Hofacker, Ludwig - Predigt am Sonntage Exaudi
Was die Ueberzeugung, daß das Ende aller Dinge nahe gekommen sey, in uns wirken soll?
Text: 1. Petr. 4,8-11.
So seyd nun mäßig und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen aber habt unter einander eine brünstige Liebe; denn die Liebe decket auch der Sünden Menge. Seyd gastfrey unter einander ohne Murmeln. Und dienet einander, ein Jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherley Gnade Gottes. So Jemand redet, daß er es rede als Gottes Wort. So Jemand ein Amt hat, daß er es thue als aus dem Vermögen, das Gott darreichet, auf daß in allen Dingen Gott gepriesen werde durch JEsum Christum, welchem sey Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Unsere Epistel fängt also an: „So seyd nun mäßig und nüchtern zum Gebet.“ Das Wörtlein „nun“ weist aber auf das zurück, was der Apostel Petrus unmittelbar vorher gesagt hatte, nämlich auf den 7ten Vers des 4ten Kapitels seines ersten Briefes, der also lautet: „es ist nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Deßwegen meint er, sollen seine Leser mäßig und nüchtern seyn zum Gebet, weil die Welt mit gewaltigen Schritten ihrem Ende entgegen geht, und weil Alle, die auf dem breiten Wege wandeln, unausbleiblich dem Verderben zueilen, und nur die, die auf dem schmalen Pfade sich befinden, das Ende aller Dinge mit Ruhe und Sicherheit erwarten können. Dabei wollen wir denn auch länger stehen bleiben, und mit einander davon reden:
was die Ueberzeugung, daß das Ende aller Dinge nahe gekommen sey, in uns wirken soll?
Wir wollen
I. die Wahrheit des Ausspruchs betrachten, daß das Ende aller Dinge nahe gekommen sey, und
II. erwägen, was die Ueberzeugung davon in uns wirken soll.
HErr JEsu! Dein Tag kommt und eilt heran. Wir bitten Dich, rüste uns aus, damit wir nicht an Deinem Tage vor Deinem Angesichte beschämt werden oder zittern müssen. Reiße uns aus Allem, was uns hinderlich ist, heraus, aus aller Trägheit und aus aller Schläfrigkeit, damit wir uns aufmachen und Sorge dafür tragen, daß uns Dein Tag nicht unvorbereitet überrascht wie ein Dieb in der Nacht, daß unsere Lichter brennen, und unsere Lenden umgürtet seyen, und wir Dir mit hellen Lampen entgegen wandeln. Thue das an uns Allen, Herr Jesu! Amen!
I.
„Es ist nahe herbeygekommen das Ende aller Dinge“ - ein bedenklicher, wichtiger Ausspruch, der zum Voraus unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, und einen Jeden zu der Frage veranlassen sollte: was wohl die Schrift unter diesem Worte verstehe? Wenn man einem Gefangenen von dem Ende seiner Gefangenschaft sagen würde, so würde er ja aufmerken, und gesetzt auch, er wäre seiner Gefangenschaft gewohnt, gesetzt auch, er fühlte sich nicht mehr sehr unglücklich; so würde sich doch aus seiner Brust die geschwinde Frage hervordrängen: wann wird dieß geschehen? und wann werde ich meiner Bande und meiner Ketten los werden? Und wenn Jemand in gefährlicher, schmerzlicher Krankheit darnieder läge, und der Arzt würde ihm sagen, daß seine Krankheit sich gebrochen habe, und er der Genesung mit vollen Schritten entgegen gehe: mit welcher Freude würde er diese Botschaft aufnehmen, wie willig würde er alle Mittel ergreifen, dies eine Genesung befördern helfen. Sehet, so machen wir es bey Dingen, die auf diese Welt Bezug haben, aber wenn die heilige Schrift einmal über das andere unter die Menschenkinder, sowohl unter die, die sich glücklich, als auch die, so sich unglücklich fühlen, hinein ruft: „merket auf, ihr Menschen-Kinder! denn es ist nahe herbeygekommen das Ende aller Dinge;“ - so findet sie nur wenige Leute, die mit Ernst darauf merken; die Meisten vergessen es wieder, ehe sie es recht gehört und gelesen haben; Vielen gibt es einen augenblicklichen Eindruck; es wirft dieß Wort einen geschwinden Schein in ihre Finsterniß hinein, der aber, wie er gekommen war, so auch wieder verschwindet. Hin und wieder freilich trifft es auch eine Seele, eine niedergedrückte, eine unter dem Dienst der Eitelkeit und dem Trug des vergänglichen Wesens nach der Freiheit der Kinder Gottes sich sehnende Seele, die bei sich selbst dann denkt: Gott Lob! daß es ein Ende gibt. Ach, wenn es nur bald käme! wenn nur bald das Erste vergienge, und Alles neu würde, so würden ja auch die Ketten, womit ich noch gefesselt bin, vergehen und von mir hinunter fallen, so würde mich ja mein Heiland völlig zur Freiheit, in die Freiheit Seines himmlischen Jerusalems einführen können.
Woher kommt es doch, daß dieses Wort von dem herannahenden Ende aller Dinge so wenig Aufmerksamkeit unter den Menschen-Kindern findet? Der Grund davon liegt in Verschiedenem. Vielen ist es aber ein gar unbequemes Wort; die Dinge, deren Ende herbeikommen soll, gefallen ihnen zu sehr; sie sind in der Lust zu denselben gefangen; ihr Herz hängt daran; darum mögen sie die heilige Schrift nicht vom Untergange dieser Dinge reden hören, und weil sie dieselbe nicht hören mögen, so hören sie sie auch nicht. Was meinet ihr wohl, wenn man einem Menschen, der sich glücklich fühlt in dem Besitz dieses oder jenes Gutes, das Ende seines Glückes verkündigen würde, oder wenn man einem Geizigen, dessen Blick sich an seinem Gelde und Gute weidet - doch dürft ihr nicht glauben, daß das nur Geizige sind, die Geld und Gut die Fülle haben; es gibt noch viel mehr Geizige, bey welchen es aber bey der Begierde oder bey'm Wunsche zu besitzen bleibt, - aber gesetzt, man sagte einem Geizigen: dein Geld wird dir unter den Händen zerrinnen, ehe du es dich versiehst; die Diebe werden nachgraben und es dir stehen; das Feuer wird dein großes Gut verzehren, was meint ihr wohl, mit welcher Miene er das aufnehmen würde? Würde er nicht unwillig die Ohren wegwenden, und nur um so tiefer den Geiz in seine Seele hineinfressen lassen, nur um so fester und mit desto ungetheilterem Herzen und mit brennender Begierde das Gut umfassen, an dem seine Seele hängt, je mehr er befürchten müßte, daß es ihm entrissen werde? O, eben dieser Umstand hemmt die Kraft des Wortes der Wahrheit an den Herzen der Menschen viel mehr, als man glaubt; darum verschließen sie die Ohren der Wahrheit, und öffnen sie den Fabeln; darum, weil die Fabeln den Menschen lassen, wie er ist, das Wort der Wahrheit aber alle falsche Liebe und Anhänglichkeit in seinem Herzen zerstören will; deßwegen hört er lieber solche Worte, die ihn nicht beunruhigen, die ihn in seinem Sumpfe, in den er sich hineingearbeitet hat, liegen lassen, als solche Worte, die ihn erschrecken und mit gewaltiger Hand rütteln und schütteln; solchen Leuten also ist es zu unbequem, sich durch das Wort vom Ende aller Dinge in ihrer behaglichen Ruhe stören zu lassen. Bey Vielen ist es auch der Gedanke, daß man schon so lange von dem herannahenden Ende aller Dinge geredet habe, und es sey doch nicht eingetroffen; ja, sie gehen oft noch weiter, und treten frech auf und sprechen: wo bleibt denn die Verheißung seiner Zukunft? nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es Alles, wie es vom Anfang der Kreatur war und gewesen ist. Seit 1800 Jahren predigt man schon: das Ende kommt, und es ist doch noch nicht eingetroffen. Was ist denn nun alles das Geschwätz von dem Ende aller Dinge? Pfaffenmährchen sind's, um das Volk zu erschrecken und in der Ordnung zu erhalten, die aber der denkende Mensch verachten muß. Sehet, solche Sprache führt man in unsern Tagen, und so wird von dem Einen auf diese, von dem Andern auf jene Weise das große Wort der heiligen Schrift, daß das ende aller Dinge herbeyeile, überhört, verachtet, verworfen, verstoßen, in den Boden getreten, und der Mensch thut und handelt, handthieret, kauft und verkauft, belustigt und vergnügt sich, scherzt und lacht, schläft und wacht, treibt sich in dieser Welt herum, wie wenn sie für die Ewigkeit stehen bliebe, und er auch in derselben.
Lasset euch nicht irren, liebe Brüder und Schwestern; es ist Wahrheit und bleibt Wahrheit, was hier die Schrift sagt: „Es ist nahe herbeygekommen das Ende aller Dinge.“ Wer kann sagen: daß die heilige Schrift lüget? sie hat noch nie gelogen; „Himmel und Erde werden vergehen, aber des HErrn Wort bleibet in Ewigkeit.“ Und ist es denn nicht natürlich, daß die Dinge, die in der Zeit ihren Anfang genommen haben, mit der Zeit vergehen? Nicht rede ich hier von der unsichtbaren Geisterwelt, denn was unsichtbar ist, das ewig ist, das ist bleibend; auch der Apostel Petrus meint, wenn er von dem Ende aller Dinge redet, nicht die unsichtbaren, sondern die sichtbaren. Diese sind dem Untergange unterworfen und müssen aufhören. Siehe, lieber Mensch! Alles, was dich umgibt, bleibt nicht und besteht nicht; siehe, dieses Gebäude, diese Stadt, dein Haus, deine Geräthe, dein Geld und Gut, deine Felder, deine Bücher, deine Titel, Würden und Aemter, deine Vorräthe, die du vielleicht auf viele Jahre gesammelt hast, kurz Alles, was deine Seele ergötzt, dein Leib, der dir am nächsten ist, diese Erde, die Sonne, die Wolken, die Lust, das Wasser, Alles, Alles, was um Dich herum ist, wird vergehen und zerstäuben. Hast du das auch schon bedacht, daß das Alles, woran sich dein Auge weidet, oder was deinen Sinnen schmeichelt, vergehen, und durch die Gluth des Feuers in Rauch aufgehen wird? Ach, wie Wenige werden hier seyn, die das schon ernstlich erwogen und bedacht haben. man läuft so in der Thorheit dahin, und beachtet's nicht, und nimmt's nicht zu Herzen. So groß ist unsere Thorheit, so groß unsere Verkehrtheit. Was würden wir von einem Missethäter denken, dem sein Todesurtheil bekannt gemacht wird, und er würde sich nicht darum bekümmern, und er würde es stumpf und gleichgültig anhören? Und wir machen es gerade auch so, stumpf und gleichgültig hören wir es an, wenn das Todesurtheil über die ganze sichtbare Welt und der Feuertod über Alles ausgesprochen wird, woran unsere Seele so gerne klebt und hängt. Und doch sind uns ewige Güter angeboten, die aus der Fülle Christi fließen, und wir laufen dahin in der Täuschung, und betrügen uns selbst, als ob das Sichtbare ewig wäre und Bestand hätte, und wissen nicht, ob der HErr heute oder morgen dem Wesen dieser Welt ein Ende macht.
Aber du fragst: wann wir denn das Ende aller Dinge kommen? Antwort: am großen Tages des HErrn JEsu, wann erfüllt werden wird, was die Engel gesagt haben bei der Himmelfahrt: „wie ihr Ihn gesehen habt gen Himmel fahren, so wird Er wieder kommen“, wenn JEsus, wenn der von den Meisten längst vergessene JEsus erscheinen wird, wenn er aus Seiner langen Verborgenheit hervortreten und hernieder kommen wird mit der Posaune des Erzengels, mit einem Feldgeschrey. Das wird der große Tag des Vergehens der sichtbaren Welt seyn, wenn der Unsichtbare in all' Seiner Macht und Herrlichkeit sichtbar wird, dann wird die sichtbare, zerbrechliche Welt nicht mehr bestehen können. Jetzt schimmert sie, jetzt glänzt sie, sie fesselt und bezaubert das Herz, sie macht den Menschen zu ihrem Sklaven; wenn aber die Sonne, die wahre Sonne wird hervortreten, die Sonne, gegen welche die sichtbare Sonne nur ein Fünklein Lichtes ist, dann wird der Zauber der Dinge dieser Zeit verschwinden wie ein Nebel, wie ein leeres Traumbild; dann wird kein Schein und Schatten sondern nur Wesen und Leben offenbar werden. Wer wird aber den Tag Seiner Zukunft erleiden mögen, und wer wird bestehen, wann Er wird erscheinen? Denn jener Tag wird seyn wie der Tag eines Goldschmieds und wie die Seife der Wäscher. „An jenem Tage werden die Himmel vergehen mit großem Krachen, und die Elemente werden vor Hitze zerschmelzen, und die Erde und die Werke, welche darinnen sind, werden verbrennen.“ Da siehe zu, daß dir deine Schätze nicht mit verbrennen. Armer Mensch! der du diese Welt und was darinnen ist, zu deinem Gott gemacht hast, was willst du denn machen, wenn dein Gott dir in Feuer und Rauch aufgeht? Oder glaubst du, es werde auch irgend etwas verschont bleiben, was deine Seele lieb hat, an was sie sich gehängt hat; Oder meinst du, die Werke deiner Hände, die du mit so viel Wohlgefallen betrachtetest, weil es Werke Deiner Hände sind, werden bestehen? das sey ferne. Was deine Seele lieb hat, wenn es irdisch und sichtbar war, wird und muß vergehen. In dem Lichte dieser Wahrheit sollten wir die Welt betrachten, im Andenken daran sollten wir in ihr wandeln, das sollte der Grundgedanke seyn, mit dem wir alle Dinge dieser Welt behandeln: sie werden aufgespart zum Feuer, sie müssen und werden verbrennen; dann würden wir weise werden zur Seligkeit.
Aber fragst du: warum ist denn diese sichtbare Welt zum Feuer aufgespart, und warum muß denn Alles, was uns umgibt, vergehen? Das kommt daher: Gott hat keine Freude daran; nur der arme sündige Mensch spiegelt sich eine Zeitlang in diesen Dingen, und freuet sich ihrer und übet seine Augenlust aus; aber Gott hat keine Freude daran. Es hat sich so viele Sünde mit den Dingen dieser Welt vermengt, es klebt so viel Ungerechtigkeit daran; das Blut so manchen Bruders ist auf diese Erde geflossen seit Abels Blut; die Menschen haben so viele Wollust getrieben mit den irdischen Dingen; so manche Seufzer aus diesem Jammerthal sind aufgestiegen zu dem Vater der Lichter; die Sünde ist hereingedrungen, und die Erde ist eine Behausung der Teufel, der unreinen Geister geworden; so viele schandbaren Worte, so viele Flüche und Lästerungen Gottes, so viele Aergernisse und so viele Verführungen zum Bösen haben sich in dieser Welt eingenistet. O, denke ich nur an die vielen Bücher, durch welche die Menschen zur Sünde verführt, zur Unreinigkeit gereizt worden sind, durch welche Gott und Sein Gesalbter gelästert wurde, so muß ich sagen: wenn sonst nichts wäre, so müßte bloß um dieser willen ein Tag kommen, wo diese unreinen und gottlosen Werke der Menschen durch's Feuer verzehrt werden. Aber es ist nicht nur das; es ist noch so viel böses, noch so viel Aergerniß, noch so vieles Greuliche, das den Tag scheut und sich in Finsterniß verkriecht, und in den Schleier der Nacht wickelt, weil es wähnt, dort sicherer und gedeckt zu seyn, weil es meint, dort ungesehen hausen zu können, da doch die Augen des allmächtigen Gottes darauf gerichtet sind. Um dieser Aergernisse willen, um des Fluches willen, der bey der Sünde des ersten Sünders über diese Erde ausgesprochen wurde, wird ein Tag kommen, wo alle diese Dinge ein Ende nehmen werden; denn es soll anders werden, es soll eine neue Erde werden, die von der Sünde gereinigt ist, von der man sagen kann: „siehe da eine Hütte Gottes bey den Menschen.“ Nach diesem Ende des irdischen Jammers, nach dem Ende der Jahre der Dienstbarkeit, nach dem Anbruch des Tages der Freiheit seufzt die Kreatur, denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes; nicht allein aber sie, sondern auch die, so da des Geistes Erstlinge haben, seufzen darnach. „Wir warten“ - spricht Petrus - „eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach Seiner Verheißung, in welcher Gerechtigkeit wohnet“, und schon längst spricht die Gemeinde, die Braut Christi: komm HErr JEsu! So sehnet sich die ganze Schöpfung nach jenem Tage der Erlösung; nur der Mensch, der das Geschöpf mehr liebt als den Schöpfer, verblendet durch den Zauber Satans, der seine Augen und übrigen Sinne mit der Eitelkeit der irdischen Dinge fesselt, nur der Mensch seufzt nicht darnach, sondern er erschrickt davor, daß er seine Behausung verlassen, daß das Elend dieser Zeit, die Ungerechtigkeit dieser Welt vergehen, und diese arme Erde mit all' ihren Schätzen und Freuden verbrennen soll. Mag es ihm aber auch widerlich und ärgerlich seyn; das Seufzen der Kreatur, das Gebet der Gläubigen, die Sehnsucht aller Engel und aller vollendeten Gerechten wird erfüllt und dem Elend ein Ende gemacht werden; der Tag der ewigen Freiheit wird hereinbrechen mit hellem Morgen-Glanze.
Aber wie Viele werden wohl hier seyn, die das von Herzen glauben, was ich bisher gesagt habe, und wie Viele unter denen, die es glauben, werden in ihrem Inwendigen denken: ach, das kann noch lange anstehen; ich will indessen in den Weinberg gehen; ich will indessen kochen und waschen oder andere häusliche Arbeiten verrichten, schlafen und essen und trinken, da und dort hingehen, genießen, was zu genießen ist; es ist heute noch nicht gerade aller Tage Abend. Lieber Mensch! höre doch, was der Apostel sagt: „das Ende ist nahe herbeygekommen.“ Dieß sagte er vor 1800 Jahren, wie viel näher muß es uns jetzt seyn! Der Apostel Petrus wußte so wenig als wir, welche Stunde der Vater Seiner Macht vorbehalten habe. Aber das hat er gewußt, daß der HErr vor der Thüre stehe, und jeden Augenblick kommen könne; das hat er gewußt, was wir auch wissen, daß des HErrn Tag kommen werde wie ein Dieb in der Nacht, daß er gerade dann erscheinen werde, wenn Jedermann spricht: „es ist Friede und hat keine Gefahr“, wenn sie es machen wie zu der Zeit Noah's, wo sie in der tiefsten Sicherheit begraben lagen, und aßen und tranken, und freieten und ließen sich freien, und scherzten und lachten und spielten, und dachten nicht an das Ende und an die Drohungen des Predigers der Gerechtigkeit, und machten es eben so, wie man es in unsern Tagen im Großen und Kleinen auch macht. Der Apostel Johannes ruft in seinem Briefe aus: „Liebe Kindlein! es ist die letzte Stunde.“ Es ist dieß zwar eine lange Stunde; aber eine Stunde ist eine Zeit, und eine Zeit läuft zu Ende, und es ist gegenwärtig die letzte Zeit in der großen Weltuhr. Denn zwischen der Himmelfahrt Christi und zwischen der zweiten Erscheinung des Heilandes liegt nichts mitten inne, was man einen Zeitlauf nach göttlichem Maaßstabe nennen könnte. Es ist das die Zeit des neuen Bundes, die Zeit des Kreuzreiches, die zeit der Bekehrung der Sünder, die Zeit, in der man noch Buße thun, und seine Seligkeit schaffen kann mit Furcht und Zittern. Wann aber diese Stunde abgelaufen ist, so kommt der HErr, und mit Ihm das ende aller Dinge; darum siehe zu, daß du von des HErrn Tag nicht übereilt werdest in der Sünde; siehe zu, daß das Ende aller Dinge nicht herbeykomme, während du dich in dieselbe vertieft hast; siehe zu, daß dir deine Freude, dein Schatz, dein Gut nicht unter den Händen verbrenne, und dich selbst mit in's Verderben reiße.
II.
Das Ende aller irdischen Dinge ist nahe herbeygekommen. Was soll diese große Wahrheit für einen Sinn in uns pflanzen? Wenn die Menschen, die vor der Sündfluth lebten, der Predigt Noah's geglaubt hätten, meinest du: sie würden gegessen und getrunken und gefreit haben, und sich haben freien lassen, ohne sich auch nur ein wenig über die Zukunft und ihr Seelenheil zu besinnen? Meinest du, sie würden so viel Gewicht auf die Dinge dieser Welt gelegt haben, die da vergehen und ihnen entrissen werden sollten? Ach, sie hätten gewiß alle jene Dinge der Beachtung nicht werth gehalten und sie mit Füßen getreten, und nur dafür Sorge getragen, daß sie ihre Seelen erretten möchten aus der allgemeinen Verwüstung und Zerstörung. Aber sie glaubten nicht an das Wort Gottes, und ließen sich durch Seien Geist nicht bestrafen; daher mußten sie mit der Welt, die da vergieng, elendiglich dahin fahren. Und wenn man den Menschen zu Sodom und Gomorrha gesagt hätte: morgen wird Feuer und Schwefel vom Himmel fallen, und eure Stadt verderben und vertilgen von dem Erdboden; meinet ihr: sie hätten ihre Schandthaten und Frevel fortgetrieben, wenn sie dem Worte geglaubt hätten? Nun sehet, der Apostel sagt es uns: „das Ende ist nahe herbeigekommen“, und wir laufen auf den Gassen zu Sodom umher, und vergnügen uns an den Lustgütern, die zu Sodom sind, und wissen doch, daß heute oder morgen der Boden unter unsern Füßen zusammenbrechen kann, auf dem wir uns zu belustigen suchen, sehen ruhig der Zukunft entgegen, und die Wenigsten denken daran, ihre Seele zu retten. Die Gemeine, die hienieden der Ewigkeit entgegen geht, pilgert hauptsächlich mit zwei Gedanken in der Seele ihre Straße; einmal, daß sie sich rein und unbefleckt erhalten möchte von den Sünden zu Sodom, da sie leben muß, für's Andere, daß sie auf den HErrn wartet, und Seine Erscheinung lieb hat. Wir sind Christen, wir sind Knechte, die da wissen, daß der HErr kommt; wir sind Christen, und wissen, daß die Welt vergehet mit ihrer Lust; sollten wir nicht ringen im Geiste, los zu werden je mehr und mehr von der Welt und ihren Dingen, und dem HErrn entgegen zu gehen mit einem Sinne, der nur nach dem trachtet, was Ihm wohlgefällig ist? Ach, wer hat den Sinn oder wer seufzt wenigstens nach einem solchen Sinn, den jenes Lied ausspricht:
Wir sind Christen,
Die sich rüsten,
Mit dem Herrn der Herrlichkeiten
Dort zu prangen, hier zu streiten.
Aber wie sollen wir uns denn rüsten, damit wir an dem Tage des HErrn bestehen können? Darüber gibt uns unsere Epistel die beste Anweisung: „seyd mäßig und nüchtern zum Gebet.“ Die jetzige Gestalt der Kinder Gottes ist gleich den Menschen, die auf ihren HErrn warten, auf daß, wenn Er kommen wird, Er sie bereit finde, und ihre Lichter brennen und ihre Lenden umgürtet seyen. Darum wiederholt sich in der heiligen Schrift so oft die Ermahnung: „wachet und betet;“ denn durch's Gebet bleibt man in Verbindung mit Ihm, auch wenn Er ferne ist; durch das Gebet wird das geistige Leben erhalten und vor dem Einschlafen gesichert. Denn das Gebet ist der Odem des geistigen Lebens; wer nicht betet, der lebt auch nicht. Freilich heißt bei gewissen Menschen Alles Beten. Sie lesen in einem Buche, und das heißt beten; sie sagen Formeln her, die sie nicht verstehen, deren Sinn sie nicht überdacht haben, und sind, während sie sie hersagen, mit ihren Gedanken bei ihren Geschäften, bei ihren Gesellschaften, in der Werkstätte, auf dem Felde, im Stalle, in der Schreibstube, und wo es sonst noch seyn mag. Das heißt aber nicht gebetet, wenigstens ist es nicht im Geist und in der Wahrheit gebetet. Das Gebet aber ist stets von zweierlei Art gewesen; einmal, wenn man sich eigentlich ein Geschäft daraus macht, mit dem HErrn zu reden, wenn man in das Kämmerlein geht, wenn man sich vor Ihm beugt und demüthigt, und sein Herz ausschüttet vor Dem, der auch in's Verborgene schaut; für's Andere ist auch dieß Gebet zu nennen, wenn man in beständigem Umgange mit dem HErrn bleibt, auch unter den Geschäften und Arbeiten immer wieder mit verborgenen Seufzern Sein Angesicht sucht, und so von Seinen Augen und Seiner Nähe sich leiten und redigieren läßt. Beides ist nothwendig wenn das innere Leben soll erhalten werden, wenn man das Ende vor Augen haben und behalten soll.
Zu einem solchen Gebetsleben gehört Nüchternheit und Mäßigkeit, nicht, daß man dem Leibe seine Nothdurft entziehen soll. Dieß verlangt der HErr und die Apostel nicht, und es ist wahr, was in einem Liede von den Kindern Gottes geschrieben steht:
Sonst sind sie des Adams natürliche Kinder,
Und tragen das Bild des Irdischen auch,
Sie leiden am Fleische wie andere Sünder,
Sie essen und trinken nach nöthigem Brauch,
In leiblichen Sachen, im Schlafen und Wachen
Sieht man sie vor Andern nichts Sonderlich's machen,
Nur daß sie die Thorheit der Weltlust verlachen.
Wer aber des Gaumens pflegt, wenn der Bauch sein Gott ist, wie mag dieser geschickt seyn, sich zu rüsten auf den Tag des HErrn! O, es ist die Nüchternheit des Geistes ein großer Gewinn, wenn das Herz im Stillen auf den HErrn gerichtet ist, und in der Fassung bleibt, und nicht durch Leidenschaften, durch sündliche Aufwallungen durch Sorgen und Lüste sich aus dem Gleichgewichte werfen läßt. Dieß ist aber etwas gar Seltenes; denn wie Mancher legt sich mit seinen Sorgen zu Bette, und steht mit denselben wieder auf, wie Mancher wird den ganzen Tag von seinen Leidenschaften umgetrieben, so daß kein lebendiger Gedanke an Gott in ihm aufsteigen kann. Da ist dann Groll und Neid, der den Nächsten mit mißgünstigen Augen betrachtet, und wie Mancher wird von der unreinen Lust viele Tage und Nächte hindurch geplagt, so daß seine Phantasie mit allerhand greulichen Bildern erfüllt und bevölkert ist. Das ist das Gegentheil von Nüchternheit, und wer solche Dinge in sich nährt, und nicht sucht von ihnen los zu werden durch die Kraft des Blutes Christi, der ist todt in Sünden und reif zum Feuer. Ach, liebe Brüder! „wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet; denn der Teufel gehet umher, und suchet, welchen er verschlinge.“
Mache dich, mein Geist, bereit,
Wache, flehe, bete,
Daß dich nicht die böse Zeit
Unverhofft betrete;
Denn es ist Satans List,
Ueber viele Frommen
Zur Versuchung kommen.
Nun gehet der Apostel weiter, und spricht: „vor allen Dingen aber habt unter einander eine brünstige Liebe, denn die Liebe decket auch der Sünden Menge.“ Es soll unter Christen nicht also seyn wie unter den Heiden, da der Eine nur zu dem sich freundlich thut, welcher sich auch zu ihm hält, auch einem Andern wohl einen Gefallen erweist, der ihm nicht viel Mühe und Aufopferung kostet, sondern die Liebe soll brünstig seyn, und diese Liebe verträget Alles, sie glaubet Alles, sie hoffet Alles, sie duldet Alles. Aber von dieser Liebe weiß die Welt nichts, von der Liebe, die auch der Sünden Menge decket, und doch ist sie nur die rechte Vorbereitung auf den Tag der Erscheinung JEsu Christi; denn wenn Alles vergehen und Alles sein Ende erreichen wird, so wird doch noch die Liebe bleiben und triumphiren; denn „Gott ist die Liebe.“
Neben der Liebe empfiehlt der Apostel auch noch die Gastfreundschaft; „seyd gastfrey“ - spricht er - „unter einander ohne Murmeln.“ Wenn die ersten Christen in den Verfolgungen, die über sie ergiengen, von Haus und Hof vertrieben wurden, und keine bleibende Stätte mehr hatten, und von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt fliehen mußte, da thaten sich ihnen die Häuser der Brüder auf, und Gastfreundschaft wurde hoch gehalten und fleißig geübt. Es ließe sich Vieles darüber sagen, wie auch wir Gastfreundschaft üben können gegen Nahe und Ferne, gegen Christen und Heiden, gegen Juden und Türken, gegen Alte und Junge, für uns und mit Andern; denn Gelegenheiten bieten sich genug dar, und Anstalten gibt es genug, in denen solche Gastfreundschaft geübt wird, wo nicht nur das leibliche Brod, sondern auch das Manna, vom Himmel gekommen, angeboten wird. Darum wenn ihr Gäste ladet, so ladet nicht Solche, die euch wieder laden, sondern gehet hin, und ladet die Armen und die Lahmen, die Krüppel, die Blinden, die Tauben, die geistlich und leiblich Kranken, damit ihr Kinder seyd eures Vaters im Himmel.
„Und dienet einander, ein Jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherley Gnade Gottes; so Jemand redet, daß er es rede als Gottes Wort; so Jemand ein Amt hat, daß er es thue als aus dem Vermögen, das Gott darreicht, auf daß in allen Dingen Gott gepriesen werde durch JEsum Christum.“ Die christliche Gemeinde soll den geistlichen Bau, den Tempel Gottes erbauen; und dazu soll nun Jeder in seinem Theile auch beytragen. Bey Aufführung eines Gebäudes können nicht Alle die Steine behauen, nicht Alle Holz herbeytragen, nicht Alle die Mauern aufführen; aber Jeder in seinem Theile muß thun, was seines Amtes ist. So sollte es auch bey denen seyn, die auf den HErrn warten; so sollte eines Jeden Beruf zum Gottesdienst, eines Jeden Hauswesen zu einem Tempel werden, weil der HErr im Anzug ist, weil ein Jeder Rechenschaft geben muß von dem Amte, in das er gesetzt ist. Ach, wie lieblich wäre es, wenn die Christenheit eine solche Gestalt gewänne, wenn also in allen Dingen Gott gepriesen würde durch JEsum Christum.
Lieber Zuhörer! suche die herzliche Barmherzigkeit Gottes in JEsu Christo recht zu schmecken und zu erfahren, und dann wirst du auch reich werden an Erbarmen, und aus dem Erbarmen heraus reden, aus dem Erbarmen heraus lieben, aus dem Erbarmen heraus leben, aus Erbarmen gastfrey seyn, aus Erbarmen dienen, und dich in allen Dingen als einen rechten Diener des barmherzigen HErrn darzustellen suchen. Das ist ein seliger Stand, wenn man mit dem Erbarmen Gottes steht und geht, sitzt und liegt, wacht und schläft; dann kann man das Ende aller Dinge ruhig erwarten; dann kann man alles Andere wohl missen und fallen und sinken sehen; denn Eines bleibt ja fest stehen, wenn auch Erd' und Himmel untergeht, Gottes ewiges Erbarmen in Christo JEsu, unserem HErrn. Darum
Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Abend kommt herbey,
Es ist gefährlich stehen
In dieser Wüsteney.
Kommt, stärket euren Muth,
Zur Ewigkeit zu wandern,
Von einer Kraft zur andern;
Es ist das Ende gut;
So wollen wir's denn wagen,
Es ist wohl wagenswerth,
und gründlich dem absagen,
Was aufhält und beschwert.
Welt! du bist uns zu klein,
Wir geh'n durch JEsu Leiden
Hin in die Ewigkeiten,
Es soll nur JEsus seyn.
Amen!