Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - IV. Die Begegnung Melchisedek's, des Priesterkönigs, mit Abraham.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - IV. Die Begegnung Melchisedek's, des Priesterkönigs, mit Abraham.

In den Tagen, da der Sohn Gottes in demüthiger Knechtsgestalt auf Erden wandelte, ahnete es Niemand, in welch' einem Zusammenhang gerade diese Erniedrigung des Menschensohnes mit jener Erhöhung stehe, und wie die allerbitterste Leidenstaufe, die Christo vorbehalten, dazu erforderlich war, ihm das Reich zu bescheiden. Nachdem alles vollbracht war und der Weg des Erlösers sich in die grauenvolle Nacht des Verbrechertodes hinabgesenkt hatte, um nun sich in die glänzende Sonnenbahn hinauf zur Rechten der Majestät in der Höhe umzugestalten, schließt uns einer seiner Apostel das selige Geheimniß auf und sagt: Darum, weil Jesus Christus sich selbst entäußert, Knechtsgestalt angenommen und gehorsam geworden sei bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz, darum habe ihn Gott erhöhet und habe ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen sei, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind und alle Zungen bekennen, daß er der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters. (Phil. 2, 7.)

Ohne Zweifel war es nur Schuld einer muthwilligen Selbstverblendung, wenn auch nur Einer von denen, die den schönen Glanz des hellen Aufganges aus der Höhe sahen, sich dem Bekenntniß entzogen, welches Johannes ablegt: wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Eben so gewiß aber war es nun der Gnade einer höheren Erleuchtung vorbehalten, in jenem schreckensvollen Ausgang, den der Herr zu Jerusalem erfüllte, die eigentliche Vollendung seines Werkes und den Anfang, die Grundlegung der Herrschaft zu erblicken, von der es heißt, sie ruhe auf seiner Schulter, auf der Schulter, die das Kreuz trug. Der Löwe aus dem Stamme Juda, - das Lamm, das die Sünden der Welt trug - wie seltsam: der, durch dessen Erkenntniß viele gerecht werden, - der Knecht, verachtet und unwerth, vor dem man das Angesicht verbarg, und der doch dadurch, daß er sein Leben zum Schuldopfer gab, die Starken zur Beute habe, und in die Länge leben und dessen Lebenslänge Niemand ausreden werde: wie unbegreiflich! Das alles war freilich schon durch die Summe der prophetischen Weissagung (Jes. 53.) laut verkündet, aber es hieß auch: wer glaubet unserer Predigt? und wem ist der Arm des Herrn offenbar? Petrus erkannte es nicht, so lange der Herr auf Erden wandelte. Derselbe Jünger, der hingerissen von der göttlichen Hoheit Jesu Christi, mit voller Ueberzeugung bekannte: Wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, konnte damit die Schmach, die Verwerfung, den Kreuzestod seines Herrn nicht vereinen, und rief, als Christus ihm seine Leiden verkündet: Herr, schone deiner selbst, das widerfahre dir nicht (Matth. 16, 22). Nicht minder bekannten die beiden Jünger, die wir auf dem Wege nach Emaus klagen hören, daß nun Jesus, der Prophet, mächtig von Thaten und Worten vor Gott und allem Volk, zur Verdammniß des Todes überantwortet und gekreuzigt worden sei, all ihre Hoffnung, er soll Israel erlösen, vernichtet. Sie trauerten, wie man am Grabe eines Todten trauert. Der Herr belehrt sie eines Andern, eröffnet ihnen die Schrift und zeigt ihnen, daß jetzt ihre Erlösungshoffnung vollendet sei. Mußte nicht Christus solches alles leiden, um zu seiner Herrlichkeit einzugehen? (Luc. 24, 26.)

Wunderbare Verknüpfung des Eingangs in die Herrlichkeit des ewigen Königthums Jesu Christi mit dem Priesterthum, das er auf Erden unter Schmach und Leiden vollbrachte.

Wir haben in Abrahams Geschichte ein Vorbild dieser theuren Wahrheit. Es ist der Priesterkönig Melchisedech. Dabei verweile heute unsere Andacht, der Geist des Herrn aber öffne uns die Augen des Verständnisses, die Wunder seines Werkes zu schauen.

1. Mose 14. 17-20.

Als er nun wiederkam von der Schlacht des Kedor Laomer und der Könige mit ihm, ging ihm entgegen der König von Sodom in das Feld, das Königsthal heißt. Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brod und Wein heraus. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten. Und segnete ihn, und sprach: Gesegnet seist du, Abraham, des höchsten Gott, der Himmel und Erde besitzet. Und gelobet sei Gott der Höchste, der deine Feinde in deine Hand beschlossen hat. Und demselben gab Abraham den Zehnten von allerlei.

Wir stehn hier vor einem Auftritt der Geschichte Abrahams, welcher durchaus in allen Theilen neutestamentlich, evangelisch ist. Fragen wir nach näherem Aufschluß über diesen, unvermuthet in der Mitte eines götzendienerischen Volks erscheinenden Priester des Allerhöchsten, der zugleich ein König ist, und der eben so unerwartet hervortritt, wie er unerwartet wieder verschwindet, fragen wir, was diese merkwürdige Erscheinung uns sagen wolle, so antwortet die Schrift nicht nur des alten, sondern auch des neuen Testaments nicht einmal nur, sondern wiederholt, nicht in der Kürze nur, sondern ausführlich, daß diese Geschichte von Niemand handle, als von Christo und daß Niemand anders, als der Sohn Gottes in der Person dieses Melchisedek abgeschicket sei.

Wir wissen und glauben wohl alle, daß der Weg und das Heil der Erlösung, ja die ganze Geschichte des neuen Testaments, im alten, wie in einem Schattenriß vorgebildet sei; aber wenn die Weisheit der heiligen Schrift uns die Tafel dieser Vorbilder vorhält, dann will sie, daß wir die Sache nicht mit einem allgemeinen Gedanken für abgemacht halten, wir sollen dabei verweilen, jeden einzelnen Zug durchforschen und an dem Einen himmlischen Ton, der durch die Jahrhunderte hin Christum preiset, die Gewißheit und die Freude unseres Glaubens stärken.

Es ist schon eine längere Zeit, daß wir unsere Betrachtung nicht auf ähnliche Gegenstände der tieferen Schriftkenntniß gerichtet haben. Ich versäume deshalb nicht, die Veranlassung die uns hier dargeboten wird, zu ergreifen und die Begegnung Melchisedeks, des Priesterkönigs, mit Abraham in ihrer inneren Bedeutung auszulegen. Es wird nöthig sein, daß wir zuerst auf

  1. die Geschichte selbst unsre Aufmerksamkeit richten, sodann
  2. das Vorbildliche in derselben erkennen, dessen
  3. herrliche Verwirklichung in Christo bewundern und
  4. dem Gewichte dieser Wahrheiten unser Herz öffnen.

1.

Wir verließen zuletzt Lot, den Vetter Abrahams, als er, von Abraham sich scheidend, die fruchtbarste Au des Landes, das Jordanthal, sich zum Wohnsitz erwählte und seine Hütten bei Sodom baute. Allzubald erfuhr er, wie übel er daran gethan, eigenwillig zu wählen. Er hatte seine Augen nur aufgehoben, das Land zu besehn, er hatte sie nicht aufgehoben, den Willen seines Gottes zu erfragen. Lot wurde mit fortgerissen von den Wirbeln eines Krieges, den einige ferne asiatische Könige mit den Städten des Thales Siddim und ihren Herrschern erhoben hatten. Sodom wird von den Siegern überwältigt, geplündert, und auch Lot mit all seiner Habe fortgeschleppt. Da kam einer, der entronnen war und sagte es Abraham an. Kaum hat dieser die Kunde vernommen, so wappnet er seine Knechte, dreihundert und achtzehn an der Zahl, jagte den Siegern nach, überfiel sie des Nachts, schlug sie in die Flucht und brachte alle Habe wieder, dazu auch Lot und seine Habe und die Weiber und das Volk.

Heimkehrend nun, trug sich die merkwürdige Geschichte zu, deren Bericht wir eben vernommen. Der König von Salem, dem nachherigen Jerusalem, der übrigens in diesen Krieg nicht verwickelt war, Melchisedek, kommt ihm glückwünschend, segnend entgegen. Wer ist dieser? Sein Name scheint sein Titel zu sein, die Bezeichnung seiner Würde. Denn Melchisedek heißt König der Gerechtigkeit. Er war, lesen wir, ein Priester Gottes des Höchsten. Mitten unter den götzendienerischen Kananitern ein Priester des einigen, wahrhaftigen Gottes! Ein Stern in dunkler Nacht, ein scheinend und brennend Licht unter dem umschlachtigen und verkehrten Geschlecht, wie wunderbar dies! So fand Abraham doch auch hier einen Geistesverwandten, und das ist uns ein Zeugniß, daß doch auch unter den andern Söhnen des noahischen Vaterhauses noch eine Spur des elterlichen Lichtes und ein Same der Gerechten übrig geblieben war, zu welchem in jener Zeit auch Hieb gerechnet werden muß. Es ist viel darüber gefragt und gesagt worden, wer dieser König und Priester gewesen sei, ob vielleicht Enoch oder Sein oder Ham, die allerdings zu dieser Zeit noch leben konnten. Die Schrift sagt es uns nicht, sie fügt aber hinzu, was er gethan. Er trug Brod und Wein hervor und segnete Abraham und sprach: gesegnet seist du Abraham dem höchsten Gott, der Himmel und Erde besitzet. Und gelobet sei Gott, der Höchste, der deine Feinde in deine Hand beschlossen hat.

2.

So die Geschichte. Wie einfach, wie natürlich, daß einem siegreich zurückkehrenden Helden ein Glückauf und ein Dank für geleistete Hülfe und Rettung dargebracht wird. Und doch, wie bedeutungsvoll, wie geheimnißreich! Tausend Jahre beinahe gehn vorüber, ohne daß je dieser wunderbaren Person wieder erwähnt wird, ohne daß man vielleicht irgend eine Ahnung davon hatte, daß in dieser Geschichte etwas Hohes und Ewiges angedeutet sei. Da greifet David in seine Harfe, singet den 110. der Psalmen, preiset darin Christum seinen Herrn, zu welchem der Herr gesagt: setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße. Der Herr hat geschworen und wird ihn nicht gereuen: Du bist ein Priester ewiglich nach der Ordnung Melchisedek. Dann gehn wieder etwas über tausend Jahre vorüber und Paulus schließt uns im Brief an die Hebräer an mehreren Stellen und vorzüglich im siebenten Capitel das Geheimniß dieser Geschichte und ihre Beziehung auf Jesum auf, der, in das Inwendige des Vorhangs für uns eingegangen, ein Hoherpriester geworden sei nach der Ordnung Melchisedek. Ehe wir diesen Ausschlüssen folgen, muß ich zur Aufklärung dieser wichtigen Sache noch Einiges über die Anordnung der Vorbilder erinnern. Die Weisheit Gottes hat es nothwendig erachtet, der Stimme der Weissagung von Christo auch ein Bild von ihm zur Seite gehn zu lassen. Nicht allein das Ohr, sondern auch das Auge sollte auf ihn gelenkt werden. Der gesammte Tempeldienst, das Opferwesen, die priefterlichen Geschäfte: Schatten waren es, die Israel den Körper, Christum, sein Opfer, sein Blut und die Kraft desselben vor Augen malten. Ja, es wird ein eigner Stamm, ein besonderes Geschlecht dieses Volkes dazu ersehn, dieses Dienstes sorgsam zu pflegen: der Stamm Levi; es wird dieser priesterlichen Ordnung ein Hoherpriester aus dem Hause Aaron vorgesetzt. Daher der Name des levitischen Dienstes, des aaronitischen Priesterthums. Alles nun, was Priester und Leviten vorbildlich thaten, sollte, wie gesagt, Christum und das heilige Werk abschatten, das er unter den verlornen Menschenkindern zu ihrem ewigen Heil vollbringen werde. Sehet nur eins dieser Opfer, das Osterlamm an! Die Stunde, in der es dargebracht werden mußte, neun Uhr Morgens und zwei Uhr Nachmittags, der Ort, der dafür bestimmt war, Jerusalem, die Unbeflecktheit des Opfers, die kreuzweife Spannung, der hölzerne Spieß, das ungebrochne Gebein: sehet ihr da nicht Golgatha leibhaftig vor Augen? und ruft euch das nicht unwidersprechlich zu: Christus ist das rechte Osterlamm? Was soll denn der Unglaube dazu sagen? Es bleibt ihm nur ein Entweder - Oder übrig. Entweder muß er eine kindische Spielerei nennen, was doch verständige, ehrwürdige Männer mit ganzer Feier ihrer Seele vollbrachten, und dieses allergenaueste Zusammentressen auch eine blinde Spielerei des Zufalls, oder es ist Gottes Anordnung, jene himmlische Weisheit, von der David spricht. Deutliche Hinweisung auf das allergrößte, was geschehn konnte, auf die Hingabe des eingebornen Sohnes, Fingerzeig auf die Versöhnung der Welt durch sein Blut! Bis wohin indeß reichte die vorbildende Abschattung des aaronitischen Priesterthums? Nicht weiter als bis auf die Vollendung des Werkes Christi auf Erden durch seine Himmelfahrt. Diese war noch durch den Eingang des Hohenpriesters in's Allerheiligste, die goldne Schaale des Opferblutes in seinen Händen vor Augen gestellt. (Hebr. 9, 24.) Das Weitere aber, die ewige Herrschaft und Gewalt, die königliche Macht, in der Christus nur wirksam ist, konnte das levitische Priesterthum nicht abbilden. Und warum nicht? In Israel durfte die priesterliche und königliche Würde nie in Einer Person vereint werden. Nach dem Gesetz war das Königthum eben so an eine Person aus dem Stamme Juda geknüpft, wie das Priesterthum dem Stamme Levi angehörte. Darum, fasset das wohl, konnte nur außerhalb der Ordnungen Israels und vor der Gesetzgebung die Person sein, welche beides vorbildlich in sich vereinen, Christi priesterliches Amt und königliche Hoheit. Hier ist sie! Hier der König in Salem, zugleich ein Priester des Allerhöchsten! Wie bedeutsam alles, was uns von ihm gesagt und was verschwiegen wird!

Schon sein Name, Melchisedek, König der Gerechtigkeit. Schallet uns daraus nicht das erhabne Wort entgegen, das der mit Schmach bedeckte Erlöser vor Pilato sprach: Ich bin ein König? leuchtet uns darin nicht die köstliche Überschrift entgegen, die man dem Holze des Fluches gab, an welchem der Dorngekrönte hing? sehn wir darin nicht das Wort des Propheten erfüllt: und das wird sein Name sein, daß man ihn nennen wird: Herr, der unsre Gerechtigkeit ist (Jerem. 23, 6.).

Weiter, ist das absichtslos, daß Melchisedek König zu Salem, d. h. König des Friedens genannt wird? Welch theure Hinweisung auf den, der seinen Frieden, die höchste Gabe, eine Gabe nennt, die die Welt nie zu geben vermöge, und von welchem der Apostel rühmt, er hat Frieden gemacht durch sein Kreuz, er ist unser Friede!

Mit besonderm Nachdruck indeß giebt uns die Schrift zu erkennen, wie beachtenswerth das sei, was uns von Melchisedek verschwiegen wird. Der Apostel hebt es hervor: er sei ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlecht und habe weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens. (Hebr. 7, 3.) Warum wird uns von allem diesem nichts gemeldet? Damit er ein würdig Vorbild dessen sei, der wunderbar geboren, ohne menschlichen Vater, sein Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her (Micha 5, 2.) und seines Lebens Länge kann niemand ausreden, (Jes. 53, 8.) der Erstgeborne vor allen Creaturen. (Col. 1, 15.) Ihm gab Abraham den Zehnten von allerlei. So ziemte es dem, der gewürdigt war Christi Vorbild, der von sich selbst gezeuget: ehe denn Abraham war, bin ich (Joh. 8, 58.) und dem das Volk seine Erlöseten williglich opfert, Leib und Seele, Leben und Gut. Jedoch endlich, wie ist das, daß Melchisedek, der Priester des Allerhöchsten, kein Opfer bringt? Nichts zeiget deutlicher, daß er nicht das irdische, levitische Priesterthum abbilden soll, sondern das himmlische, königliche, gepflegt von dem, der, nachdem er mit Einem Opfer vollendet, die geheiligt werden, nun ein Pfleger ist der himmlischen Güter,

Und sein segenvoll Geschäfte,
Die erworbnen Lebenskräfte
Allen denen mitzutheilen,
Die zum Thron der Gnade eilen.

Darum lesen wir: Melchisedek brachte hervor Brod und Wein. Brod und Wein, diese geheiligten Zeichen, wodurch uns fortwährend die Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Jesu Christi vermittelt, versiegelt und der versöhnende Segen seines Opfers zugewendet wird. Wir erblicken sie auch jetzt auf dem Altar des Herrn, Salems König trägt euch, theure Abendmahlgäste! diesen unschätzbaren Segen eurer Loskaufung in freundlicher Milde entgegen. Nehmet ihn an, ihr ermüdeten Seelen, zur Erfrischung eures Geistes, kommt zu ihm, ihr Mühseligen und Beladenen, er will euch erquicken!

3.

Denn haben wir das Bezeichnende des Vorbildes erkannt, dann haben wir auch die herrliche Erfüllung zu preisen, die wir in Christo in voller Wirklichkeit sehn. Was haben wir nun an Christo, dem zur königlichen Herrschaft über alles Erhöhten? dem, von welchem der Prophet spricht: Er wird bauen des Herrn Tempel und den Schmuck tragen und wird sitzen und herrschen auf seinem Thron und wird euch Priester sein auf seinem Thron. (Zach. 6, 13.) Beides also, König und Priesterkönig, der scheidend seinen Jüngern verkündet: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden (Matth. 27, 18.) und von dem seine Apostel bezeugen: Gott hat ihn gesetzet zu seiner Rechten im Himmel über alle Fürstenthümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was genannt mag werden, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen und hat alle Dinge unter seine Füße gethan und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles. (Eph. 1, 21.) Ein solcher dieser verschmähte, verachtete, gekreuzigte Jesus! In der Herrlichkeit seiner verklärten Menschennatur sitzet Christus zur Rechten des Vaters auf des Himmels Thron. Ihr nennet dies Bildworte; es sei so, aber sie bezeichnen wesentliche Dinge. Die rechte Hand, das Werkzeug der Kraft, ist das Sinnbild der Macht und der Herrschaft; das Sitzen auf dem Thron sagt uns, daß er die allmächtige Gewalt Gottes theilt, daß er sie bis an's Ende der Zeiten königlich ausübt, und mitten unter seinen Feinden herrschet. Und in der königlichen Krone pflegt er eines bleibenden, unvergänglichen Priesterthums in der Kraft des unauflöslichen Lebens. Er, ewig der Mittler zwischen Gott und den Menschen, redet für uns durch sein Versöhnungsblut, vertritt uns durch den unausforschlichen Reichthum seiner Verdienste, bittet für uns als unser Anwalt und Fürsprecher beim Vater und leitet die Segnungen Gottes, Licht und Leben, zu der erlöseten Menschheit herab. Welch ein Verein erhabner Hoheit und milder Gnade in Christo! Als König schützt und schirmt er die Seinen; als Priester haucht er ihnen seinen Frieden ein, sendet ihnen seinen Geist, offenbart ihnen seine Gnadengegenwart. Sollte uns das Herz nicht aufgehn und vor Freude schlagen, da wir das von Jesu, von unserm Jesu wissen?

4.

Möchte es mir gelingen, euch noch Eins, ehe wir aus einander gehn, zum vollen Bewußtsein zu bringen, das große Gewicht dieser theuren Wahrheit von dem königlichen Priesterthum Christi euch recht fühlbar zu machen, und ihren Einfluß auf den Trost, auf den Muth und die Zuversicht unsres Lebens und auf unsre ewige Hoffnung. Welch ein Haupt, o Gemeinde des Herrn, das deine! O ihr Niedrigsten, ihr Aermsten, ihr Verlassensten, die Jesus, der Hort eures Heils, liebt, bewacht, deckt, birgt, wie reich, wie gesichert seid ihr! Was kann die Freude und die Fassung eurer Seele stören, da ihr nicht nur einen Erlöser habet, der euch zu gut in Schmach und Elend, in Noth und Tod hineingegangen ist, uni eure Versöhnung zu Stande zu bringen, sondern auch einen Erlöser, der die Riegel der Hölle und des Todes siegreich durchbrochen hat und brüderlich gesinnt auf dem Thron der Majestät herrschet euch, zu gut? Ist er für mich, wer mag wider mich sein? Und ob ich schon wandre im finstern Thal, so fürchte ich kein Unglück, denn er ist bei mir. Wohl dem Volk, dem der Herr sein Gott ist! Nein, unser Glaube ist kein eitler Wahn, unsre Hoffnung ist kein Selbstbetrug. Wir setzen das Vertrauen unsres Herzens auf ihn, denn wir trauen nicht auf einen Heiland, der einst da war und jetzt durch eine unübersteigliche Kluft von uns geschieden ist, sondern er ist bei uns an allen Enden und Orten. Er ist uns allgegenwärtig nahe. Mitleidig stehet er unser Elend und alle Noth und Versuchung, die uns auf dieser Erde umgiebt, königlich beschränkt er alle Macht, die sich wider uns erhebt, und spricht, wenn die Wasser der Trübsal drohend über die Seele gehn: Bis hieher und nicht weiter. Priesterlich tröstet, weidet, erquickt er uns also mit dem erfrischenden Hauch seiner Gnade, daß alles in uns darüber fröhlich und dankbar wird. Wohl uns des guten Herrn!

Das Wesen dieser Welt hat oft schon eine erschreckende Gestalt gewonnen. Nun läßt es sich wohl mit Händen greifen, daß das Geheimniß der Bosheit jetzt in einer Allgemeinheit sich reget wie nie zuvor. Die Zeichen des großen Abfalls mehren sich vor unsern Augen. Es kann sein, daß die Stunde nah ist, von welcher der Geist Gottes gesagt hat, daß sie über den ganzen Erdkreis kommen wird, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Sollen wir zittern und zagen? Nimmermehr, vielmehr aufsehn sollen wir auf den himmlischen, priesterlichen König und auf sein Regiment, da es auch nicht an Einem gefehlt hat. Seinem Scepter ist alles unterthänig, auch die Feindschaft der Widersacher, und er baut unter allen Wirren sein Reich. Unter seinen Gnadenflügeln geht es mit keiner Seele zum Untergang, sondern das Ende ist das apostolische, er wird mich erlösen von allem Uebel und mir aushelfen zu seinem himmlischen Reich. Und in diesem Reich - beuge dich, o meine Seele, staune und bete an! - ein Erbe Gottes und ein Miterbe der Herrlichkeit Jesu Christi werden, und mit ihm auf dem Stuhle sitzen und herrschen, und in den Lobgesang einstimmen: er hat uns gewaschen von unsern Sünden und zu Königen und Priestern gemacht, (Offenb. 1. 6.) da bedecken wir das Auge und die Sprache verstummt.

So wir solche Seligkeit kennen und sie dennoch nicht achten, wie werden wir entfliehn? Dem Gericht wird keiner entfliehn, dem der Segen des Friedensfürsten vorgehalten war und er erwählte den Fluch. Ihr alle, Geliebte, könnt Gerechtigkeit und Friede aus den Händen des Königs zu Salem erlangen. Schutz und Zuflucht unter seinem Gnadenschirm, das wahrhaftige Brod des Lebens, die unvergängliche Speise und meist das ewige Heil. Ist euch dann wohl, wenn ihr ohne ihn und sein Licht durch die Welt gehet? seid ihr glücklich, wenn ihr ohne ihn und die Hoffnung, die allein in ihm ist, aus der Welt gehet? O besinnet euch, die ihr so aufs Geradewohl dahin lebet und gewiß vor banger Erwartung der zukünftigen Dinge verschmachten werdet, dann wenn es finster wird und sich eure Füße an die dunkeln Berge stoßen. Lasset es darauf nicht ankommen! Stehet still und merket auf die Stimme dessen, der vor der Thüre stehet. Höret sein Anklopfen! Küsset den Sohn, daß er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege, denn sein Zorn wird bald entbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen! Amen.

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