern Tod,
Und lass sie mit Dir leben.
Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gab. Ja Ihn, den Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, Ihn, den wahrhaftigen Gott vom wahrhaftigen Gott, an dem sein ganzes Herz hing, auf den seine ganze Liebe von Ewigkeit her ging und der allein von. Ewigkeit her Ihn wieder liebte, der allein seine Liebesgedanken verstand und sein ganzes Herz von Ewigkeit kannte, Ihn, durch den im Anfange Alles geschaffen, durch den Gott sichtbar und unsichtbar im ganzen Alten Bunde schon seine Liebesgedanken offenbart, Ihn sandte Gott auf Erden, Ihn, den Unerschaffenen, ließ Er ein Geschöpf, ein armes Menschenkind werden, Ihn, den Gesegneten, gab Er der fluchwürdigen Erde und ihren Sündern hin.
Ach, der wahrhaftige, lebendige Gott gab sich in Jesu uns selbst hin! Der Herr, unser Gott, unser Schöpfer, wurde in Jesu ein Mensch, nur, um auf der ganzen, weiten Erde einen Menschen zu haben, der Ihn liebte, Ihm vertraute, der gerne tat nach seinen Geboten; nur, um einen Menschen zu haben, den er lieben, den Er segnen konnte bis ins tausendste Glied. Wahrlich, der Herr, unser Gott, ist ein starker, eifriger Gott!
Jesus also, Jesus allein hat die Verheißung errungen. Jesus allein ist der Liebe und des Segens Gottes wert. Das wisst Ihr, das glaubt Ihr. Aber was ist uns damit geholfen? Oder hat Jemand unter uns schon, gleich Jesu, sich zum würdigen Gegenstande der Liebe Gottes empor gearbeitet? Hoffet Jemand noch, gleich Jesu, aus sich selbst die Verheißung und den Segen zu erwerben? Ist Jemand unter uns ohne Sünde? Nun dann brauchte Er freilich Jesum und die Sünderliebe Gottes gar nicht.
Nein, Christen, lasst uns zurückgehen ins Wort der Verheißung. Wie heißt es da? „Denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied.“ Wer Gott geliebt, wer seine Gebote gehalten, das wissen wir. Aber wer sind denn denen von diesen die tausend Glieder, denen Gott wohltun, die Er lieben und segnen will? Bin ich es, bist Du es, seid Ihr es alle? Antwort: Also hat Gott die Welt (also auch mich und Dich und uns Alle) geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass Alle, (also Du und ich und wie viel wir sind, samt allen den Unserigen, wenn wir an Ihn glauben), nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Ja, dieselben armen, elenden Sünder, die Gott lieben will und nicht kann, dieselben, über die Er täglich seufzen muss und um die Ihm das Herz bricht, dieselben, die Ihn, den Herrn der Herrlichkeit, gekreuzigt, die sind die tausend und abertausend Glieder, die Gott liebt und segnet. Sie sind es; denn so sagt Paulus, Römer 5.: So an Eines Sünde Viele gestorben, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe Vielen reichlich wiederfahren durch die Gnade des einigen Menschen Jesu Christi. Und wie durch eines Menschen Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch Eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen. Und gleichwie durch Eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden viel Gerechte. So sagt Paulus. Und Du, mein Christ, Du fragest: Bin ich nun auch gerecht vor Gott? Gehört der Gehorsam Christi mir? Bin ich eins von dem tausendsten Gliede Christi? Ich frage Dich wieder: glaubest Du an den Herrn Jesum Christum? Ach ja, wenn das die Bedingung ist, den Segen Gottes zu erlangen und von Ihm geliebt zu werden, wie gern will ich glauben. Aber was soll ich denn nun eigentlich glauben? Die Heilige Schrift ist so groß, es gibt so viel von Jesu zu glauben und zu lernen. Lässt sich das nicht in Eins zusammen fassen? Ja wohl, mein Christ, lässt sich das in Eins zusammen fassen. Nur Eins tut Not! sagt Jesus selbst. Und ich sage Dir mit Ihm nichts weiter; gar nichts weiter brauchest Du zu lernen und zu glauben, als dass Dein Schöpfer und Heiland Dich hunderttausend Mal mehr geliebt hat und noch liebt, als Du es jemals unter den Menschenkindern gesehen hast, mehr, als Du bitten und verstehen kannst. Aber dieses zu glauben, ist nicht jedermanns Ding. Das muss man lernen. Siehe und darum lässt Er es Dir nicht allein sagen, Er zeigt es Dir, dass Du es glauben kannst, Er malet es Dir vor die Augen, so dass, wenn Du Deine Augen nicht absichtlich zuhältst, Du es alle Tage und Stunden sehen kannst und sehen musst. Du gingest gottlos, voller Sünde und Schande, dahin; Du wusstest nicht einmal, dass es so mit Dir aussah; Du wusstest nicht, welch' ein Gräuel Du vor Gott warst. Da kommt Er selbst, Dein Gott und Schöpfer, zu Dir; Er sucht Dich, Er fragt nach Dir, Er ladet Dich zu sich. Hätte Er sich nicht an Dich gehangen, Du wärest Ihn nimmer suchen gegangen. Du nicht; aber Er, Er schämt sich nicht Deines Elendes und Deiner Schande. Nein, er teilet sie mit Dir. Er schämt sich des Umganges mit Dir nicht. Er sagt nicht, was werden die Menschen und die heiligen Engel davon sagen, wenn ich mich zu solchen Leuten geselle? Er lässt sich um Deinetwillen beschimpfen und verhöhnen. Warum? Nur, um Dir die Ehre bei Gott zu erwerben. Er wird bettelarm, so arm, dass Er nicht einmal hat, wo Er sein Haupt hinlegen kann, dass Er nicht einmal ein Sterbekissen hat. - Du weißt es ja doch, dass Er sein Haupt an einem Schandpfahle neigen musste. Siehst Du, das hat Er getan, damit es Dir nicht am Brote und jedem leiblichen Segen fehle; das hat Er getan, um Dich Dein Leben lang und einst im Tode sanft zu betten. Denkt Ihr auch daran jedes Mal, wenn Ihr zu Tische geht, und jedes Mal, wenn Ihr schlafen geht? Ihr, die Ihr Geld und Gut habt und wohlleben könnt, denkt Ihr auch daran, was Euer Wohlleben und Euer sanfter Schlaf Eurem Gott und Schöpfer gekostet, wie sauer Er es sich um Euer Wohlsein hat werden lassen? Ich bitte Euch, geht doch einmal zu einem Reichen und sprecht zu Ihm: werde für mich ein Bettler. Gehet zu Vater, Mutter, Bruder, Schwester, zu allen Menschen in der Welt, und bittet sie: sie sollen sich drei und dreißig Jahre für Euch erniedrigen und um Euch arbeiten und dienen, sie sollen sich so lange für Euch verachten, verspotten und anspeien, geißeln und kreuzigen lassen. Wo in aller Welt werdet lassen. Ihr einen Menschen oder Engel finden, der solches für Euch täte? Siehe, das hat aber Dein Gott und Schöpfer für Dich getan; so, so hat Er Dich geliebt, und noch mehr. Die ganze Schande und Strafe, die Dich in Ewigkeit treffen sollte, hat Er auf sich genommen; alle Deine Sünden und Gräuel hat Er an sich strafen lassen; der ganze Zorn, der Dich treffen sollte, über sich hat Er ihn kommen lassen. Mit einem Worte: zum Fluche hat Er sich machen lassen, nur, um Dir leiblich und geistig, zeitlich und ewig, hier und dort Segen, Segen zu erwerben. Du dachtest vielleicht noch gar nicht daran, dass Du als fluchwürdiger Sünder Dir jedes Stück Brot zum Fluche und zum Gerichte aßt. Du weißt es vielleicht noch nicht, dass Du es Christo allein verdankest, dass Dir die Gaben der Erde, die um der Sünde willen verflucht ward, nun gesegnete Gaben sind, dass Du nun jedes Stück Brot Dir zum Segen und zur Seligkeit genießen kannst. Ja das ganze Leben Christi, vom ersten Hauche bis zum letzten, es ist ein Erwerben, ein Erarbeiten, ein Erkämpfen und Erringen und Erseufzen von Segen, von Segen für die Tausende und Abertausende seiner Glieder, also für Dich und mich und uns Alle gewesen. Von diesem teuer erworbenen Segen leben wir alle Tage und sollen einst in Ewigkeit leben. Heute und alle Tage steht unser Gott unser Heiland da und bietet uns diesen Segen an. Ach, und wir lassen Ihn stehen! Wir wenden uns in der Blindheit unseres Herzens zum Verfluchten! Er geht uns nach; wir sehen Ihn nicht. Er wirbt um unsere Liebe und Vertrauen; wir mögen Ihn nicht. Er ruft, Er bittet, Er ladet immer wieder und wieder; in diesem Augenblicke tut Er es. So liebt Jesus, unser Herr und Gott. Siehe, das verkündiget die ganze heilige Schrift. Glaubst Du das, mein Christ? Glaubst Du das von Herzen, dann hast Du die Verheißung, dann hast Du den Segen, dann bist Du ein geliebtes und gesegnetes Glied dessen, auf dem das ganze Wohlgefallen Gottes ruht.
Nun, meine Lieben, wenn Ihr das Alle von Herzen glaubtet, wenn diese Liebe Eures Gottes und Heilandes zu Euch in Eurem Herzen brennte, wenn Ihr die alle. Tage und Stunden in Euch bewegtet, sagt doch: könntet, müsstet Ihr Ihn da nicht wieder lieben? Oder könntet Ihr einem solchen Freunde, der es so gut mit Euch meint, Euer Vertrauen versagen? Verdient Er nicht unser ganzes Herz? Müssten nicht billig all' unsere Sinne und Gedanken und Kräfte auf Ihn gerichtet sein? Und wenn Er nun gebietet, müssten wir nicht gern, ach! von Herzen gern tun nach Seinen Geboten? Bedürfte es da des Drohens und Strafens, des Treibens und Zwingens, wo man mit Tränen fühlt, dass solche Liebe ihre Segensarme offen hält, und dass jedes Gebot, das sie gibt, nur Heil und Segen für uns ist? Aber wie ist es? ach! wie ist es?
Siehe, wenn Dein Vater oder Mutter, Gatte oder sonst eins von den Deinen um Deinetwillen sich hätte verachten und geißeln lassen und in den Tod gegangen wäre, ja, wenn Du auch nur fühltest, dass Du an seinem Leiden oder Sterben irgendwie schuld wärst, nicht wahr, morgens und abends, wo Du gehst und stehst, würde Dich der Gedanke daran begleiten, Du wüsstest es nicht, wie Du es gut machen solltest? Hätten die Verstorbenen um etwas gebeten, Du gäbest Dir alle Mühe, wie Du es erfüllen, wie Du ihr Wort halten könntest. Siehe, das kann die schwache Liebe einer Kreatur in Dir zu Stande bringen. Aber nun die Hand aufs Herz! Beweget Dich die unaussprechliche Liebe Deines Gottes und Heilandes so? Des morgens und abends, und wo Du gehst und stehst, trägst Du sein Marterbild in Deinem Herzen? Kannst Du vor Dank und Beugung und Scham über solche Liebe weinen? Denkest Du alle Tage daran: mein Gott, mein Gott! wie soll ich Dir vergelten, was Du an mir getan? Brennet Dir jedes Wort der gekreuzigten Liebe in Deiner Seele, es zu halten und zu tun und über Alles teuer zu achten? Ist es so? Ach nein, nein! Alles andere bewegt das Menschenherz eher; nur die Liebe seines Gottes und Schöpfers vergisst der Mensch, sie ist ihm ein leerer Schall, sie lässt ihn kalt. Alles andere dünkt ihm zur Zeit wichtiger, als dieses Eine, das allein Not tut. So tief, ach so tief ist das Geschöpf nach Gottes Bilde gesunken, dass die ewige Liebe, die sich zu Tode an ihm liebt, dass das Blut Jesu Christi sein Herz nicht einmal rührt. Wäre das nicht der Fall, wahrlich, wir hätten dann wohl über weniger Sünden, wir hätten über keine Feindschaft gegen Gott und seine Gebote zu klagen. Ach, brennte die Liebe Jesu in unseren Herzen, wie müssten wir unseren Gott dann wieder lieben und vertrauen und gern tun nach seinen Geboten. Und welch' ein Segen käme dann auf uns und unsere Kinder! Aber das ist es, wir können nicht. Wir können nicht aus eigener Vernunft und Kraft an Jesum Christum, unseren Herrn, glauben oder zu Ihm kommen. Wir können aus uns selbst Seine Liebe nicht festhalten, können Ihn aus uns selbst nicht wieder lieben und Ihm vertrauen und sein Wort halten. Ach, wir nehmen den Segen, den er uns täglich und stündlich anbietet, nicht einmal; wir kommen nicht, wir holen ihn nicht; wir gehen hin und leben, und sorgen und sündigen, als ob es gar keine Liebe gebe, die sich für uns zu Tode geliebt. So tief, so tief ist des Menschen Herz gesunken!
Wer das mit mir gefühlt, wer die Liebe Christi so gern in seinem Herzen festhielte und doch nicht kann; wer sich so gern nur von ihr dringen ließe und doch immer wieder von einer fremden Macht getrieben wird; wer so gern von Christo sich nur Segen holen möchte und doch täglich wieder selbst das Verderben erwählet; wer da sorgt und sich grämet und weint, weil er keinen Segen und keine Frucht sieht, - mit Einem Worte, wer als ganz armer, zerschlagener Sünder sich fühlt und doch so gern ein Glied an dem Leibe Christi, ein geliebtes und gesegnetes Kind Gottes sein möchte, - wer das fühlt und will: nun, der gehe zu Ihm, der das Alles allein geben kann. Gnade und nur Gnade ist es, wenn wir den Liebeseifer Gottes, unseres Heilandes, um uns glauben können. Gnade ist es, wenn wir sein Erbarmen in unseren Herzen behalten und ihn wieder lieben und vertrauen und sein Wort halten können. Es steht in keines Menschen Macht, den Segen zu erwerben. Darum müssen wir bitten, bitten, wie die lieben Kinder ihren lieben Vater bitten, und das alle Tage.
O so kommt denn, meine Geliebten, kommt zu unserem lieben Vater, kommt zu dem geliebten Sohne, unserem Erretter, unserem Einzigen, und lasst uns bitten! Amen.