Heliand - 06 - Josephs Traumgesicht

Heliand - 06 - Josephs Traumgesicht

Im Herzen Josephs
war nun trüber Mut, der die Magd zuvor,
die verlobte Jungfrau von erlauchtem Geschlecht,
sich zur Braut gewonnen. Er gewahrte sie gesegnet
und träumte sich nicht, daß die Getreue doch
ihre Weibheit bewahrt. Noch wußt' er des Waltenden
frohe Botschaft nicht, und wollte die Braut
in sein Haus nicht holen; im Herzen erwog er,
wie er sie verließe, daß ihr kein Leid geschähe
noch Drangsal davon. Er gedacht' es nicht
der Menge zu melden, weil die Menschen nicht
ihr das Leben ließen. Denn der Leute Brauch war
nach altem Gesetz des hebräischen Volks,
wem mit der Heimgeholten das Unrecht ins Haus kam,
dem büßte die Frau das befleckte Bette
mit Blut und Leben. Sie litten die Beste nicht,
daß sie bei den Leuten länger leben durfte,
inmitten der Menge. Da mußte der weise,
der gute Mann wohl in seinem Mut, Joseph,
der Dinge gedenken, wie er doch die Magd
mit Listen verließe.

Nicht lange, so geschah es,
daß im Schlaf ihm erschien des Erschaffers Engel,
des Himmelskönigs Bote, daß er sie heilig hielt
in minnendem Mute: „Sei Marien nicht abhold,
deiner Anverlobten, denn ehrbar ist sie.
Verschmäh sie nicht so sehr; du sollst sie pflegen
und würdig warten. Bewahrt euch eure Treue
hinfort wie zuvor und eure Freundschaft,
verlaß sie nicht, noch sei dir leid, daß ihr reiner Leib
mit dem Kinde geht, es kommt durch Gottes Gebot,
des Heiligen Geistes von der Himmelsau:
Es ist Jesus Christ, Gottes eigen Kind,
des Waltenden Sohn; drum sollst du sie wohl
halten und heilig. Laß dein Herz nicht zweifeln,
dein Gemüt nicht irren.“

Da ward des Mannes Sinn
gewendet nach den Worten, daß er wieder gewann
Minne zu der Magd und Gottes Macht erkannte,
des Waltenden Willen. Da ward der Wunsch ihm groß,
sie hochheilig zu halten immerdar,
vor dem Gesind' sie versorgend. Und sie trug säuberlich,
um des Herren Huld, den Heiligen Geist,
den göttlichen Sohn, bis Gottes Schickung
sie mächtig mahnte, daß sie an der Menschen Licht
der Gebornen Besten nun bringen sollte.

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