Hollaz, David - Die gebahnte Pilgerstraße - Das erste Gnaden-Werk,

Hollaz, David - Die gebahnte Pilgerstraße - Das erste Gnaden-Werk,

das die gefallenen und irre gehenden Sünder an sich erfahren, und dadurch sie auf den Weg zum himmlischen Jerusalem geleitet werden, ist
die Berufung durch die vorlaufende Gnade.

Die erste Aufweckung und Aufforderung an den sichern und im Sünden-Wege wandelnden Sünder, um ihn in die seligen Wege des Heils hinein zu leiten, geschieht durch die vorlaufende Gnade.

Hiezu bedienet sich der treue Hirte und Heiland nicht allein des Worts, sondern auch anderer Mittel und Vorfälle im menschlichen Leben.

Den verlornen Sohn mußte seine leibliche Noth, Petrum das Krähen des Hahns, manchem muß seine Krankheit, Unglücksfälle, Absterben der Seinigen, Träume, gute Exempel, göttliche Gerichte, zur Weckung dienen; am meisten geschieht’s durch’s Wort.

Die vorlaufende Gnade äußert sich 1) durch heilsame Schrecknisse und Beängstigungen, wie wir sie an Felix sehen, Apostg. 24,25, und macht den sonst sichern Sünder unruhig, weckt ihn auf und stört ihn in seinem falschen Frieden. O eine selige Unruhe! aber auch 2) durch süße Gnaden-Züge, evangelische Lockungen, ruft ihn die vorlaufende Gnade heraus aus seinem Sünden-Lager.

Das sind diejenigen ersten Bewegungen, die der Mensch in seinem noch unbekehrten Zustand empfindet. Hiedurch läßt Gott seinen ersten Gnadenruf und Anwerbung an den Menschen ergehen.

Es ist diese Gnade auch so eindringend und durchdringend, daß es der Sünder oft wider seinen Willen und mitten in seinen Sünden fühlen muß; sie ist auch so wichtig, daß von derselben treuem Gebrauch und Anwendung die ganze Bekehrung und Seligkeit abhängt. Sie ist das erste Samenkörnlein und Senfkorn, daraus das ganze Reich Gottes hervorwächst.

A) Selbst-Betrug der Seelen bei dem ersten Gnadenwerk der Berufung, und daraus entstandenen guten Rührungen.

Die Seelen betrügen sich a) wenn sie es immer bei bloßen Rührungen und Aufweckungen bewenden lassen, und sie wohl gar für die Bekehrung halten. Sie sind wichtig, aber Bekehrung ist noch was anders. O! es gehen viel tausend verloren, die alle Rührungen gehabt! Gott läßt sich an keinem unbezeugt! Jesus klopfet vor allen Thüren an.

b) Andere sehen gute Rührungen und daraus entstandene heilsame Unruhe gar mit einander für eine schädliche Wirkung des bösen Geistes und Anfechtung des Unglaubens an, und werden darinnen von andern, die es besser wissen sollten, gestärkt. Daher halten sie es auch für höchst nöthig, sich gegen diese vermeinte Anfechtung beständig und tapfer zu wehren mit schönen Gebetlein um Vertreibung der traurigen Gedanken und Anfechtungen, mit fleißiger Lesung guter Bücher, sonderlich der Psalmen Davids und mit allerhand anderm selbst gemachten Troste. Das halten sie alsdann für eine Standhaftigkeit des Glaubens. O jämmerlicher Betrug!

B) Wie und wodurch man seine Bekehrung aufhalte und hindere?

Diejenigen halten ihre Bekehrung auf, und hindern sie, welche diejenige Gelegenheit fliehen, und dieselben Oerter meiden, wo sie hinter ihr Herz kommen könnten; auch solche Schriften nicht gerne lesen, darinnen ihnen der angeborene Erbschaden und die durch Jesum erworbene Heilung und Befreiung davon, sammt der wahren Heils-Ordnung, deutlich gezeigt, und aller falsche Trost weggenommen wird.

Auch diejenigen halten ihre Bekehrung auf und hindern sie, welche solche Lehrer nicht gerne hören, durch welche sie pflegen gerührt und unruhig gemacht zu werden, auch mit solchen Leuten nicht gerne umgehen, denen das Armwerden im Geiste, das Glauben an die Wunden Jesu, und das gerecht und selig werden durch sein Blut die Hauptsache im Leben ist, weil sei ganz was anders an ihnen sehen, als sie selbst haben, wodurch sie denn immer beschämt und ihrer guten Meinung von sich selbst irre gemacht werden.

C) Selbst verursache Schwierigkeit und Unmöglichkeit, auf der ersten Stufe weiter und bis zur wahren Bekehrung zu kommen.

Diejenigen machen sich ihre Bekehrung recht schwer und fast unmöglich, a) welche sich so oft rühren und wecken lassen, daß es ganze Jahre währet und doch immer fruchtlos abgehet. Sie werden oft überzeugt, daß es nicht recht mit ihrer armen Seele stehe, werden aber der aufweckenden Gnade niemals ganz gehorsam. Ein großer Theil davon wird bei öfteren und vergeblichen Rührungen derselben ganz gewohnt, endlich fühllos und oft gar verstockt.

Hieher gehören auch diejenigen, die sich gar dagegen erbittern und alle Kraft anwenden, sie zu ersticken. Apostg. 7,54. Bei solchem Zustande wird Gott genöthiget, entweder aus erbarmender Liebe den Menschen noch härter anzugreifen, oder ihn aus gerechtem Gerichte fahren zu lassen, daß nichts aus der Bekehrung wird.

D) Treuer Rath und Vortheile für alle gerührten Seelen.

Siehe zu 1) daß du eine jede Rührung als vom HErrn annehmest, ja als einen Boten ansiehest, den dir Jesus selber zuschicket. 2) Daß du bei jeder Rührung treu und gehorsam seist, und dich dadurch zu mehrerem und fleißigerem, einfältigerem und heilsamerem Gebrauch der Gnadenmittel, des Wortes und Gebets hinleiten lässest, als welcher ihr nächster Zweck am Sünder ist, damit du endlich dadurch zu Christo gebracht werdest. O es ist ein großer Vortheil, jede gegenwärtige Gnade wohl anwenden!

Fühlst du nun allerlei kräftige Wirkungen und Regungen der Gnade und des Worts bei dir, so sei gebeten, laß es nicht so vergeblich vorbeigehen. Wohlgemerkt: Eine jede Rührung kommt auf deine Rechnung. Fange an im Gebet, so gut du kannst, zu Gott um Hilfe und Erbarmung zu schreien, meide und versäume um Gottes und deiner Seligkeit willen keine Gelegenheit, wo du noch ferner und völlig kannst erweckt werden.

Wie nöthig haben auch treue Lehrer, nach gerührten Seelen zu fragen, sie anzufassen, ihnen aufzuhelfen, sie vor eigenen Wegen und falscher Ruhe zu warnen, und den geraden Weg zum Leben zu zeigen, weil dadurch bald ein größerer Segen an den Seelen entstehen würde. Denn sonst vergehen die guten Rührungen wieder, bei einigen eher, bei einigen dauern sie mehrere Wochen. Werden die Seelen angefaßt, so kann etwas daraus werden. Gesegnet sind die, die sich sammeln und anfassen lassen.

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