Hofacker, Ludwig - Predigt am Sonntage Sexagesimä
Von dem ewigen Halt für unsere Seelen.
Text: 2. Kor. 12,1-10.
Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze; doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des HErrn. Ich kenne einen Menschen in Christo vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leibe gewesen, so weiß ich es nicht; oder ist er außer dem Leibe gewesen, so weiß ich es auch nicht; Gott weiß es); derselbige war entzückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselbigen Menschen (ob er in dem Leibe, oder außer dem Leibe gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es). Er ward entzückt in das Paradies, und hörete unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. Davon will ich mich rühmen, von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen, ohne meiner Schwachheit. Und so ich mich rühmen wollte, thäte ich darum nicht thöricht, denn ich wollte die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber deß, auf daß nicht Jemand mich höher achte, denn er an mir siehet, oder von mir höret. Und auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl in's Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreymal dem HErrn geflehet habe, daß er von mir wiche. Und Er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bey mir wohne. Darum bin ich gutes Muths in Schwachheiten, in Schmachen, in Nöthen, in Verfolgungen, in Aengsten, um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.
Unsere heutige Abend-Lection ist außerordentlich reichhaltig. Vor allen Dingen ist zu bemerken, daß der Mensch, von welchem Paulus sagt, er habe so große Offenbarungen des HErrn gehabt, daß er entzückt wurde bis in den dritten Himmel, Niemand anders ist als der Apostel Paulus selbst. Man könnte denken, Paulus habe sich doch gerühmt; zwar sage er immer, er wolle sich nicht rühmen: aber man höre es ja, er rühme sich doch. Man würde aber nicht mit Recht also sprechen. Wenn Eines unter uns solcher Offenbarungen gewürdigt würde, daß es entzückt würde bis in den dritten Himmel, bis in das Paradies, und würde unaussprechliche Worte hören, die Niemand sagen kann: da würde es sich fragen, ob er vierzehn Jahre davon schweigen könnte. Der Apostel mußte davon reden, weil seine Feinde ihn dazu genöthigt hatten. Sie hatten ihn an seiner Ehre gekränkt; sie sagten, er sey gar kein rechter Apostel, und daher kam es denn, daß Paulus zu ihnen sagte: nun will ich euch doch etwas sagen von den Offenbarungen des HErrn.
Unter den vielen Gedanken jedoch, die mir schon über unsern heutigen Text beygegangen sind, hat sich mir besonders Ein Gedanke aufgedrungen, nämlich folgender: Paulus war ein Apostel; vierzehn Jahre vorher, ehe er dieses schrieb, hatte er so große Offenbarungen des HErrn, und vierzehn Jahre nachher wurde er von Satans Engel gestäupt. Welche gewaltige Veränderung des inwendigen Lebens eines Apostels! Dieser Gedanke nun hat mich darauf geführt, davon zu reden: was uns unter dem Wechsel der irdischen Dinge, unter den Abwechslungen unseres Gemüthszustandes, Ruhe, was Trost, was einen festen Grund gebe zum Ausruhen. Darüber wollen wir nun weiter nachdenken und sprechen:
Von dem ewigen Halt für unsere Seelen.
Oder wir wollen uns die Frage beantworten:
Wo findet meine Seele unter den Abwechslungen meiner Gemüthszustände unter allen Stürmen des äußern und innern Lebens einen Grund, da sie ausruhen kann?
Großer Gott! wir bleiben stets im Dunkeln, wo nicht der Gnade Strahlen funkeln, die unsre Finsterniß vertreiben; wir bleiben stets im Dunkeln, und verfehlen den rechten Weg; wir graben uns Brunnen, die kein Wasser geben, und können nicht auf den rechten Grund kommen, wenn Du uns nicht darauf führst. O führe uns auf den rechten Grund; überwinde die geistliche Thorheit, die wir in uns haben, und führe uns auf den rechten Weg; gib uns aber auch dazu Verstand und Licht. HErr, hilf uns und segne uns! Amen.
Soll unser armes Herz sich einigermaßen beruhigen; sollen wir nicht ein Spielball der Umstände seyn, nicht einem Schifflein gleichen, das auf dem wogenden Meere von den brausenden Wellen hin und her geworfen wird; soll Haltung und Ruhe in unsere Seele kommen; sollen unsere innersten Bedürfnisse erkannt und befriedigt werden: so müssen wir einen Halt, einen festen Grund haben, in den wir unsern Anker senken, daran wir uns festhalten können; wir müssen einen geistigen Felsen haben, auf welchem wir trotz aller Abwechslung im Innern und Aeußern ausruhen und uns fest gründen können. Sehet jedes Ding in dieser Welt, das bestehen soll, hat seinen Grund, sein Fundament; das Haus hat sein Fundament, die Berge und Hügel haben ihr Fundament; ein anderes Ding hat wieder sein Fundament, und so geht es fort bis auf Den, der das Fundament aller Fundamente, der Grund aller Dinge ist, der alle Dinge träget mit Seinem lebendigen Kraftwort. So muß unsere Seele auch ihr Fundament haben, freilich nicht im Sichtbaren, sondern im Unsichtbaren.
Was hat ja der treue Schöpfer unserer Seele
Gleich anfangs eingesenkt,
Daß sie in dieser Leibeshöhle
nach was Unendlichem sich lenkt,
Sie sucht und wünschet immerzu
Und findet nirgends (in dieser Zeit) ihre Ruh'!
Denn sehet in die Welt hinein, wie sie ist. Nirgends findet ihr etwas Festes und Bleibendes. Schon die Natur bietet uns unaufhörlich Veränderung über Veränderung dar. Es ist gegenwärtig Winter, dann wird es Frühling, dann Sommer, dann Herbst und dann wieder Winter, und so geht es unaufhörlich fort; sehet die Pflanzen an, sie keimen, sie wachsen, sie blühen, sie verwelken und sterben ab, werden dann wieder lebendig und verwelken wieder. So geht es durch unaufhörliche Abwechslungen, nirgends ist etwas Bleibendes, lauter Veränderung; täglich erprobt sich für den, der Acht hat, das Wort des Apostels: „was sichtbar ist, das ist vergänglich.“ Und das ist nicht nur in der Pflanzenwelt so, das ist auch bey denjenigen Körpern der Fall, von welchen man glauben sollte, sie seyen für eine ewige Dauer bestimmt, sie werden auf ewig bestehen. Berge weichen zuweilen, und Hügel fallen hin; Felsen zerbrechen und zersplittern; bey einem Erdbeben weicht der Boden unter den Füßen der Menschen; es ist nichts Festes in dieser Welt. O es ist sehr unsicher auf dieser Welt; bey den Ueberschwemmungen der letztverflossenen Zeit hat es sich denen, die darauf achteten, in besonders helles Licht gestellt, daß es unsicher ist auf dieser Welt; da hat es sich gezeigt, daß der Wuth der Elemente, dem hauch der Vernichtung nichts widerstehen kann, daß alles Zeitliche und Irdische veränderlich ist, daß dasjenige, was recht fest gegründet und gewurzelt schien, doch über Nacht konnte weggenommen, zerstreut und zerstört werden, daß nichts fest stehe auf dieser Welt. Und da schützt nichts, nicht Ansehen, nicht Macht, nicht Herrschaft, nicht Reichthum, nicht Geld und Gut, nicht Verstand und Weisheit; so Er spricht, so geschieht es, so Er will, daß etwas fest stehe, so steht es da, so Er will, daß die Felsen zersplittern, so geschieht es auch; so Er will, so wird das Festeste locker, und was auf Felsengrund stehet, zertrümmert; von dem Festesten in dieser Welt kann es über Nacht heißen, was im 37. Psalm steht: „Da man vorübergieng, siehe, da war es dahin: ich fragte nach ihm, da ward es nirgends funden.“ Und wenn Alles das nicht wäre, so wissen wir ja doch, daß ein Tag kommt, an welchem die Himmel vergehen werden mit großem Krachen, da die Elemente werden von Hitze zerschmelzen, da Alles in Feuer aufgehen wird. Im Sichtbaren also ist der Grund nicht zu finden, auf dem unser Herz ausruhen kann.
Wie es aber in der Natur ist, so ist's auch in der Menschenwelt; da ist nichts Bleibendes, nichts Festes, nichts Gewisses. „Predige!“ hieß den Propheten Jesaias eine Stimme. Und er sprach: „was soll ich predigen? Alles Fleisch ist wie Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde - das Heu verdorret, die Blume verwelket, aber das Wort unsers Gottes bleibet ewiglich.“ Ein Geschlecht löset das andere ab; der HErr läßt eine Generation nach der andern dahinsterben, und spricht: „Kommet wieder, Menschenkinder.“ Wer heute frisch und gesund ist, der kann morgen ein Raub des Todes seyn; wer heute grünet wie ein Palmbaum, dessen Blätter können morgen verwelkt seyn; wer fest zu stehen meint, kann bald da liegen, ohne mehr aufstehen zu können, und wer heute in den Staub gedrückt ist, der kann morgen hoch erhaben seyn. Es ist ein beständiger Wechsel. Wie verändern sich die Umstände, die Menschen - nur in zehn Jahren! Wie ganz anders sieht es in einer Stadt aus, wenn man nach zehnjähriger Abwesenheit sie wieder siehet; da sind Manche gestorben, die vor zehn Jahren noch stark waren; Manche sind herunter gekommen, die damals oben waren; nach Verlauf von beynahe zehn Jahren tritt fast ein ganz neues Geschlecht ein. O wie veränderlich ist Alles! Wo vorher die Herrlichkeit Gottes war, wo die Lade des HErrn war, wo das Volk Gottes blühte, wo der Heiland wandelte und die Propheten und Apostel, wo David geherrscht hat und ein Salomo, ein Hiskias, in Jerusalem, in der heiligen Stadt: da ist jetzt von dem Allem nichts mehr; Jerusalem wird von den Heiden zertreten, bis daß der Heiden Zeit erfüllet ist. Und in unserem Deutschland, wo man vorher den Götzen gefröhnet, und Menschen den Götzen und Teufeln geopfert hat: da wird jetzt der Name des HErrn geprediget; da gibt es Seelen, die von der Finsterniß errettet, dem lebendigen Gott dienen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Und was soll ich von unserer Zeit sagen? Unsere Zeit beweist ja deutlich, daß nichts bleibend ist unter den Menschen; es ist ja in unserer Zeit offenbar an den Herzen, auch der Ungläubigen, daß die gewöhnlichen Stützen wanken, daß nichts Gewisses mehr ist, nichts Sicheres; Gott führt es uns in unserer Zeit deutlich vor Augen, daß wir haben müssen einen ewigen Gott, wenn wir nicht in dem Strome der zeitlichen Veränderungen wollen mit fortgerissen werden. Was haben wir erlebt und gesehen? was haben wir gesehen vom Aufstehen der Menschen und von ihrem Falle, von menschlicher Herrlichkeit und ihrem Dahinschwinden, und wie Alles, auch das Herrlichste und Größte in dieser Welt ganz eitel ist? Was sehen wir bis auf die heutige Stunde noch? Nirgends Sicherheit, überall Mißtrauen, überall kein fester Halt im Zeitlichen, und wenn man sich in Felsen einzugraben scheint, auch da kein fester Halt; es ist Wahrheit: „was sichtbar ist, das ist vergänglich.“ Und doch, liebe Zuhörer, gibt es viele Menschen, die sich auf das Sichtbare stützen! der Eine stützt sich auf sein Geld, der Andere auf seine Freunde, ein Dritter auf seinen Kredit, ein Vierter auf sein Wohlverhalten, ein Fünfter auf seine Familie, auf brave Eltern und gutgezogene Kinder, ein Sechster auf seine Handthierung; so kann sich der Mensch auf seine Stützen hinlegen, und glaubt es nicht, daß sie morsch zusammenbrachen können. Ihr dürfet nicht glauben, daß ich hier nur von den großen Weltkindern, oder bloß von den reichen Leuten rede. Auch ein armer Mann kann sich auf solche sichtbaren Dinge stützen; fragt nur einen armen Mann aus, wenn er gar nichts mehr hat, wenn er im tiefsten Elend sitzt, fragt ihn aus, ob er nicht auch noch solche Stützen habe. Wenn er ein Bettler ist, und dem äußern Anscheine nach nichts mehr hat, worauf er sich verlassen kann: so hat er vielleicht doch noch die Stütze, daß er bey einem vornehmen Manne betteln darf. Und dieß ist auch oft bey den Kindern Gottes zu finden! o, da zeigt es sich oft, wenn der HErr die sichtbaren Stützen wegnimmt, daß sie neben dem lebendigen Gott noch andere Götzen herumgeschleppt haben, und dabey ist eben immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod. Denn was ist das Herz des Menschen, wenn es keinen ewigen Halt hat? Wer seine Freude, sein Vergnügen, seinen Anker in etwas finden will, was sichtbar ist, der ist ein geplagter, ein armer Mensch; einem solchen ergeht es gerade wie einem Menschen, der auf offener See Schiffbruch gelitten hat; er greift nach einem Balken, dieser aber wird ihm durch die Wuth der Wellen entrissen; er greift nach einem Brett, und wenn auch dieses ihm entrissen wird, so greift er nach einer Stange. Aber auch diese wird ihm entrissen, und so kämpft er, schwankt hin und her, will sich bald an diesem bald an jenem noch halten, bis er endlich untersinkt in den tiefen Wassern.
Deßwegen sagt die heilige Schrift, „die Gottlosen haben nicht Frieden, spricht mein Gott.“ Beobachte einen Menschen, der seine Hoffnung auf etwas Anderes setzt als auf den lebendigen Gott, wie elend ist er; das eine Mal will er sich an das halten, das andere Mal an etwas Anderes; lasset ihn in Noth kommen, o wie elend ist er da; es wird ihm eine Stütze weggerissen, er will eine andere aufrichten; diese wird ihm wieder weggerissen, er richtet die zweite und dritte auf; aber wenn dir alle deine Stützen weggerissen werden, was willst du dann aufrichten? was bleibt dir dann noch übrig? Nichts bleibt dir übrig als Verzweiflung.
Freilich, so lange es gut geht, meint man keines ewigen Haltes zu bedürfen; so lange das Schifflein bey ruhiger See dahin fährt und von einem glücklichen Winde getrieben wird, kann ein Mensch glauben, er bedürfe keines Ankers. Man ist getrost und guten Muths. Aber wenn eine Noth hereinbricht; wenn die gewöhnlichen Stützen wanken; wenn sie zusammenbrechen; wenn dein Vermögen dir entrissen wird, was ja wohl denkbar ist; wenn deine Freunde dir untreu werden; wenn der HErr in deine Familie einen Riß macht, und dir diejenigen wegnimmt, an welchen du dich so sicher anlehntest, und wenn der Tod über dich selber kommt, und du dann Alles verlassen mußt, deine Familie, deine Lieblingsdinge, an die du dich anklammerst, wenn du dann den Tod hereindringen lassen mußt: was willst du dann machen? Dann mußt du fort, und nichts nimmst du mit; deinen Vater, deine Mutter, dein Weib, deine Kinder, deine Söhne, deine Töchter mußt du zurücklassen; nichts nimmst du mit; allein mußt du fort; deine Weinberge bleiben da, deine Häuser, deine Aecker, dein Geld und Gut, Alles, auf was du dich verlässest, bleibet da, und du mußt fort, fort in die Ewigkeit; kein Arzt kann dich retten; kein Mensch geht mit dir. Werden deine Kameraden auch mitgehen? Ich zweifle daran; den Weg des Todes mußt du allein wandeln; von deinen Gesellschaften, von denen du keine einzige um des Namens Christi willen verläugnet hast, mußt du hinweg und fort in die Ewigkeit; jetzt mußt du, während Andere in die Ewigkeit gehen dürfen.
Ihr sehet, liebe Zuhörer, daß der Mensch einen festen Halt haben muß, einen Felsen, auf dem er feste steht, der nicht kann gerüttelt werden, der nicht unter den Füßen wankt, der unabhängig ist von der Gunst und Huld der Menschen, unabhängig vom Wechsel der Zeit, unabhängig von seinem eigenen Zustande, einen ewig festen, sichern Beruhigungsort für seine Seele. Wo sollen wir nun diesen Halt finden, diesen Anker, der einen Menschen bey allem Wechsel des Glücks oder Unglücks doch in seiner innersten Geistesruhe unangetastet erhält, und ihm Kraft gibt, Alles, was da kommt, mit Gleichmuth zu ertragen?
Sollen wir nun dem Rathe folgen, den man so oft hört: fasse dich zusammen, sey mannhaft? Aber es können Umstände kommen, da alle Mannhaftigkeit nichts nützt, da man wider Willen den Muth verliert, da man wider Willen zaghaft wird, denn Gott kann auch einen harten Nacken zerbrechen; das sind Ihm ganz geringe Sachen. Oder sollen wir unser Vertrauen auf unsern Gemüthszustand setzen? Wenn der Apostel bey den Offenbarungen des HErrn hätte auf seinen Gemüthszustand bauen wollen, so hätte es ihm nichts genützt; denn nachher ist ihm gegeben worden Satans Engel, der ihn gestäupet hat. Sehet, so ist nichts Bleibendes in unserem Gemüthe; es ist Abwechslung und Veränderung in unserem Inwendigen. Heute scheint im Herzen die Gnadensonne, morgen kann es schon neblicht und wolkicht seyn; heute ist das Gemüth gestimmt zum Lobe Gottes, morgen kann es matt, verlegen, trocken seyn. Denn gerade diese Abwechslung des innern Lebens gehört zum Leben des Glaubens; der anhaltende, heitere, fröhliche Zustand ist aufgespart für den Himmel, denn da werden wir ewiglich in dem Tempel Gottes seyn, und Ihm dienen Tag und Nacht. Ach, wenn wir auf unsern Gemüthszustand unsere Ruhe bauen wollten: so wären wir übel daran; da wären wir das eine Mal im Himmel, das andere Mal in der Hölle, denn auch die Freude des Geistes ist nicht bleibend. Darum müssen wir uns auf etwas Anderes gründen, wenn uns ein ewiger Halt zu Theil werden soll.
Es ist von jeher die Aufgabe der denkendsten Köpfe, eine Frage, unter den Vernunft-Männern gewesen, zu erfahren, wo denn der Halt und der Grund zu suchen und zu finden sey, auf den man sich unter allen Umständen verlassen könnte. Daß er nicht etwas Aeußeres seyn könne, das haben sie wohl eingesehen; also müsse es, dachten sie, etwas Inneres seyn. Es müsse, sagten sie, irgendwo ein Grundsatz liegen, der fest stehe, wenn auch alles Andere zusammenbricht, und der uns die Seelenruhe gewähre, wenn alle andern Stützen brechen. So stellte man nun mancherley Grundsätze auf, der eine davon heißt: „Mensch, hülle dich in deine Tugend ein, wenn es stürmt; zeige dich als einen Mann, laß dich nicht erschüttern.“ Aber Sünder! wie willst du dich in deine Tugend einhüllen? dein Tugendkleid ist zerrissen, ist löchericht, der Wind bläst hindurch. Deßwegen sagen die blinden Leiter; du mußt eben dein Tugendkleid flicken; flicke du nur immer, dann wirst du die Seelenruhe schon erhalten. Aber wie, armer Mensch, wenn deine Sünde aufwacht; wenn der Verkläger dich verklagt in deinem Herzen; wenn du vor den Pforten der Ewigkeit stehst, und es geht vorüber vor deinem Angesicht Alles, was du von Jugend an gegen den heiligen Geist gefrevelt hast; wenn deine Sünden dir vor Augen gemalet werden wie an eine weiße Wand, und sich Berge von Uebertretungen aufthürmen, die du nicht übersteigen kannst, und es in deinem Inwendigen laut erschallt: „du bist verflucht!“ und du sollst hinaus in die Ewigkeit vor den Richterthron Gottes, willst du dich dann auch noch in deine Tugend hüllen, Sünder, in deine Tugend?
Liebe Brüder! ich halte es für eine der größten Gnadenerweisungen Gottes, wenn in dieser Zeit einem Sünder das Gewissen aufwacht. Wollte Gott, daß es bey uns Allen aufwachte. Aber saget selbst, wo ist denn der Halt, an was soll sich denn ein Sünder halten, - und das sind wir doch Alle, - wenn seine Tugend vor seinen Augen zerrinnt wie der Nebel, wenn die Sonne aufgeht; und er in dem Lichte des Gesetzes, das ihm in das Innerste geschrieben ist, erkennt: du bist verflucht? Soll er sich da in einen hochmüthigen rebellischen Geist gegen seinen Gott hineinwerfen, und dem Gott, vor welchem er ein Greuel ist, seinem Richter und HErrn, dem Allmächtigen, in's Angesicht hinein trotzen? Wenn er ein Teufel werden will, so mag er es thun; aber es wäre dieß nichts als eine elende, unmächtige Kraftanstrengung gegen Den, vor welchem er fliehen möchte, und doch nicht mehr fliehen kann. „Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir; derselben Grimm säuft aus meinem Geist; die Schrecknisse Gottes sind auf mich gerichtet“, so sagt Hiob (6,4.), in seinem tiefen Leid, und da mag einem Geschöpf schon die Empörung gegen den Schöpfer vergehen. O, wo die Schrecken des Gewissens aufwachen, da möchte man kriechen, so kriechen, daß man nicht mehr gesehen wird; da ist man ein Würmlein, ein Stäublein vor dem Angesichte Gottes. Oder soll da der Mensch in solchem Falle die letzten Fetzen seines Tugendkleides nehmen, und damit die Schande seiner Blöße decken? Das wird ihm aber nicht gelingen; der Zorn Gottes wird auch diese zerreißen, und da steht dann der Sünder in seiner Nacktheit, in seiner Blöße. Brüder! wenn nicht nur die äußern Stützen brechen, sondern auch alles Vertrauen auf unser Thun, wenn du erkennen wirst (und o! daß du es bald erkenntest, ehe denn es zu spät ist), daß selbst deine bisherige eigene Frömmigkeit Sünde war vor den Augen des heiligen Gottes, wenn der eigene Boden unter dir weicht, wenn solche Sprache anhebt im Herzen: Ach, was soll ich Sünder machen? was hält dann Stich? was bleibt dann fest stehen?
„HErr Gott! Du bist unsere Zuflucht für und für; ehe denn die Berge worden, und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit“ - so spricht der Mann Gottes, Moses, und man könnte allerdings denken, daß dieß der Halt sey, an welchen man sich in seiner Sündennoth halten könne. Aber ein Sünder kann sich nicht mit vollem Vertrauen an den ewigen Gott halten, denn Er ist ja eben sein Richter; von diesem hat man Gedanken wie David: „wo soll ich hingehen vor Deinem Geiste? wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesichte? führe ich gen Himmel, so bist Du da - bettete ich mir in die Hölle, so bist Du auch da; nähme ich die Flügel der Morgenröthe, und bliebe am äußersten Meere, so wird auch da Deine Hand mich halten, und Deine Rechte mich decken.“ - Was ist also zu machen? Wenn wir uns nicht an den heiligen lebendigen Gott mit Vertrauen halten können; wenn wir uns nicht mehr an unsere Tugend halten können; wenn auch die Menschen von uns weichen; wenn der Erdboden unter unsern Füßen weicht; wenn nichts mehr da ist: an was sollen wir uns dann halten?
Liebe Zuhörer! an den Gott, der zwar Richter ist alles Fleisches: aber der da auch die Liebe ist in Christo JEsu, unserem HErrn, an den Gott, der zu dem Apostel Paulus gesagt hat: „laß dir an meiner Gnade genügen“; in das Meer der Erbarmungen Gottes können wir uns versenken, das unsere Verdammungswürdigkeit, unsere Verzweiflung aufnimmt.
Ich habe nun den Grund gefunden,
Der meinen Anker ewig hält,
Wo anders als in JEsu Wunden,
Da lag er vor der Zeit der Welt,
Der Grund, der unbeweglich steht,
Wenn Erd' und Himmel untergeht.
In diesem Verse ist der Grund, auf welchem allein eine Seele ruhig und sicher stehen kann, deutlich herausgestellt; das ist ein fester Grund, wer auf diesem Grunde steht, wird nicht umgeworfen, nicht durch äußere Noth und Trübsal; denn unter Allem findet er den gnädigen Gott, und weiß, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen; nicht dadurch, wenn Menschenhuld sich verkehrt, denn wenn Alle ihn verlassen, so bleibt doch Einer getreu; nicht durch die Anklagen des eigenen Gewissens, wenn dieses noch seine Stimme verdammend erhebt, denn er kann Alles in den Abgrund der Barmherzigkeit Gottes hineinlegen: nicht, wenn Alles im Tode ihm weggerissen wird, wenn die ganze Welt zu Trümmern geht, denn „es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht weichen, und mein Bund des Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HErr, dein Erbarmer.“
Wird alles And're weggerissen,
Was Seel' und Leib erquicken kann,
Darf ich von keinem Troste wissen,
Und scheine völlig ausgethan;
Ist die Errettung noch so weit,
Mir bleibet doch Barmherzigkeit.
Das ist ein seliger Stand. So lange eine Seele noch nicht auf diesem Grunde steht, so lange sie ihre Beruhigung noch auf sich, und sey es das Geringste an ihr selbst, setzt, so lange kann sie nicht glücklich, nicht ruhig seyn. Es gibt redliche Seelen, sie suchen Frieden und finden ihn nicht, sie bauen wieder und immer wieder, und immer wieder wird es umgerissen, sie matten und kümmern sich ab; sie werden erbärmlich umhergetrieben, sie bauen ihren Frieden immer auf sich selbst, und da ist kein Friede. O ihr Seelen! wir wollen doch die Ruhe unserer Seelen nirgends anders suchen als im Erbarmen; sehet, das müssen wir haben zum Anfang, und das müssen wir haben im Fortgange, wie sich ein Apostel Paulus, mochte er auch noch so weit gefördert seyn, an der Gnade genügen lassen mußte, und das müssen wir haben zum Ende.
Aber wer diesen Grund gefunden hat, der hat etwas Großes, eine köstliche Perle gefunden. Sehet, nach dieser Seligkeit haben geforschet die Propheten. Die alttestamentliche Verfassung enthüllte diesen Grund nicht völlig. Es wurde zwar dieses Erbarmen gepredigt; es ward angedeutet, der HErr verkündete durch die Opfer, daß Er dem Sünder die Schuld verzeihe; aber es war nur ein Schatten auf Christum. Alle Jahre mußte man wieder opfern; die Gewissen konnten nicht vollendet werden. Wie ganz anders ist es durch Christum geworden! Christus ist am Stamme des Kreuzes gestorben, und hat Sein Blut vergossen, und Er ist eingegangen in das Allerheiligste, und Sein Blut schreit nun um Barmherzigkeit bey dem Vater. Nachdem es nun also ausgeführt ist nach dem Rechte der Gerechtigkeit, soll jeder Sünder keck und kühn vor den Gnadenthron treten, und sich auf dieß geoffenbarte Erbarmen berufen. Nun ist es der Wille Gottes, daß Keiner auf einem andern Grunde stehe als auf dem Grunde Seiner Gnade; nun wird Gnade und Erbarmen geprediget aller Kreatur in aller Welt.
Aber freilich, der Eingang zu dieser Gnade geht durch das Recht hindurch. Es ist ein so tiefes Rechtsgefühl im Menschen, ein Rechtsgefühl, das ihn nicht sobald ruhen läßt, das ihn nicht sobald hindurchdringen läßt; denn zweyerley ist ihm so tief in's Herz geschrieben. Das eine ist dieses, daß er als ein Sünder vor dem Angesichte Gottes verflucht ist, weil Gott die Sünde haßt. Wenn auch ein Sünder dieß dem Kopfe nach nicht glaubt, so glaubt er es doch seinem innersten Geiste nach; denn diesem ist die Wahrheit eingedrückt und eingeschrieben: „du bist verflucht.“ Das andere Rechtsgefühl ist dieses, daß er schuldig sey, das Gesetz Gottes zu halten. Sehet, diese zwey Gedanken in die Versöhnung hineinzubringen, zu glauben, daß Christus für uns ein Fluch geworden ist, und zu glauben: du bist schuldig, heilig zu seyn, auch diesen Gedanken hinein zu legen in die Heiligkeit und in den Gehorsam Christi, das kostet dem Geiste Gottes viele Mühe; es kostet manche Belehrung, bis ein Sünder lernt, sein Recht in dem Rechte zu finden, das Christus vollbracht hat. Aber, wer nicht nachläßt mit Bitten und Flehen um die wahrhaftige Erleuchtung, der mag wohl aus dem Gebiete des Rechts in das Gebiet der in Christo geoffenbarten Erbarmung hindurchdringen,. O da kann auch dem greuelhaftesten Menschen geholfen werden. O wie selig läßt es sich da ruhen!
O süßer Freund, wie wohl ist dem Gemüthe,
Das sich auf eig'nem Weg ermüdet hat,
und nun zu Dir, dem Seelenleben, naht,
Und schmeckt in Dir die wundersüße Güte,
Die alle Angst, die alle Noth verschlingt,
Und unsern Geist zur sanften Ruhe bringt.
O, ich wünsche nichts mehr, als daß doch alle Geister unter uns, die, welche ohne Gesetz leben, und die, welche unter dem Gesetz leben, möchten zu dieser süßen Ruhe kommen, die uns der Sohn Gottes so sauer errungen und erworben hat. Darauf gehen alle Züge des Heiligen Geistes hin; darauf gehen alle Schicksale unseres Lebens hin: denn gehe einmal alle deine Schicksale durch, du wirst finden, daß sie alle dahin zielen, daß du von dem Heilande Erbarmen aus Erbarmen, Gnade aus Gnade erlangen sollst, weil du ein Lohn Seiner blutigen Schmerzen bist; denn das bist du.
O HErr JEsus, bringe uns doch Alle in das wahre Leben hinein; laß uns in Dir allein die Ruhe finden, die Du uns durch Dein bitteres Leiden und Sterben erworben hast; laß uns allein von Deiner Barmherzigkeit leben und in derselben Ruhe finden, wir finden sonst ja nirgends anders Ruhe. O so bringe doch alle Geister unter uns, auch die, welche noch in dem elenden Wesen dieser Welt dahin gehen, zu dieser Ruhe; denn nur in Dir, Du Ruhegrund unserer Seele, können wir Ruhe finden, wenn wir sie begehren. O Du ewiger Ruhegrund unserer Seelen! sammle uns Alle zu Dir; führe uns Alle zu Dir, und erfülle Dein Wort an einem Jeden unter uns: „wann Ich erhöhet seyn werde von der Erde, will Ich sie Alle zu mir ziehen!“ Amen.