Hofacker, Ludwig - II. Am Grabe eines durch lange Leiden vollendeten jungen Mannes.
Zum Preise unseres Gottes, Der die Seinen wohl züchtiget aber Sich eben dadurch auf das Herrlichste an ihnen offenbaret, dürfen wir die müde Hütte unseres entschlafenen Freundes hier auf Hoffnung der künftigen Auferstehung niederlegen. Der harte Kampf ist nun geendet, der Lauf ist vollendet, die Geduldszeit ist vorbey der heiße Tiegel, in welchem sein Glaubensgold bewähret wurde ist zerbrochen, sein Hoffen ist eingetroffen, die Erquickungszeit ist ihm angebrochen. Gelobet sey der HErr, Der wie wir sicherlich glauben dürfen, ihn selig hinaus, hindurch, hineingebracht hat zu Denen, die Sein Angesicht schauen, welchen Er die Thränen von den Augen wischt.
Freude und Wehmuth ergreift mich, wenn ich an den Lauf und an das Ende unseres Entschlafenen denke. Freude – im Blick auf dieses Saatkorn, dem nach langer Unruhe und Zerrüttung endlich diese Ruhestätte vergönnt ist, und das seine Frucht bringen wird zu seiner Zeit; Freude – in der guten Hoffnung, daß der erlöste, schon lange nach seiner Befreiung seufzende Geist nun daheim ist bey dem HErrn, und Den siehet, den er hier nicht sahe und doch lieb hatte; aber auch Wehmuth – im Blick auf den Schmerz und den Verlust der Seinigen und aller Derjenigen, die ihn näher kannten. Und wenn wir den Kreuzes-Lauf des Entschlafenen erwägen, und daß es so sehr durch’s Gedränge gieng mit ihm bis in den letzten Athemzug, und an ihm so deutlich erfüllt ward in seinem ganzen Laufe, was der Psalmist sagt von Denen, die den Tag der Erlösung einst sehen: „sie gehen hin“ – spricht er – „und weinen“; oder wie es der Apostel ausdrückt: „wir tragen um allezeit das Sterben des HErrn JEsu an unserem Leibe, auf daß auch das Leben des HErrn JEsu an unserem Leibe offenbar werde;“ wenn wir dieß erwägen, sollte uns da nicht Wehmuth ergreifen über den tiefen Fall der Menschheit, daß der himmlische Erzieher auch Seine treuesten Kinder nur durch viel Trübsal und manche schmerzliche Läuterung für das Reich Gottes vollende kann.
Von welchen Grundgedanken ich übrigens hier an diesem Grabe ausgehe, worüber ich eigentlich reden soll, darüber darf ich mich nicht lange besinnen; unser entschlafener Freund hat es mir selbst gesagt, er hat mir aufgetragen, hier über das Wort zu reden, das Paulus 1. Timoth. 1,16. von sich aussprach: „mir“ – heißt es dort – „ist Barmherzigkeit widerfahren.“ Gerne thue ich das, und befolge seinen Auftrag; gerne will ich hier die Barmherzigkeit des HErrn preisen, der ja allein werth ist, daß man Ihn rühme; ja meine Seele erhebet den HErrn, und mein Geist freuet sich Gottes, unsers Heilandes, Ihm will ich lobsingen, ich will Seine Güte verkündigen, ich will Seine löblichen Thaten preisen; Er, der barmherzig ist und gerecht und treu, Er soll von uns hier im Staube erhoben werden, das ist unsere Pflicht, das ist der Sinn des Geistes, dessen Hütte hier niedergelegt ist; wenn er es vernehmen kann, so wird er im oberen Reiche des Lichtes in diesen Preis seines Gottes auch mit uns einstimmen.
Barmherzigkeit ist unserem vollendeten Mitbruder widerfahren in seinem 29jährigen Laufe durch dieses arme Leben, von Kindesbeinen an bis in seine letzte Lebensstunde, von Tag zu Tag, von einem Morgen zum andern, von einem Abend zum andern, von einer Lebensstufe zu der andern – lauter Barmherzigkeit, und er hat es auch wohl erkannt und gerühmt, daß er nicht werth sey aller Treue und Barmherzigkeit, welche der HErr an ihm gethan habe. Darüber sey der HErr hoch gelobet! Wie viel göttliche Durchhülfe im Aeußerlichen hat er nicht erfahren! In kränklichen Umständen, unter der Gestalt des Kreuzes, in den allerhand Nöthen des Lebens, da lassen sich ja Erfahrungen machen von dem treuen und liebevollen Herzen unseres Gottes, die man nachher um keinen Preis mehr hergäbe; auf dem Wege durch die Wüste hat der HErr Sich an den Israeliten geoffenbaret als ihren Gott, in Seiner überschwänglichen Kraft und Gnade. Und solche Erfahrungen hat der Entschlafene auf seinem Wege durch die Wüste dieses Lebens auch machen dürfen, sie haben seinen Glauben gestärkt und seinen Hoffnungsblick auf das Zukünftige erweitert; ja! der HErr ist barmherzig! Gelobet sey Er!
Es hat dem Vater gefallen, durch Seinen Geist an das Herz unseres entschlafenen Freundes schon in früher Kindheit anzuklopfen, und durch Seine Züge ihn zu der Gemeinschaft mit dem Sohne zu locken; Er hat ihn schon in seinen Knaben-Jahren, welche für Andere im jugendlichen Leichtsinne und im Träume vorüberstreichen, in schwere Leidensschulen geführt, und durch anhaltende Schwächlichkeit und Kränklichkeit des Körpers den aufstrebenden Sinn zur Stille und Geduld herabgebogen. Gelobet sey der HErr für diese große Barmherzigkeit! Und als Satan sich meldete, und durch Betrug der Sünde das im Jüngling angefangenen Werk zerstören wollte, da hat der gute Hirte gewacht, dem Entschlafenen die Gefahr gezeigt, und ihm Kraft gegeben, derselben zu entrinnen, und den Argen zu überwinden durch des Lammes Blut; Er hat ihm einen Sinn geschenkt, Alles für gering zu achten gegen der überschwänglichen Erkenntniß JEsu Christi, seines HErrn, und darnach zu trachten, daß er, sey es durch was es sey, seine Seele als Ausbeute davon trage. „Lieber noch durch sieben Tiegel, als mein Lamm von dir entführt“; das hat Er ihm oft in den Mund gelegt durch Seinen Geist. „Gnädig ist der HErr! geduldig und von großer Güte! Wie sich ein Vater über Kinder erbarmet, so erbarmet Er sich über die, so Ihn fürchten!“
Mir ist Barmherzigkeit widerfahren! dieß wollte der Entschlafene freilich hauptsächlich in der Absicht rühmen, daß Gott ihn als Sünder, als großen Sünder in Christo angenommen, und ihm alle seine Schulden geschenkt habe. Und wirklich ist dieses auch für Jeden, der weiß, was Sünder-seyn heißt, das größte Wunder der Barmherzigkeit. Gott hat unserem Freunde die Augen geöffnet, daß er in das Grundverderben seines Herzens, und in seine große Verschuldung vor seinem HErrn hineinblicken durfte, und als er zu Ihm rief in seiner Noth, so hat Er geantwortet, und den Abgrund Seine Gnade in der blutigen Versühnung vor ihm aufgeschlossen; Er hat ihn einen festen und gewissen Grund finden lassen für seine Seele, einen Grund, den nicht die tägliche Erfahrung des inwendigen Verderbens, nicht seine letzte Krankheit, nicht eine geraume Zeit, wo er ohne innere fühlbare Erquickung blieb, nicht der Anblick des Todes umstoßen konnte; es ward ihm die Gnade gegeben, solches Alles ruhig und gelassen über sich hinrauschen zu lassen, und seine Hoffnung lauterlich auf die Gnade zu setzen, die ihm der Heiland durch Sein schweres Büßen erworben hatte.
Freilich war sein Lauf ein Leidenslauf; sein Weg verengte sich je mehr und mehr, große Prüfungen giengen über ihn in den letzten Jahren, Monaten und Wochen; aber Der, so ihm das Alles auflegte, gab auch Kraft zum Tragen, ausharrende Kraft im Blick auf das himmlische Kleinod, und auf Den, so uns vorangegangen ist durch die Leiden dieser Zeit zur Herrlichkeit, und Dem Alle, die Ihm angehören, nachfolgen müssen, auf JEsum Christum. Und ist nicht durch diese Leiden der Sinn des Entschlafenen je mehr und mehr in die göttliche Gelassenheit hineingeführt, ist nicht dadurch sein Auge immer heller himmelwärts gerichtet, und von der vergänglichen Welt abgezogen worden? Ist ihm nicht unter dem Leiden der Reichthum der Güte Gottes auch im Aeußeren aufgedeckt worden, daß er Alles für unverdiente Gnade ansehen, und auch für das danken lernte, was der hochmüthige Sünder ohne viel Umstände als Schuldigkeit hinnimmt? Ist nicht dadurch sein Geist immer mehr gedemüthigt, und je mehr und mehr zu der seligen Geistesarmuth herabgebracht worden, welcher der Heiland das Himmelreich zuspricht? Ja! „der HErr unser Gott, ist oft ein verborgener Gott, Seine Wege sind unausforschlich, aber allezeit herrlich; Sein Werk kann Niemand hindern, Seine Arbeit darf nicht ruh’n, wenn Er, was Seinen Kindern ersprießlich ist, will thun.“
Und was soll ich sagen von den mannigfaltigen Stärkungen auf dem Wege! was soll ich sagen von der Taufe in früher Kindheit! von dem oftmaligen Genuß des Abendmahles! was soll ich sagen von den vielen Stärkungen durch’s Wort Gottes! was von dem gesegneten Umgang mit christlichen Freunden! was soll ich sagen von der endlichen Erlösung von allem Uebel, von dem stillen Abbrechen der Hütte, von dem friedlichen Hingang aus dieser Zeit! von dem seligen Eingang in das himmlische Vaterland durch den Glauben an den Sohn Gottes! was davon, daß nun der ganze Kampf geendet ist, und die Leiden dieser Zeit in’s Licht der Ewigkeit verschlungen sind? Ach! wenn unser entschlafener Freund hier stünde, er würde über dieses Alles die Gnade rühmen, und hier in Absicht auf alle diese Wohlthaten sprechen: „mir ist Barmherzigkeit widerfahren!“ denn dieß war sein ganzer Sinn. Denn ist dieses Alles sein Verdienst? Ist es eine Folge seiner Würdigkeit? Nein! Gnade ist es, lauter Gnade! Aus Gnaden hat der HErr Alles wohl gemacht.
Ja wohl gemacht durch’s ganze Leben,
Recht wohl in seiner Todespein!
Sein mütterliches Tragen, Heben
Bracht’ ihn heraus, hindurch, hinein.
Heraus, aus dieser Erde Lüsten,
Hindurch, durch die Versuchungswüsten,
Hinein in’s schöne Kanaan;
Da er in jenen Lebensauen
Kann JEsum Christum selber schauen,
Der große Ding’ an ihm gethan.
O liebe Brüder und Schwestern! Es ist doch etwas, wenn man sich dem Heiland ganz ergibt; es ist etwas, wenn man Alles daran setzt, ein Eigenthum JEsu zu werden, und ein lebendiges Glied an Seinem Leibe. Gehe es auch nicht durch lauter Wege, die dem Fleische angenehm sind, drücke auch die Last, die auf dem Rücken liegt, entstelle auch die Larve des Kreuzes, gehe es auch durch manches Gedränge von außen und innen in der Nachfolge JEsu, was ist es doch zuletzt! Schauet an die Belohnung! Wenn die kurzen Trauerstunden in siegender Geduld hinunter geflossen sind, wenn der beschwerliche Kreuzesblock eine kurze Zeit geschleppt war, und der HErr spannt Seinen müden Kämpfer aus dem Joch, ach! was ist dann das Leiden dieser Zeit! was ist Alles gegen den Tag der Ewigkeit, der schmerz- und geräuschlos anbricht! was ist Alles nur gegen das einzige Wort, das wir auf den Gräbern Derer, die dem HErrn JEsu angehören, laut rühmen und sprechen dürfen: „es wird gesäet in Unehre, und wird auferstehen in Herrlichkeit, es wird gesäet in Schwachheit, und wird auferstehen in Kraft, gleichwie wir getragen haben das Bild des Irdischen (Adams), so werden wir auch tragen das Bild des Himmlischen (Christi).“
Was hier kränkelt, seufz’t und fleht,
Wir dort frisch und herrlich gehen,
Irdisch wird’ ich ausgesäet,
Himmlisch wird’ ich auferstehen,
und die Schwachheit um und an
Wird von uns seyn abgethan.
Damit wollet ihr euch unter einander trösten, liebe Leidtragenden! Ihr habt freilich viel verloren, es ist ein priesterlich Herz, ein rechtes Kindes- und Bruder-Herz aus eurer Familie gewichen. Aber wisset, daß, so wir in Christum gewurzelt werden, und an Christo bleiben, wir mit Allen Denen, so in Ihm entschlafen sind, in wahrer, wesentlicher Gemeinschaft bleiben, denn wir sind dann Alle Eines Hauptes Glieder. O! möchte der tiefste Wunsch, das brünstigste Gebet des Vollendeten erfüllt werden, und keines, ja keines von den Seinigen dahinten bleiben, möchten den betrübten Eltern die drey Kinder, die noch um sie sind, reichlich das ersetzen, was sie an dem Entschlafenen gehabt haben, möchten sie sich einst Alle wieder finden vor dem Throne des Heilandes, und neue, festere, innigere, bleibendere Bande geknüpft werden für die unermessenen Ewigkeiten.
Das kannst aber nur Du vollführen, großer Bischof und Hirte Deiner Schafe, vor Dem sich alle Kniee beugen sollen, und vor Dem wir uns auch hier im Geiste in den Staub beugen. Du allein kannst Wunde, die Deine Weisheit und Liebe schlug, auch wieder heilen; Du allein kannst den Glauben anfangen und vollenden; Du allein kannst in uns den Sinn erwecken, daß wir nach dem trachten, das oben ist, und vergessen, was dahinten ist; Du allein kannst es machen, daß wir am Ende unserer Laufbahn, ja in den tiefen Ewigkeiten Deine Barmherzigkeit rühmen können. O! Du König der Ewigkeiten! blicke hernieder auf uns zu dieser Stunde, und schaffe in uns, schaffe namentlich in den Herzen der Leidtragenden, was vor Dir gefällig ist. Gib, daß Keines, ach! ja Keines, dahinten bleibe;
Heb’ uns aus dem Staub der Sünden,
Wirf die Schlangenbrut hinaus,
Laß’ die Kinder Freiheit finden,
Freiheit in des Vaters Haus.
Wir müssen Dir auch unsern innigsten Dank darbringen für Alles, was Du an dem Entschlafenen während seines Pilgerlaufes gethan hast. Wir danken Dir, daß Du ihn erweckt, und zu dem Leben, das aus Dir ist, gebracht hast; wir danken Dir dafür, daß Du ihn bewahret hast im Glauben an Dich durch Deine Gottesmacht bis an’s Ende; wir danken Dir für seine selige Auflösung; wir danken Dir für so viel Labsal und Erquickung auf dem Wege, für so viel Treue und Geduld, für so viele Proben Deiner Langmuth; wir danken Dir für alle Freuden und Leiden auf seinem Wege, für alle Thränen, die er geweinet hat, für die ausharrende Geduld, die Du ihm geschenket hast während der Last und Hitze des Tages, und in seiner letzten Krankheit und Noth! Für Alles sey Dir, o Lamm! der Dank zu Deinen Füßen niedergelegt. Du hast Barmherzigkeit an ihm gethan, darüber wird er Dich jetzt loben, wir loben Dich auch darüber! Thue auch Barmherzigkeit an uns fort und fort, und werde nicht müde mit uns, wie Du nicht müde geworden bist mit ihm, bis an’s Grab. Wir armen Sünder bitten, Du wollest uns mit diesem deinem Jünger in ewiger Gemeinschaft erhalten, und auch uns dereinst von unserer Arbeit ausruhen lassen an Deinen Wunden! Erhör’ uns, lieber HErr und Heiland! Amen.