Heliand - 17 - Die Bergpredigt
Da ging der Mächtige
einen Berg hinauf, der Gebornen Hehrster,
setzte sich sonders und ersah sich da
treuhafter Männer und trefflicher zwölf,
gar gute Freunde, die hinfort zu Jüngern
alle Tage der Teure gedachte
in seiner Gefolgschaft mit sich zu führen.
Er nannte sie bei Namen und hieß sie näher gehen:
Andreas zuerst vor allen und Petrus,
die beiden Gebrüder, und bei den beiden,
Jakobus und Johannes, die Gottgeliebten.
Ihnen war er milden Muts; eines Mannes Söhne
waren sie beide: die wählte Gottes Sohn,
die Frommen, in sein Gefolge, und der Freunde noch viel,
erlauchter Männer: Matthäus und Thomas,
die beiden Judas und Jakob den andern,
der ihm selber geschwistert war, denn von zwei Schwestern
waren beide, Christus und Jakob, geboren,
als Vettern befreundet. Der Gefährten hatte
neune nun gekoren der Nothelfer Christ,
zuverlässige Männer. Da hieß er auch den zehnten
mit seiner Gesellschaft geh'n, Simon geheißen;
auch den Bartholomäus hieß er den Berg hinauf
aus dem Volke fahren, und dazu Philippus,
die zwei Getreuen. Die Z-wölfe gingen mit ihm,
die Recken zur Versammlung, wo er zu Rate saß,
der Menge Mundherr, der dem Menschengeschlecht
wider der Hölle Zwang zu helfen gesonnen war,
aus dem Pfuhl zu fördern jeden, der folgen will
so lieblicher Lehre, als er den Leuten dort
durch seine Weisheit zu weisen gedachte.
Dem Beseliger Christ kamen da zunächst
die Gesellen zu steh'n, die von ihm selber erkoren
waren, dem Waltenden. Die weisen Männer
umgaben den Gottessohn: ihre Begierde war groß,
der Erwählten Wunsch, seine Worte zu hören.
Sie schwiegen und horchten, was der Herr der Völker,
der Waltende, wollte in Worten verkünden,
den Leuten zuliebe. Da saß der Landeshirt
den Guten gegenüber, Gottes eigner Sohn,
wollt' in seiner Rede, manch sinnvollem Wort,
die Leute lehren, wie sie Gottes Lob
in diesem Weltreiche wirken sollten.
Erst saß er und schwieg, sah sie lange an,
war ihnen hold im Herzen, der heilige Herr,
mild im Gemüte. Den Mund nun erschloß er
und wies mit seinen Worten, des Waltenden Sohn,
des Hochherrlichen viel. Den Helden sagt' er
in spähen Sprüchen, die zu der Sprache
Christ, der Allwaltende, gekoren hatte,
welche von allen Erdenbewohnern
Gott die wertesten wären der Menschen:
„Ich sag' euch sicherlich, selig sind\\
in dieser Mittelwelt, die im Gemüte\\
arm sind aus Demut, denn das ewige Reich
in des Himmels Aus ist ihnen geheiligt,
ihr Leben schwindet nicht.
Selig auch
die Sanftsinnigen: sie sollen dasselbe Land
besitzen, dasselbe Reich. Selig dann,
die ihr Unrecht beweinen, sie dürfen Freude gewärtigen,
Trost in demselben Reich.
Selig die Getreuen auch,
die nach Gerechtigkeit richten: im Reiche des Herrn
finden sie vollen Lohn. Des Frommens genießen,
die gerecht hier richteten, mit der Rede nicht täuschten
die Menschen am Mahlstein.
Selig, dem milde war
das Herz in der Heldenbrust: ihm wird der heilige Herr,
der Mächtige, mild.
Selig auch in der Menge,
die reinen Herzens sind: sie sollen den Himmelswalter
schau'n in seinem Reiche.
Selig sind auch
die Friedfertigen, die nicht Fehde stiften,
mit Schuld sich beschweren: sie heißen Söhne des Herrn;
Ihnen wird er gnädig sein, daß sie lange genießen
sollen seines Reichs.
Selig sind dann,
die das Rechte wollen und darum von den Mächtigen
Haß und Harmrede dulden: ihnen auch ist im Himmel
Gottes Au gegönnt und geistiges Leben
einst am ewigen Tage, dessen End nicht kommt,
das wonnig Wohl.“
So hatte der waltende Christ
den edeln Männern von acht benannten
Seligkeiten gesagt, mit denen sicher jeder
das Himmelreich erhält, der es haben will,
oder auf ewig darbt er dereinst
des Wohls und der Wonne, wenn er die Welt verläßt,
die Erdenlose, ein ander Licht zu suchen.
Ihm wird Lieb oder Leid, wie er unter den Leuten hier
wallte in dieser Welt, ganz wie es wörtlich sprach
Christ, der Allwaltende, der Könige Mächtigster,
Gottes eigener Sohn, zu seiner Jünger Schar.
„Selig seid ihr auch, wenn euch beschuldigen
im Lande die Leute, und zu Leide sprechen,
euch zum Hohne haben und Harmens viel euch
erwirken in dieser Welt und Weh bereiten,
Lasterrede stiften und starke Feindschaft,
eure Lehren leugnen, alles Leid euch antun
und Harm um den Herrn. Das darf euch im Herzen nicht
das Leben verleiden: ihr erlangt Entschädigung
in Gottes Reiche für der Güter jegliches:
groß und mannigfalt gegeben wird sie euch,
weil ihr hier ehbevor Arbeit erduldetet,
weh in dieser Welt. Weher wird den andern,
grimmer ergeht es ihnen, die hier Gut besaßen,
weites Weltwohl. Die verzehren ihre Wonne hier
im Genuß der Genüge. Sie sollen aber Not
nach ihrer Hinfahrt, die Helden, erdulden.
Dann beweinen die Frevel, die zuvor hier in Wonnen sind,
in allen Lüsten leben und nicht lassen wollen
von den Meingedanken, wozu ihr Mut sie reizt,
von leidigem Leben. Ihr Lohn wird Mühsal sein
und üble Arbeit; sie werden das Ende dann
mit Sorgen sehen; und beschweren wird ihr Herz,
daß sie in der Welt so gar ihrem Willen nachhingen,
die Männer in ihrem Mute.
Solche Meintat verweist ihnen
mit wehrenden Worten, denn weisen will ich euch
und sicherlich sagen, ihr meine Gesellen,
mit wahren Worten, daß ihr in dieser Welt
das Salz sollt sein, der sündigen Menschen
Bosheit zu büßen, daß auf bessere Wege
das Volk geführet werde, des Feindes Werke lassend,
des Teufels Taten, des Trösters Reich zu suchen.
So sollen eure Lehren der Leute viel
zu meinem Willen wenden. Wer aber zunichte wird,
wer die Lehre verläßt, der er leben soll,
den vergleich' ich dem Salze, das an des Sees Gestade
weithin verworfen liegt, denn wenig taugt es mehr,
da es die Kinder des Volks mit Füßen treten,
die auf dem Grieße gehen. So geschieht ihm, der Gottes Wort
den Menschen melden soll: denn entzweit sich sein Mut,
daß er mit Herzenslauterkeit nicht zum Himmel will
spornen mit seiner Sprache, sondern spart Gottes Rede
und wankt in den Worten, so wird der Waltende ihm gram,
der Mächtige zornig, und den Menschenkindern auch
wird er dann allen, die auf Erden wohnen,
verleidet den Leuten, der in der Lehre nicht taugt.“
So weislich sprach da, Gottes Wort verkündend,
und die Leute lehrend, der Landeswart
mit lauterm Herzen. Die Helden standen,
die Guten, um den Gottessohn, begierig hörend
nach Wunsch und Willen; sein Wort war ihre Lust.
Sie schwiegen und horchten, hörten der Völker Herrn
das Gesetz Gottes sagen den Söhnen der Menschen.
Er verhieß ihnen das Himmelreich und sprach zu den Helden:
„Noch mag ich euch sagen, ihr meine Gesellen,
mit wahren Worten, daß ihr in der Welt hinfort
ein Licht sollt leuchten den Leutekindern,
Fernhin erfreulich, über der Völker viel
wonnesam strahlend. Eure Werke mögen nicht
verhohlen bleiben, mit welchem Herzen ihr sie tut.
So wenig die Burg, die auf dem Berge steht,
auf hoher Felsenhöh', verhohlen bliebe,
das gewaltige Riesenwerk, so wenig mögen eure Worte
in dieser Mittelwelt den Menschen auf Erden
verborgen bleiben. Gebraucht meiner Lehre:
Laßt euer Licht den Leuten leuchten,
den Menschenkindern, daß sie euer Gemüt erkennen,
euer Werk und euren Willen, und den waltenden Gott drum
mit lauterm Herzen, den himmlischen Vater,
loben ihr Leben lang, der euch solche Lehre lieh.
Niemand soll sein Licht vor den Leuten bergen,
das helle verhüllen, sondern hoch mög' er's
in den Saal setzen, daß es alle sehen,
die einen wie die andern, die darinne sind
der Helden in der Halle: so sollt ihr auch euer heilig Wort
in diesen Landen den Leuten nicht bergen,
den Helden verhehlen, sondern es hoch und weit
breiten, das Gebot des Herrn, daß es die Gebornen all
in diesen Landen, die Leute, verstehen
und so befolgen, wie es in frühern Tagen
mit Worten wiesen hochweise Männer,
als den Alten Bund die Edlinge hielten,
und nur um so strenger noch, wie ich nun will sagen,
der Guten jeglicher seinem Gotte diene,
als es im Alten Bund schon eh' geboten war.
Denn wähnt nicht, ich wär' in die Welt gekommen
etwa, den Alten Bund umzustoßen,
beim Volk zu Fall zu bringen, oder der Vorschauer
Worte zu verwerfen, die sie als wahrhafte Männer
uns offen anbefahlen: Erd' und Himmel sollten
zuvor zerfahren, die so fest gegründet stehn,
eh' der Worte eins nur unbewährt verbliebe
in dieses Lebens Licht, das sie den Leuten hier
wahrhaft wiesen. Ich kam nicht, die Worte
der Vorschauer zu fällen, erfüllen will ich sie,
mehren und erneuen den Menschenkindern,
diesem Volk zum Frommen, was da vormals geschrieben war
im Alten Bunde.“