Hofacker, Ludwig - IV. Am Grabe einer gläubigen Gattin und Mutter.
Ruhet wohl, ihr Todtenbeine,
In der stillen Einsamkeit!
Ruhet, bis der HErr erscheine,
Der euch dann zu Seiner Freud’
Rufen wird aus euren Grüften
In die freien Himmels-Lüsten.
Ja! ruhet wohl und sanft, ihr müden Gebeine! Ihr habt der Ruhe oft und lange entbehrt. Durch viele Arbeit und Leiden seyd ihr ja recht abgemattet und der Ruhe recht bedürftig geworden. Ruhet nun aus, ohne daß ein Schmerz euch störe, bis auf den großen morgen, da ihr durch die Kraft des Erzhirten sollet hervorbrechen zum neuen Leben! Ruhe auch du, so lange gedrückter Geist, von deinen mancherley Lasten aus in der Freiheit der Kinder Gottes, nach welcher du so oft geseufzet hat, zu welcher du nun, wie wir im Blick auf das ewige Erbarmen Gottes hoffen, hindurchgedrungen bist; deren alle Diejenigen froh werden, die hienieden an den Sohn Gottes geglaubt haben. o unbeschreibliche Gnade! unergründlicher Reichthum göttlicher Friedens-Gedanken über ein versunkenes, verlorenes Geschlecht, daß arme Sünder durch den Glauben an JEsum können aus allen Banden ihrer Gefangenschaft erlöst, und zur Himmlischen Freiheit hindurchgebracht werden! Große Gnade über uns, daß wir auch hier nicht verzagen dürfen, sondern wissen, daß es dabey bleibt, was die Schrift sagt: „Selig sind die Todten, die in dem HErrn sterben, von nun an; ja der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit.“
Liebe Leidtragende! Es würde gegen den Sinn der Entschlafenen seyn, und sich nicht ziemen, wenn ich hier an ihrem Grabe das Gute, das Andere an ihr schätzten, rühmen wollte! im Gegentheil hat sie es ausdrücklich verlangt, daß von Gnade und Barmherzigkeit möge hier gesprochen, und der HErr gepriesen werden, der durch ihr ganzes Leben Großes an ihr gethan habe, so unwürdig sie Seiner unzähligen Wohlthaten gewesen sey. Und das ist auch der Sinn, der sich für Sünder, die zugleich Kinder Gottes sind, am besten schickt, daß sie aufhören, etwas Gutes von sich zu wissen, als aus sich, und daß ihr Mund voll wird von der Erbarmung Dessen, der ihren inneren und äußeren Gang geordnet, und mit überfließender, über alle Sünden weit hinausgehender Gnade sich ihrer angenommen hat. So weiß man wenig oder nichts von sich selber zu rühmen, vielmehr möchte das Herz aus Scham und Beugung vor dem Angesichte seines Erbarmers zerfließen. Und welch’ ein Lob des HErrn wird in der seligen Ewigkeit aus der Tiefe eines solchen gedemüthigten Geistes hervorbrechen, wenn ihm die Liebe seines Gottes noch deutlicher in die Augen tritt, und er nun Alles in der Klarheit überschauen darf, was ihm auf Erden noch dunkel und räthselhaft war. Darum wollen wir auch hier von der Gnade Gottes reden, und das Lob des HErrn verkündigen, der bis in die letzte Lebensstunde Großes an unserer Entschlafenen gethan ha. Dieß ist ja ohnedem das lieblichste Geschäft hienieden, das Sünder verrichten können, wenn sie den Namen des HErrn lobsingen und im Staube die Ehre geben; ein Geschäft, das hienieden im Lande der Fremdlingschaft angefangen, und dort in der Heimath lauter und herrlicher, und mit noch mehr Beugung und Inbrunnst des Geistes fortgesetzt wird von Denen, die sich erretten ließen zum ewigen Leben.
Gepriesen und gelobet sey der HErr für alle Barmherzigkeit und Treue, die Er an unserer entschlafenen Mitschwester während ihres 45jährigen Pilgerlaufes gethan hat. Ach! sie hatte in dieser langen Zeit so viel erfahren, und in so vielen und mancherley Proben die liebende Hand ihres treuen Gottes gespüret, daß sie sich ein eigenes Geschäft daraus machte, dem Heiland zu danken, und auch in ihrer letzten Krankheit, in Dürre und Trockenheit des Gemüths, solches Lob Gottes, obwohl in Schwachheit, doch getreulich fortsetzte. Gepriesen sey der HErr auch von uns für alle diese Proben an unserer Entschlafenen! Gepriesen sey Er besonders dafür, daß Er ihren Geist durch Seine mächtigen Gnadenzüge schon frühe zu Sich und zu Seiner Gemeinschaft lockte! Gepriesen dafür, daß Er sie in Seiner Gemeinschaft erhielt, und durch heilsame Demüthigungen, von innen und außen, kleine Gedanken von ihrer Würdigkeit in ihre Seele gepflanzt hat! Gepriesen sey der HErr, daß Er, wie wir glauben, ihre Kleider gewaschen und gebleicht hat im Blute des Lammes! Gepriesen für Seine treue Durchhülfe und Bewahrung in ihrer 23jährigen Ehe, gepriesen dafür, daß Er sechs ihrer Kinder ihr vorangeschickt hat in die selige Ewigkeit, welche sie nun, wie wir hoffen, drüben mit großer Freude wieder gefunden hat! Gepriesen sey der HErr für alle Leiden und für alle Freuden, für allen Trost und Erquickung auf dem Wege, durch Sein Wort und Sakrament! Gepriesen sey Er für ihre letzte Krankheit, und für die mancherley Demüthigungen darin! Gepriesen sey Er dafür, daß Er, der göttliche Erzieher, nicht aufgehört hat, sie zu läutern im Tiegel der Trübsal! Gepriesen sey Er für jeden Seufzer, welchen ihr ihr Weg auspreßte, gepriesen für alle Thränen, die sie hienieden geweint hat, denn es diente Alles zum Besten. Gepriesen für ihre sanfte, und wie wir glauben dürfen, selige Auflösung! Gepriesen sey Er für Alles! – Ach! wer kann die Güte des HErrn erzählen, und die Wunder Seiner Wege ausreden! Kein Mund kann’s ja aussprechen, und keine Zunge genugsam rühmen, was der Gott, Der unserer nicht bedarf, an verwerflichen Sündern thut; wer es recht bedenket, der sehnet sich, erlöset zu werden von diesem Todes-Leibe, um ganz Anbetung seyn zu können, und in dem Lobe seines Gottes zu zerfließen. Wer ist unter uns, der, wenn er sich recht besinnt, obwohl vielleicht unter Thränen, doch mit tiefer Herzens-Freude hier an diesem Grabe nicht rühmen und sagen müßte:
Ach! ja, wenn ich überlege,
Mit was Lieb’ und Gültigkeit
Du durch so viel Wunder-Wege
Mich geführt die Lebens-Zeit;
So weiß ich kein Ziel zu finden,
Noch die Tiefen zu ergründen.
Tausend, tausend Mal sey Dir,
Großer König, Dank dafür!
Aber was sind wir für Leute, liebe Leidtragende, wie glücklich sind wir! Hier an den Gräbern unserer im HErrn Entschlafenen, wo die Natur zurückschaudert, und das Auge nichts mehr siehet als Tod und Trennung, - da, wo nur Schmerz und Jammer sich des natürlichen Gefühls bemächtigen, da dürfen und können Christen hinstehen, und die Güte Gottes preisen, der sie wohl züchtiget, Dessen Liebeshand sie aber auch in Seinen Züchtigungen erkennen. Da, wo unser Herz nichts mehr hofft, wenn es nicht von oben erleuchtet und gestärkt wird – da, wo die Vernunft nichts mehr sieht, und keine Spur mehr entdeckt, da hebt der Glaube sein Haupt triumphirend empor, und siehet keck und trotzig hinweg über das Sichtbare, über Grab, Tod und Verwesung, und blicket mit innigem Wohlseyn hinein in die ewige Heimath, in die schon längst mit Leiden und Tod erworbenen Hütten, ja in den kommenden Tag der Offenbarung der Kinder Gottes und der Freiheit auch der seufzenden Kreatur. „Gelobet sey Gott und der Vater unseres HErrn JEsu Christi, Der uns nach Seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung JEsu Christi von den Todten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel.“ Gelobet sey Gott, der uns durch das Evangelium geschenket hat einen ewigen Trost, daß wir hier nicht traurig seyn dürfen nach Art der Heiden, die keine Hoffnung haben, und dürfen nicht mit unsern Gedanken am Staube hängen bleiben, sondern dürfen getrost hinauf sehen auf das himmlische Vaterland, auf den Sammelplatz aller Gläubigen, wo dem Lamme, das geschlachtet ist, von den Erlöseten ewige Ehre gegeben wird, und wohin der treue Hohepriester nach Seinen ewigen Friedensgedanken Alle nach und nach leiten will, die Ihm der Vater gegeben hat, „auf daß sie Seine Herrlichkeit sehen, die Ihm der Vater gegeben hat“;
Wo die Patriarchen wohnen,
Die Propheten allzumal,
Wo auf ihren Ehren-Thronen
Sitzet der Apostel Zahl;
Wo in so viel tausend Jahren
Alle Gläub’gen hingefahren,
Da wir unserem Gott zu Ehren,
Ewig Hallelujah hören.
„Ich will“ – hat der Heiland gesagt – „daß sie bey mir seyen, die Du mir gegeben hast, und meine Herrlichkeit sehen.“ O was kann Größeres gedacht werden! Bey Ihm seyn, bey Dem seyn, den man nicht sahe und doch liebte; bey Dem seyn, den man Alles verdankt; bey Dem seyn, der sich erwürgen ließ zur Erlösung der gefallenen Menschheit, und Theil haben an Seiner Herrlichkeit; was kann Größeres gedacht werden!
Da wird die trübe Zeit,
Das leicht’ und kurze Leid
Im Licht verschlungen,
Und der Dreieinigkeit,
Nach hier vollbrachtem Streit,
Triumph gesungen.
Wir hoffen und glauben, daß unsere entschlafene Mitschwester um der Erbarmung Gottes und des Blutes der Versöhnung willen, das für alle Sünder um Barmherzigkeit ruft, in dieses Reich des Lichts und der ewigen Freude eingedrungen sey. Wie wohl wird ihr nun seyn nach ihrer langen Gefangenschaft in der Freiheit, wohin ihre Eltern und sechs ihrer Kinder ihr vorangeeilt sind! Nein! wer selig drüben ist, wird sich nicht mehr herüber wünschen; aber sorgen wird er wohl und beten, daß doch Diejenigen, die noch im Leibe wallen, und ihm am Herzen liegen, möchten auch zu jener Freude geleitet werden.
Unsere entschlafene Mitschwester hat noch fast die Hälfte ihrer Familie hienieden wallen, die Mutter mit sechs Kindern ist in der oberen, der Vater mit vier Kindern ist in der unteren Gemeinde. Freilich ist die Verbindung nicht abgebrochen, sondern erhöht, denn es ist Ein HErr, Eine Liebe, Ein Reich, Eine Richtung des Geistes, was die obere und die untere Gemeinde zusammen bindet. Aber wichtig, sehr wichtig muß es für die seyn, die noch hier sind in der Welt, wenn sie nahe verbundene Geister in der seligen Ewigkeit haben, wichtig besonders für Kinder, wenn sie wissen: unsere Mutter ist bey dem HErrn!
Es war eines der Hauptanliegen der Verewigten, daß sie auch unaufhörlich dem HErrn in’s Herz sagte, daß doch kein Einziges von den Ihrigen möchte dahinten bleiben, daß der HErr alle Fehler, die sie etwa bey der Erziehung gemacht, gut machen und sie Ihm Alle möchte übergeben können: „siehe, hier sind Die, die Du mir gegeben hast, ich habe durch Deine Gnade deren keines verloren!“ Ach, daß diese Sehnsucht eurer entschlafenen Mutter recht tief in euer Herz eindränge, ihr Lieben! die ihr nun verwaist seyd. Oder sollte dieses Gebet, das sie hienieden angefangen hat, nicht fortgehen in der oberen Gemeinde? Sollte dieses Gebet nicht fortwirken auf dem ganzen künftigen Lebensgang der Kinder? Wie leicht könntet ihr euch um dieser Gebete willen euren Weg zum Vaterland machen, wenn ihr der Stimme des Geistes der Wahrheit gehorchet! Wie schwer wird es euch aber werden, wider den Stachel zu lecken, wenn ihr darnach euch solltet gelüsten lassen! Welch’ großes Anliegen sollte es euch nun seyn, daß euer Weg doch möchte ein Weg des Friedens werden, der zum oberen Vaterlande, zum Heiland und zur Wieder-Vereinigung mit eurer Mutter führt. Der HErr schenke euch je mehr und mehr erleuchtete Augen eures Verständnisses, darnach zu trachten, daß ihr durch einen vor Ihm geführten Wandel euren bekümmerten Vater tröstet und aufrichtet, eure Mutter in der Ewigkeit erfreuet, euer eigenes Heil befördert, und wenn auch ihr die Hütte ableget, zu der oberen Gemeinde versammelt werdet, die um den HErrn ist.
So lebe denn wohl, geliebte Freundin! erlöster Geist, bis auf’s fröhliche Wiedersehen in dem Vaterhause Gottes, wohin du eingegangen bist, wohin auch wir nach den Streiten dieser Zeit durch das Blut der Versöhnung nachzukommen hoffen; ruhe sanft, müde Hütte, bis auf den Tag der Ernte, bis auf den Tag JEsu Christi! Du aber, HErr, lehre uns dulden, glauben, kämpfen, beten, überwinden; läutere und vollende uns, bis Du uns fähig findest, einzugehen zu den Thoren der neuen Stadt und zu empfangen das Erbtheil der Heiligen im Lichte, wo keine Versuchung mehr ist, und keine Sünde, und keine Klage und kein Schmerz, sondern ewige Wonne!
Gottes Kinder säen zwar
Traurig und mit Thränen,
Doch es kommt ein Freuden-Jahr
Einst nach langem Sehnen;
Endlich kommt die Ernte-Zeit,
Wo die Saat auf Erden,
Wo die Thränen dieser Zeit
Lauter Jubel werden.
Amen!